Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 295



118 II 295

57. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Juni 1992 i.S. C.
gegen A. C. SA (Berufung) Regeste

    Art. 1 und Art. 18 OR. Übernahmebedürftigkeit von SIA-Normen.

    Als Grundlage für die Bestimmung des geschuldeten Werklohns bedürfen
auch technische Regeln zur Ermittlung der nach Einheitspreisen zu
vergütenden Menge der Übernahme in den Werkvertrag. Das gilt erst recht
für Regeln, die dem Unternehmer ein Abweichen vom tatsächlichen Ausmass
gestatten (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Für Arbeiten an drei Mehrfamilienhäusern des in Davos wohnhaften
Hans C. klagte die A. C. SA am 12. April 1988 beim Bezirksgericht
Oberlandquart gegen C. auf Zahlung von Werklohn. Das Bezirksgericht
liess die Ausmasse, welche die Klägerin ihren Unternehmerrechnungen
zugrundegelegt hatte, durch einen Experten überprüfen. Dieser bestätigte
die Richtigkeit der Ausmasse weitgehend und hielt insbesondere
fest, dass die bei drei Rechnungspositionen aufgrund von Ziffer 7.44
SIA-Norm 243 (Verputzte Aussenwärmedämmung) vorgenommenen Zuschläge zu
den Ausmassen korrekt seien. Gestützt auf die überprüften Rechnungen
hiess das Bezirksgericht die Klage am 9. August 1990 für Fr. 146'788.--
gut. Das Kantonsgericht Graubünden reduzierte den zugesprochenen Betrag
auf Fr. 126'227.75. Die vom Beklagten gegen das kantonsgerichtliche Urteil
vom 23. Oktober 1991 erhobene Berufung heisst das Bundesgericht teilweise
gut und spricht der Klägerin Fr. 107'485.05 zu.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Zu prüfen bleibt die Rüge des Beklagten, das Kantonsgericht sei
bei der Festsetzung des Werklohns zu Unrecht von der Anwendbarkeit der
SIA-Norm 243 ausgegangen, weshalb für die drei Rechnungspositionen 4, 5.50
und 6.3 nur auf die effektiven Ausmasse ohne Zuschläge nach Ziff. 7.44
dieser Norm abgestellt werden dürfe.

    a) Wie in einem neuesten Entscheid (BGE 117 II 284 E. 4b) ausgeführt
worden ist, anerkennt das Bundesgericht die vom Schweizerischen Ingenieur-
und Architekten-Verein herausgegebenen Normen, denen die Bedeutung von
Allgemeinen Geschäftsbedingungen zukommt, nicht als regelbildende Übung
und stellt darauf nur ab, wenn die Parteien sie zum Vertragsinhalt erhoben
haben (BGE 107 II 178 E. 1; vgl. auch BGE 109 II 452 Nr. 96). Vorgeformte
Vertragsinhalte können zwar Ausdruck der Verkehrsauffassung oder -übung
sein. Zu vermuten ist dies aber nicht, sondern muss im Einzelfall
nachgewiesen werden (JÄGGI/GAUCH, N. 403 zu Art. 18 OR; KRAMER, N. 33 zu
Art. 18 OR; GAUCH, Der Werkvertrag, 3. A. 1985, S. 64 f. Rz. 225, S. 67
f. Rz. 238 f.; GAUCH in: Kommentar zur SIA-Norm 118, S. 24 ff. Rz. 2;
MERZ, ZBJV 114/1978 S. 540 f.).

    b) Die Parteien haben die SIA-Norm 243 unstreitig nicht in den
Werkvertrag übernommen. Das Kantonsgericht hält sie trotzdem für
massgeblich, weil die einschlägige Ziffer 7.44 lediglich technische
Anweisungen darüber enthalte, wie nicht oder schwer messbare Ausmasse
zu ermitteln seien. Träfe diese Auffassung zu und gäbe Ziffer 7.44
nur eine übliche Messmethode wieder, dann hätte die Vorinstanz mit der
Bestimmung des streitigen Ausmasses der drei Rechnungspositionen eine
tatsächliche Feststellung getroffen, die im Berufungsverfahren nicht zu
überprüfen wäre (Art. 63 Abs. 2 OG). Um eine vereinfachte Messmethode,
die den Unternehmer in gewissen Fällen von der genauen Feststellung
des effektiven Ausmasses entbinden würde, handelt es sich indessen
nicht. Ziffer 7.44 berechtigt den Unternehmer vielmehr zu Zuschlägen
zum festgestellten Ausmass für Aussenisolationsarbeiten in gewissen
Bereichen (Anschlüsse an Fensterbänken, Ecken mit Kantenabrundungen,
runde Bauteile und Untersichten). Offensichtlich ist diese Regelung
auf schwierigere Arbeiten zugeschnitten, für die der Unternehmer eine
zusätzliche Vergütung soll beanspruchen können. Eine solche von einem
interessierten Berufsverband einseitig erlassene Bestimmung zur Festsetzung
der Werklohnhöhe hätte aber zu ihrer Verbindlichkeit der ausdrücklichen
Übernahme in den Werkvertrag bedurft (JÄGGI/GAUCH, N. 403 zu Art. 18 OR).

    Eine Übernahme wäre selbst dann erforderlich gewesen, wenn Ziffer 7.44
bloss eine erleichterte Feststellung der Ausmasse bezwecken würde. Zwar
können technische Usanzen im Gegensatz zu rechtlichen Verbandsnormen auch
ohne ausdrückliche Übernahme die Auslegung von Parteierklärungen bestimmen,
sofern sie die massgebende Verkehrssitte konkretisieren (KRAMER, N. 105
zu Art. 1 OR). Die zahlreichen Regeln, welche die Praxis zur Ermittlung
der nach Einheitspreisen zu vergütenden Menge entwickelt hat und die sich
auch in verschiedenen SIA-Normen finden, gehören jedoch nicht dazu. Als
Grundlage für die Berechnung des geschuldeten Werklohns dürfen sie dem
Bauherrn nur entgegenhalten werden, wenn die Parteien sie vereinbart
haben (GAUCH, Der Werkvertrag, S. 184 Rz. 641). Das gilt erst recht für
diejenigen Regeln, die es dem Unternehmer ermöglichen, vom tatsächlichen
Ausmass abzuweichen, darf doch der Bauherr ohne gegenteilige Abmachung
annehmen, dass ihm die effektiv erbrachten Leistungen berechnet werden.