Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 176



118 II 176

36. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. April 1992 i.S.
Xaver Wiederkehr AG gegen Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft
(Berufung) Regeste

    Haftpflicht-Versicherungsvertrag. Begriff des Sachschadens.

    Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die Haftung für
Sachschäden in einer Haftpflichtversicherung bedeutet nicht, dass der
Versicherer nur bis zum Ersatzwert der beschädigten oder zerstörten Sache
einzustehen habe. Versichert ist vielmehr der ganze Vermögensschaden,
der dem Versicherten aus seiner Haftung für den Sachschaden eines Dritten
entstanden ist.

    Ein Sachschaden liegt auch vor, wenn Klärschlamm so verunreinigt
worden ist, dass seine landwirtschaftliche Verwendung nicht mehr möglich
ist und er aufwendig vernichtet werden muss.

Sachverhalt

    A.- Die Xaver Wiederkehr AG betreibt in Waltenschwil ein Shredder-
und Scherwerk. Das Werkareal liegt in einer Senke. Das Regenwasser
und die betrieblichen Abwässer werden in zwei Rückhaltebecken mit
eingebauten Schlammsammlern geleitet und von dort in das höher gelegene
Kanalisationsnetz des Abwasserverbandes Wohlen-Villmergen-Waltenschwil
gepumpt.

    Auf dem gesamten Werkareal der Xaver Wiederkehr AG fällt Metallstaub
an, der jeweils über die betriebseigenen Abwasserleitungen in die
Rückhaltebecken geschwemmt wird. Vom Sommer 1987 bis im Herbst 1988
gelangte schwermetallhaltiges Abwasser aus dem Werkareal in die
Kanalisation. Dabei wurde der ganze Kanalisationsstrang zwischen dem
Betrieb der Xaver Wiederkehr AG und der Abwasserreinigungsanlage (ARA)
verschmutzt. Zudem wurde der Klärschlamm im Faulturm der ARA verunreinigt,
so dass er nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden konnte.

    Die Reinigung der rund 6 km langen Kanalisationsleitung und die
Verbrennung des mit Schwermetallen durchsetzten Klärschlamms verursachten
Kosten von insgesamt Fr. 513'211.40. Die Xaver Wiederkehr AG wurde mit
einem Teilbetrag von Fr. 466'797.55 belastet. Davon entfielen auf die
Reinigung der Kanalisation Fr. 346'514.55 und auf die Entsorgung des
Klärschlamms Fr. 120'283.--.

    B.- Die Xaver Wiederkehr AG ist gegen die Folgen ihrer betrieblichen
Haftpflicht bei der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft
versichert. Nachdem die Versicherungsgesellschaft die Vergütung des von
der Xaver Wiederkehr AG für das Schadensereignis bezahlten Betrages
verweigert hatte, klagte diese gegen die Schweizerische Mobiliar
Versicherungsgesellschaft beim Handelsgericht des Kantons Aargau auf
Bezahlung von Fr. 466'797.55 nebst Zins. Mit Entscheid vom 24. September
1991 hat das Handelsgericht die Klage abgewiesen.

    C.- Die Xaver Wiederkehr AG gelangt mit Berufung gegen dieses Urteil
an das Bundesgericht. Sie verlangt die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides und die Verpflichtung der Beklagten, ihr Fr. 466'797.55 nebst
Zins zu bezahlen.

    Die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft stellt den
Antrag, die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das
Handelsgericht hat sich zur Berufung nicht vernehmen lassen.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und weist die
Sache, soweit es um die Kosten für die Entsorgung des Klärschlammes geht,
an die Vorinstanz zur Abklärung der weiteren, im kantonalen Verfahren
erhobenen Einwände und zu neuer Entscheidung zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Das Handelsgericht hat eine Haftung der Beklagten für die
Kosten abgelehnt, die infolge der Beseitigung des verunreinigten
Klärschlamms entstanden sind, weil es sich dabei nicht um einen
unmittelbaren Sachschaden gehandelt habe. Als solcher könne nämlich
nur der Wiederbeschaffungswert einer beschädigten oder zerstörten Sache
angesehen werden. Bei den hier streitigen Beseitigungskosten handle es
sich hingegen um mittelbaren Schaden, der vom Sachschadensbegriff nicht
mehr erfasst werde.

    a) Der vorliegende Rechtsstreit bezieht sich auf einen
Versicherungsvertrag betreffend die Betriebshaftpflicht der Klägerin. Die
Haftpflichtversicherung stellt den wichtigsten Anwendungsfall der
Vermögensversicherung dar. Sie gehört somit weder zur Personen-
noch zur Sachversicherung (KOENIG, Der Versicherungsvertrag, SPR,
Bd. VII/2, Basel 1979, S. 608 ff.), wohl aber nach der Einteilung des
Versicherungsvertragsgesetzes zur Schadensversicherung als Gegensatz zur
Personenversicherung. Der Versicherer hat einen Schaden zu ersetzen, der
beim Versicherten als reiner Vermögensschaden (Vermehrung der Passiven)
eingetreten ist. Vorliegend macht die Beklagte allerdings geltend,
sie hafte nur für den Vermögensschaden des Versicherten, der aufgrund
von Personen- oder Sachschäden bei Dritten entstanden sei. Demgegenüber
bestehe aufgrund des Versicherungsvertrages keine Leistungspflicht, wenn
der Versicherte wegen eines reinen Vermögensschadens des Dritten belangt
worden sei. Die Klägerin hält hingegen den Versicherungsschutz auch für
reine Vermögensschäden als gegeben, wenn diese durch Abwässer verursacht
worden sind. Wie es sich damit verhält, muss nur geprüft werden, falls sich
erweisen sollte, dass die Klägerin tatsächlich aus reinem Vermögensschaden
belangt worden ist.

    b) Sachschaden entsteht infolge Zerstörung, Beschädigung oder
Verlusts einer Sache (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht,
Bd. I, Zürich 1975, S. 61; DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile,
Bern 1982, S. 48, Rz. 20; BREHM, Berner Kommentar, N 77 zu Art. 41 OR;
vgl. auch BGE 116 II 490 f. E. 4). Dabei stellen die Zerstörung, die
Beschädigung und der Verlust nicht selber den Schaden dar, sondern sind
die Ursache eines solchen (OFTINGER, S. 61 Anm. 40). Der Schaden ist die
daraus resultierende Vermögenseinbusse. Reiner Vermögensschaden liegt
demgegenüber vor, wenn eine Vermögenseinbusse eintritt, ohne dass eine
Person verletzt oder getötet oder eine Sache beschädigt oder zerstört
worden, beziehungsweise verlorengegangen ist (OFTINGER, S. 61).

    Davon geht an sich auch das Handelsgericht im angefochtenen
Urteil aus. Es nimmt dann aber an, im Bereich der Sachversicherung
sei die Leistungspflicht des Versicherers auf den Ersatzwert
beschränkt. Dabei verkennt es, dass dem vorliegenden Rechtsstreit nicht
eine Sachversicherung, sondern eine Haftpflichtversicherung zugrunde
liegt. Wie Art. 49 VVG zeigt, hat der Begriff des Ersatzwertes seinen
Sinn wohl bei der Sach-, nicht aber bei der Haftpflichtversicherung als
Unterart der Vermögensversicherung. Bei der Sachversicherung wird mit dem
Ersatzwert als Versicherungswert eine Überversicherung vermieden. Im
Bereich der Haftpflichtversicherung kann aber eine Begrenzung der
versicherten Haftpflicht auf Sachschäden den Anspruch des Versicherten
nicht auf den blossen Ersatzwert der beschädigten Sache beschränken. Von
der Versicherung wird vielmehr die ganze sich aus dem Sachschaden
ergebende Haftpflicht abgedeckt. Ausgeschlossen wird lediglich die
Haftpflicht, die gar nicht mit einem Sachschaden zusammenhängt, wie
beispielsweise die Haftung für Kreditschädigung oder aus unlauterem
Wettbewerb. Entsprechend muss vorliegend ohne Bedeutung bleiben, wie
der Ersatzwert im Bereich der Feuerversicherung umschrieben wird. Etwas
anderes lässt sich auch nicht dem vom Handelsgericht zitierten Werk von
MAURER entnehmen. An der angegebenen Stelle führt dieser Autor nur aus,
die in Art. 63 VVG für die Feuerversicherung enthaltene Umschreibung des
Ersatzwertes lasse sich auch auf andere Sachversicherungen übertragen
(MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 2. Aufl., Bern 1986,
S. 480). Um eine solche handelt es sich vorliegend aber nicht. Aus der
Beschränkung auf Sachschäden im Versicherungsvertrag kann nicht abgeleitet
werden, es werde, wenn ein Sachschaden vorliege, die Haftpflicht nur
gedeckt, soweit der Versicherte für den Ersatzwert belangt worden sei.

    c) Die Verschmutzung des Klärschlamms stellt die Beschädigung einer
Sache dar. Der Schlamm wurde in seiner Zusammensetzung so verändert,
dass er nicht mehr in der Weise verwendet werden konnte, wie dies ohne
eine solche Einwirkung möglich gewesen wäre. Er war infolge dieser
Veränderung nicht mehr landwirtschaftlich zu gebrauchen, sondern musste
aufwendig verbrannt werden. Die Kosten für die Beseitigung stellen
damit eine kausale Folge der Sachbeschädigung dar. Zudem kann auch an
der Adäquanz nicht gezweifelt werden. Ohne Bedeutung muss schliesslich
bleiben, ob es sich um mittelbaren oder unmittelbaren Schaden handelt. Dem
Versicherungsvertrag ist nichts zu entnehmen, das den Schluss zuliesse, es
sei nur die Haftung für unmittelbaren Schaden gedeckt. Grundsätzlich wird
im schweizerischen Haftpflichtrecht aber nicht nur für den unmittelbaren,
sondern auch für den mittelbaren Schaden gehaftet, sofern dieser noch
als adäquat kausale Folge des schädigenden Ereignisses erscheint (VON
TUHR/PETER, OR AT, Zürich 1974, S. 88; OFTINGER, S. 255).