Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 124



118 II 124

27. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. April 1992 i.S.
Vorsorgestiftung X. gegen B. und N. (Berufung) Regeste

    Missbräuchlichkeit einer Mietzinserhöhung. Berufung auf den Tatbestand
der kostendeckenden Bruttorendite gemäss Art. 269a lit. c OR.

    Für die Kundgabe eines ungenügenden Mietertrages ist gemäss
Rechtsprechung ein klarer Vorbehalt erforderlich und nach geltendem
Recht (Art. 18 VMWG) zusätzlich dessen quantitative Bestimmtheit
(E. 4). Mangels eines solchen Vorbehalts kann Art. 269a lit. c OR
im laufenden Mietverhältnis nicht zur Begründung einer kosten- oder
kaufkraftbezogenen Mietzinsanpassung angerufen werden (E. 5). Eine
kostenerhebliche Fehlberechnung des Vermieters kann, jedenfalls
ausserhalb des Verbots des Rechtsmissbrauchs, auch im längerdauernden
Vertragsverhältnis nicht dem Mieter angelastet werden (E. 6).

Sachverhalt

    A.- Die Vorsorgestiftung X. vermietete mit Verträgen vom 5.  Februar
1985 bzw. 20. Januar 1987 je eine 4 1/2-Zimmerwohnung mit Autoeinstellplatz
und Bastelraum an B. sowie an N. Der monatliche Anfangsmietzins
betrug exklusive Nebenkosten Fr. 1'267.-- für die Wohnung von B. und
Fr. 1'300.-- für diejenige von N. Die Mietverträge enthalten keinerlei
Mietzinsvorbehalte. Mit der Begründung "Teuerung und ungenügende Rendite
(Teilanpassung)" bzw. "keine kostendeckende Bruttorendite (Teilanpassung)"
wurden die Mietzinse für die beiden Wohnungen in den Jahren 1986, 1989
und 1990 erhöht.

    Auf den 1. Mai 1991 kündigte die Vermieterin eine weitere
Mietzinserhöhung von Fr. 1'527.-- auf Fr. 1'756.-- für B. sowie von
Fr. 1'530.-- auf Fr. 1'760.-- für N. an. Das Formular enthielt
die Begründung "Anpassung an die kostendeckende Bruttorendite um
15% (I. Etappe). Vorbehalten bleibt eine weitere Erhöhung von 10%
(II. Etappe)." Mit derselben Begründung kündigte die Vermieterin auch
prozentual entsprechende Erhöhungen der Mietzinse für die Einstellplätze
und die Bastelräume an.

    B.- B. und N. fochten diese Erhöhungen bei der Schlichtungsstelle
an. Nachdem keine Einigung zustande gekommen war, verlangte die
Vorsorgestiftung X. gerichtlich festzustellen, dass die monatlichen
Mietzinse von Fr. 1'756.--, zuzüglich Fr. 115.-- für den Einstellplatz,
für die Wohnung von B. bzw. von Fr. 1'760.--, zuzüglich Fr. 115.-- für den
Einstellplatz und Fr. 127.-- für den Bastelraum, für die Wohnung von N. mit
Wirkung ab 1. Mai 1991 nicht missbräuchlich seien. Der Gerichtspräsident
III von Bern und auf Appellation der Klägerin auch der Appellationshof
des Kantons Bern wiesen das Gesuch ab.

    Das Bundesgericht weist die von der Klägerin erhobene Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Nach Art. 269a lit. c OR sind Mietzinse in der Regel nicht
missbräuchlich, wenn sie bei neueren Bauten im Rahmen der kostendeckenden
Bruttorendite liegen; diese ist gemäss Art. 15 Abs. 1 der Verordnung vom
9. Mai 1990 über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (VMWG,
SR 221.213.11) auf den Anlagekosten zu berechnen.

    a) Die gesetzliche Regelung zum missbräuchlichen Mietzins beruht
auf verschiedenen Rechtsgedanken, die zum Teil in einem gewissen
Spannungsverhältnis zueinander stehen. So will sie einerseits verhindern,
dass der Vermieter auf Kosten des Mieters einen übersetzten Ertrag
erwirtschaftet (Grundsatz der Kostenmiete). Dieser Gedanke liegt der
Generalklausel (Art. 269 OR) sowie einzelnen der besonderen Tatbestände
(Art. 269a lit. b-e OR) zugrunde. Auf der andern Seite gilt aber ein
Mietzins, der sich im Rahmen aussagekräftiger Vergleichspreise hält
(Grundsatz der Marktmiete, Art. 269 lit. a und f OR), selbst dann nicht
als missbräuchlich, wenn damit der zulässige Ertrag überstiegen wird
(BGE 112 II 155).

    Die ratio legis von Art. 269a lit. c OR liegt vornehmlich im
Bestreben, der Gefahr einer Dämpfung der Neubautätigkeit durch die
Missbrauchsgesetzgebung zu begegnen, ist doch allbekannt, dass sich
bei Neubauten in den ersten Jahren eine kostendeckende Bruttorendite
aus markttechnischen Gründen kaum je erzielen lässt (ZIHLMANN, Das neue
Mietrecht, S. 151). Mit der erwähnten Bestimmung, gemäss der Mietzinse
bei neueren Bauten in der Regel nicht als missbräuchlich gelten,
wenn sie im Rahmen der kostendeckenden Bruttorendite liegen, soll dem
Vermieter ermöglicht werden, einen kostendeckenden Bruttoertrag aus einer
Neubaute allenfalls auch dann zu erzielen, wenn die marktorientierten
Berechnungs- und Anpassungskriterien des Gesetzes dies nicht erlauben
sollten. Folgerichtig stellt denn auch das Korrektiv in Art. 15 Abs. 2
VMWG - im Gegensatz etwa zu demjenigen in Art. 10 VMWG - nicht auf
Vergleichsmieten als Bemessungskriterium ab.

    b) Im Rahmen der genannten Zielsetzung ist indessen auch dem Grundsatz
von Treu und Glauben Rechnung zu tragen, auf dem die von der Rechtsprechung
entwickelte relative Berechnungsmethode beruht (BGE 111 II 203 f. mit
Hinweisen). Danach darf der Mieter davon ausgehen, dass der vertraglich
vereinbarte oder nachträglich angepasste Mietzins dem Vermieter einen
sowohl zulässigen wie auch genügenden Ertrag verschaffe, es sei denn,
der Vermieter habe durch eine Vorbehaltserklärung zum Ausdruck gebracht,
der Ertrag sei ungenügend. Das Bundesgericht hat daraus abgeleitet,
der Vertrauensgrundsatz setze bei Beanspruchung einer Mietzinsanpassung
ebenfalls der Anrufung von sogenannten absoluten Erhöhungsgründen
Schranken, indem der Vermieter diese Kriterien mangels Vorbehalts von
vornherein nur insoweit anrufen könne, als sich die Verhältnisse seit
der letzten Mietzinsfestsetzung verändert hätten. Insofern werden
die absoluten Erhöhungsgründe (ungenügende Nettorendite, ungenügender
Bruttoertrag einer neueren Baute, Angleichung an die Ortsüblichkeit)
im laufenden Mietverhältnis relativiert (BGE 117 II 457).

    Bereits unter der Herrschaft des BMM verlangte die bundesgerichtliche
Rechtsprechung einen ausdrücklichen und klaren Vorbehalt für die Kundgabe
eines ungenügenden Mietertrages (BGE 117 II 161 E. 3); das geltende Recht
fordert in Art. 18 VMWG zusätzlich die quantitative Bestimmtheit des
Vorbehalts. Nach Sinn und Zweck der relativen Berechnungsmethode haben
stets dieselben Anforderungen an Grundsatz und Form eines Vorbehalts zu
gelten, unabhängig davon, ob er gegenüber dem anfänglich vereinbarten
oder gegenüber einem später angepassten Mietzins angebracht wird. Für
den vorliegenden Fall ist dabei von der verbindlichen Feststellung
der Vorinstanz auszugehen, die Klägerin habe einen Vorbehalt bis
zur Ankündigung der streitigen Mietzinserhöhung überhaupt nicht
angebracht. Damit greift uneingeschränkt die relative Berechnungsmethode
Platz.

Erwägung 5

    5.- Gesetz (Art. 269a lit. c OR) und Verordnung (Art. 15 VMWG)
bestimmen den Satz der kostendeckenden Bruttorendite nicht. Lehre und
Rechtsprechung gehen davon aus, er stehe in Abhängigkeit vom jeweiligen
Hypothekarzinssatz im massgebenden Berechnungszeitpunkt (ZIHLMANN, aaO, S.
152; SVIT-KOMMENTAR Mietrecht, N 60 zu Art. 269a OR; LACHAT/MICHELI,
Le nouveau droit du bail, S. 234 Ziff. 4.5, je mit Hinweisen). Das
Bundesgericht hat denselben Grundsatz bei der Ermittlung der zulässigen
Nettorendite im Sinne von Art. 269 OR (bzw. Art. 14 BMM) angewandt
(BGE 112 II 152 E. 2b). Bei Annahme der erwähnten Abhängigkeit verändert
sich mit dem Hypothekarzinssatz auch der zulässige Renditesatz. Dies
kann rechnungsmässig im laufenden Mietverhältnis zu unterschiedlichen
Forderungen führen, je nachdem, ob die Veränderung des Hypothekarzinssatzes
als Kostensteigerung im Sinne von Art. 269a lit. b OR oder als Grundlage
einer neuen Renditeberechnung im Sinne der Art. 269 oder 269a lit. c
OR beansprucht wird. So führt beispielsweise eine Veränderung des
Hypothekarzinssatzes von 5 auf 6% zu folgenden Ergebnissen: Bei Anpassung
des Mietzinses nach Art. 269a lit. b OR gelangt man in Anwendung von
Art. 13 lit. b VMWG zu einer zulässigen Erhöhung von 10%. Geht man dagegen
von Art. 269a lit. c OR aus und legt die zulässige Bruttorendite, wie in
der Praxis üblich, auf 2% über dem Hypothekarzinssatz fest, so steigt die
Rendite von 7 auf 8%, was bei unveränderten Anlagekosten eine Erhöhung um
rund 14,3% rechtfertigen würde. Werden darüber hinaus die Anlagekosten dem
Landesindex angepasst, wie dies aus Art. 11 Abs. 2 VMM abgeleitet wurde,
ergäbe dies eine zusätzliche Mehrforderung im Umfang von 40% der seit der
letzten Anpassung eingetretenen Teuerung. Es stellt sich somit die Frage,
ob der Vermieter einer neueren Baute Kostensteigerungen und Teuerung nur
nach Massgabe von Art. 269a lit. b und e OR oder wahlweise auch unter
Berufung auf Art. 269a lit. c OR überwälzen darf. Letzteres beansprucht
die Klägerin.

    a) Auszugehen ist einerseits vom Begriff der Anlagekosten als
Investitionen des Erstellers eines Neubaus oder des Ersterwerbers
unmittelbar nach der Fertigstellung (BGE 116 II 599). Anderseits
gilt es das teleologische Auslegungsergebnis zu beachten, gemäss dem
Art. 269a lit. c OR mindestens mit der Zeit einen angemessenen Ertrag
auch aus solchen Neubauten ermöglichen will, die nach marktorientierten
Kriterien keine genügende Rendite abwerfen. Damit erlangt der Begriff
der kostendeckenden Bruttorendite seine vorrangige Bedeutung bei der
Festsetzung eines Anfangsmietzinses. Dabei kann sich, namentlich bei
Folgevermietungen, die Frage stellen, ob die ausgewiesenen Anlagekosten
der zwischenzeitlich aufgelaufenen Teuerung anzupassen sind. Sie braucht
jedoch im vorliegenden Fall ebensowenig entschieden zu werden wie in
BGE 116 II 599 E. 5d. Lässt sich sodann im Rahmen des Anfangsmietzinses
eine kostendeckende Bruttorendite nicht erzielen, hat der Vermieter
die Möglichkeit, deren spätere Anpassung mittels rechtsgenüglicher
Willenserklärung vorzubehalten.

    b) Demgegenüber ist die Auffassung abzulehnen, Art. 269a lit. c
OR gestatte ebenfalls eine Anpassung der Bruttorendite an veränderte
Hypothekarzinse oder an die Teuerung während laufendem Mietverhältnis und
damit eine von den Schranken des Art. 269a lit. b und e OR abweichende,
selbständige Mietzinsanpassung. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung steht
auf dem Standpunkt, der diesbezügliche aus dem alten Recht übernommene
Schematismus enthalte eine gewollt einheitliche und abschliessende
Ordnung, die im Rahmen der relativen Berechnungsmethode ausschliesse,
einer singulären Kostenstruktur, die von den standardisierten Annahmen
des Gesetzgebers abweicht, Rechnung zu tragen (BGE 118 II 47). Weder aus
dem Wortlaut noch aus dem Sinn des Gesetzes folgt, dass der Vermieter
einer Neubaute auch insoweit gegenüber dem allgemeinen Mechanismus
der Mietzinsbestimmung privilegiert ist. Dies liesse sich denn auch
bereits aufgrund der Vereinheitlichung, die in bezug auf die regionalen
Mietzinsentwicklungen angestrebt wird, nicht mit den tragenden Grundsätzen
der Missbrauchsgesetzgebung vereinbaren. Vielmehr muss es damit sein
Bewenden haben, dass den Veränderungen des Hypothekarzinssatzes wie der
Teuerung ausserhalb einer zulässigen abweichenden Vereinbarung einzig im
Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten der Art. 269a lit. b und e OR sowie
der zugehörigen Ausführungsvorschriften Rechnung getragen werden kann.

    c) Daraus folgt, dass Art. 269a lit. c OR einerseits als
Berechnungsgrundlage des Anfangsmietzinses und anderseits bei
entsprechendem Vorbehalt für dessen kostendeckende Anhebung
angerufen werden kann, nicht aber zur Begründung einer kosten- oder
kaufkraftbezogenen Mietzinsanpassung. Damit ist dem Appellationshof
beizupflichten, wenn er der Klägerin im laufenden Mietverhältnis die
Berufung auf diese Bestimmung mangels rechtsgenüglichen Vorbehalts
verschliesst.

Erwägung 6

    6.- Die Klägerin macht schliesslich geltend, der fehlende Vorbehalt
könne ihr im Rahmen der relativen Berechnungsmethode nicht auf unabsehbare
Zeit entgegengehalten werden. Auch wenn diesem Einwand nicht jede
Berechtigung abgesprochen werden kann, ist doch festzuhalten, dass die
beanspruchte, wiederum aus dem Vertrauensgrundsatz abzuleitende Korrektur
von vornherein bloss im Rahmen der Markt-, nicht aber der Kostenmiete
beansprucht werden könnte, da eine kostenerhebliche Fehlberechnung des
Vermieters, jedenfalls ausserhalb des Verbots des Rechtsmissbrauchs,
auch im längerdauernden Vertragsverhältnis nicht dem Mieter angelastet
werden kann. Da die Klägerin die Mietzinserhöhung allein kostenmässig
begründet hat, vermag sie auch mit diesem Vorbringen nicht durchzudringen.