Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 101



118 II 101

22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Februar 1992 i.S.
A.X. und Mitbeteiligte gegen M.X. und Mitbeteiligte (Berufung) Regeste

    Vertretung Unmündiger durch die Eltern (Art. 306 Abs. 2 und Art. 392
Ziff. 2 ZGB).

    Unverbindlichkeit eines Erbauskauf-Vertrags, den die Mutter
unmündiger Kinder in deren Namen mit den Eltern des verstorbenen Ehemannes
abgeschlossen hat, ohne dass die Vormundschaftsbehörde um Ernennung eines
Beistandes wegen Interessenkollision ersucht worden wäre.

Sachverhalt

    A.- Der 1970 verstorbene K.X. hinterliess seine Ehegattin L.X.-Y. sowie
seine aus der Ehe hervorgegangenen vier Söhne M. (geb. 1960), N.
(geb. 1961), O. (geb. 1963) und P. (geb. 1964). Mit öffentlicher Urkunde
vom 23. Mai 1979 schloss L.X.-Y. als Inhaberin der elterlichen Gewalt
über ihre noch minderjährigen Söhne mit den Eltern des verstorbenen
Ehemannes und Vaters, R. und S.X.-Z., einen als "Erbauskauf" bezeichneten
Vertrag. Darin verzichteten M., N., O. und P.X. auf das ihnen gegenüber
ihren Grosseltern zustehende gesetzliche Erbrecht, wobei folgendes
beigefügt wurde (Art. 1 Abs. 2):

    "Der Verzicht ist ein allgemeiner, er erstreckt sich auf das
gegenwärtige
   und zukünftige Vermögen der Erblasser, einschliesslich spätere
   Erbanfälle und hat die Wirkung, dass die Verzichtenden nach Art. 495
   Abs. 2 ZGB beim

    Erbgang als Erben ausser Betracht fallen."

    Als Gegenleistung für diesen Erbverzicht bezahlten R. und S.X. den
Verzichtenden zu gleichen Teilen die einmalige Auskaufssumme von Fr.
1'000'000.--, wovon allerdings Fr. 100'000.-- als bereits bezahlt in Abzug
gebracht wurden (Art. 2 des Vertrags). Bei diesem Teilbetrag handelte
es sich um eine Pauschalierung von Unterstützungsleistungen, die R. und
S.X. der Familie ihres verstorbenen Sohnes bereits ausgerichtet hatten.

    Die Eheleute R. und S.X.-Z. schlossen mit drei ihrer übrigen Kinder
ebenfalls Verträge ab, in welchen diese gegen Ausrichtung entsprechender
Gegenleistungen auf ihr Erbrecht gegenüber den Eltern verzichteten.

    Am 6. Mai 1988 starb R.X. Das von ihm am 27. August 1983 errichtete
amtlich eröffnete öffentliche Testament enthält unter anderem folgende
Bestimmungen:

    "Art. 2: Meine Kinder ... und die Erben von K.X. habe ich bereits für
   ihren Erbanteil abgefunden, was hiermit festgehalten und offiziell
   angerechnet wird.

    Art. 3: Demnach erben meine übrigen Kinder ... oder deren Nachkommen
   unter Vorbehalt von Art. 4-6 mein gesamtes Vermögen zu gleichen Teilen."

    Im Oktober 1988 starb auch S.X.-Z.

    Mit Klage vom 5. Juli 1989 gegen sämtliche Geschwister ihres Vaters
K.X. verlangten M., N., O. und P.X. die Ungültigerklärung des Vertrags
vom 23. Mai 1979 mit ihren Grosseltern betreffend Erbauskauf sowie
die Ungültigerklärung der Art. 2 und 3 der letztwilligen Verfügung von
R.X. vom 27. August 1983, soweit diese Bestimmungen sie beträfen. Die
Beklagten widersetzten sich der Klage. Am 25. Januar 1991 fällte das
Kantonsgericht folgendes Urteil:

    "1. Es wird festgestellt, dass der Erbauskaufvertrag vom 23. Mai 1979
   zwischen R. und S.X. einerseits und den Klägern andererseits für die

    Kläger nicht verbindlich ist.

    2. Die Artikel 2 und 3 des Testaments von R.X. vom 27. August 1983
werden
   als ungültig erklärt, soweit diese Artikel die Kläger betreffen.

    ..."

    Gegen dieses Urteil haben die Beklagten beim Bundesgericht Berufung
erhoben. Sie verlangen, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und
festzustellen, dass der Erbauskaufvertrag vom 23. Mai 1979 gültig und für
beide Parteien verbindlich sei und dass die Art. 2 und 3 des Testaments
von R.X. gültig seien.

    Die Berufungsbeklagten (Kläger) schliessen auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Nach Art. 306 Abs. 2 ZGB finden die Bestimmungen über die
Vertretungsbeistandschaft Anwendung, wenn die Eltern in einer Angelegenheit
Interessen haben, die denen des Kindes widersprechen. Damit wird auf
Art. 392 Ziff. 2 ZGB verwiesen, wo die Ernennung eines Beistandes durch
die Vormundschaftsbehörde vorgeschrieben wird, wenn der gesetzliche
Vertreter einer unmündigen oder entmündigten Person in einer Angelegenheit
Interessen hat, die denen des Vertretenen widersprechen. Die Vorinstanz
ist unter Hinweis auf BGE 107 II 109 E. 4 zutreffend davon ausgegangen,
dass für die Frage, ob die Voraussetzungen für die Bestellung eines
Vertretungsbeistandes gegeben sind, eine abstrakte Gefährdung der
Interessen der handlungsunfähigen Person genügen muss. Das wird in der
Berufung an sich nicht beanstandet. Als bundesrechtswidrig rügen die
Berufungskläger hingegen, dass die Vorinstanz im vorliegenden Fall
das Bestehen einer Interessenkollision im Verhältnis zwischen den
Berufungsbeklagten und deren Mutter bejaht hat.

    a) Im angefochtenen Urteil wird ausgeführt, eine abstrakte Gefährdung
der Kindesinteressen im Sinne von Art. 392 Ziff. 2 ZGB müsse bezüglich
des Erbauskaufvertrags vom 23. Mai 1979 bejaht werden, da die Interessen
der Mutter und diejenigen der damals noch unmündigen Berufungsbeklagten
auf längere Sicht nicht gleichgerichtet gewesen seien. Kurzfristig hätten
sowohl die Mutter wie die Kinder das übereinstimmende Interesse gehabt, von
den Eltern des vestorbenen Ehemannes und Vaters umgehend eine beträchtliche
Geldsumme zu erhalten, um die Unterhalts- und Ausbildungskosten der
Kinder bestreiten zu können. Dadurch sei die Unterhaltspflicht der Mutter
erleichtert worden; als Verwalterin des Kindesvermögens sei diese zudem
auch Nutzniesserin dieses Vermögens gewesen; es sei klar gewesen, dass
sich durch den Empfang einer Abfindung von einer Million Franken auch
die Lebenshaltung der Mutter stark verbessern würde. Dieses Interesse der
Mutter am Zustandekommen des Erbvertrags habe sich aber auf die Dauer von
wenigen Jahren beschränkt. Demgegenüber hätten die Berufungsbeklagten
als gesetzliche Erben neben ihrem vordergründigen Interesse, möglichst
bald eine beträchtliche Geldsumme zu erhalten, im Blick auf ihr späteres
Leben auch ein Interesse an einer möglichst grossen Erbschaft gehabt. Sie
seien deshalb vor der Wahl gestanden, entweder den von ihren Grosseltern
angebotenen Erbauskauf anzunehmen oder vorerst zu versuchen, einen blossen
Erbvorbezug auszuhandeln, und, falls dies nicht gelingen sollte, auf
einen Vertragsabschluss überhaupt zu verzichten und einfach den Erbgang
abzuwarten. Das längerfristige Interesse der Berufungsbeklagten, sich die
Möglichkeit zu bewahren, dereinst einen grösseren Erbteil zu erhalten als
die von den Grosseltern für den Erbverzicht angebotene Abfindungssumme,
habe somit im Gegensatz gestanden zu ihrem kurzfristigen Interesse an
einem sofortigen Geldbezug und damit auch zum entsprechenden eigenen
Interesse der Mutter. Es habe daher, abstrakt betrachtet, ein gewisser
Interessengegensatz zwischen den Berufungsbeklagten einerseits und
ihrer gesetzlichen Vertreterin andererseits bestanden, weshalb für die
Berufungsbeklagten gemäss Art. 392 Ziff. 2 ZGB ein Vertretungsbeistand
hätte ernannt werden müssen.

    b) Die Berufungskläger wenden zunächst ein, der Begriff der
Interessenkollision sei bei der gesetzlichen Vertretung durch die
Eltern weniger weit zu fassen als im Fall der Vertretung durch einen
Vormund. Aufgrund der engeren Beziehungen der Eltern zu ihren Kindern
rechtfertige es sich, jenen grösseres Vertrauen entgegenzubringen als
einem Vormund. Eine abstrakte Gefährdung der Interessen der Kinder sei
deshalb bei der gesetzlichen Vertretung durch die Eltern mit grösserer
Zurückhaltung anzunehmen.

    Ob eine solche Unterscheidung in der Behandlung der verschiedenen
Arten gesetzlicher Vertreter - für die sich unmittelbar aus dem Gesetz
nichts ergibt - gerechtfertigt sei, braucht hier nicht abschliessend
entschieden zu werden. Jedenfalls ist daran festzuhalten, dass die Frage
der möglichen Gefährdung der Kinderinteressen durch widersprechende
Interessen des gesetzlichen Vertreters abstrakt, und nicht konkret,
beurteilt werden muss. Es kann deshalb nicht massgebend auf die Person
des gesetzlichen Vertreters ankommen, da sonst jeweils aufgrund der
näheren Umstände geprüft werden müsste, wieviel Vertrauen der gesetzliche
Vertreter im Einzelfall verdiene. Ein solches Vorgehen soll aber durch die
abstrakte Betrachtungsweise gerade vermieden werden. Entscheidend muss
deshalb immer die Frage bleiben, ob und inwieweit sich die Interessen
des Vertretenen und diejenigen des gesetzlichen Vertreters widersprechen.

    c) In der Berufung wird erklärt, die Ausweitung des Begriffs der
Interessenkollision durch das Bundesgericht in BGE 107 II 105 ff. habe
in der Lehre nicht nur Zustimmung gefunden. Es trifft zu, dass sich ein
Autor zu diesem Entscheid in verschiedener Hinsicht kritisch geäussert hat
(RUDOLF SCHWAGER, Die Vertretungsbeistandschaft bei Interessenkollision
gemäss Art. 392 Ziff. 2 ZGB, in: ZBJV 119/1983, S. 93 ff.). Andere
haben den Entscheid jedoch ausdrücklich gebilligt oder jedenfalls nicht
kritisiert (SCHNYDER, ZBJV 119/1983, S. 82 f.; SCHNYDER/MURER, N 82 ff. zu
Art. 392 ZGB; RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, Bern 1981, S. 125
f.; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 2. A. Bern 1986,
Rz. 1075 ff., S. 291 f.; STETTLER, Le droit suisse de la filiation, in:
Traité de droit privé suisse, Bd. III/II/1, S. 451 f.; HEGNAUER, Grundriss
des Kindesrechts, 3. A. Bern 1989, Rz. 26.30, S. 177). Richtig ist sodann,
dass sich der BGE 107 II 105 ff. zugrunde liegende Sachverhalt mit dem
hier zu beurteilenden nicht ohne weiteres vergleichen lässt. Die dort
bejahte Interessenkollision bestand darin, dass die Vertragspartnerin des
durch seinen Vormund vertretenen Kindes dem Vormund nahestand, so dass
die Gefahr bestand, dieser habe die Interessen seines Mündels nicht in
optimaler Weise wahrnehmen können. Die Kritik von SCHWAGER (aaO, S. 94
ff.) an BGE 107 II 105 ff. richtete sich zur Hauptsache dagegen, dass
Art. 392 Ziff. 2 ZGB auf einen Fall angewendet wurde, in welchem nicht
die eigenen Interessen des gesetzlichen Vertreters, sondern diejenigen
einer diesem nahestehenden Person im Widerspruch zu den Interessen des
Vertretenen standen. Vorliegend stellt sich hingegen die Frage, ob die
Mutter der Berufungsbeklagten als deren gesetzliche Vertreterin eigene
Interessen gehabt habe, die denen der Vertretenen widersprachen.

    Wenn in der Berufung geltend gemacht wird, die Berufungsbeklagten
hätten anlässlich der Beweisaufnahme keinerlei Vorwürfe gegen ihre Mutter
erhoben und eingeräumt, dass diese ausschliesslich die Interessen ihrer
vier Söhne im Auge gehabt habe, wird verkannt, dass es rechtlich nicht
darauf ankommen kann, wie sehr der gesetzliche Vertreter tatsächlich
bemüht war, die Interessen der Vertretenen zu wahren. Massgebend ist
vielmehr, ob abstrakt betrachtet eine Interessenkollision bestand. Eine
solche ist von der Vorinstanz aus zutreffenden Gründen bejaht worden. Die
elterliche Unterhaltspflicht im Sinne von Art. 276 ZGB lastete nach
dem Tod des Vaters der Berufungsbeklagten allein auf der Mutter. Diese
durfte die Erträgnisse des Kindesvermögens gemäss Art. 319 ZGB für
Unterhalt, Erziehung und Ausbildung der Kinder verwenden und, soweit es
der Billigkeit entsprach - das heisst soweit die eigenen Einkünfte der
Mutter dafür nicht ausreichten (vgl. HEGNAUER, aaO, Rz. 28.06) -, auch für
die Bedürfnisse des Haushaltes. Soweit notwendig konnte sich die Mutter
gemäss Art. 320 Abs. 2 ZGB sogar die Anzehrung des Kindesvermögens durch
die Vormundschaftsbehörde bewilligen lassen. Sie hatte daher ein nicht
zu unterschätzendes eigenes Interesse daran, dass die Kinder möglichst
während der Dauer ihrer Unterhaltspflicht die Erbanwartschaften gegenüber
den Grosseltern väterlicherseits realisieren konnten. Dieses eigene
Interesse der unterhaltspflichtigen Mutter barg nun unweigerlich die
Gefahr in sich, dass es in einen Gegensatz zum längerfristigen Interesse
der Berufungsbeklagten an einem grossen Anteil an der grosselterlichen
Erbschaft trat. Die Mutter hätte versucht sein können, sich mit einer
zu geringen Abfindung für den Verzicht der Kinder auf das künftige
Erbe der Grosseltern zufrieden zu geben, um der sich aus dem Erbauskauf
ergebenden Erleichterung ihrer eigenen Unterhaltspflicht nicht verlustig
zu gehen. Darin liegt entgegen der Auffassung der Berufungskläger ein
echter Interessengegensatz.

    Die Bejahung einer solchen Interessenkollision führt nicht - wie in
der Berufung befürchtet wird - dazu, dass die Inhaber der elterlichen
Gewalt inskünftig überhaupt keine Rechtsgeschäfte im Namen der Kinder
mehr abschliessen könnten, die zu einer Vergrösserung des Ertrags aus dem
Kindesvermögen führen. Eine potentielle Gefährdung der Kinderinteressen lag
hier nicht einfach deshalb vor, weil die Vermehrung des Kindesvermögens
dem gesetzlichen Vertreter selber unmittelbar zugute kam, sondern weil
sie durch einen Verzicht auf künftige Rechte der Kinder erkauft werden
musste, deren Gegenwert nur sehr schwer abzuschätzen ist. In einem solchen
Fall ist gerade wegen des in der Berufung hervorgehobenen aleatorischen
Charakters des Rechtsgeschäfts die Gefahr nicht von der Hand zu weisen,
dass der gesetzliche Vertreter sein eigenes Interesse an der Äufnung von
Kindesvermögen über dasjenige der Kinder an einer möglichst hohen Abfindung
beziehungsweise an der Ablehnung eines Erbauskaufvertrags stellt. Das in
der Berufung unter Hinweis auf ZVW 36/1981, S. 34 ff., Nr. 6, angeführte
Beispiel des Abschlusses eines Erbvertrags durch den gesetzlichen Vertreter
lässt sich mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichen.

Erwägung 7

    7.- Auch die Berufung auf den Gutglaubensschutz muss im vorliegenden
Fall versagen. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, war das Bestehen
einer Interessenkollision für R. und S.X. erkennbar, da ihnen die
Verhältnisse in der Familie ihres verstorbenen Sohnes bestens bekannt waren
und sie dieser bereits wiederholt Unterstützungsleistungen hatten zukommen
lassen. War es aber für die Grosseltern erkennbar, dass die Interessen
ihrer Enkelkinder mit denjenigen ihrer Schwiegertochter nicht unbedingt
übereinstimmten, hätten sie sich an die Vormundschaftsbehörde wenden
müssen, wenn sie hätten sicher sein wollen, dass ihre Schwiegertochter
den beabsichtigen Erbvertrag für ihre Kinder abschliessen könne. Nach
Art. 422 Ziff. 5 ZGB bedarf der Abschluss eines Erbvertrags für
eine bevormundete Person sogar der Zustimmung der vormundschaftlichen
Aufsichtsbehörde. Auch wenn diese Bestimmung auf die gesetzliche Vertretung
durch den Inhaber der elterlichen Gewalt keine Anwendung findet, zeigt sie
doch, welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Abschluss eines Erbvertrags
für Handlungsunfähige beigemessen hat. Die Frage nach dem Umfang des
elterlichen Vertretungsrechts lag deshalb nahe. Dass R. und S.X. sich
diesbezüglich offenbar einfach auf den mitwirkenden Notar verliessen,
vermag ihnen beziehungsweise den Berufungsklägern nicht zu helfen. Die
Berufung erweist sich auch unter diesem Gesichtspunkt als unbegründet.