Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 III 43



118 III 43

14. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 3. Juni
1992 i.S. Schärer (Rekurs) Regeste

    Art. 197 SchKG; Umfang des Konkursbeschlags.

    Wechselt ein Schuldner nach Konkurseröffnung von einer unselbständigen
zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit und verlangt die Barauszahlung
seines Pensionskassenguthabens, so fällt dieses in die Konkursmasse.

Sachverhalt

    A.- Am 22. August 1991 wurde über Enrico Schärer gestützt auf
Art. 191 SchKG der Konkurs eröffnet. Per Ende September 1991 wurde sein
Arbeitsverhältnis aufgelöst. In der Folge beschloss er, eine selbständige
Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Zu diesem Zwecke verlangte er am 6. März 1992
bei der "Neuenburger Lebensversicherungs-Gesellschaft" die Barauszahlung
seines Pensionskassenguthabens in der Höhe von Fr. 62'061.85. Dieser
Betrag wurde Enrico Schärer am 19. März 1992 avisiert und am 25. März
1992 seinem Konto Nr. ... bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank
Sissach gutgeschrieben. Mit Verfügung vom 15. April 1992 blockierte das
Konkursamt Fraubrunnen den Saldo dieses Kontos, lautend auf Fr. 1'080.90
per 22. August 1991, sowie den Betrag von Fr. 62'061.85 plus Zins ab
26. März 1992. Diesen Betrag nahm es in das Konkursinventar auf.

    B.- Die Verfügung des Konkursamtes vom 15. April 1992 focht Enrico
Schärer mit einer Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde in Betreibungs-
und Konkurssachen für den Kanton Bern an und beantragte, der Saldo des
Kontos bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank Sissach sei aus dem
Konkursbeschlag zu entlassen, da er Kompetenzgut darstelle.

    Die kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde mit Entscheid vom
13. Mai 1992 ab.

    C.- Enrico Schärer führt Rekurs an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts mit dem Begehren, der Entscheid der
kantonalen Aufsichtsbehörde sei aufzuheben und es sei festzustellen,
dass der Betrag von Fr. 62'061.85 plus Zins ab 26. März 1992 auf dem
Konto Nr. ... der Basellandschaftlichen Kantonalbank Sissach nicht in die
Konkursmasse falle und ihm - gegebenenfalls unter bestimmten Bedingungen -
freizugeben sei.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Unter Hinweis auf BGE 109 III 80 hat die kantonale Aufsichtsbehörde
die Auffassung vertreten, dass das dem Rekurrenten ausbezahlte
Pensionskassenguthaben nicht eine blosse Anwartschaft darstelle, die im
Konkurs nicht zu berücksichtigen wäre. Nach Art. 197 Abs. 2 SchKG gehöre
alles Vermögen, das dem Schuldner vor Schluss des Konkursverfahrens
anfalle, zur Konkursmasse. Der Betrag von Fr. 62'061.85 sei daher dem
Konkursbeschlag nicht entzogen.

    Dagegen wird in der Rekursschrift eingewendet, die Vorinstanz habe
sich zu Unrecht auf BGE 109 III 80 gestützt, weil bei Erlass dieses Urteils
weder die gesetzliche Regelung des BVG noch diejenige von Art. 92 Ziff. 13
SchKG in Kraft gewesen seien. Zudem sei zu beachten, dass in dem zitierten
Entscheid des Bundesgerichts die Abgangsentschädigung gegen den Willen
des Gemeinschuldners festgesetzt worden sei, d.h. ihm "angefallen" sei,
während vorliegend der Rekurrent selber die Auszahlung seines BVG-Guthabens
verlangt habe.

Erwägung 2

    2.- Unlängst hat das Bundesgericht in zwei Urteilen erkannt, dass
die Barauszahlung des Pensionskassenguthabens an einen Arbeitnehmer, der
eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnimmt, weder unpfändbar noch nur
relativ pfändbar sei. Es wurde dabei festgehalten, dass der Gesetzgeber in
Art. 331c Abs. 2 OR und Art. 92 Ziff. 13 SchKG lediglich Anwartschaften
als nicht abtretbar oder unpfändbar bezeichne, dass aber dieser Schutz
gegenüber einer Barauszahlung entfalle und dass insbesondere Art. 92
Ziff. 13 SchKG demzufolge nicht mehr anwendbar sei (BGE 117 III 23 E. 3;
118 III 20 E. 3). Aber auch Art. 93 SchKG, welcher die beschränkte
Pfändbarkeit von Einkommensersatzansprüchen, die dem Unterhalt des
Schuldners und seiner Familie dienen, vorsieht, kommt bei Barauszahlungen
gestützt auf Art. 331c Abs. 4 lit. b Ziff. 2 OR nicht zur Anwendung
(BGE 117 III 23 ff. E. 4; 118 III 20 E. 3). Damit hat das Bundesgericht
an der von der kantonalen Aufsichtsbehörde angeführten Rechtsprechung
festgehalten, so dass der Einwand des Rekurrenten, bei Erlass des
Entscheides in BGE 109 III 80 hätten die gesetzlichen Regelungen des BVG
und des Art. 92 Ziff. 13 SchKG noch nicht bestanden, hinfällig wird.

    Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich eindeutig, dass auch das dem
Rekurrenten ausbezahlte Guthaben bei der Pensionskasse seines früheren
Arbeitgebers nicht vom Konkursbeschlag ausgenommen werden kann. Zutreffen
mag, dass die Barauszahlung sinnvollerweise wieder dem Aufbau einer
privaten Altersvorsorge oder als Betriebskapital für eine selbständige
berufliche Existenz dienen sollte. Doch ist diese Zweckbestimmung
weder ausdrücklich im Gesetz vorgesehen, noch wird die Barauszahlung
im Falle der Zwangsvollstreckung in irgendeiner Weise vom Gesetzgeber
geschützt. Die vom Rekurrenten vorgeschlagene Lösung, dass Art. 197
Abs. 2 SchKG in solchen Fällen nicht mehr angewendet werde, kommt zum
vornherein nicht in Betracht. Der Berechtigte ist in der Verwendung der
ausbezahlten Beträge vollkommen frei. Solange er sie nicht erneut der
Altersvorsorge widmet, können auch die Gläubiger oder die Konkursmasse
frei darauf greifen. Daran ändert auch nichts, dass in Art. 197 Abs. 2
SchKG von Vermögen, das dem Gemeinschuldner "anfällt", die Rede ist.
Dieser Ausdruck ist entgegen der Meinung des Rekurrenten nicht in dem
Sinne zu verstehen, dass dazu nur derartige Vermögenswerte gehören würden,
welche während des laufenden Konkursverfahrens ohne Willenserklärung des
Betroffenen zur Auszahlung gelangen. Im übrigen würde viel eher derjenige
Arbeitnehmer, dessen Vorsorgeguthaben ohne sein Zutun ausbezahlt wird,
Schutz verdienen als jener, der die Auszahlung ausdrücklich verlangt.

    Schliesslich regt der Rekurrent noch an, dass ihm die
Möglichkeit eingeräumt werde, seine irrtümlich abgegebene Erklärung
zu widerrufen und den ausbezahlten Betrag wieder an die "Neuenburger
Lebensversicherungs-Gesellschaft" zum Zwecke der BVG-gemässen Verwendung
zurückfliessen zu lassen. Für ein derartiges Vorgehen fehlt indessen
jegliche gesetzliche Grundlage. Der Rekurrent übersieht, dass er nun als
Selbständigerwerbender ohnehin frei ist, sich einer Vorsorgeeinrichtung
anzuschliessen oder nicht (Art. 44 BVG, SR 831.40). Ein Zwangsanschluss
fällt für ihn ausser Betracht.

Entscheid:

    Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.