Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 III 33



118 III 33

11. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Juni 1992 i.S.
Dragica B. gegen Ranko A. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Unentgeltliche Rechtspflege im Zwangsvollstreckungsverfahren (Art. 4 BV
und Art. 68 SchKG). Rechtsmittellegitimation bei einer Insolvenzerklärung
(Art. 174 und Art. 191 SchKG).

    1. Aus Art. 68 SchKG ergibt sich nicht, dass im Schuldbetreibungs-
und im Konkursverfahren kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege
bestehen kann. Sind die sich aus Art. 4 BV ergebenden Voraussetzungen
erfüllt, so kann auch eine Gläubigerin für die Konkurseröffnung die
unentgeltliche Rechtspflege beanspruchen (E. 2).

    2. Bestätigung der Rechtsprechung, dass die Annahme nicht
willkürlich ist, die Gläubiger seien zur Anfechtung der aufgrund einer
Insolvenzerklärung erfolgten Konkurseröffnung nicht legitimiert (E. 3a).

Sachverhalt

    A.- Auf Gesuch vom 6. Januar 1992 von Ranko A. hin sprach das
Gerichtspräsidium Baden am 8. Januar 1992 den Konkurs über diesen aus.

    Dragica B., die Ranko A. für eine Forderung bereits im Dezember 1991
betrieben hatte, erhob gegen diesen Entscheid beim Obergericht des Kantons
Aargau Berufung im Sinne von Art. 174 SchKG. Das Obergericht trat mit
Entscheid vom 13. März 1992 auf das Rechtsmittel nicht ein und wies das
Gesuch von Dragica B. um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ab.

    C.- Gegen diesen Entscheid gelangt Dragica B. mit staatsrechtlicher
Beschwerde an das Bundesgericht. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde
teilweise gut aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat der Beschwerdeführerin die unentgeltliche
Rechtspflege mit dem Argument verweigert, Art. 68 SchKG regle zusammen
mit dem aufgrund von Art. 16 SchKG erlassenen Gebührentarif die
Verfahrenskosten abschliessend. Weder das SchKG noch der Gebührentarif
sähen aber die unentgeltliche Rechtspflege vor. Diese könne deshalb
auch vorliegend nicht gewährt werden. Die Beschwerdeführerin sieht darin
sowohl eine Verletzung des sich aus Art. 4 BV ergebenden Anspruchs auf
unentgeltliche Rechtspflege, als auch eine willkürliche Anwendung (bzw.
Nichtanwendung) der kantonalen Bestimmungen über die unentgeltliche
Rechtspflege.

    a) Das Obergericht hat die Verweigerung der unentgeltlichen
Rechtspflege nicht mit dem kantonalen Recht, sondern damit
begründet, dass das Bundesrecht die Kosten abschliessend regle
und die unentgeltliche Rechtspflege ausschliesse. Es ist damit
der früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung gefolgt, die aus
der Kostenregelung im SchKG geschlossen hat, dass ein Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege im Betreibungsverfahren (BGE 55 I 366)
und dabei insbesondere im Rechtsöffnungsverfahren (BGE 85 I 139
mit Hinweisen) nicht bestehe. Entsprechend ist die Verweigerung
der unentgeltlichen Rechtspflege im Verfahren der Insolvenzerklärung
bisher als nicht willkürlich bezeichnet worden (nicht veröffentlichter
Bundesgerichtsentscheid i.S. S. c. Richteramt IV Bern vom 2. Juni 1978,
E. 2). Die Frage, ob eine verfassungskonforme Auslegung der Art. 68 SchKG
und Art. 54 Abs. 2 GebTSchKG dazu führe, einen Anspruch auf unentgeltliche
Rechtspflege auch im Bereich der Schuldbetreibung anzuerkennen, hat das
Bundesgericht in BGE 114 III 69 E. c erstmals neu geprüft, jedoch nicht
beantwortet. In seinem neusten diese Frage betreffenden Entscheid hat
das Bundesgericht nun festgehalten, dass sich aus dem SchKG und seiner
Entstehungsgeschichte kein genereller Ausschluss der unentgeltlichen
Rechtspflege im Schuldbetreibungs- und im Konkursverfahren ergäbe (BGE
118 III 28 E. 2). Ob für eine bestimmte Verfahrensart die unentgeltliche
Rechtspflege beansprucht werden könne, hänge somit einzig von deren
Rechtsnatur ab. Nachdem allerdings der Anspruch auf unentgeltliche
Rechtspflege nicht nur für den Zivil- und den Strafprozess, sondern auch
für das Verwaltungsverfahren grundsätzlich anerkannt sei, müsse auch die
Frage ohne Bedeutung bleiben, ob die gerichtliche Konkurseröffnung aufgrund
einer Insolvenzerklärung verwaltungsrechtlichen oder zivilprozessualen
Charakter aufweise. Es sei somit nicht zu sehen, mit welchem Argument
dem bedürftigen Schuldner die unentgeltliche Rechtspflege bei der
Abgabe einer Insolvenzerklärung verweigert werden könne. Die besonders
einfache Ausgestaltung des Verfahrens rechtfertige es allerdings,
diese Rechtswohltat nur auf die Kosten zu beschränken, während sich die
Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes nicht aufdränge (BGE
118 III 31 E. 3). Bestehen keine Einwände, dem Schuldner im Verfahren auf
Konkurseröffnung die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, lässt sich
diese umso weniger anderen Verfahrensbeteiligten verweigern. Zudem können
die Überlegungen, die dazu geführt haben, dem Schuldner einen Anspruch auf
einen unentgeltlichen Rechtsbeistand zur Abgabe der Insolvenzerklärung zu
verweigern, nicht auf weitere Verfahrensbeteiligte im Rechtsmittelverfahren
übertragen werden. Während die Konkurseröffnung aufgrund einer
Insolvenzerklärung von Bundesrechts wegen in einem äusserst einfachen
Verfahren erfolgen muss, das keine näheren Rechtskenntnisse voraussetzt,
erlaubt es das SchKG den Kantonen, das Rechtsmittelverfahren in einer
Weise auszugestalten, die einen Rechtsbeistand als notwendig erscheinen
lassen kann. Der Beschwerdeführerin können somit die Befreiung von Kosten
und die Beiordnung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes nicht mit dem
Argument verweigert werden, das SchKG lasse Entsprechendes nicht zu.

    b) Die Beschwerdeführerin war als rechtsunkundige Ausländerin
zweifellos darauf angewiesen, im Rechtsmittelverfahren durch einen Anwalt
vertreten zu werden. Zudem lässt sich ihr Standpunkt - entgegen den
Ausführungen des Obergerichts in seiner Vernehmlassung - nicht als zum
vornherein aussichtslos bezeichnen; schliesslich hat sich eine Minderheit
der 2. Zivilkammer des Obergerichts nicht nur für das Eintreten auf das
Rechtsmittel, sondern auch für dessen Gutheissung ausgesprochen. Über
die Frage der Bedürftigkeit hat das Obergericht noch nicht befunden.

    Mit der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege hat das
Obergericht somit gegen Art. 4 BV verstossen und Dispositivziffern 1,
3 und 4 des angefochtenen Entscheides sind aufzuheben.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht hat der Beschwerdeführerin die Legitimation zur
Berufung deswegen abgesprochen, weil sie im Konkurseröffnungsverfahren
aufgrund einer Insolvenzerklärung des Schuldners nicht Partei sei
und weil sie als Drittperson von der Konkurseröffnung nur mittelbar
betroffen werde. Die Beschwerdeführerin sieht darin eine Verletzung
der Rechtsgleichheit, eine Verweigerung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör gemäss Art. 4 und Art. 6 EMRK und eine willkürliche Anwendung des
kantonalen Prozessrechts.

    b) Das Bundesgericht hat bereits in Bestätigung seiner bisherigen
Praxis in BGE 111 III 66 ff. festgehalten, dass es nicht willkürlich sei,
wenn eine kantonale Instanz den Gläubigern die Legitimation abspreche,
gegen die Konkurseröffnung aufgrund einer Insolvenzerklärung ein
Rechtsmittel zu ergreifen. Dabei ist das Bundesgericht insbesondere auch
auf das Argument eingegangen, die Legitimation der Gläubiger sei nötig,
weil der Konkursrichter kaum in der Lage sei, ohne deren Mitwirkung die
Rechtsmissbräuchlichkeit einer Insolvenzerklärung zu erkennen. Es hat
daraus jedoch nicht zwingend darauf geschlossen, dass die Legitimation
auf die Gläubiger auszudehnen wäre, wohl aber darauf hingewiesen, dass
der Gesetzgeber schon das erstinstanzliche Verfahren anders ausgestaltet
hätte, wenn ihm daran gelegen gewesen wäre, dass allfälligen Einwendungen
der Gläubiger gegen die Insolvenzerklärung Rechnung getragen werde (BGE
111 III 68).

    Die in diesem Entscheid als nicht willkürlich bezeichnete Lösung
ist von GILLIÉRON (Poursuite pour dettes, faillite et concordat,
Lausanne 1988, S. 269) kritisiert worden (AMONN, ZBJV 1987, S. 540 f.,
referiert das Urteil, ohne Kritik zu üben). Nach GILLIÉRON sollte sich
die Legitimation nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Beschwerde
nach Art. 19 SchKG richten. Auch er behauptet allerdings nicht, ein
Entscheid, dem die gegenteilige Meinung zugrunde liege, sei willkürlich
und die Beschwerdeführerin bringt selber keinerlei neue Argumente vor,
die für eine Willkür sprächen. Es besteht von daher kein Anlass, auf
diese Rechtsprechung zurückzukommen.