Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IB 543



118 Ib 543

67. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 7. August 1992 i.S. S. gegen Bundesamt für Polizeiwesen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Rechtshilfe an die USA, Art. 4 Ziff. 2 RVUS (SR 0.351.933.6);
beidseitige Strafbarkeit; Art. 161 StGB.

    Dass Wertpapiere nicht an Schweizer Börsen kotiert waren, schliesst die
Annahme beidseitiger Strafbarkeit und damit die Gewährung der Rechtshilfe
nicht aus (Präzisierung von BGE 116 Ib 94 f. E. 3c/bb).

Sachverhalt

    A.- Das Justizdepartement der Vereinigten Staaten von Amerika
stellte am 3. Juli 1991 beim Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) ein
Rechtshilfeersuchen. Dieses betrifft ein Ermittlungsverfahren, das die
amerikanische Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission,
im folgenden abgekürzt: SEC) wegen Verdachts eines Insidervergehens im
Zusammenhang mit dem Kauf und Verkauf von Aktien der Firma F. führt. Im
Ersuchen wird vorgebracht, die SEC glaube, dass C., ein Vorstandsmitglied
dieser Firma, der Öffentlichkeit nicht zustehende Informationen betreffend
die bevorstehende Verbindung der Firma mit einem industriellen Partner
verwendet habe, um 20'000 Aktien der F. über die Bank H., Zürich,
zu erwerben; die Aktien seien später mit einem Gewinn von 455'880 US-$
verkauft worden. Damit die SEC feststellen könne, ob diese Angelegenheit
an die Kriminalstrafverfolgung weitergegeben werden sollte, müsse sie jene
Personen identifizieren, die den Kauf der 20'000 Aktien angeordnet hätten,
nutzniesserische Besitzer jenes Kontos bei der Bank H. seien, über das sich
der Aktienkauf abgewickelt habe, die Überweisungen, mit welchen der Kauf
finanziert worden sei, angeordnet oder vom Kauf profitiert hätten. Die
SEC benötige deshalb die entsprechenden Dokumente und Informationen
von der Bank H. Ausserdem ersuche sie um Sperre jener bei dieser Bank
bestehenden Konten, die unter der Kontrolle von C. stünden und auf denen
Gelder angelegt seien, von denen angenommen werde, dass sie einen Erlös
aus dem später erfolgten Verkauf der 20'000 Aktien darstellten.

    Das BAP ordnete am 11. September 1991 an, dem Ersuchen sei zu
entsprechen und die Bezirksanwaltschaft Zürich habe die verlangten
Untersuchungshandlungen vorzunehmen. Gegen diese Anordnung erhob S.,
Inhaber eines von den anbegehrten Rechtshilfehandlungen betroffenen Kontos,
am 23. September 1991 Einsprache. Diese wurde vom BAP am 27. April
1992 abgewiesen.

    S. reichte dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Das Bundesgericht
weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer rügt, das BAP habe zu Unrecht angenommen,
die Voraussetzungen der beidseitigen Strafbarkeit seien erfüllt.

    b) Das hier in Frage stehende Rechtshilfeersuchen betrifft ein
Ermittlungsverfahren der SEC wegen Verdachts eines Insidervergehens. Die
amerikanische Behörde glaubt, dass C., ein Vorstandsmitglied der Firma F.,
vertrauliche Informationen betreffend die Möglichkeit einer Verbindung
dieser Firma mit einem industriellen Partner verwendet habe, um den am
7. Juni 1990 über die Bank H. in Zürich erfolgten Kauf von 20'000 Aktien
der F. anzuordnen oder zu veranlassen, welche Aktien später mit einem
Gewinn von 455'880 US-$ verkauft worden seien. Das BAP nahm an, diese
Handlung würde nach schweizerischem Recht den Tatbestand des Ausnützens
der Kenntnis vertraulicher Tatsachen im Sinne von Art. 161 StGB erfüllen.

    aa) Der Beschwerdeführer wendet zunächst ein, dieser
sog. Insidertatbestand werde durch C. nicht erfüllt, da die Aktien der
F. nicht an einer Schweizer Börse kotiert gewesen seien.

    Nach Art. 161 Ziff. 1 StGB wird bestraft, wer als Mitglied des
Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung, der Revisionsstelle oder als
Beauftragter einer Aktiengesellschaft oder einer sie beherrschenden oder
von ihr abhängigen Gesellschaft, als Mitglied einer Behörde oder als
Beamter oder als Hilfsperson einer der vorgenannten Personen "sich oder
einem andern einen Vermögensvorteil verschafft, indem er die Kenntnis einer
vertraulichen Tatsache, deren Bekanntwerden den Kurs von in der Schweiz
börslich oder vorbörslich gehandelten Aktien, andern Wertschriften oder
entsprechenden Bucheffekten der Gesellschaft oder von Optionen auf solche
in voraussehbarer Weise erheblich beeinflussen wird, ausnützt oder diese
Tatsache einem Dritten zur Kenntnis bringt". Das Bundesgericht hat sich
in einem Urteil vom 9. März 1990 (BGE 116 Ib 89 ff.) im Zusammenhang
mit der Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit nach Art. 5 des
Europäischen Rechtshilfeübereinkommens (RS 0.351.1) zur Frage geäussert,
ob die in Art. 161 StGB enthaltene Umschreibung betreffend "in der
Schweiz börslich oder vorbörslich gehandelte" Effekten der Gewährung der
Rechtshilfe entgegenstehe, falls die im Ersuchen angeführten Wertpapiere
nur im Ausland kotiert seien. Es verneinte die Frage mit der Begründung,
die Bezugnahme auf die Schweizer Börsen in Art. 161 StBG grenze lediglich
den Anwendungsbereich der Norm in territorialer Hinsicht ab und falle
deshalb im Rechtshilfeverfahren für die Beurteilung der Strafbarkeit nach
schweizerischem Recht ausser Betracht (BGE 116 Ib 94 f. E. 3c/bb). Der
Beschwerdeführer wendet dagegen mit Recht ein, das Erfordernis der
Kotierung der Wertpapiere an einer Schweizer Börse sei nicht als objektive
Strafbarkeitsbedingung, sondern als Teil des objektiven Tatbestands von
Art. 161 StGB zu verstehen und daher bei der Prüfung der Strafbarkeit nach
schweizerischem Recht zu berücksichtigen. Hingegen ist er zu Unrecht der
Meinung, dieses Tatbestandsmerkmal sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt,
weil die im amerikanischen Ersuchen genannten Wertpapiere nicht in der
Schweiz kotiert gewesen seien. Es ist zu beachten, dass allgemein bei der
Beurteilung der Strafbarkeit nach dem Recht des ersuchten Staates der im
Rechtshilfebegehren angeführte Sachverhalt sinngemäss umgestellt werden
muss, d.h. die verfolgte Tat der Beurteilung so zugrunde zu legen ist,
wie wenn sie sich auf dem Gebiet des ersuchten Staates abgespielt hätte
(HANS SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, Basel 1953, S. 327;
WOLFGANG METTGENBERG, Deutsches Auslieferungsgesetz, Mannheim, Berlin,
Leipzig 1930, S. 185). Wenn die im vorliegenden Rechtshilfeersuchen
angeführten Wertpapiere an einer amerikanischen Börse gehandelt wurden,
so muss demnach bei der Prüfung der beidseitigen Strafbarkeit der
Sachverhalt sinngemäss umgestellt werden. Die behauptete Straftat
wurde in den USA begangen und die Aktien der F. wurden an Börsen der
USA gehandelt. Wird der Sachverhalt im erwähnten Sinn umgestellt,
so ist von der Vorstellung auszugehen, die Handlung sei in der Schweiz
ausgeführt worden und die Aktien seien an schweizerischen Börsen kotiert
gewesen. Würde diese Umstellung nicht vorgenommen, so müsste in einem
solchen Fall die Rechtshilfe wegen Fehlens der beidseitigen Strafbarkeit
verweigert werden. Das liefe aber dem Sinn und Zweck der Vorschrift
von Art. 161 StGB zuwider, die vor allem deshalb erlassen wurde, weil
es im Rechtshilfeverkehr mit den USA bei Insiderfällen Schwierigkeiten
gegeben hatte. Zusammenfassend ergibt sich, dass das in Art. 161 StGB
genannte Erfordernis der Kotierung der Wertpapiere an einer Schweizer
Börse ein Tatbestandsmerkmal ist und daher bei der Beurteilung der
Strafbarkeit nach schweizerischem Recht zu berücksichtigen ist. Es steht
aber der Gewährung der Rechtshilfe nicht entgegen, wenn die im Ersuchen
angeführten Wertpapiere nur im Ausland kotiert waren, da bei der Prüfung
der Strafbarkeit nach schweizerischem Recht in sinngemässer Umstellung des
Sachverhalts anzunehmen ist, die betreffenden Papiere wären, wenn sich die
Tat auf dem Gebiet der Schweiz abgespielt hätte, an einer Schweizer Börse
gehandelt worden. In diesem Sinne sind die in BGE 116 Ib 94 f. E. 3c/bb
gemachten Erwägungen zu präzisieren.