Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IB 530



118 Ib 530

65. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 9. Oktober 1992 i.S. Schutzverband der Bevölkerung um den
Flughafen Zürich gegen Balair AG und Eidgenössisches Verkehrs- und
Energiewirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Nachtflugbewilligung für den gewerbsmässigen Nichtlinienverkehr
auf Landesflughäfen. Verhältnis zwischen Art. 95 Luftfahrtverordnung
(LFV) und Umweltschutzgesetz (insbesondere Art. 11 f. USG) sowie
Lärmschutz-Verordnung (LSV).

    1. Art. 95 LFV dient der Bekämpfung von Lärm durch Flugbewegungen
zur Nachtzeit und lässt für eine direkte Anwendung des geltenden
Umweltschutzrechts keinen Raum. Solange im Anhang zur Lärmschutz-Verordnung
noch keine Belastungsgrenzwerte für Landesflughäfen festgesetzt sind,
fehlt es an Umweltschutzrecht, das diesbezüglich allenfalls über die
Bestimmung des Art. 95 LFV hinausginge (E. 4).

    2. Interessenabwägung nach Art. 95 LFV (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 16. Oktober 1989, publiziert im Bundesblatt
vom 31. Oktober 1989 (BBl 1989 III S. 1261), bewilligte das
Bundesamt für Zivilluftfahrt (nachfolgend: Bundesamt) schweizerischen
Luftfahrtunternehmungen für die Zeit vom 1. November 1989 bis 31. März 1990
auf dem Flughafen Zürich-Kloten insgesamt 14 Flugbewegungen für geplante
An- und Abflüge zwischen 22.01 und 23.00 Uhr sowie 235 Flugbewegungen
als Reserve für nachzuweisende Verspätungen aus Flugsicherungs- (ATC)
oder technischen Gründen in der Schweiz oder im Ausland.

    Davon erhielt die Balair AG ein Kontingent von 14 Bewegungen für
geplante An- und Abflüge und ein solches von elf Bewegungen als Reserve
zugeteilt.

    Einer allfälligen Beschwerde entzog das Bundesamt gestützt auf Art. 55
Abs. 2 VwVG die aufschiebende Wirkung.

    Gegen diese Verfügung reichte der Schutzverband der Bevölkerung um den
Flughafen Zürich (hiernach: Schutzverband) beim Eidgenössischen Verkehrs-
und Energiewirtschaftsdepartement (im folgenden: Departement) Beschwerde
ein mit den Anträgen, es seien der Balair AG nur acht Bewilligungen
und vier Reservebewilligungen zu erteilen und es sei der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

    Am 17. Dezember 1989 wies das Departement den Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab. Eine dagegen beim
Bundesgericht erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde mit Verfügung
vom 25. Januar 1990 als durch Rückzug erledigt abgeschrieben.

    Mit Entscheid vom 25. Februar 1991 wies das Departement die Beschwerde
ab.

    Dagegen führt der Schutzverband Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht mit dem Antrag festzustellen, dass die Zuteilung von
14 Bewegungen für geplante An- und Abflüge zwischen 22.01 und 23.00
Uhr Ortszeit sowie von elf Bewegungen als Reserve für nachzuweisende
Verspätungen nicht rechtmässig gewesen sei und dass der Balair AG nicht
mehr als acht ordentliche und vier Reservebewilligungen hätten erteilt
werden dürfen; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen, zwecks Instruktion der Emissionsbegrenzungskriterien im
Sinne von Art. 11 f. des Umweltschutzgesetzes.

    Sowohl die Balair AG als auch das Eidgenössische Verkehrs- und
Energiewirtschaftsdepartement schliessen auf vollumfängliche Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Auf Ersuchen des Beschwerdeführers wurde in Anwendung von Art. 110
Abs. 4 OG ein zweiter Schriftenwechsel durchgeführt, in welchem die
Parteien an ihren jeweiligen Standpunkten festhielten.

    Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Der Beschwerdeführer erhebt die Rüge, die erteilte
Bewilligung verstosse gegen Umweltschutzrecht, erstmals im Verfahren
vor Bundesgericht. Da im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
das Recht von Amtes wegen angewandt wird (Art. 114 Abs. 1 OG), ist diese
Rüge zulässig.

    b) Das Departement hat sich mit den Anforderungen des Bundesgesetzes
vom 7. Oktober 1983 über den Umweltschutz (Umweltschutzgesetz, USG; SR
814.01) an die Zulässigkeit der Umweltbelastung durch Lärm (insbesondere
zur Nachtzeit) nicht auseinandergesetzt und dessen Bestimmungen nicht
angewandt. Es stützte seinen Entscheid vom 25. Februar 1991 ausschliesslich
auf Art. 95 der Verordnung des Bundesrats vom 14. November 1973 über
die Luftfahrt (Luftfahrtverordnung, LFV; SR 748.01). Nach Abs. 1 dieser
Bestimmung ist bei der Bewilligung von Nachtflugbewegungen in der Zeit
von 22.00 bis 06.00 Uhr ohne Rücksicht auf die Gesamtzahl der Bewegungen
grösste Zurückhaltung zu üben. Die Voraussetzungen, unter denen eine
Nachtflugbewilligung für den gewerbsmässigen Nichtlinienverkehr erteilt
werden darf, werden nicht genannt, so dass die Bewilligungsbehörde
über einen gewissen Beurteilungsspielraum verfügt. Bei der Beurteilung
konkreter Gesuche um Bewilligung von Flugbewegungen zur Nachtzeit hat sie
insbesondere das Interesse an Transportleistungen gegenüber demjenigen
der betroffenen Bevölkerung an Nachtruhe abzuwägen.

    c) Die zeitliche Begrenzung und die Bewilligungspflicht von
gewerbsmässigen Flügen des Nichtlinienverkehrs in der Nacht - wie sie
die Nachtflugsperrordnung für den Flughafen Zürich-Kloten und Art. 95
LFV vorsehen - sind "Verkehrsvorschriften" im Sinne von Art. 12 Abs. 1
lit. c USG (ANDRÉ SCHRADE, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, N. 26 zu
Art. 12). Nach der Systematik der Luftfahrtverordnung dient Art. 95 LFV
der Lärmbekämpfung.

    d) Gemäss Art. 4 USG müssen die Ausführungsvorschriften über
Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Lärm, Erschütterungen
und Strahlen aufgrund anderer Bundesgesetze unter anderem dem Grundsatz
für Emissionsbegrenzungen (Art. 11 USG) entsprechen. Diese Vorschrift
dient dazu, Grundsätze und Kriterien zum Schutz der natürlichen
Lebensgrundlagen zu vereinheitlichen (vgl. dazu HERIBERT RAUSCH, Kommentar
zum Umweltschutzgesetz, N. 6 zu Art. 4). Für Verordnungen, die bereits vor
Inkrafttreten des Umweltschutzgesetzes erlassen worden sind, bedeutet dies,
dass sie zu ändern sind, falls sie jenen Normen nicht genügen (H. RAUSCH,
aaO, N. 10 zu Art. 4).

    Weil sich die nach Art. 4 USG erforderlichen Anpassungen bestehender
Verordnungen "nicht von heute auf morgen vollziehen lassen", verpflichtet
Art. 64 USG den Bundesrat, "ein entsprechendes Programm auszuarbeiten und
die nötigen Änderungen und Ergänzungen gemäss dieser Prioritätenliste"
herbeizuführen (Botschaft zu einem Bundesgesetz über den Umweltschutz
(USG) vom 31. Oktober 1979 [BBl 1979 III S. 781]; H. RAUSCH, aaO, N. 3
zu Art. 4).

    Für das Luftfahrtrecht sind bereits verschiedene Anpassungen
vorgenommen worden, wovon hier der Anhang 5 zur Lärmschutz-Verordnung zu
erwähnen ist, worin die Belastungsgrenzwerte für Lärm von Regionalflughäfen
und Flugfeldern festgesetzt wurden.

    Die Vollzugsvorschriften im Bereich des Luftfahrtrechts sind jedoch
noch nicht vollständig. So fehlen insbesondere Belastungsgrenzwerte für
Landesflughäfen und Militärflugplätze (vgl. dazu H. RAUSCH, Panorama des
Umweltrechts, herausgegeben vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft
[BUWAL], Dezember 1990, S. 13). Auch sonst fehlen im Umweltschutzgesetz
und in der dazugehörigen Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986
(LSV; SR 814.41) Normen, die für die Frage der Bewilligung konkreter
Flugbewegungen direkt anwendbar wären. Bisher gibt es somit im hier
interessierenden Bereich kein Umweltschutzrecht, das allenfalls über die
Bestimmung des Art. 95 LFV hinausginge und worauf sich das Departement
im angefochtenen Entscheid hätte stützen können.

    e) Art. 12 Abs. 2 USG bestimmt, dass Emissionsbegrenzungen durch
Verordnungen oder, soweit diese nichts vorsehen, durch unmittelbar auf
dieses Gesetz abgestützte Verfügungen vorgeschrieben werden. Gestützt
darauf vertritt der Beschwerdeführer die Meinung, das Departement
hätte eine unmittelbar auf das Umweltschutzgesetz abgestützte Verfügung
erlassen sollen. Da mit Art. 95 LFV jedoch eine Bestimmung vorhanden ist,
die Massnahmen zur Bekämpfung des Lärms von startenden und landenden
Flugzeugen zur Nachtzeit vorsieht, bestand hiezu keine Notwendigkeit.

    f) Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin und der Vorinstanz
ist jedoch auch Art. 3 Abs. 2 LSV für die Lärmemissionen, die durch
zusätzliche Nachtflugbewilligungen entstehen, nicht anwendbar. Diese
Bestimmung gilt - wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt - nur
für die Emissionsbegrenzungen am Fahrzeug (hier am Flugzeug) selber. Im
vorliegenden Fall steht aber der Betrieb oder allenfalls die Änderung des
Betriebs einer ortsfesten Anlage, nämlich des Flughafens, zur Diskussion.

Erwägung 5

    5.- a) Demnach ist nicht zu beanstanden, dass das Departement seinen
Entscheid nur auf Art. 95 LFV stützte. Da die genannte Bestimmung die
Voraussetzungen, unter denen eine Nachtflugbewilligung erteilt werden kann,
nicht nennt, sind immerhin bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem
Interesse der Fluggesellschaft und der Passagiere an Transportleistungen
einerseits sowie dem öffentlichen Interesse des Lärmschutzes anderseits die
Grundsätze der Umweltschutzgesetzgebung zu beachten und miteinzubeziehen.

    b) Das Departement hat im angefochtenen Entscheid zu Recht
berücksichtigt, dass eine Verschiebung der Rotation, für welche die
14 geplanten Bewegungen beantragt wurden, betrieblich nicht möglich
und ein gänzlicher Verzicht auf die streitige Rotation für die
Beschwerdegegnerin unverhältnismässig gewesen wäre. In technischer
Hinsicht wurde dem öffentlichen Interesse am Lärmschutz dadurch Rechnung
getragen, dass die Nachtflugbewilligung nur erteilt wurde, weil es sich
beim eingesetzten Airbus A-310/322 um ein lärmarmes Flugzeug handelt,
das den Grenzwerten gemäss Kapitel 3 des Anhangs 16 der International
Civil Aviation Organization (ICAO) zum Übereinkommen vom 7. Dezember
1944 über die internationale Zivilluftfahrt (Chicago-Übereinkommen,
SR 0.748.0) entspricht.

    Auch die Unterscheidung zwischen geplanten und Reservebewegungen
ist zweckmässig und gerechtfertigt. Dass die Reservebewegungen dazu
dienen sollten, die Flexibilität der Fluggesellschaften zu erhöhen,
ist nicht erstellt. Vielmehr ist mit der Vorinstanz davon auszugehen,
dass diese Reservebewegungen tatsächlich dazu dienen, unvorhergesehene,
nicht in den Einflussbereich der Fluggesellschaften fallende Verspätungen
aufzufangen. Entsprechend sind die effektiv in Anspruch genommenen
Bewegungen zu begründen. Dass die Beschwerdegegnerin die ihr für die
Winterperiode 1989/90 bewilligten Reservebewegungen nicht voll ausgeschöpft
hat, spricht noch nicht dafür, dass zu viele Bewegungen bewilligt worden
wären. Naturgemäss müssen Reserven nicht in jedem Fall beansprucht werden,
und vorliegend erscheint eine solche von elf Flugbewegungen für ein halbes
Jahr bei einer Unternehmung wie der Balair AG nicht übermässig.

    c) Die Vorinstanz hat somit die Interessenabwägung gestützt auf Art. 95
LFV korrekt vorgenommen und grösste Zurückhaltung geübt. Dieser Entscheid
steht demnach auch mit dem unveröffentlichten Urteil des Bundesgerichts
vom 7. März 1988 in Sachen Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen
Zürich und H.G. im Einklang.