Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IB 130



118 Ib 130

15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 13. Februar 1992 i.S. R. gegen Direktion der kantonalen
Strafanstalt Regensdorf und Direktion der Justiz des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde). Regeste

    Vorliegen einer Verfügung gestützt auf öffentliches Recht des
Bundes (Art. 97 Abs. 1 OG, Art. 5 Abs. 1 VwVG); Subsidiarität der
staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 84 Abs. 2 OG).

    Für die Annahme einer kantonalrechtlichen Verfügungsgrundlage ist
erforderlich, dass dem kantonalen Recht im betreffenden Sachgebiet
gegenüber den bundesrechtlichen Vorschriften selbständige Bedeutung
zukommt. Trifft dies zu, so steht gegen einen solchen Entscheid nicht
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen, sondern die staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte. Falls dagegen
die Grundlage der Verfügung nicht im selbständigen kantonalen Recht
sondern in einer vorrangigen Vorschrift des Bundesrechtes liegt, ist
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben. Letzteres trifft zu für die
Regelung des Besuchsverkehrs von Strafvollzugsgefangenen in der kantonalen
Strafanstalt Regensdorf.

Sachverhalt

    A.- R. verbüsst in der kantonalen Strafanstalt Regensdorf eine
mehrjährige Freiheitsstrafe wegen Drogendelikten. Am 29. September 1991
stellte R. bei der Gefängnisverwaltung ein Gesuch um Besuchserlaubnis
für E. Am 8. Oktober 1991 wurde das Gesuch abgelehnt. Dagegen erhob
R. am 13. Oktober 1991 Rekurs bei der Direktion der Justiz des Kantons
Zürich. Mit Verfügung vom 29. Oktober 1991 wies die Justizdirektion den
Rekurs ab.

    Gegen die Verfügung der Justizdirektion gelangte R. mit
Beschwerdeeingabe vom 16. November 1991 an das Bundesgericht. Er
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und rügt eine
Verletzung des Willkürverbotes von Art. 4 BV sowie des ungeschriebenen
verfassungsmässigen Rechtes der persönlichen Freiheit. Das Bundesgericht
tritt auf die Eingabe als Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein und weist
die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Es fragt sich, ob die vorliegende Beschwerde als staatsrechtliche
oder als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen ist.

    a) Nach Art. 97 Abs. 1 OG beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich
Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5
VwVG, die von einer der in Art. 98 OG erwähnten Behörden ausgehen und
unter keine der Ausnahmebestimmungen von Art. 99-102 OG fallen. Die
staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht ist gegenüber der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde subsidiär. Sie ist nämlich nur zulässig,
wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder
Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerügt
werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG). Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
kann der Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung von Bundesrecht
rügen (Art. 104 lit. a OG). Der Beschwerdeführer macht geltend,
die Bestimmungen des kantonalen Straf- und Vollzugsgesetzes vom
30. Juni 1974 (StVG/ZH) betreffend Besuchsregelung seien willkürlich
angewendet worden. Dadurch sei er in seiner menschlichen Würde und in
seiner persönlichen Freiheit verletzt. Der Beschwerdeführer rügt somit
nicht, im angefochtenen Entscheid sei Bundesrecht falsch angewendet
worden. Gemäss der neueren Bundesgerichtspraxis kommt es aber für die
Frage, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist, nicht auf die
formal erhobenen Rügen an, sondern vielmehr darauf, ob die Grundlage der
Verfügung dem öffentlichen Recht des Bundes oder dem kantonalen Recht
angehört. Für die Annahme einer kantonalrechtlichen Verfügungsgrundlage
ist erforderlich, dass dem kantonalen Recht im betreffenden Sachgebiet
gegenüber den bundesrechtlichen Vorschriften selbständige Bedeutung
zukommt. Trifft dies zu, so steht gegen einen solchen Entscheid nicht die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern die staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte, insbesondere des Grundsatzes
der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV) offen. Falls
dagegen die Grundlage der Verfügung nicht im selbständigen kantonalen
Recht sondern in einer vorrangigen Vorschrift des Bundesrechtes liegt,
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben (BGE 112 V 113 f. E. d;
vgl. auch BGE 116 Ib 28 E. 3b; 115 Ib 460 f. E. c-d). Dementsprechend ist
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegen Verfügungen zulässig, die
sich richtigerweise auf öffentliches Recht des Bundes hätten stützen müssen
(BGE 115 Ib 168 E. 1; 111 Ib 153 E. 1a). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
übernimmt in dem Fall gleichzeitig die Funktion der staatsrechtlichen
Beschwerde, indem gerügt werden kann, die angefochtene Verfügung verstosse
gegen verfassungsmässige Rechte (BGE 115 Ib 168 E. 1; 114 Ib 83 E. 1a).

    b) Art. 64bis Abs. 3 BV überlässt das Strafvollzugsrecht implizit
den Kantonen (vgl. STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch,
Kurzkommentar, Zürich 1989, Art. 374 N 1). Im Schweizerischen
Strafgesetzbuch finden sich indessen verschiedene Rahmenbestimmungen für
den Strafvollzug (vgl. Art. 37-40, 376-378, 397bis StGB). Art. 397bis StGB
räumt dem Bundesrat die Befugnis zum Erlass von besonderen das materielle
Strafrecht ergänzenden Bestimmungen im Bereich des Strafvollzugsrechtes
ein. Von dieser Möglichkeit, welche die diesbezüglichen Kompetenzen
der Kantone einschränkt, hat der Bundesrat teilweise Gebrauch gemacht,
teilweise wird den Kantonen ausdrücklich die Regelung der aufgezählten
Fragen überlassen (vgl. STEFAN TRECHSEL, aaO, Art. 397bis N 1). Die
Kantone sind verpflichtet, die notwendigen Regelungen zu erlassen,
solange der Bundesrat keine Anordnungen getroffen hat (BGE 99 Ib 48
f. E. 2). In Art. 5 der Verordnung (1) zum Schweizerischen Strafgesetzbuch
vom 13. November 1973 (VStGB 1, SR 311.01) wurde insbesondere eine
Basisregelung für den Empfang von Besuchen und den Briefverkehr
getroffen. Gemäss Abs. 1 der Bestimmung ist der Empfang von Besuchen
grundsätzlich "nur soweit beschränkt, als es die Ordnung in der Anstalt
gebietet". "Soweit tunlich, ist dem Eingewiesenen der Verkehr mit den
Angehörigen zu erleichtern" (Abs. 2). Besuche sind in der Regel nur unter
Kontrolle gestattet (Abs. 3).

    Im vorliegenden Fall stützt sich die angefochtene Verfügung der Form
nach lediglich auf § 46 der zürcherischen Verordnung über die kantonale
Strafanstalt Regensdorf vom 12. Februar 1975 (GVOR). Die regierungsrätliche
Verordnung hat ihre kantonale formellgesetzliche Grundlage in §§
29 f. StVG/ZH. Gemäss § 30 Ziff. 6 StVG/ZH ist "der Verkehr mit der
Aussenwelt, insbesondere mit Ehegatten, Angehörigen und anderen geeigneten
Personen (...), zu fördern". Art. 5 VStGB 1 wird im angefochtenen
Entscheid nicht erwähnt. Aus dem Gesagten ergibt sich indessen, dass
die kantonale Regelung des Besuchsverkehrs gegenüber der Verordnung
(1) zum Schweizerischen Strafgesetzbuch insofern keine selbständige
Bedeutung hat, als Art. 5 VStGB 1 bereits materielle Rahmenbestimmungen
zur Regelung des Besuchsrechts enthält. Die angefochtene Verfügung findet
ihre Grundlage vielmehr im Bundesrecht. Der Bundesrat hat von der ihm in
Art. 397bis StGB eingeräumten Verordnungsbefugnis Gebrauch gemacht und
diesbezüglich die Gesetzgebungskompetenzen der Kantone eingeschränkt.
Gemäss § 29 Abs. 1 StVG/ZH vollzieht denn auch der Regierungsrat "die
Vorschriften des Bundesrechtes (...) über den Vollzug von Strafen und
Massnahmen". An dieser Betrachtungsweise ändert auch der Umstand nichts,
dass es zur Konkretisierung der bundesrechtlichen Regelung einer näheren
kantonalen Ausführungsgesetzgebung bedarf. Hinsichtlich der hier streitigen
Frage liegt eine gegenüber dem Bundesrecht unselbständige kantonale
Vollzugsgesetzgebung vor.