Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IA 497



118 Ia 497

65. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11.
Dezember 1992 i.S. Eheleute M. gegen Kantonale Steuerverwaltung und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; Schenkungssteuer.

    Der Wille der unentgeltlichen Zuwendung bildet ein begriffsnotwendiges
Merkmal der gemischten Schenkung. Es ist willkürlich, auf einem
Rechtsgeschäft allein aufgrund des objektiven Verhältnisses zwischen
Leistung und Gegenleistung eine Schenkungssteuer zu erheben, ohne das
Vorliegen eines Zuwendungswillens zu prüfen.

Sachverhalt

    A.- Mit Kaufvertrag vom 29. Dezember 1986 erwarben die Eheleute M. das
Hotel Regina-Blüemlisalp mit Umschwung in Wengen von der Immobilien AG
"Am See", mit Sitz in Zürich, für den Preis von Fr. 4'100'000.--, wobei
davon der Betrag von Fr. 100'000.-- für Mobiliar und Zubehör bezahlt wurde.

    B.- Da der amtliche Wert der Liegenschaft Fr. 4'601'720.-- betrug,
forderte die kantonale Steuerverwaltung die Eheleute M. am 3. Dezember
1987 auf, für die Differenz zwischen dem amtlichen Wert und dem Kaufpreis,
d.h. für den Betrag von Fr. 601'720.--, eine Schenkungssteueranzeige
einzureichen. Demgegenüber machten die Eheleute M. am 9. August 1988
geltend, aufgrund der zu Beginn des Jahres 1988 erfolgten Schätzung müsse
davon ausgegangen werden, dass der amtliche Wert am massgebenden Stichtag
unter dem angenommenen Wert von Fr. 4'601'720.-- gelegen habe.

    Ein daraufhin im Auftrag der kantonalen Steuerverwaltung
erstelltes Verkehrswertgutachten der Abteilung für amtliche Bewertung
der Grundstücke und Wasserkräfte vom 28. Februar 1989 bestimmte den
Ertragswert der Liegenschaft auf Fr. 5'105'500.-- sowie deren Realwert
auf Fr. 11'627'000.--. Der objektive Verkehrswert der Parzelle wurde auf
Fr. 6'190'000.-- geschätzt. In der Folge gab die kantonale Steuerverwaltung
den Eheleuten M. Gelegenheit, mittels einer neutralen Begutachtung den
Gegenbeweis zu erbringen, dass der Verkehrswert der Hotelliegenschaft am
Stichtag den Kaufpreis nicht überstieg. Die dafür angesetzte Frist lief
unbenutzt ab.

    C.- Mit Verfügung vom 24. Januar 1990 stellte die kantonale
Steuerverwaltung für einen steuerpflichtigen Vermögensanfall von
Fr. 601'720.-- eine Schenkungssteuer von Fr. 215'688.-- in Rechnung.

    Gegen diese Verfügung erhoben die Eheleute M. am 23. Februar 1990
Einsprache. Gestützt auf eine Ertragswertberechnung der Schweizerischen
Gesellschaft für Hotelkredit sowie auf ein privates Verkehrswertgutachten
eines Architekten machten sie geltend, der effektive Verkehrswert am Datum
der Verurkundung habe höchstens dem verurkundeten Verkaufspreis entsprochen
und der amtliche Wert sei viel zu hoch angesetzt. Ein Missverhältnis von
Leistung und Gegenleistung habe deshalb nicht vorgelegen.

    D.- Am 7. Dezember 1990 bestätigte die kantonale Steuerverwaltung die
Schenkungssteuerfestsetzung vom 24. Januar 1990 und wies die Einsprache
vom 23. Februar 1990 ab.

    E.- In der gegen den Einspracheentscheid beim Verwaltungsgericht
des Kantons Bern erhobenen Beschwerde machten die Eheleute M. geltend,
es fehle sowohl an einem offenbaren Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung als auch an der Zuwendungsabsicht seitens der Verkäuferin.

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Beschwerde am 27. Mai
1991 ab.

    F.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 18. Juli 1991 beantragen
die Eheleute M., das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom
27. Mai 1991 sei aufzuheben. Sie machen geltend, das angefochtene Urteil
sei unter Verletzung und willkürlicher Anwendung von Verfassungsrecht und
kantonalem Gesetzesrecht sowie unter willkürlicher und unvollständiger
Tatsachenfeststellung ergangen. Gerügt wird in verschiedener Hinsicht eine
Verletzung von Art. 4 BV (Rechtsgleichheit, Willkür, rechtliches Gehör)
sowie von Art. 72 (Rechtsgleichheit) der Staatsverfassung des Kantons
Bern vom 4. Juni 1893.

    Die kantonale Steuerverwaltung verzichtete auf Vernehmlassung. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Bezüglich der gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs führt es ergänzend
aus, den Vertretern der Beschwerdeführer seien sämtliche Expertenberichte
und Gutachten zur Kenntnis gebracht worden. Von einer Verweigerung des
rechtlichen Gehörs könne daher keine Rede sein.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts
machen die Beschwerdeführer geltend, es sei willkürlich, das vorliegende
Rechtsgeschäft unabhängig davon, ob eine Zuwendungsabsicht vorhanden sei,
als gemischte Schenkung zu besteuern.

    Das Verwaltungsgericht ist dagegen der Auffassung, nach dem Wortlaut
der massgebenden Gesetzesbestimmung sei nur das objektive Verhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen. Es hat daher
die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Zuwendungsabsicht gegeben sei,
gar nicht geprüft.

    a) Nach konstanter Rechtsprechung liegt Willkür nicht schon dann vor,
wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar vorzuziehen
wäre. Das Bundesgericht weicht vom Entscheid einer kantonalen Behörde
nur ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen
Situation in klarem und offensichtlichem Widerspruch steht, eine Norm oder
einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 110 Ia 4 E. 2a; 117
Ia 414 E. 1c, je mit Hinweisen).

    b) Auszugehen ist vom Wortlaut des bernischen Gesetzes vom 6. April
1919 über die Erbschafts- und Schenkungssteuer (662.1; ESchG). Das
fragliche Rechtsgeschäft fand noch unter der Herrschaft der alten
Fassung des Gesetzes statt. Die Teilrevision von 1989 hat jedoch,
soweit ersichtlich, am Wortlaut der hier massgebenden Bestimmungen
nichts geändert (vgl. MARC SUTER, Das neue bernische Erbschafts- und
Schenkungssteuergesetz, in: ZBJV 1989, S. 185). Art. 2 ESchG umschreibt
unter dem Marginale "Grundsatz" den Gegenstand der Schenkungssteuer. Danach
unterliegen der "schenkungsweise" Erwerb von Grundstücken sowie die
"Schenkung" von beweglichem Vermögen nach Massgabe der nachfolgenden
Bestimmungen einer Schenkungssteuer. Diese Bestimmungen sind folglich im
Lichte von Art. 2 ESchG auszulegen.

    Art. 3 ESchG lautet:

    "1. Als Schenkung im Sinne dieses Gesetzes gilt jede freiwillige und
   unentgeltliche Zuwendung von Geld, Sachen oder Rechten irgendwelcher
   Art mit Einschluss des Erbauskaufes (Art. 495 ZGB), des Vorempfanges
   (Art. 626

    ZGB) und der Stiftung (Art. 80 ff. ZGB), sowie der schenkungsweise
Erlass
   von Verbindlichkeiten.

    2. Entgeltliche Rechtsgeschäfte, bei welchen die Leistungen des einen

    Teils in einem offenbaren Missverhältnis zur Gegenleistung stehen,
werden
   für den durch die Gegenleistung nicht gedeckten Wert der Leistung einer

    Schenkung gleichgestellt.

    3. Die Gründe und Absichten, aus welchen die Schenkung erfolgte,
üben auf
   die Steuerpflicht keinen Einfluss aus."

    aa) Art. 3 Abs. 1 ESchG umschreibt den Begriff der Schenkung. Der
steuerrechtliche Schenkungsbegriff deckt sich nicht in jeder Hinsicht
mit jenem des Zivilrechts; er kann Besonderheiten aufweisen, die
sich aus dem Zweck des Gesetzes oder aus Gründen der Praktikabilität
ergeben. Beiden Begriffen sind jedoch die Merkmale der Vermögenszuwendung,
der Unentgeltlichkeit und des Zuwendungswillens gemeinsam. Das objektive
Merkmal der Unentgeltlichkeit der Vermögenszuwendung liegt vor, wenn
der Zuwendungsempfänger für seinen Vermögenserwerb keine Gegenleistung
erbracht hat. Die subjektive Voraussetzung des Zuwendungswillens bedeutet,
dass der Zuwendende Wissen und Wollen bezüglich der Vermögenszuwendung
und der Unentgeltlichkeit haben muss (PIERRE ROCHAT, L'impôt sur les
donations et la notion de donation imposable en Suisse, Thèse Lausanne
1953, S. 5 und 59; THOMAS RAMSEIER, Die basellandschaftliche Erbschafts-
und Schenkungssteuer, Liestal 1989, S. 64; FREDY STYGER, Objekt und
Bemessung der kantonalen Erbanfall- und Schenkungssteuern, Dissertation
Zürich 1950, S. 63).

    bb) Art. 3 Abs. 2 ESchG regelt den Tatbestand der gemischten Schenkung.
Danach werden entgeltliche Rechtsgeschäfte mit offensichtlichem
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in bezug auf die
Wertdifferenz einer "Schenkung gleichgestellt". Aus dieser letzten
Formulierung abzuleiten, dass bei solchen zweiseitigen Geschäften eine
Schenkungssteuer auch ohne Vorliegen des Schenkungswillens geschuldet
sei, ist unhaltbar. Das fragliche bernische Gesetz will, wie bereits
aus seinem Titel und aus den Umschreibungen in Art. 2 und Art. 3 Abs. 1
ESchG hervorgeht, nur Vermögensanfälle, die eine Schenkung darstellen
oder - trotz eines äusserlich zweiseitigen Leistungsverhältnisses -
auf eine Schenkung hinauslaufen (gemischte Schenkung), nicht aber blosse
Verkehrsvorgänge erfassen. Der steuerrechtliche Schenkungsbegriff braucht
zwar, wie allgemein anerkannt ist, mit jenem des Zivilrechtes nicht
übereinzustimmen. Immerhin muss es sich um ein Rechtsgeschäft handeln,
das, wenn nicht im zivilrechtlichen Sinn, so doch nach dem allgemeinen
Wortsinn, noch als Schenkung bezeichnet werden kann. Eine Auslegung,
welche jeden günstigen Kauf (Verkauf) einer Sache, ungeachtet der
konkreten Umstände und des fehlenden Zuwendungswillens der Beteiligten,
allein wegen der Wertdifferenz zwischen den beidseitigen Leistungen
als Schenkung betrachten will, sprengt die durch Wortlaut und Zweck des
Gesetzes gegebenen Schranken. Wie das Bundesgericht bereits betreffend die
damals gleichlautende Bestimmung des basellandschaftlichen Erbschafts-
und Schenkungssteuergesetzes festgestellt hat, kann es unmöglich Sinn
des zweiten Absatzes von Artikel 3 sein, in allen Fällen vertragliche
Leistungen, denen keine auch nur annähernd gleichwertige Gegenleistung
gegenübersteht, mit einer besondern Steuer zu belegen (BGE 65 I 212;
bestätigt in BGE 98 Ia 263, 102 Ia 426). Es besteht kein Anlass, von der
bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Aufgrund des Wortlauts und des
Zwecks der massgeblichen Gesetzesbestimmungen ist somit auch für den
Tatbestand der gemischten Schenkung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 ESchG
ein Zuwendungswille erforderlich (vgl. ADRIAN MUSTER, Erbschafts- und
Schenkungssteuerrecht, Muri bei Bern 1990, S. 303 ff.; THOMAS RAMSEIER,
aaO, S. 63 ff. und 73 ff.).

    Allein aus der Tatsache, dass der Veräusserungspreis unter dem
objektiven Verkehrswert bzw. amtlichen Wert liegt, kann noch nicht auf das
Vorliegen eines Zuwendungswillens geschlossen werden. Die Vertragsparteien
können vielerlei Gründe haben, für eine Sache oder Leistung einen über
bzw. unter dem objektiven Verkehrswert liegenden Betrag zu bezahlen
bzw. zu verlangen. Der Preis einer Sache oder Leistung bestimmt sich
nämlich nicht nur nach ihrem objektiven Marktwert, sondern vielfach
können auch unterschiedliche Beurteilungen der künftigen Marktentwicklung
oder sonstige subjektive Gesichtspunkte der Parteien (Lagerprobleme,
Liquiditätsbedürfnis, Spekulationsabsicht usw.) für die Preisgestaltung
massgebend sein.

    Da das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Frage, ob
im vorliegenden Fall ein Zuwendungswille gegeben sei, gar nicht
geprüft hat, kann sich das Bundesgericht nicht dazu äussern. Bei der
Beurteilung dieser Frage wird die Vorinstanz unter anderem die allgemeine
wirtschaftliche Lage im Zeitpunkt der Veräusserung der Liegenschaft zu
berücksichtigen haben. Offenbar ging es der Hotellerie im fraglichen
Zeitpunkt nicht besonders gut. Weiter bedurfte die Hotelliegenschaft
einer umfassenden Sanierung. Ausser den Beschwerdeführern schien niemand
am Kauf der Liegenschaft interessiert zu sein. Im übrigen hatten die
Beschwerdeführer das Hotel bereits vorher bewirtschaftet. Auch dieser
Umstand mag für die Verkäuferin bei der Festsetzung des Preises eine
Rolle gespielt haben. Schliesslich darf nicht übersehen werden, dass die
Beschwerdeführer weder Verwandte noch nahe Bekannte der Verkäuferin sind,
so dass in dieser Hinsicht seitens der Verkäuferin kein Anlass bestand,
die Beschwerdeführer zu bereichern.

    cc) Im übrigen ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 ESchG zum Erfordernis
des Zuwendungswillens nichts anderes. Danach üben die Beweggründe
(Dankbarkeit, Grosszügigkeit, sittliche Pflicht usw.), aus welchen die
Schenkung erfolgte, auf die Steuerpflicht keinen Einfluss aus. Diese
Bestimmung befasst sich somit nicht mit der Frage des animus donandi. Sie
hat lediglich zur Folge, dass es auf die Motive der Schenkung nicht
ankommt und insofern der steuerrechtliche begriff der Schenkung weiter
sein kann als der zivilrechtliche (ADRIAN MUSTER, aaO, S. 296; VICTOR
MONTEIL, Das Objekt der Erbschafts- und Schenkungssteuern in der Schweiz,
Dissertation Bern 1949, S. 155 f.).

    Aus Art. 16 und 17 ESchG kann hinsichtlich des Erfordernisses des
Schenkungswillens ebenfalls nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Danach
erfolgt die Steuerfestsetzung bei geerbten oder geschenkten beweglichen
Sachen nach ihrem Verkehrswert und bei Grundstücken nach dem amtlichen
Wert. Namentlich kann daraus nicht geschlossen werden, dass der
Gesetzgeber schon die Unterschreitung des amtlichen Werts an sich als
steuerbaren Tatbestand betrachten wollte. Die Regelung von Art. 17 ESchG
besagt lediglich, dass dann, wenn eine Erbschaft oder Schenkung vorliegt,
die Berechnung der Steuer bei Grundstücken nach dem festgelegten amtlichen
Wert zu erfolgen hat und keine besondere neue Verkehrswertschätzung
stattfindet.

    c) Die Annahme des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, der
Wille der unentgeltlichen Zuwendung bilde kein begriffsnotwendiges
Merkmal der gemischten Schenkung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 ESchG,
widerspricht offensichtlich dem Wortlaut und Sinn des massgebenden
kantonalen Gesetzes. Indem das Verwaltungsgericht auf dem vorliegenden
Rechtsgeschäft allein aufgrund des objektiven Verhältnisses zwischen
Leistung und Gegenleistung eine Schenkungssteuer erhob, ohne das Vorliegen
eines Zuwendungswillens zu prüfen, handelte es willkürlich.

    Sein Entscheid ist daher wegen Verletzung von Art. 4 BV
aufzuheben. Unter diesen Umständen erübrigt es sich, auf die Vorbringen
der Beschwerdeführer betreffend Verletzung des Gleichbehandlungsgebots
näher einzugehen.