Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IA 422



118 Ia 422

58. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7.
Oktober 1992 i.S. Grünes Bündnis Luzern, Louis Schelbert und Willy Portmann
gegen Grosser Rat des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    § 39bis Abs. 1 lit. c der Staatsverfassung des Kantons Luzern vom
29. Januar 1875 (KV-LU): Berechnung des referendumsrechtlich massgeblichen
Kreditbetrages.

    1. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei Stimmrechtsbeschwerden
(E. 1e).

    2. Frage offengelassen, ob der referendumsrechtlich massgebliche
Kreditbetrag nach dem Brutto-Prinzip oder nach dem Netto-Prinzip zu
berechnen ist (E. 2).

    3. Zeitpunkt, auf welchen der referendumsrechtlich massgebliche
Kreditbetrag zu berechnen ist. Eine Bauteuerungsklausel ist nicht
vorgeschrieben, doch ist ein Höchstbetrag für teuerungsbedingten
Mehraufwand gesetzlich festgelegt (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 17. Juni 1991 beschloss der Grosse Rat des Kantons Luzern die
Ausführung eines Projektes über den Ausbau der Kantonsstrasse KI 10 und
die Aufhebung von neun SBB-Niveauübergängen im Abschnitt Dorf Escholzmatt.
Der Grosse Rat bewilligte dafür einen Sonderkredit von 24'250'000 Franken.

    Das Dekret wurde dem fakultativen Referendum unterstellt.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 28. Juni 1991 stellen das Grüne
Bündnis Luzern und Louis Schelbert den Antrag, das Dekret des Grossen Rates
vom 17. Juni 1991 sei aufzuheben. Sie berufen sich auf ihr Stimmrecht
und machen geltend, der erforderliche Sonderkredit betrage tatsächlich
mehr als Fr. 25'000'000.--, weshalb das entsprechende Dekret nicht nur
dem fakultativen, sondern dem obligatorischen Referendum unterliege.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 22. August 1991 stellt Willy
Portmann denselben Antrag.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- e) Mit der Stimmrechtsbeschwerde gemäss Art. 85 lit. a OG kann
gerügt werden, ein kantonaler Erlass oder Kreditbewilligungsbeschluss sei
zu Unrecht der Volksabstimmung entzogen worden. Bei Beschwerden dieser
Art prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und
kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler
Vorschriften, welche den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder
mit diesem eng zusammenhängen. In ausgesprochenen Zweifelsfällen schliesst
sich das Bundesgericht der von der obersten kantonalen Behörde vertretenen
Auffassung an, sofern es sich dabei um das Parlament oder das Volk handelt
(BGE 113 Ia 396 E. 3 mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, der angefochtene
Kreditbeschluss unterliege dem obligatorischen Referendum im Sinne von §
39bis Abs. 1 lit. c der Staatsverfassung des Kantons Luzern vom 29. Januar
1875 (KV-LU; SR 131.213). Nach dieser Bestimmung unterliegen Beschlüsse
des Grossen Rates, welche freibestimmbare Ausgaben für einen bestimmten
Zweck bewilligen, der Volksabstimmung, wenn die Ausgabenhöhe mehr als 25
Millionen Franken beträgt. Gemäss Abs. 2 derselben Verfassungsbestimmung
entspricht die massgebende Höhe einmaliger Ausgaben dem Gesamtbetrag
des für einen bestimmten Zweck zu bewilligenden Kredites. Der Grosse Rat
bewilligte im vorliegenden Fall einen Sonderkredit von Fr. 24'250'000.--,
also einen Betrag, welcher knapp unterhalb der in § 39bis Abs. 2 KV-LU
festgesetzten Grenze liegt.

    Der Grosse Rat macht indessen geltend, der Bund bezahle an
das Bauprojekt einen Beitrag von rund 70% und die Schweizerischen
Bundesbahnen einen solchen von etwa 8,25%, so dass auf den Kanton Luzern
nur ungefähr Fr. 4'750'000.-- bis Fr. 5'300'000.-- entfielen. Nach dem
sogenannten Netto-Prinzip sei nur dieser Betrag abstimmungsrechtlich
massgebend. Die Beschwerdeführer bestreiten zwar nicht, dass der Bund
und die Schweizerischen Bundesbahnen Beiträge von insgesamt etwa 78% an
die Baukosten leisten müssen. Sie deuten aber das Wort "Gesamtbetrag"
in § 39bis Abs. 2 KV-LU als Hinweis auf das Brutto-Prinzip, wonach
abstimmungsrechtlich die Höhe der gesamten Baukosten massgebend sei.

    Die Frage, ob bei der Anwendung von § 39bis Abs. 2 KV-LU das Brutto-
oder das Netto-Prinzip massgebend sei, kann indessen im vorliegenden Fall
offenbleiben, da die Beschwerden aus andern Gründen abzuweisen sind.

Erwägung 3

    3.- a) Die Beschwerdeführer 1 machen geltend, der Grosse Rat habe
die Kosten willkürlich auf den 1. Januar 1991 berechnet. Der für die
Feststellung der Ausgabenhöhe massgebliche Zeitpunkt müsse jedoch aufgrund
einer Regel bestimmt werden. Am sinnvollsten sei es, die Ausgaben auf
den Zeitpunkt des Grossratsbeschlusses zu berechnen. Berechne man im
vorliegenden Fall die Ausgaben auf den 17. Juni 1991, so übersteige der
erforderliche Kredit 25 Millionen Franken, wenn von derselben Teuerung
wie im Wohnungsbau (etwa 4,5%) ausgegangen werde.

    b) Das Recht des Kantons Luzern enthält keine ausdrückliche Bestimmung
über den Zeitpunkt, welcher für die Berechnung der Ausgabenhöhe im Sinne
von § 39bis Abs. 1 lit. c KV-LU massgebend sein soll. Auch der Wortlaut des
angefochtenen Dekretes erscheint in dieser Hinsicht nicht als eindeutig,
da er in Ziff. 2 den Hinweis in Klammern "Preisstand Januar 1991" enthält.

    In einigen Kantonen ist die Bauteuerungsklausel gesetzlich
vorgeschrieben (GIERI CAVIEZEL, Das Finanzreferendum im allgemeinen und
unter besonderer Berücksichtigung des Kantons Graubünden, Diss. Freiburg
1987, S. 81; ERNST MARTIN LAUR, Das Finanzreferendum im Kanton Zürich,
Diss. Zürich 1966, S. 83 f.). Der Kanton Luzern kennt jedoch keine
ausdrückliche derartige Vorschrift. Da zudem der Zeitpunkt, zu welchem
eine Kreditvorlage vom Grossen Rat behandelt wird, nicht immer zum voraus
feststeht, ist es zweckmässig, die Ausgaben für den Zeitpunkt zu berechnen,
in welchem der Dekretsentwurf erarbeitet wird. Im Tiefbau ändern sich zudem
die Preise im wesentlichen nur über den Jahreswechsel, nicht aber während
des Jahres. Daher ist nichts dagegen einzuwenden, dass im angefochtenen
Dekret die Kosten der Unterführung in Escholzmatt auf den 1. Januar 1991
berechnet wurden, obwohl die Abstimmung im Grossen Rat erst am 17. Juni
1991 stattfand. Wiederlegt ist damit auch der Einwand des Beschwerdeführers
2, der Grosse Rat hätte den Sonderkredit erst beschliessen dürfen, wenn
die erforderlichen Genehmigungen durch die Bundesbehörden (insbesondere
durch das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft [BUWAL]) vorliegen;
da nach dem Recht des Kantons Luzern in den vom Grossen Rat beschlossenen
Krediten die Teuerung nicht eingeschlossen sein muss, ist es unerheblich,
dass das BUWAL möglicherweise einige das Projekt verteuernde Änderungen
verlangen könnte.

    c) Die entsprechende Rüge der Beschwerdeführer 1 erweist sich damit
als unbegründet. Demnach betragen die nach § 39bis Abs. 1 lit. c KV-LU
massgebenden Kosten des Projektes höchstens Fr. 24'250'000.--. Dieser
Betrag liegt unter dem für das obligatorische Referendum festgesetzten
Grenzwert von 25 Millionen Franken. Daher braucht nicht geprüft zu
werden, ob es sich bei den vom Regierungsrat ebenfalls in die Berechnung
einbezogenen Kosten in der Höhe von etwa Fr. 1'750'000.-- für baulichen
Unterhalt um - wie die Beschwerdeführer meinen - freibestimmbare oder -
nach Auffassung des Grossen Rates - gebundene Ausgaben handelt. Der für
das obligatorische Referendum erforderliche Kreditbetrag von 25 Millionen
Franken wird ohnehin nicht erreicht.

    d) Die Beschwerdeführer stellen ausserdem den Antrag, ein Gutachten
sei einzuholen über die Frage, welcher Anteil am Gesamtaufwand für
Projektierung, Bauleitung und Unvorhergesehenes auszuscheiden sei. 12,5%
(wovon bloss 2,5% für Unvorhergesehenes) seien jedenfalls zu wenig.

    Der Grosse Rat beschloss für das ganze Projekt einen Sonderkredit
von Fr. 24'250'000.--, wovon 12,5% für Projektierung, Bauleitung
und Unvorhergesehenes berechnet sind. Höhere Beträge als die im
angefochtenen Dekret bewilligten dürfen für das Projekt in Escholzmatt
grundsätzlich nicht ausgegeben werden (§ 7 Abs. 1 des kantonalen
Finanzhaushaltsgesetzes [FHG]). Ausnahmen bestehen gemäss § 23 Ziff. 1
lit. a FHG für teuerungsbedingten Mehraufwand und teuerungsbedingte
Mehrauslagen sowie nach lit. c desselben Absatzes für freibestimmbaren
nicht voraussehbaren Aufwand und freibestimmbare nicht voraussehbare
Ausgaben in Überschreitung eines Sonderkredites je bis zu 10% der
bewilligten Kreditsumme, höchstens jedoch bis Fr. 500'000.--. Die vom
Regierungsrat für Unvorhergesehenes reservierten 2,5% der Bausumme betragen
Fr. 612'500.--, also einen höheren Betrag, als gemäss § 23 Ziff. 1 lit. c
FHG ohne besonderen Beschluss ausgegeben werden dürfte. Der Kanton Luzern
ist somit auch aufgrund des angefochtenen Dekretes nicht berechtigt,
für Projektierung, Bauleitung und Unvorhergesehenes einen höheren Betrag
als die vom Regierungsrat ausgeschiedenen 12,5% der gesamten Baukosten
aufzuwenden. Da der Regierungsrat diese 12,5% in die Berechnung des
abstimmungsrechtlich massgebenden Kreditbetrages einbezogen hatte, sind
die Bestimmungen der Staatsverfassung über das obligatorische Referendum
nicht verletzt worden. Die entsprechende Rüge der Beschwerdeführer ist
deshalb unbegründet. Dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens zu dieser
Frage ist nicht stattzugeben.