Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IA 35



118 Ia 35

7. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14.
Februar 1992 i.S. X. gegen Staat Solothurn und Verwaltungsgericht des
Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV: gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit;
richterliche Prüfungspflicht; Solothurner Berufsberaterin.

    Aus Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV ergibt sich für den Richter eine minimale
Prüfungspflicht. Kommt er dieser im Einzelfall näher zu bestimmenden
Pflicht nicht nach, so verletzt er den im Lichte von Art. 4 Abs. 2 BV zu
beurteilenden Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör (E. 2d u. e).

    Weil es dabei um den Inhalt und Umfang des in Art. 4 Abs. 2 Satz 3
BV verankerten verfassungsmässigen Rechts geht, prüft das Bundesgericht
die Frage frei (E. 2e).

Sachverhalt

    A.- Berufsberaterinnen und Berufsberater werden im Kanton Solothurn
seit dem 1. Januar 1982 in die Lohnklassen 13 und 15 eingestuft (Verordnung
vom 18. November 1981 über die Besoldungen des Staatspersonals und
der Lehrkräfte an den Kantons-, Berufs- und Volksschulen, GS 88 Heft
3 S. 797 ff.; heute: Verordnung (mit dem gleichen Titel) vom 24. Juni
1986, BGS 126.511.1). Die Lohnfestsetzung bei der Wahl erfolgt allgemein
aufgrund der Ausbildung und der bisherigen beruflichen Tätigkeit. Als
Ausbildungserfordernis wird für Berufsberater ein entsprechendes
Fachdiplom verlangt. Wer über dieses verfügt und keine oder nur eine
geringe praktische Erfahrung (in der Regel bis acht Jahre) mitbringt, wird
unter Anrechnung der Dienstjahre in Klasse 13 eingereiht. Bei Erreichung
der Maximalbesoldung in dieser Klasse, in der wie in Klasse 15 acht Stufen
bestehen, wobei jährlich ein Anstieg um eine Stufe erfolgt, kann der
Regierungsrat die Beförderung in die höhere Klasse beschliessen, sofern
Eignung, Leistung und Verhalten nicht zu beanstanden sind. Berufsberater
mit langjähriger praktischer Tätigkeit in dieser oder einer vergleichbaren
Funktion können unter Anrechnung der Praxisjahre direkt in Klasse 15
eingestuft werden. Eine höherwertige Ausbildung (z.B. ein Lizentiat)
wird bei der Lohnfestsetzung nicht berücksichtigt. Dienstjahre in der
gleichen Funktion werden in der Regel voll, solche in vergleichbaren
Funktionen anteilmässig angerechnet.

    X. trat 1976 als Sekretärin der Regionalstelle Y. des Amtes für
Berufsbildung und Berufsberatung in den Dienst des Kantons Solothurn
ein. Auf den 1. Dezember 1979 stellte der Regierungsrat sie neu als
Berufsberater-Praktikantin in der Lohnklasse 13/1 an und bewilligte ihr,
sich berufsbegleitend zur Berufsberaterin ausbilden zu lassen.

    Nachdem X. den entsprechenden Studiengang am 12. November 1982 mit
dem Diplom abgeschlossen hatte, wählte sie der Regierungsrat auf den
1. Dezember 1982 provisorisch als Berufsberaterin und reihte sie in
die Stufe 4 der Lohnklasse 13 ein. Auf 1. März 1984 wurde X. definitiv
angestellt.

    Weil sie nicht wie ihre männlichen Kollegen in Lohnklasse 15,
sondern lediglich in Lohnklasse 13 eingestuft war, vermutete
X. eine Lohndiskriminierung aufgrund ihres Geschlechts. Nach
verschiedenen Abklärungen und Vorstössen erhob sie am 24. März 1988
beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn Klage gegen den Staat
Solothurn. Sie beantragte die Beseitigung der Lohndiskriminierung sowie,
soweit nicht verjährt, eine Lohnnachzahlung seit ihrer Anstellung als
Berufsberaterin. An der Hauptverhandlung beschränkte X., nachdem der
Regierungsrat sie auf den 1. Januar 1989 in die Lohnklasse 15 befördert
hatte, ihre Forderung auf die Besoldungsdifferenz für die Zeit vom 1.
Dezember 1982 bis zum 31. Dezember 1988.

    Das Verwaltungsgericht wies die Klage am 23. März 1990 ab, soweit
es darauf eintrat. Zur Begründung führte es im wesentlichen an, die
unterschiedliche Einstufung von X. im Vergleich zu ihren Berufskollegen
beruhe auf der teilweise anrechenbaren früheren Berufserfahrung. Weil die
ungleiche Besoldung sich somit aus einem objektiven Grund rechtfertige,
habe der Kanton das verfassungsmässige Recht auf gleichen Lohn für gleiche
Arbeit nicht verletzt.

    Das Bundesgericht heisst die hiergegen eingereichte staatsrechtliche
Beschwerde gut aus den folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung von Art.  4 Abs. 2
Satz 3 BV geltend, weil das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung,
ob sie als Berufsberaterin lediglich um ihres Geschlechtes willen
schlechter eingestuft worden sei, nicht auch andere Berufsberaterinnen
in den Vergleich miteinbezogen habe. Es sei viel leichter, im Einzelfall
eine Begründung für eine Ungleichbehandlung zu finden, als darzulegen,
weshalb alle Frauen, und damit auch die Beschwerdeführerin, schlechter
eingestuft worden seien als ihre männlichen Kollegen. Art. 4 Abs. 2 Satz 3
BV enthalte einen Anspruch darauf, in der "Gleichstellungsforderung konkret
und vollumfänglich beurteilt zu werden". Weil das Verwaltungsgericht
zu Unrecht darauf verzichtet habe, die Lohnlisten und Personaldossiers
sämtlicher Berufsberater und Berufsberaterinnen für die Jahre 1982 bis
1988 beizuziehen, habe es auch den in Art. 4 Abs. 1 BV verankerten Anspruch
auf rechtliches Gehör verletzt.

    b) Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV kann, wer gleichwertige Arbeit wie
ein Arbeitnehmer des anderen Geschlechts verrichtet, verlangen, dass er
gleich entlöhnt werde wie dieser. Dabei handelt es sich nach herrschender
Lehre und Rechtsprechung um einen im öffentlich- wie privatrechtlichen
Anstellungsverhältnis direkt durchsetzbaren individualrechtlichen
Anspruch, der keiner Konkretisierung durch den Gesetzgeber bedarf
(BBl 1980 I 143; BGE 117 Ia 265 E. 2c mit Hinweisen). Bereits vor der
Ergänzung von Art. 4 BV durch den Abs. 2 leitete das Bundesgericht aus
dem Prinzip der Rechtsgleichheit die Verpflichtung ab, im öffentlichen
Dienstverhältnis gleichwertige Arbeit gleich zu entlöhnen (BGE 105 Ia 120
ff., 103 Ia 517 ff.). Neu wurde mit Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV lediglich auch
gegenüber dem privaten Arbeitgeber ein subjektiver Anspruch auf gleichen
Lohn für gleichwertige Arbeit von Mann und Frau begründet. Soweit es
um die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern geht, gilt Art. 4
Abs. 2 BV heute als Spezialnorm unmittelbar in beiden Bereichen.
Geschlechtsunabhängig ergibt sich das Postulat der Lohngleichheit im
öffentlichen Dienstverhältnis aber nach wie vor aus Art. 4 Abs. 1 BV.

    c) Unterschiede in der Entlöhnung von Mann und Frau verletzen das
Recht auf gleichen Lohn dann nicht, wenn sie auf objektiven Gründen wie
Alter, Dienstalter, familiären Belastungen, Erfahrung, Qualifikationsgrad,
Risiken usw. beruhen. In BGE 117 Ia 276 E. 4a hielt das Bundesgericht fest,
hierzu sei auch eine qualifiziertere Ausbildung zu zählen, zumindest soweit
diese vom Arbeitsplatz gefordert oder für die Arbeit, die verrichtet werden
muss, doch von Nutzen ist. Bei diesen Gründen handelt es sich um solche,
welche die Leistung oder die Person des Arbeitnehmers geschlechtsunabhängig
betreffen und damit auch zwischen Arbeitnehmern gleichen Geschlechts zu
unterschiedlicher Entlöhnung Anlass geben. Nach BGE 113 Ia 116 E. 4a
können weitere objektive Umstände, die nicht geschlechtsspezifisch
motiviert sind und sich nicht auf die Person oder die Tätigkeit des
Arbeitnehmers beziehen, ebenfalls einen Einbruch in den Grundsatz des
Rechts auf gleichen Lohn rechtfertigen. Als Beispiel nennt der zitierte
Entscheid die konjunkturelle Lage. Sie vermag zumindest zeitweise eine
unterschiedliche Entlöhnung zu begründen, wenn diese in keiner Weise an
das Geschlecht der betroffenen Arbeitnehmer gebunden ist.

    d) Im Urteil i.S. R. D. und Mitbeteiligte vom 14. Mai 1987 (sogenannter
"Zweiter Zürcher Krankenschwestern-Entscheid") tönte das Bundesgericht die
Möglichkeit einer direkt in Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV verankerten minimalen
richterlichen Prüfungspflicht an (in ZBl 90/1989 S. 203 unveröffentlichte
E. 4). Das kantonale Recht lege fest, in welchem Stadium des Prozesses
die Klagebegründung spätestens und abschliessend vorzutragen sei. Was zur
Substantiierung notwendig erscheine, bestimme das materielle Recht. Bei
einer Klage auf Lohnnachzahlung wegen Verletzung von Art. 4 Abs. 2 Satz 3
BV ergebe sich die gebotene Substantiierung aus dieser bundesrechtlichen
Vorschrift (E. 4a). Wenn das Bundesgericht sich in E. 5 seines Urteils
vom 11. November 1983 ("Erster Zürcher Krankenschwestern-Entscheid"; ZBl
85/1984 S. 162) dahin gehend geäussert habe, dass das Verwaltungsgericht
jedenfalls hätte prüfen müssen, ob die Funktionen des Sanitätsmannes
und der Krankenschwester tatsächlich vergleichbar seien und bei
Gleichwertigkeit ungleich entlöhnt würden, so habe es dies nur getan,
um zu verhindern, dass aus seinem Aufhebungsentscheid falsche Schlüsse
gezogen würden. Die Aussage habe lediglich festgehalten, welche Vergleiche
das Verwaltungsgericht im Minimum anzustellen habe, um der sich aus Art. 4
Abs. 2 Satz 3 BV ergebenden Prüfungspflicht nachzukommen (E. 4b).

    In einem weiteren, unveröffentlichten Entscheid führte das
Bundesgericht am 14. Dezember 1989 aus, dass das Recht, einen Anspruch,
wie ihn Art. 4 Abs. 2 BV vorsehe, gerichtlich durchzusetzen, die Pflicht
des urteilenden Gerichts umfasse, den zugrundeliegenden Sachverhalt
hinreichend abzuklären. Der Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör sei
im Lichte von Art. 4 Abs. 2 BV zu prüfen. Wenn ausdrücklich eine Verletzung
dieser Bestimmung geltend gemacht werde, sei die Behörde zur Prüfung der
Frage verpflichtet, ob die angefochtene Entlöhnung in Übereinstimmung mit
dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf gleichen Lohn bei gleichwertiger
Arbeit festgesetzt worden sei. In vielen Fällen verfüge die klagende Partei
nämlich nicht über die nötigen Grundlagen, um eine geschlechtsspezifische
Ungleichbehandlung nachweisen zu können (unveröffentlichtes Urteil des
Bundesgerichts i.S. N.B. u. Mitb. vom 14. Dezember 1989, E. 3b).

    e) Ergibt sich der minimale Umfang der Prüfung, welche Vergleiche der
Richter anzustellen hat, um verfahrensmässig dem Anspruch auf gleichen
Lohn bei gleicher Arbeit zu genügen, aus Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV selber
und ist der Umfang des rechtlichen Gehörs ebenfalls direkt aus dieser
Bestimmung abzuleiten, so gilt dies auch für die im vorliegenden Fall
aufgeworfene Frage, ob neben der Beschwerdeführerin weitere Personen in
den Vergleich zur Feststellung des Vorliegens von Rechtfertigungsgründen
für die unterschiedliche Entlöhnung hätten einbezogen werden müssen. Nur
so kommt es zu im Grundsatz einheitlichen Beurteilungsmethoden über das
Vorliegen objektiver Gründe, welche eine ungleiche Entlöhnung von Mann
und Frau rechtfertigen. Weil damit aber der Inhalt von Art. 4 Abs. 2
Satz 3 BV als solcher angesprochen ist und es nicht um eine Prüfung der
Beweiswürdigung oder der tatsächlichen Feststellungen der kantonalen
Behörden geht, kann das Bundesgericht die Frage nach dem minimalen Umfang
des vom Richter vorzunehmenden Vergleichs mit freier Kognition prüfen
(vgl. BGE 117 Ia 274 E. 2c mit Hinweis). Ein kantonales Gericht verstösst
gegen Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV und den Anspruch auf rechtliches Gehör,
wenn es der im Einzelfall zu bestimmenden minimalen Prüfungspflicht,
wie sie sich aus dem materiellen Recht ergibt, nicht nachkommt.

Erwägung 3

    3.- Im folgenden ist abzuklären, ob das Verwaltungsgericht des Kantons
Solothurn diese Prüfungspflicht erfüllt hat. Unbestrittenermassen leisten
alle Berufsberaterinnen und Berufsberater im vorliegenden Fall nicht nur
gleichwertige, sondern genau die gleiche Arbeit. In Frage steht lediglich
die Art und Weise, wie das Verwaltungsgericht den Grund ermittelt hat,
der eine lohnmässige Ungleichbehandlung trotzdem rechtfertigen soll. Die
Beschwerdeführerin kritisiert, dass nur ihre Situation mit jener von vier
(männlichen) Arbeitskollegen verglichen worden ist und nicht auch jene
ihrer Arbeitskolleginnen.

    b) Die vom Verwaltungsgericht beigezogene Vergleichsbasis zur
Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführerin aufgrund ihres
Geschlechtes schlechter eingestuft worden ist als ihre Kollegen, erweist
sich als äusserst schmal.

    Wenn auch grundsätzlich die unterschiedliche berufliche Erfahrung
einen objektiven Grund für eine ungleiche Entlöhnung darstellen kann,
muss doch im Einzelfall geprüft werden, ob in der vom Arbeitgeber
geltend gemachten Rechtfertigung effektiv der Grund für die lohnmässige
Ungleichbehandlung liegt. Im konkreten Fall, in dem das zur Rechtfertigung
der Lohnungleichheit beigezogene Kriterium nur gerade bei zwei von
vier Vergleichspositionen zutraf, hätte das Verwaltungsgericht seine
Untersuchung auf weitere Fälle ausdehnen und insbesondere zumindest
auch die von der Beschwerdeführerin namentlich bezeichneten anderen
Berufsberaterinnen in die Abklärungen einbeziehen müssen. Entgegen der
Ansicht des Verwaltungsgerichts ging es dabei nicht darum, zu untersuchen,
"ob diese Personen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden",
sondern abzuklären, ob das erarbeitete objektive Kriterium, aufgrund
weiterer Vergleiche, im streitigen Fall als wirklich entscheidend
betrachtet werden kann. Gerade in Fällen wie dem vorliegenden, wo eine
generelle, für eine ganze Berufsgruppe geltende Einstufungsregelung
existiert, ergibt sich der Nachweis der geschlechtsneutralen Handhabung
am ehesten aus der Betrachtung der Gesamtpraxis. Diese konnte das
Verwaltungsgericht aber gerade nicht prüfen, weil es neben der Situation
der Beschwerdeführerin nicht auch jene der anderen Berufsberaterinnen in
den Vergleich miteinbezog. Das Verwaltungsgericht verletzte somit seine
sich aus Art. 4 Abs. 2 BV ergebende Prüfungspflicht.