Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IA 282



118 Ia 282

39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27.
August 1992 i.S. A gegen T und Mitbeteiligte sowie Staatsanwaltschaft und
Obergericht des Kantons Schaffhausen (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 58 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 26 KV/SH; Anspruch
auf einen unbefangenen Richter.

    1. Die Auffassung, der Grundsatz der Gewaltentrennung gemäss Art. 26
KV/SH beziehe sich nur auf die Gewalten derselben Gebietskörperschaft,
ist nicht willkürlich und ist mit Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK vereinbar (E. 3).

    2. Den Kantonen ist es nicht verwehrt, die Einhaltung gewisser
Vorschriften bei der Ausübung des Anspruchs auf einen unvoreingenommenen,
unabhängigen und unparteiischen Richter nach Art. 58 Abs. 1 BV und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu verlangen (E. 5a). Aufgrund der kantonalen
Strafprozessbestimmungen war es nicht willkürlich, den Anspruch des
Beschwerdeführers auf Ablehnung eines Richters als verwirkt zu betrachten
(E. 5b-E. 5e).

    3. Verfassung und Konvention stehen einer Verwirkung nicht entgegen
(E. 6a). Unverzichtbarer und unverjährbarer Charakter von Art. 58 BV im
vorliegenden Fall verneint (E. 6b und E. 6c).

Sachverhalt

    A.- Im Berufungsverfahren sprach das Obergericht des Kantons
Schaffhausen A mit "Zwischenurteil" vom 30. August 1991 der Schändung
gemäss Art. 189 Abs. 1 und 2 StGB schuldig. Bereits am 26. August 1991,
am Tag vor Beginn der Berufungsverhandlung, ging beim Obergericht ein
Brief einer Patientin von A ein, in dem diese die Unvoreingenommenheit
von Oberrichterin X, unter Hinweis auf deren Mitgliedschaft im Vorstand
des Vereins Schaffhauser Frauenhaus in Frage stellte. Das Obergericht
übermittelte dieses Schreiben am selben Tag per Telefax dem Anwalt von A.

    Gegen dieses Urteil vom 30. August 1991 erhob A mit Eingabe vom
13. September 1991 staatsrechtliche Beschwerde. Er macht eine Verletzung
von Art. 4 und Art. 58 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK geltend, da die
am angefochtenen Urteil mitwirkende Oberrichterin X gleichzeitig auch
Mitglied des Grossen Stadtrates der Stadt Schaffhausen ist.

    Anlässlich des zweiten Teils der Berufungsverhandlung vom 16. und 17.
September 1991 stellte A, soweit hier überhaupt interessierend, ein
Ausstandsbegehren gegen Oberrichterin X. Das Obergericht des Kantons
Schaffhausen trat darauf mit Beschluss vom 16. September 1991 nicht ein und
verurteilte A mit Urteil vom 17. September 1991 zu 2 1/2 Jahren Zuchthaus.

    Gegen den Nichteintretensbeschluss des Obergerichts vom 16. September
1991 erhebt A mit Eingabe vom 15. Oktober 1991 staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung von Art. 4 und Art. 58 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie
Art. 30 Abs. 2 und Art. 32 der Strafprozessordnung des Kantons Schaffhausen
vom 15. Dezember 1986 (StPO).

    Das Bundesgericht weist die beiden Beschwerden ab, soweit es darauf
eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht mit seiner ersten Beschwerde vom
13. September 1991 einzig geltend, das Urteil vom 30. August 1991 verletze
seinen Anspruch auf den verfassungs- und konventionsmässigen Richter
gemäss Art. 58 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, da Oberrichterin X Mitglied
des Grossen Stadtrats der Stadt Schaffhausen sei.

    a) Ein Richter oder Beamter ist so früh wie möglich abzulehnen. Es
verstösst gegen Treu und Glauben, Einwände dieser Art erst im
Rechtsmittelverfahren vorzubringen, wenn der Mangel schon vorher hätte
festgestellt werden können. Wer den Richter oder den Beamten nicht
unverzüglich ablehnt, wenn er vom Ablehnungsgrund Kenntnis erhält, sondern
sich stillschweigend auf den Prozess einlässt, verwirkt den Anspruch auf
spätere Anrufung der verletzten Verfassungsbestimmung (BGE 117 Ia 323
E. 1c, 116 Ia 389, 114 Ia 280 E. 3e, 112 Ia 340 E. 1c).

    Da sich die Beschwerde als offensichtlich unbegründet erweist, soweit
überhaupt darauf eingetreten werden kann (vgl. nachfolgende Erwägungen),
braucht vorliegend nicht geprüft zu werden, ob der Beschwerdeführer die
Einwände gegen die Zusammensetzung des Gerichts rechtzeitig erhoben hat.

    b) Bei staatsrechtlichen Beschwerden, mit denen eine Verletzung
des Rechts auf den verfassungs- und konventionsmässigen Richter geltend
gemacht wird, überprüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung
des kantonalen Gesetzesrechts lediglich unter dem Gesichtswinkel der
Willkür. Mit freier Kognition prüft es indessen, ob die als vertretbar
erkannte Auslegung des kantonalen Prozessrechts mit den Garantien nach
Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist (BGE 116 Ia 33
E. 2a, 114 Ia 52 E. 2b).

    c) Die Verfassung des Kantons Schaffhausen vom 24. März 1876 (KV)
schreibt in Art. 26 vor, dass die gesetzgebende, die vollziehende und
die richterliche Gewalt grundsätzlich getrennt sind (Abs. 1), wobei die
nähere Ausscheidung dieser Gewalten der Gesetzgebung vorbehalten wird
(Abs. 2). Art. 3 des Gesetzes über die Gewaltentrennung vom 3. Dezember
1967 schliesst denn auch die Mitglieder des Grossen Rates sowie kantonale
Funktionäre vom Richteramt aus.

    In ihren Vernehmlassungen machen die kantonalen Behörden geltend, der
Grundsatz der Gewaltentrennung gemäss Art. 26 KV beziehe sich nur auf die
Gewalten derselben Gebietskörperschaft, was auch aus dem Gesetz über die
Gewaltentrennung hervorgehe. Eine Unvereinbarkeit zwischen den kantonalen
Gewalten einerseits und den kommunalen Gewalten andererseits lasse sich aus
Art. 26 KV nicht ableiten. Infolge Fehlens einer ausdrücklichen Bestimmung,
welche die Unvereinbarkeit zwischen dem Amt einer Oberrichterin und dem
Mandat in einem kommunalen Parlament vorsehe, könne von einer Verletzung
des Grundsatzes der Gewaltentrennung keine Rede sein.

    Diese Auffassung ist nicht zu beanstanden, zumal auch nach der Lehre
der Grundsatz der personellen Gewaltentrennung nur für Staatsorgane der
gleichen Ebene gilt (vgl. ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches
Bundesstaatsrecht, 2. Auflage, Zürich 1988, Rz. 613; BLAISE KNAPP,
Précis de droit administratif, 4. Auflage, Basel 1991, Rz. 30). Die
Ausführungen des Beschwerdeführers sind deshalb nicht geeignet, die
von den kantonalen Behörden vorgenommene Auslegung von Art. 26 KV als
verfassungswidrig erscheinen zu lassen. Es bleibt demnach zu prüfen,
ob diese Auslegung von Art. 26 KV mit den Garantien von Art. 58 Abs. 1
BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist.

    d) Sowohl aufgrund von Art. 58 Abs. 1 BV als auch gemäss Art. 6
Ziff. 1 EMRK hat der Einzelne einen Anspruch darauf, dass seine Sache
von einem unvoreingenommenen, unparteiischen und unbefangenen Richter
beurteilt wird. Damit soll garantiert werden, dass keine Umstände,
die ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten
oder zu Lasten einer Partei auf das Urteil einwirken; es soll mit andern
Worten verhindert werden, dass jemand als Richter tätig wird, der unter
solchen Einflüssen steht und deshalb kein "rechter Mittler" mehr sein
kann. Voreingenommenheit in diesem Sinn ist nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet
sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu erwecken.
Solche Umstände können entweder in einem bestimmten persönlichen
Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen funktionellen und
organisatorischen Gegebenheiten begründet sein (BGE 116 Ia 33 f. E. 2b mit
Hinweisen). Wegen persönlichen Verhaltens ist der Richter nicht erst dann
von der Mitwirkung ausgeschlossen, wenn er deswegen tatsächlich befangen
ist. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit
zu begründen vermögen. In beiden Fällen kann bei der Beurteilung der
Umstände, welche die Gefahr der Voreingenommenheit begründen, nicht auf
das subjektive Empfinden einer Partei abgestellt werden; das Misstrauen
in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet
erscheinen (BGE 116 Ia 33 f. E. 2b).

    e) Der Beschwerdeführer erachtet Art. 58 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
als verletzt, weil Oberrichterin X Mitglied des Grossen Stadtrates
der Stadt Schaffhausen ist. Zur Begründung dieser Rüge weist er vor
allem darauf hin, dass das Obergericht gemäss Art. 80 KV gleichzeitig
einziges Verwaltungsgericht sei. Daher sei es möglich, dass X als
Verwaltungsrichterin im Rechtsmittelverfahren über Beschlüsse des Grossen
Stadtrates urteilen müsse. Die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde
richtet sich indessen gegen ein Urteil des Obergerichts in einem
strafrechtlichen Verfahren. Dabei hat der Beschwerdeführer darzulegen,
inwiefern im konkreten Fall eine Verfassungs- oder Konventionsverletzung
vorliegen soll. Für das vorliegende Verfahren ist dagegen unbeachtlich,
ob das Amt als Oberrichter in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten
unvereinbar sei mit dem Mandat in einem kommunalen Parlament.
Das Bundesgericht hat diese Frage nicht zu prüfen. Inwieweit dieses
Doppelmandat von X im hier zu beurteilenden Strafverfahren gegen Art. 58
BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verstossen sollte, legte der Beschwerdeführer
nicht in einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden
Weise dar. Eine solche Verletzung ist im übrigen auch nicht ersichtlich,
da im vorliegenden Fall eine Vorbefassung unter dem Gesichtswinkel von
Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 EMRK nicht besteht.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Beschwerde vom 15.  Oktober
1991 gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom
16. September 1991, mit dem dieses auf ein Ablehnungsbegehren gegen
Oberrichterin X nicht eingetreten ist, eine Verletzung von Art. 4 und
Art. 58 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie von Art. 30, Art. 31 und Art. 32
der Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986
(StPO).

    a) Das Obergericht des Kantons Schaffhausen führt in seinem
angefochtenen Beschluss unter anderem aus, die Verteidigung habe sich auf
das Verfahren eingelassen, obwohl ihr das Engagement von Oberrichterin X
für die Sache der Frau bekannt gewesen sei. Im Ablehnungsbegehren werde
nichts wesentlich Neues vorgebracht als das, was seinerzeit bekannt war
und mit dem Schreiben einer Patientin bekanntgemacht worden sei. So
habe der Beschwerdeführer selbst mit seinem Schlusswort (im ersten
Teil der Berufungsverhandlung) eine Kopie des Leserbriefs B/F/M und des
Leserbriefs Z sowie eine Liste der Vereinsorganisation des Frauenhauses
eingereicht. Wirklich neu sei einzig der Telefonanruf seiner Rechtsanwältin
beim Nottelefon. Die blosse Verweisung, die sie dort erhalten habe -
nämlich an Frau X, die Bescheid wisse -, besage nichts Konkretes,
weshalb diese Richterin nicht hätte mitwirken können oder sollen.
Der Anspruch auf Ablehnung von Oberrichterin X sei deshalb verwirkt. Das
Obergericht verweist dabei auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung. In
seiner Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde ergänzte das
Obergericht diese Begründung dahingehend, dass auch im Strafverfahren der
Grundsatz von Treu und Glauben gelte. Gegen diesen Grundsatz verstosse,
wer vorerst - trotz Kenntnis der massgeblichen Umstände - bewusst auf
ein Ablehnungsbegehren verzichte und abwarte, wie das Gericht entscheide,
und erst nachträglich noch ein Ablehnungsbegehren stelle, obwohl er den
behaupteten Mangel schon vor dem Entscheid des Gerichts hätte geltend
machen können. Nach Art. 30 Abs. 1 StPO sei ein Ausstandsbegehren
unverzüglich, d.h. so früh wie möglich zu stellen. Ein solches Begehren
könne nicht ungeachtet der konkreten Umstände irgendwann während der
gesamten Hauptverhandlung bis zum endgültigen Urteil gestellt werden. Seien
die massgeblichen Fakten für einen allfälligen Ablehnungsgrund dannzumal
bekannt, so sei die Vorfrage der Besetzung und Zuständigkeit des Gerichts
spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung zu stellen (Art. 306 StPO in
Verbindung mit Art. 264 Abs. 1 StPO). Indem der Beschwerdeführer sein
Ablehnungsbegehren erst nach Kenntnis des Schuldspruchs gestellt habe,
obwohl er dies - mit der massgeblichen Begründung - schon vorher hätte
tun können, habe er gegen Treu und Glauben verstossen.

    Mit einer Alternativbegründung im angefochtenen Beschluss führt
das Obergericht weiter aus, das Gesuch hätte abgewiesen werden
müssen, wenn darauf einzutreten gewesen wäre. Die Zugehörigkeit zu
bestimmten Organisationen, die sich abstrakt mit Zielen befassen,
die in eine bestimmte Richtung weisen, bewirke nicht den Anschein
der Befangenheit. Nach glaubhaften und unbestrittenen Aussagen von
Oberrichterin X habe sie sich in keiner Weise konkret engagiert. Sie
habe sich insbesondere von der Mitwirkung im Vorstand des Frauenhauses
zurückgezogen; sie habe also nichts zu tun mit dem Leserbrief B/F/M.

    b) Der Beschwerdeführer macht demgegenüber hauptsächlich geltend,
ein Ausstandsbegehren könne während der gesamten Hauptverhandlung bis
zum endgültigen Urteil gestellt werden. Die vom Obergericht zitierten
Bundesgerichtsentscheide würden denn auch Fälle betreffen, in denen das
Ausstandsbegehren erst im Rechtsmittelverfahren gestellt worden sei. Nach
Art. 30 StPO sei ein Ausstandsbegehren zu begründen. Am Tag vor dem Beginn
der Berufungsverhandlung habe er durch das ihm vom Obergericht zugestellte
Schreiben gewusst, dass allenfalls eine Befangenheitsproblematik bestehen
könnte. Ein Beweis sei dieses Schreiben indessen noch nicht gewesen. In
diesem Zeitpunkt sei ihm auch das enorme Engagement von Oberrichterin
X in zum Teil feministischen Frauenorganisationen und ihre Beziehungen
zum Nottelefon für vergewaltigte Frauen nicht bekannt gewesen. Dies alles
habe er erst nach dem Zwischenurteil erfahren. Ihm werde nun vorgeworfen,
dass er aufgrund der damals dürftigen Beweislage gezögert habe, bereits
während dem ersten Teil des Hauptverfahrens ein Ausstandsbegehren
gegen Oberrichterin X zu stellen. Eine Verletzung des Grundsatzes von
Treu und Glauben sei vielmehr dem Obergericht vorzuwerfen. Seinerzeit
habe Oberrichterin X ihre Kollegen über den Brief des Frauenhauses
informiert und sich davor distanziert. Ihm sei diese dem Obergericht
bewusste Befangenheitsproblematik indessen vorenthalten worden.
Nach dem Erhalt des besagten Schreibens einer seiner Patientinnen habe
man geradezu ein Ablehnungsbegehren erwartet und daher für den ganzen
ersten Teil des Prozesses einen Pikettrichter bestellt und zudem habe
sich Oberrichterin X vorbereitet, zu einem solchen Gesuch Stellung
zu nehmen. Eine vorausschauende Prozessführung hätte indessen nicht
diese genannten Massnahmen erfordert, sondern einen Verzicht auf den
problematischen Richter. Schliesslich sei auch fraglich, ob das Recht
auf den verfassungsmässigen Richter im Sinne von Art. 58 BV überhaupt
verwirken könne.

Erwägung 5

    5.- a) Die Organisation der Rechtspflege und des gerichtlichen
Verfahrens ist grundsätzlich Sache des kantonalen Prozessrechts (Art. 64
Abs. 3 BV und Art. 64bis BV). Die Bundesverfassung schreibt den Kantonen
nicht eine bestimmte Gerichtsorganisation oder ein bestimmtes Verfahren
vor. Aus dem bundesrechtlichen Anspruch auf einen unabhängigen und
unparteiischen Richter nach Art. 58 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergeben
sich indessen gewisse Minimalgarantien, die das kantonale Verfahren zu
erfüllen hat (vgl. BGE 114 Ia 53 E. 3b mit Hinweisen). Es kann indessen
den Kantonen nicht verwehrt sein, die Einhaltung gewisser Vorschriften bei
der Ausübung des Anspruchs auf einen unvoreingenommenen, unparteiischen
und unbefangenen Richter im Sinne von Art. 58 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
zu verlangen, so etwa, dass entsprechende Anträge frist- und formgerecht
gestellt werden (vgl. JEAN-FRANÇOIS EGLI/OLIVIER KURZ, La garantie du
juge indépendant et impartial dans la jurisprudence récente, in: Recueil
de jurisprudence neuchâteloise (RJN) 1990, S. 9 ff.).

    Auf staatsrechtliche Beschwerde hin prüft das Bundesgericht dann
im Einzelfall die Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts unter dem
Gesichtswinkel der Willkür. Mit freier Kognition prüft es indessen, ob
die als vertretbar erkannte Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts vor
den materiellen Verfassungs- und Konventionsgarantien standhält, etwa
dann, wenn das kantonale Recht die Befangenheitseinrede als verspätet
oder nicht formgerecht und damit als verwirkt bezeichnet oder von einem
stillschweigenden Verzicht ausgegangen wird. Dabei ist hinsichtlich der
Garantie des verfassungsmässigen Richters zu beachten, dass ein Verzicht
auf die Geltendmachung nicht leichthin angenommen werden kann (vgl. Urteil
des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. Pfeifer und Plankl
vom 25. Februar 1992, Série A vol. 227, Ziff. 37 ff., in EuGRZ 1992 S. 99;
Urteil i.S. Oberschlick vom 23. Mai 1991, Série A vol. 204, Ziff. 51,
in EuGRZ 1991 S. 216). Zum andern hat die Rechtsprechung in Art. 58 BV
selbst gewisse Schranken erblickt und erkannt, dass auf den Anspruch
verzichtet werden kann und dass ein verspätetes Vorbringen gegen Treu
und Glauben verstossen und daher die Verwirkung der Geltendmachung mit
sich bringen kann (vgl. BGE 117 Ia 323 f., 116 Ia 142 und 389, 114 Ia
280 E. 3e und 350, 112 Ia 340 E. 1c; Entscheid des Bundesgerichts vom
17. Juni 1992 i.S. W, in EuGRZ 1992 S. 548 f.).

    b) Das schaffhauserische Strafprozessrecht unterscheidet zwischen
Ausschliessungs- und Ablehnungsgründen (Art. 25 und 26 StPO). Soweit ein
Ausschliessungsgrund vorliegt, hat ein Richter von Gesetzes wegen in den
Ausstand zu treten (Art. 25 StPO). Demgegenüber sind Ablehnungsgründe von
einer Partei oder vom Richter selbst (Selbstablehnung) geltend zu machen
(Art. 26, 27 und 30 StPO; ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen
Strafprozessrechts, 2. Auflage, Basel 1984, S. 65). Eine Partei hat ein
begründetes Ausstandsbegehren schriftlich einzureichen oder mündlich
anzubringen, sobald ihr der Ausschliessungs- oder Ablehnungsgrund
bekanntgeworden ist (Art. 30 Abs. 1 StPO). Nach Art. 262 Abs. 1 StPO,
der gemäss Art. 306 StPO auch im Berufungsverfahren gilt, können die
Parteien Vorfragen, etwa betreffend die Besetzung des Gerichts, zu Beginn
der Hauptverhandlung aufwerfen.

    c) Aufgrund dieser kantonalen Bestimmungen wäre der Schluss
des Obergerichts des Kantons Schaffhausen nicht willkürlich, dass das
Ablehnungsbegehren spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung hätte gestellt
werden müssen, sofern dem Beschwerdeführer der behauptete Mangel damals
schon bekannt war. Zu dieser Frage ist festzustellen, das Oberrichterin
X gemäss dem Amtsbericht des Obergerichts an den Grossen Rat des Kantons
Schaffhausen von 1990 zur ordentlichen Besetzung des Obergerichts bei
der Behandlung von Berufungen in Strafsachen gehört. Dass ihre Mitwirkung
auch im vorliegenden Fall vorgesehen war, wurde dem Beschwerdeführer mit
Schreiben des Obergerichtspräsidenten vom 3. September 1990 und nochmals in
der Vorladung vom 27. Juni 1991 mitgeteilt. In der Vorladung wurden die
Parteien zudem unter Hinweis auf Art. 30 Abs. 1 StPO darauf hingewiesen,
dass allfällige Ausstandsbegehren unverzüglich zu stellen sind, sobald
der Ausstandsgrund bekanntgeworden ist. Der Beschwerdeführer macht denn
auch nicht geltend, dass ihm die personelle Zusammensetzung des Gerichts
nicht bekanntgemacht worden sei. Er macht vielmehr geltend, dass er zu
Prozessbeginn wohl wusste, dass allenfalls eine Befangenheitsproblematik
bestehe, er jedoch noch nicht über die notwendigen Beweise verfügte.

    d) Der Beschwerdeführer erachtet Oberrichterin X aus drei Gründen
als befangen. Einen ersten Befangenheitsgrund sieht der Beschwerdeführer
im Leserbrief, der am 23. Januar 1990 in den "Schaffhauser Nachrichten"
erschienen ist und von B, F und M für den Vorstand und das Team des Vereins
Schaffhauser Frauenhaus unterzeichnet wurde. Weitere Befangenheitsgründe
sieht er im "enormen Engagement in Fraueninstitutionen" von Oberrichterin
X und schliesslich in ihren "Beziehungen" zum Nottelefon für vergewaltigte
Frauen.

    Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass das Obergericht seinem
Verteidiger am Nachmittag des 26. August 1991, am Tag vor Beginn der
Berufungsverhandlung, einen Brief einer Patientin per Telefax zustellte,
nachdem es seinen Verteidiger vorgängig telefonisch auf dieses Schreiben
und die darin genannte Befangenheitsproblematik hinwies. Dieses Schreiben
hat unter anderem folgenden Inhalt:

    "... Als Bürgerin mit einem - wie ich bis anhin meinte - intakten

    Rechtsempfinden, habe ich Mühe zu begreifen, dass im bevorstehenden

    Prozess eine Frau als Richterin sitzt (X), die in Kreisen verkehrt(e)
   (Vorstandsmitglied des Frauenhauses SH), die sich vehement gegen Dr. A,
   die Ärzte im allgemeinen und die Männer überhaupt stellen. Ist es ihr
   wirklich möglich, diesen Fall objektiv zu beurteilen? Im ersten Prozess
   spielte der Begriff "Befangenheit" eine sehr grosse Rolle. Wie steht
   es mit der Befangenheit dieser Richterin? Kann sie allenfalls dem zu
   erwartenden Druck der Frauenrechtlerinnen standhalten?..."

    Aufgrund dieses Schreibens war es dem Beschwerdeführer bekannt,
dass Oberrichterin X zumindest formell Vorstandsmitglied des Vereins
Schaffhauser Frauenhaus war. Auch bestreitet der Beschwerdeführer nicht,
im Zeitpunkt des ersten Teils der Berufungsverhandlung den am 23. Januar
1990 in den "Schaffhauser Nachrichten" erschienenen Leserbrief gekannt zu
haben. Er hat denn auch diesen Leserbrief zusammen mit anderen Artikeln
und einer Vorstandsliste des Frauenhauses Schaffhausen am 28. August
1991 nach seinem Schlusswort zu den Akten gegeben. Für ein allfälliges
Ablehnungsbegehren im Zusammenhang mit diesem Leserbrief hatte der
Beschwerdeführer somit bereits im ersten Teil der Berufungsverhandlung
genügend Anhaltspunkte. Im Grunde genommen gibt er dies auch zu, wenn
er in seiner Beschwerdeschrift in diesem Leserbrief einen selbständigen
Befangenheitsgrund sieht.

    e) Der Beschwerdeführer macht indessen geltend, im Zeitpunkt des
ersten Teils des Berufungsverfahrens habe er fast nichts gewusst. So sei
ihm das enorme Engagement von Oberrichterin X in zum Teil feministischen
Frauenorganisationen und ihre Beziehungen zum Nottelefon für vergewaltigte
Frauen zur Hauptsache erst nach dem Zwischenurteil bekanntgeworden.

    Hinsichtlich des Engagements von Oberrichterin X für Frauenfragen
ist es fraglich, ob der Beschwerdeführer, der im Zeitpunkt des
Berufungsverfahrens seit ungefähr 6 1/2 Jahren in Schaffhausen wohnte,
davon keine Kenntnis hatte. Dies ist indessen im vorliegenden Fall
nicht von Bedeutung. Der Beschwerdeführer vermag nämlich nicht darzutun,
inwieweit das Engagement in Organisationen, die sich nie zum vorliegenden
Strafverfahren geäussert haben, den Anschein der Befangenheit von
Oberrichterin X erwecken sollte. Das Einstehen für Frauenanliegen, wie
etwa für die Gleichbehandlung der Geschlechter, vermag jedenfalls den
Anschein der Befangenheit in keiner Weise zu begründen.

    Ähnlich verhält es sich mit den geltend gemachten "Beziehungen"
zum Nottelefon für vergewaltigte Frauen. Der Beschwerdeführer macht
diesbezüglich nicht geltend, dass Oberrichterin X Mitglied dieser
Organisation sei, was übrigens gemäss der Stellungnahme von Oberrichterin
X auch nicht zutreffen würde. Dass sie allenfalls einige Mitglieder
des Nottelefons kennt bzw. diese Oberrichterin X kennen, vermag den
Anschein der Befangenheit nicht zu begründen. Auch ihre frühere Mitarbeit
in der Rechtsberatungsstelle "Rote Fade" der SP, welche offenbar vom
Nottelefon rechtsuchenden Frauen angegeben wird, vermag daran nichts zu
ändern. Die Auffassung des Obergerichts im angefochtenen Beschluss, der
Beschwerdeführer habe nichts wesentlich Neues mehr vorgebracht, als ihm
im Zeitpunkt des ersten Teils des Berufungsverfahrens bereits bekannt war,
ist deshalb nicht zu beanstanden.

    Dem Beschwerdeführer war weiter bekannt, dass es zu einer Zweiteilung
der Berufungsverhandlung kommen werde (vgl. Art. 267 StPO), so dass in
einem ersten Teil über die Schuldfrage und erst anschliessend in einem
zweiten Teil, soweit überhaupt noch notwendig, über den Strafpunkt
entschieden werde. Indem der Beschwerdeführer trotz Kenntnis des von
ihm behaupteten Ablehnungsgrundes im Zusammenhang mit dem Leserbrief im
ersten Teil der Berufungsverhandlung kein Ablehnungsbegehren stellte,
sondern damit zuwartete, bis eine für ihn nachteilige Verurteilung im
Schuldpunkt vorlag, ist es aufgrund der kantonalen Strafprozessbestimmungen
nicht willkürlich, dass das Obergericht dieses Verhalten als Verletzung
des Grundsatzes von Treu und Glauben wertete und deshalb den Anspruch
des Beschwerdeführers auf Ablehnung von Oberrichterin X als verwirkt
betrachtete.

Erwägung 6

    6.- Grundsätzlich bleibt somit zu prüfen, ob sich diese Auslegung der
kantonalen Strafprozessnormen als verfassungs- und konventionskonform
erweist. In diesem Zusammenhang macht der Beschwerdeführer in einer
den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise einzig
geltend, dass das Recht auf einen verfassungsmässigen bzw. auf einen
unvoreingenommenen Richter im Sinne von Art. 58 BV nicht verwirken könne,
da es sich dabei um ein unverzichtbares Recht handle.

    a) Weder die Verfassung noch die Konvention stehen grundsätzlich
einer Verwirkung der Geltendmachung des Anspruchs gemäss Art. 58 BV
bzw. gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK entgegen (vgl. BGE 117 Ia 323 E. 1c,
116 Ia 142 und 389, 114 Ia 280 E. 3e, 350, 112 Ia 340 E. 1c; HERBERT
MIEHSLER/THEO VOGLER, IntKommEMRK, 1986, Art. 6 Rz. 306). Hinsichtlich
des vom Beschwerdeführer geltend gemachten unverzichtbaren Charakters von
Art. 58 BV kann er sich zum Teil auf die Literatur stützen (vgl. JÖRG PAUL
MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2. Auflage,
Bern 1991, S. 319; ALFRED KÖLZ, in Kommentar BV, Art. 58 Rz. 33 f.).

    b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gehören zu den
unverjährbaren und unverzichtbaren Grundrechten bestimmte, dem Einzelnen
um seine Persönlichkeit willen zustehende fundamentale Rechte. Dazu zählen
die persönliche Freiheit, die Niederlassungsfreiheit, die Glaubens- und
Gewissensfreiheit, die Kultusfreiheit, die Ehefreiheit sowie das Verbot des
Schuldverhaftes und der körperlichen Strafen (BGE 104 Ia 175 f. E. 2b mit
Hinweisen; Urteil vom 7. Mai 1982 i.S. G, in ZBl 83/1982, S. 358 f. E. 2a).
Dagegen hat das Bundesgericht in einem nicht publizierten Entscheid
festgehalten, dass der Anspruch auf einen unabhängigen Richter gemäss
Art. 58 BV nicht zu den unverjährbaren und unverzichtbaren Grundrechten
gehöre (Urteil vom 4. März 1988 i.S. B.).

    In der Lehre wird verschiedentlich in Zweifel gezogen, ob es
gerechtfertigt sei, von einem festen Katalog von unverjährbaren und
unverzichtbaren Grundrechten auszugehen (vgl. ZBl 83/1982, S. 359
f. E. 2b). So wird etwa gefordert, das Privileg der Unverjährbarkeit und
Unverzichtbarkeit müsse überall dort gelten, wo Grundrechte in zentraler
Weise und schwer betroffen seien (JÖRG PAUL MÜLLER, in Kommentar BV,
Einleitung zu den Grundrechten, Rz. 19) oder wo der Kerngehalt irgendeines
verfassungsmässigen Rechts verletzt sei (WALTER KÄLIN, Das Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 112).

    Das Bundesgericht hat in Erwägung 2c eines zur Publikation in
BGE 118 Ia bestimmten Urteils vom 8. Mai 1992 i.S. L dieser Kritik
insofern Rechnung getragen, als es die von der bisherigen Rechtsprechung
definierte Kategorie der unverjährbaren und unverzichtbaren Grundrechte
nicht im Sinne eines Numerus clausus als abschliessend und unverrückbar
betrachtet. Danach kommen dafür unter Umständen auch bisher noch nicht
als privilegiert anerkannte Grundrechtsgarantien in Frage. Die dafür
erforderlichen Voraussetzungen sind allerdings angesichts der äusserst
weitreichenden Auswirkungen restriktiv zu handhaben.

    c) Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer keine
Ausschliessungsgründe geltend gemacht, die von Gesetzes wegen hätten
beachtet werden müssen, sondern er behauptet einzig das Vorliegen
von Ablehnungsgründen (vgl. vorangehende E. 5b). Ein allfälliger
Nichtigkeitsgrund ist deshalb zu verneinen. Der Umstand, dass der
Beschwerdeführer trotz Kenntnis des von ihm behaupteten Ablehnungsgrundes
sich auf das Verfahren eingelassen hat, lässt zudem auch nicht auf einen
schwerwiegenden Grundrechtseingriff schliessen. Der vom Beschwerdeführer
angerufene Anspruch auf einen unvoreingenommenen, unparteiischen und
unbefangenen Richter im Sinne von Art. 58 BV wird deshalb durch die
behauptete Verletzung nicht derart fundamental und schwer betroffen, dass
dieses Verfahrensrecht allenfalls als unverzichtbares und unverjährbares
Grundrecht anzuerkennen wäre.