Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IA 277



118 Ia 277

38. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4.
Dezember 1992 i.S. X. gegen Steuerverwaltung des Kantons Aargau und
Steuerkommission Rheinfelden (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 46 Abs. 2 BV; Kinderalimente.

    Kinderalimente sind im interkantonalen Verhältnis beim Empfänger
zu besteuern und beim Verpflichteten zum Abzug zuzulassen (Änderung der
Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- X. ist in Rheinfelden, Kanton Aargau, unbeschränkt und im
Kanton Bern infolge Grundeigentums beschränkt steuerpflichtig. Er ist
verpflichtet, an seine geschiedene Ehefrau, die sich in Bern niedergelassen
hat, und an die ihr zugeteilten Kinder monatliche Unterhaltsbeiträge
zu bezahlen.

    Nach § 24 lit. c Ziff. 2 des Steuergesetzes des Kantons Aargau vom 13.
Dezember 1983 können die dem geschiedenen Ehegatten bezahlten Alimente vom
Roheinkommen abgezogen werden; die Unterhaltsbeiträge für die Kinder sind
demgegenüber nicht abzugsberechtigt, werden aber anderseits auch nicht
beim empfangenden Elternteil besteuert (§ 23 lit. d). Der Kanton Bern
seinerseits hat sein Steuergesetz auf den 1. Januar 1991 geändert. Danach
sind Unterhaltsbeiträge, die der geschiedene Ehegatte für sich und
die unter seiner elterlichen Gewalt stehenden Kinder erhält, von den
Einkünften des Verpflichteten abzuziehen und beim Empfänger zu besteuern
(Art. 29 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 7 lit. a und b,
Art. 38 Abs. 2 Steuergesetz, Fassung vom 7. Februar 1990).

    Diese Regelung hatte für X. zur Folge, dass bei der Veranlagung
der kantonalen Steuern 1991/92 die aargauischen Steuerbehörden nur
die persönlichen Beiträge an die geschiedene Ehefrau, nicht aber die
Kinderalimente zum Abzug zuliessen, obwohl diese Beiträge vom Kanton Bern
bei der geschiedenen Ehefrau besteuert werden.

    Eine Einsprache gegen diese Veranlagung wies die Steuerkommission
Rheinfelden am 17. Dezember 1991 ab. Sie hob hervor, gemäss § 24 lit. c
Ziff. 2 des aargauischen Steuergesetzes könnten vom Einkommen nur die für
den geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten, nicht jedoch die für die
Kinder bezahlten Alimente abgezogen werden. Eine Doppelbesteuerung liege
nicht vor, weil in den beteiligten Kantonen Aargau und Bern verschiedene
Personen zu Steuern herangezogen würden.

    Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde beantragt der
Steuerpflichtige, den Einspracheentscheid der Steuerkommission Rheinfelden
aufzuheben, das steuerbare Einkommen um Fr. ... im Durchschnitt
der Bemessungsjahre zu kürzen und die Steuerbehörden anzuweisen,
die zuviel bezahlten Steuern zurückzuerstatten. Mit Hinweis auf das
Doppelbesteuerungsverbot (Art. 46 Abs. 2 BV) macht er geltend: Zwischen
dem Vater, der die Unterhaltsbeiträge bezahle, und den Kindern, welche
die Leistungen erhielten, bestehe eine derart enge Verbindung, dass von
einer Identität der Steuersubjekte gesprochen werden müsse. Das Urteil des
Bundesgerichts vom 19. April 1940 (vgl. LOCHER, Doppelbesteuerungsrecht, §
1, II A, Nr. 6), wonach es am Erfordernis desselben Steuersubjektes fehle,
wenn der Verpflichtete die seinen Kindern geschuldeten Alimente von den
Einkünften nicht abziehen könne, obschon diese beim empfangenden Elternteil
im andern Kanton besteuert würden, könne wegen veränderter tatsächlicher
Verhältnisse heute nicht mehr massgebend sein. Auszugehen sei vom Urteil
vom 19. Oktober 1977 (ASA 47 S. 624), wonach vom Erfordernis der Identität
des Steuersubjekts abgesehen werden könne, wenn Steuerpflichtige mit
Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt rechtlich und wirtschaftlich in
engem Masse verbunden seien, wie das beispielsweise zwischen schenkendem
Vater und beschenktem Sohn zutreffe. Durch die Scheidung der Ehegatten
X. seien die verwandtschaftlichen Bande zwischen dem Vater und den Kindern
nicht gelockert worden.

    Das Steueramt des Kantons Aargau beantragt, die Beschwerde abzuweisen,
soweit darauf einzutreten sei. Die Steuerkommission Rheinfelden
verzichtete auf eine Vernehmlassung. Die Steuerverwaltung des Kantons
Bern, die ebenfalls eingeladen wurde, eine Stellungnahme einzureichen,
enthielt sich eines Antrages, da sich die staatsrechtliche Beschwerde
ausdrücklich nur gegen den Kanton Aargau richte.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach dem Recht der direkten Bundessteuer (Art. 21 Abs. 3 BdBSt)
und einiger Kantone sind familienrechtliche Unterstützungsleistungen
an den geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten und die seiner
elterlichen Gewalt unterstellten Kinder steuerfrei und können dafür
vom Leistenden nicht abgezogen werden. Das aargauische Steuergesetz (§
23 lit. d) folgt diesem Grundsatz hinsichtlich der Unterhaltsbeiträge an
Kinder. Demgegenüber besteuert der Kanton Bern nach seinem Steuergesetz
seit 1. Januar 1991 solche Beiträge beim Empfänger und lässt den Abzug beim
Verpflichteten zu (Art. 29 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 7
lit. a und b, Art. 38 Abs. 2, in der Fassung vom 7. Februar 1990). In
beiden Ordnungen wirkt der Gedanke der Familienbesteuerung nach, indem
Alimente an die getrennt lebenden Kinder als Verwendung des Einkommens
innerhalb der Familie betrachtet, d.h. nicht mehrmals besteuert werden
(BGE 90 I 295/6).

    Die Verschiedenheit der beiden Gesetzgebungen hat allerdings zur Folge,
dass ein Steuerpflichtiger im Kanton Aargau die an seine geschiedene
Ehefrau in Bern bezahlten Beiträge an den Unterhalt der Kinder nicht
vom steuerbaren Einkommen abziehen kann, obschon der Kanton Bern sie
bei der Ehefrau besteuert. Das Bundesgericht hat das Vorliegen einer
Doppelbesteuerung in solchen Fällen bisher jedoch verneint. Massgebend
hierfür ist die Erwägung, dass bei Scheidung oder Trennung der
gemeinsame Haushalt aufgelöst wird, d.h. keine Gemeinschaftlichkeit
der Mittel mehr besteht, sondern die Unterstützung des einen Ehegatten
durch den andern in Form von Geldleistungen erfolgt; die Ehegatten bilden
wirtschaftlich keine Einheit mehr und sind gerade deshalb als eigenständige
Steuersubjekte zu behandeln (BGE 90 I 293 ff.; Urteile vom 17. Juni 1946
und 27. Februar 1947 in ZBl 47/1946 S. 425 und 48/1947 S. 304/5; LOCHER,
Doppelbesteuerungsrecht, § 3, III C, 3, Nr. 6; nicht publiziertes Urteil
vom 27. Juni 1984 in Sachen P.).

    Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch vorwiegend auf das Verhältnis
zwischen den geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten und betrifft
in erster Linie Unterhaltsbeiträge, die ein Ehegatte für sich selbst
erhält. Sie berücksichtigt zuwenig die besondere Beziehung zwischen dem
geschiedenen Ehegatten und den ihm nicht zugeteilten Kindern. Durch
Scheidung oder Trennung wird das Kindesverhältnis nicht berührt. Aus
Art. 156 Abs. 1 und 2 ZGB folgt nur, dass im Scheidungsurteil über die
Kinderzuteilung und die damit unmittelbar zusammenhängenden Fragen zu
befinden ist. Die Scheidung macht zwar die Neuordnung der Elternrechte
und -pflichten notwendig, sie hebt aber das Verhältnis zwischen dem Kind
und dem Elternteil, dem die elterliche Gewalt entzogen ist, nicht auf
(SPÜHLER/FREI-MAURER, Berner Kommentar, Ergänzungsband 1991, N 107 zu
Art. 156 ZGB; vgl. BGE 96 II 73 ff.). Dieser hat nach wie vor Anspruch
auf angemessenen persönlichen Verkehr mit dem unmündigen Kind, das nicht
unter seiner elterlichen Gewalt steht, und ist zum Unterhalt des Kindes
verpflichtet, den er durch Geldzahlung leistet (Art. 273, 276 Abs. 2 ZGB).

    Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann vom Erfordernis
der Identität des Steuersubjekts ausnahmsweise abgesehen werden, wenn
Steuerpflichtige mit Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt rechtlich und
wirtschaftlich in besonderem Masse verbunden sind, wie das beispielsweise
zwischen Eigentümer und Nutzniesser oder einer Personengesellschaft und
den Gesellschaftern der Fall ist (BGE 115 Ia 164 E. 3c mit Übersicht
über die Rechtsprechung zum Doppelbesteuerungsverbot bei wirtschaftlich
und rechtlich miteinander verbundenen Steuersubjekten). Eine besondere
rechtliche und wirtschaftliche Beziehung muss aber auch im vorliegenden
Fall zwischen dem Beschwerdeführer und den seiner elterlichen Gewalt
entzogenen Kindern bejaht werden. Es erscheint daher natürlich und
sachlich begründet, in Fällen wie dem Vorliegenden in Abweichung von
der bisherigen Rechtsprechung auf das Merkmal der Identität zwischen
den Steuersubjekten zu verzichten. Verhält es sich aber so, dann liegt
darin, dass der Beschwerdeführer im Kanton Aargau für sein Einkommen
voll, d.h. einschliesslich der von ihm bezahlten Kinderalimente, und die
Mutter im Kanton Bern für diese besteuert wird, eine vor Art. 46 Abs. 2
BV unzulässige Doppelbesteuerung.

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt, welcher Kanton seine Steuerhoheit überschritten
hat; hier angefochten ist einzig die Veranlagung des Kantons Aargau.

    a) Am 1. Januar 1993 tritt das neue Bundesgesetz über die
Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG)
in Kraft. Es sieht vor, dass nach einer Übergangsfrist von acht Jahren
alle Kantone ihre Gesetzgebungen angepasst haben werden (Art. 72). Nach
Art. 7 Abs. 4 lit. g dieses Gesetzes sind Unterhaltsbeiträge, die ein
geschiedener Ehegatte für sich und die unter seiner elterlichen Gewalt
stehenden Kinder erhält, beim Empfänger steuerbar; der leistende Ehegatte
kann sie aber von seinen Einkünften abziehen (Art. 9 Abs. 2 lit. c
StHG). Doppelbesteuerungsrechtlich rechtfertigt sich keine andere Lösung.

    Von der Steuerrechtslehre wurden gegenüber dieser Regelung zwar
Vorbehalte angebracht. Vor allem wurde eingewendet, dass der getrennt
lebende oder geschiedene Ehegatte, der für die bezahlten Kinderalimente den
Abzug geltend machen könne, gegenüber dem in ungetrennter Ehe lebenden
Familienvater bevorteilt werde, weil diesem der gleiche Abzug nicht
zustehe (vgl. ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, Steuerharmonisierung,
Bern 1984, S. 50/51). Das bildet indessen nicht einen genügenden Grund,
hier eine andere Lösung zu wählen; es liesse sich nicht rechtfertigen,
doppelbesteuerungsrechtlich solche Alimentenzahlungen bis zum Inkrafttreten
des neuen Gesetzes und während der Übergangsfrist davon abweichend zu
behandeln. Die im Steuerharmonisierungsgesetz aufgestellte Regel entspricht
auch derjenigen, wie sie im Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer
(Art. 23 lit. f, Art. 33 Abs. 1 lit. c DBG), das am 1. Januar 1995 in
Kraft treten wird, und in den Gesetzgebungen einer Reihe von Kantonen
(z.B. Bern, Freiburg, Waadt, Genf, Wallis, Tessin oder Basel-Stadt)
bereits enthalten ist.

    b) Sind somit Unterhaltsbeiträge für die Kinder beim Empfänger zu
besteuern und beim Verpflichteten zum Abzug zuzulassen, so hat der Kanton
Aargau seine Steuerhoheit überschritten, indem er den Beschwerdeführer
einschliesslich der bezahlten Kinderalimente besteuerte. Die
Beschwerde gegenüber dem Kanton Aargau ist somit gutzuheissen und der
Einspracheentscheid der Steuerkommission Rheinfelden aufzuheben. Diese
wird unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze - Abzug der
Kinderalimente beim leistenden Ehegatten - einen neuen Entscheid fällen
müssen. Sie wird dabei berücksichtigen können, dass der Beschwerdeführer
noch für Grundeigentum im Kanton Bern steuerpflichtig ist und Alimente
im interkantonalen Verhältnis gleich wie Sozialabzüge, d.h. nach Massgabe
des in den verschiedenen Kantonen erzielten Einkommens, zu verlegen sind
(LOCHER, aaO, § 9, III, Nr. 6).

    c) Über den Antrag, die Steuer auf einen bestimmten Betrag
festzusetzen, ist hier hingegen nicht zu entscheiden. Es wird Sache der
aargauischen Steuerbehörden sein, nach den dargestellten Grundsätzen die
Steuerfaktoren neu zu berechnen und allenfalls zuviel bezahlte Steuern
zurückzuzahlen.