Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IA 259



118 Ia 259

36. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
18. März 1992 i.S. Sch. gegen Evangelisch-reformierte Landeskirche des
Kantons Zürich sowie Kanton Zürich und Mitbeteiligte (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 85 lit. a OG: Regierungsratswahl im Kanton Zürich; Wahlpropaganda
im "Kirchenboten".

    1. Zulässigkeit von behördlichen und privaten Informationen vor Wahlen
im allgemeinen (E. 3).

    2. Stellung der Evangelisch-reformierten Landeskirche im Kanton
Zürich (E. 4a). Hinweise zur Zulässigkeit politischer Stellungnahmen
der Landeskirche vor Wahlen und Abstimmungen (E. 4b). Bedeutung des
"Kirchenboten für den Kanton Zürich" im vorliegenden Fall (E. 4c).

    3. Die der Landeskirche zuzurechnende Wahlpropaganda zugunsten eines
einzigen Kandidaten erweist sich unter dem Gesichtswinkel von Kirchenrecht
und politischen Rechten als fragwürdig (E. 4d), hat den Wahlausgang
indessen gesamthaft gesehen nicht entscheidend beeinflusst (E. 4e).

Sachverhalt

    A.- Am 6./7. April 1991 fand im Kanton Zürich die Erneuerungswahl für
die Mitglieder des Regierungsrates für die Amtsdauer 1991-1995 statt und
ergab (gemäss Feststellung des Kantonsrates) folgendes Wahlresultat:

    Absolutes Mehr                        104 837

    Gewählt sind:

    Honegger Eric                    mit 178 133 Stimmen

    Lang Hedi                        mit 163 306    "

    Hofmann Hans                     mit 163 296    "

    Wiederkehr Peter                 mit 152 325    "

    Leuenberger Moritz               mit 149 267    "

    Homberger Ernst                  mit 145 618    "

    Gilgen Alfred                    mit 137 797    "

    Ferner erhielten Stimmen:

    Maurer Ueli                          136 259 Stimmen

    Diener Verena                        110 711    "

    Wiederkehr Roland                    100 116    "

    Molinari Lorenzo                       4 035    "

    Vereinzelte Stimmen                   26 846    "

    In der Folge erhob Sch. in verschiedenen Eingaben staatsrechtliche
Beschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG und verlangte die Aufhebung der
Regierungsratswahl. Er rügt hierfür u.a. eine Verletzung des Stimmrechts
und macht insbesondere geltend, eine einseitige Wahlempfehlung im
"Kirchenboten" vom 28. März 1991 und weitere Vorkommnisse stellten
Unregelmässigkeiten dar, welche das Wahlergebnis verfälscht hätten.

    Das Bundesgericht weist die Stimmrechtsbeschwerde ab, soweit es
darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer bezieht sich in seiner Beschwerde in erster
Linie auf eine Ausgabe Nr. 7 des "Kirchenboten" vom 28. März 1991,
mit der in unzulässiger Weise auf den Wählerwillen eingewirkt worden
sein soll. In einem Kommentar zu den Kantons- und Regierungsratswahlen
stellte der Chefredaktor des "Kirchenboten" Überlegungen an zum Thema:
"Sind Realpolitiker illusionär und Visionäre realistisch?". Er kommt dabei
zum Schluss, dass eine sogenannte Realpolitik, die nicht visionär ist und
nicht langfristig und global denkt, oft illusionär sei. Umgekehrt seien
visionäre Politiker, die sich an Leitwerten und langfristigen Zielen
orientieren, wohl die besten Realpolitiker. Wir brauchten Politiker
mit einer Vision der Zukunft. - In derselben Ausgabe des "Kirchenboten"
erschien weiter ein Auszug aus einer Ansprache, die Nationalrat und
Regierungsratskandidat Moritz Leuenberger an einer Maturitätsfeier gehalten
hatte, zusätzlich mit einem Bild und einer redaktionellen Anmerkung, wonach
sich dieser für Benachteiligte einsetze, etwa als Anwalt für die Rückgabe
der Marcos-Millionen an das philippinische Volk oder für die Anliegen
der Mieter. - Der Beschwerdeführer macht diesbezüglich geltend, der
Artikel im "Kirchenboten" stelle eine einseitige Wahlaufforderung dar. Die
andern Kandidaten hätten nicht mehr rechtzeitig reagieren können, da der
"Kirchenbote" am Gründonnerstag, dem 28. März 1991, und damit lediglich
vier Arbeitstage vor der Wahl zugestellt worden sei. Der "Kirchenbote"
sei mit einer Auflage von 320 000 Exemplaren unzweifelhaft von einer
grossen Zahl von Stimmbürgern gelesen und beachtet worden und habe damit
sicher Auswirkungen auf das Wahlergebnis gezeitigt; das zeige sich auch
daran, dass in den Fahrzeugen der Verkehrsbetriebe der Städte Zürich
und Winterthur mittels Werbung auf den "Kirchenboten" hingewiesen worden
sei. Da der "Kirchenbote" das Presseorgan der reformierten Landeskirche
und zugleich Publikationsorgan der Kirchgemeinden des Kantons Zürich
sei und überdies durch Steuergelder finanziert werde, handle es sich
bei der beanstandeten Veröffentlichung um eine unzulässige staatliche
Einflussnahme auf die Wahlen...

Erwägung 3

    3.- Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete Stimm- und
Wahlrecht räumt dem Bürger allgemein den Anspruch darauf ein, dass kein
Abstimmungs- oder Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen
der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll
garantiert werden, dass jeder Stimmbürger seinen Entscheid gestützt auf
einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen
kann (BGE 117 Ia 46, 455 E. a, mit Hinweisen).

    Das Ergebnis eines Urnenganges kann unter anderem durch eine
unzulässige Beeinflussung der Willensbildung der Stimmbürger verfälscht
werden. Dies trifft insbesondere bei gewissen Informationen im Vorfeld von
Urnengängen zu. Die Praxis hat die Zulässigkeit von solchen Informationen
in verschiedener Hinsicht differenziert.

    In bezug auf Sachabstimmungen hat das Bundesgericht erkannt, dass
behördliche Informationen in Form von Abstimmungserläuterungen zulässig
sind und dass die Behörden im Sinne einer Ausnahme zum Eingreifen in
den Abstimmungskampf befugt sind, soweit besondere triftige Gründe
für eine solche Intervention gegeben sind. Jede darüber hinausgehende
Beeinflussung ist hingegen unzulässig; es stellt insbesondere eine
unerlaubte Beeinflussung dar, wenn die Behörde ihre Pflicht zu
objektiver Information verletzt und über den Zweck und die Tragweite
der Vorlage falsch orientiert oder wenn sie in unzulässiger Weise in
den Abstimmungskampf eingreift und positive, zur Sicherung der Freiheit
der Stimmbürger aufgestellte Vorschriften missachtet oder sich sonstwie
verwerflicher Mittel bedient (BGE 117 Ia 455 E. b, mit Hinweisen). -
Auch private Informationen im Vorfeld von Sachabstimmungen können
nach der Rechtsprechung die Willensbildung der Stimmbürger verfälschen
und werden dann als unzulässig bezeichnet, wenn mit ihnen in einem so
späten Zeitpunkt mit offensichtlich unwahren und irreführenden Angaben
in den Abstimmungskampf eingegriffen wird, dass es dem Bürger nach den
Umständen nicht mehr möglich ist, sich aus andern Quellen ein zuverlässiges
Bild von den tatsächlichen Verhältnissen zu machen (BGE 117 Ia 456 f.,
mit Hinweisen).

    In bezug auf Wahlen hat das Bundesgericht ein behördliches Eingreifen
in den Wahlkampf grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. zum ganzen BGE
117 Ia 457, mit Hinweisen). Bei den Wahlen kommt den Behörden keine
Beratungsfunktion zu wie bei Sachentscheiden. Hier haben sie nicht von
Rechts wegen mitzuwirken und ihre Auffassung der öffentlichen Interessen
zu wahren. Es ist zu verhindern, dass sich der Staat im Wahlkampf auch nur
indirekt in den Dienst parteiischer Interessen stellt. Eine Intervention
kommt daher höchstens dann in Frage, wenn sie im Interesse der freien
und unverfälschten Willensbildung und Willensbetätigung der Wähler als
unerlässlich erscheint. So kann z.B. eine Richtigstellung offensichtlich
falscher Informationen, die im Verlaufe eines Wahlkampfes verbreitet
werden, als zulässig erscheinen; indessen dürfte die Behörde bei einer
solchen Gelegenheit nicht selber Wahlpropaganda betreiben oder einen
Kandidaten verunglimpfen (BGE 113 Ia 296 f., 114 Ia 433). Eine allfällige
mittelbare Hilfeleistung des Gemeinwesens vor einem Wahlgang fällt nur
in Betracht, wenn sie sich als neutral erweist; dies war zu beurteilen
in einem Fall, in dem das Gemeinwesen mittels öffentlicher Gelder gewisse
Insertionskosten übernommen hatte (BGE 113 Ia 294).

    Stellt das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel der politischen
Rechte solche Mängel fest, so hebt es die Wahl nach den gleichen
Grundsätzen auf wie im Falle von mangelhaften Abstimmungen infolge
unzulässiger Informationen. Die Wahl wird demnach nur aufgehoben,
wenn die gerügten Unregelmässigkeiten erheblich sind und das Ergebnis
beeinflusst haben könnten. Die Auswirkung braucht vom Beschwerdeführer
nicht nachgewiesen zu werden; vielmehr genügt es, wenn eine
derartige Beeinflussung im Bereiche des Möglichen liegt. Mangels einer
ziffernmässigen Feststellung der Auswirkung eines Verfahrensmangels ist
dessen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nach den gesamten Umständen
und grundsätzlich mit freier Kognition zu beurteilen. Dabei wird namentlich
auf die Schwere des festgestellten Mangels und dessen Bedeutung im Rahmen
der gesamten Abstimmung sowie auf die Grösse des Stimmenunterschiedes
abgestellt. Erscheint die Möglichkeit, dass die Wahl ohne den Mangel
anders ausgefallen wäre, nach den gesamten Umständen als derart gering,
dass sie nicht mehr ernsthaft in Betracht fällt, so kann von der Aufhebung
des Urnenganges abgesehen werden (BGE 117 Ia 456 und 457, 113 Ia 59,
112 Ia 338, mit Hinweisen).

    Schliesslich hat das Bundesgericht schon Angelegenheiten beurteilt,
in denen die Rechtmässigkeit von Einwirkungen auf Wahlen von privater Seite
in Frage standen (vgl. zum Ganzen BGE 117 Ia 457 f. sowie 117 Ia 46 f., mit
Hinweisen). Es hat dazu allgemein festgehalten, dass gewisse unsachliche,
übertreibende oder gar unwahre Behauptungen im Wahlkampf kaum vermieden
werden könnten und diese trotz ihrer Verwerflichkeit die nachträgliche
Kassation einer Wahl in der Regel nicht rechtfertigten. Private
Äusserungen stehen grundsätzlich unter der Meinungsäusserungs- und der
Pressefreiheit. Insbesondere bei Medien mit nationaler, regionaler
oder lokaler Monopolstellung ist erwünscht, dass sie den jeweiligen
politischen Gegnern ebenfalls Gelegenheit zur Äusserung einräumen.
Immerhin darf den Stimmbürgern zugetraut werden, zwischen verschiedenen
bekundeten Meinungen zu unterscheiden, offensichtliche Übertreibungen
als solche zu erkennen und sich aufgrund ihrer eigenen Überzeugung zu
entscheiden. Aus praktischen Gründen ist auch hier für die Aufhebung
einer Wahl grösste Zurückhaltung geboten. Eine Wiederholung kann daher -
gleich wie bei Abstimmungen - nur bei ganz schwerwiegenden Verstössen
verlangt werden und unter der Voraussetzung, dass die Auswirkung des
Mangels auf den Ausgang der Wahl ausser Zweifel steht oder zumindest als
sehr wahrscheinlich erscheint (BGE 102 Ia 269, 98 Ia 79, vgl. auch BGE
113 Ia 302). Eine derartige schwerwiegende Beeinflussung einer Wahl auf
Gemeindeebene hat das Bundesgericht darin erblickt, dass ein Kandidat in
letzter Stunde des Stimmenkaufs beschuldigt worden war, und dementsprechend
hat es die Wahl aufgehoben (Urteil vom 3. Februar 1939 i.S. Thomann,
in einer Zusammenfassung wiedergegeben in: ZBl 40/1939 S. 249).

Erwägung 4

    4.- Im folgenden ist zu prüfen, welches im Kanton Zürich die Stellung
der Evangelisch-reformierten Landeskirche ist und ob und in welchem
Ausmasse sie - entsprechend den Rügen des Beschwerdeführers - in den
Wahlkampf um die Regierungsratswahl eingreifen durfte.

    a) Nach der Verfassung des Kantons Zürich ist die
Evangelisch-reformierte Landeskirche eine staatlich anerkannte Person des
öffentlichen Rechts (Art. 64 Abs. 2 KV; § 2 Abs. 2 Kirchengesetz). Sie
ordnet ihre innerkirchlichen Angelegenheiten selbständig, untersteht
im übrigen aber der Oberaufsicht des Staates. Ihre Organisation und ihr
Verhältnis zum Staat wird durch das Gesetz über die Evangelisch-reformierte
Landeskirche (KG) geordnet (vgl. Art. 64 Abs. 3 KV). In diesem Gesetz wird
u.a. die Art der durch den Regierungsrat und den Kantonsrat auszuübenden
Oberaufsicht umschrieben (§ 4 im allgemeinen und zahlreiche Hinweise
bei speziellen Bestimmungen). Es wird die (demokratische) Organisation
von Kirchgemeinden, der kirchlichen Bezirke sowie von Kirchensynode und
Kirchenrat festgelegt. Der Staat übernimmt die Besoldung der Pfarrer
und leistet einen Beitrag an die Aufwendungen der kirchlichen Organe
(§ 5 KG); hierfür erheben die Kirchgemeinden eine Kirchensteuer (§
150 des Gesetzes über die direkten Steuern). Für ihre innerkirchlichen
Angelegenheiten geniesst die Landeskirche Autonomie und gibt sich
hierfür eine Kirchenordnung (Kirchenordnung der Evangelisch-reformierten
Landeskirche des Kantons Zürich, Kirchenordnung). Darin ist u.a. ihr
Bekenntnis sowie ihr Verständnis als Volkskirche umschrieben (Art. 4 und
5 Kirchenordnung). In Ausführung von § 8 KG, wonach grundsätzlich jeder
evangelische Einwohner des Kantons als Glied betrachtet wird, setzt
die Kirchenordnung in Art. 7 ff. die Einzelheiten der Mitgliedschaft
fest. Als eigentliche innerkirchliche Angelegenheit wird in Art. 44
ff. der Kirchenordnung der Gottesdienst (Sonntags-, Feiertags-
und Wochengottesdienste, Taufe und Abendmahl, Trauung und Abdankung,
Sonntagsschule und Jugendgottesdienst), der Unterricht und die Konfirmation
und das kirchliche Gemeindeleben geordnet.

    b) In der Rechtslehre wird die Frage, ob und in welchem Ausmasse
Kirchen in einem Wahl- oder Abstimmungskampf Partei nehmen dürfen,
unterschiedlich beurteilt. Es wird etwa die Auffassung vertreten, die
Kirchen hätten ihre Anliegen in den öffentlichen und demokratischen
Meinungsbildungsprozess einzubringen und sie dürften sich bei
Fragen von erheblicher ethischer Relevanz nicht auf eine Neutralität
verpflichten lassen, wenn sie ihr Wesen als Kirche nicht aufgeben
wollten (vgl. PETER SALADIN, Die Beteiligung der Kirchen an politischen
Entscheidungsprozessen, in: Festschrift für Kurt Eichenberger, Basel 1982,
S. 473; FELIX HAFNER, Die Beteiligung der Kirchen an der politischen
Gestaltung des pluralistischen Gemeinwesens, Diss. Basel 1985, S.
184; STEPHAN WIDMER, Wahl- und Abstimmungsfreiheit, Diss. Zürich 1989,
S. 292 f.; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, Kirche - Gewissen
des Staates?, Bern 1991, S. 93 ff., 202 ff., sowie in der Kurzfassung
"Staat, Kirche und Politik", S. 45 und 56 f.). Weiter wird in der
Doktrin ausgeführt, dass nur die Kirche selber, nicht aber der Staat,
über die Grenzen der öffentlichen und damit politischen Tätigkeit
zu befinden habe (HANS KLEIN, Die Beeinflussung politischer Wahlen
durch Verbände, insbesondere die Kirchen, in: DÖV 1967 S. 615 ff.,
620 f.); der Kirche als gesellschaftliche Kraft komme ein Raum für die
Beteiligung zu (DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, aaO, S. 252 f.,
258 f.). Auch Befürworter kirchlichen Engagements anerkennen als Grenze,
wo Kirchenangehörigen allfällige Nachteile angedroht werden (vgl. KLEIN,
aaO, S. 621 f.; Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 14. Februar
1962, in: JZ 1962 S. 767, zitiert bei WIDMER, aaO, S. 291 f.). Zusätzlich
stellt sich die Frage, wer oder welches Organ innerhalb einer Kirche zu
entsprechenden Stellungnahmen berufen wäre (vgl. SALADIN, aaO, S. 475;
HAFNER, aaO, S. 58 f.; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, aaO, S. 215
ff. sowie Kurzfassung S. 45 f.). Auf der andern Seite gibt es Stimmen, die
öffentlichrechtlich anerkannte Religionsgemeinschaften in gleicher Weise
wie Behörden auf eine weitgehende Neutralität verpflichten und sie gleich
wie diese behandeln möchten (CHRISTOPH HILLER, Die Stimmrechtsbeschwerde,
Diss. Zürich 1990, S. 118 Fn. 131).

    Es kommt bisweilen vor, dass Kirchen und ihre Vertreter vor Urnengängen
Stellungnahmen abgeben oder klar Position beziehen, welche in der
Öffentlichkeit zuweilen zu Diskussionen Anlass gaben (vgl. die Hinweise bei
SALADIN, aaO, S. 461 ff. und HAFNER, aaO, S. 183 Fn. 9 mit schweizerischen
Beispielen zu Volksabstimmungen; DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN,
aaO, S. 11-114, Kurzfassung S. 11, 17, 21; vgl. ferner die Hinweise
bei WIDMER, aaO, S. 291 f. mit einem deutschen Beispiel betreffend eine
Wahl). - Die Gerichte in der Schweiz haben sich mit derartigen Fragen -
soweit ersichtlich - noch nie befasst; bekannt ist aus Deutschland das
erwähnte Beispiel des Oberverwaltungsgerichts Münster.

    c) Im vorliegenden Fall steht keine offizielle Äusserung eines
Organes der Evangelisch-reformierten Landeskirche zur Diskussion. Stein
des Anstosses bildet vielmehr ein Artikel, den der Chefredaktor im
"Kirchenboten" erscheinen liess. Der Kirchenrat des Kantons Zürich
verwahrt sich denn auch ausdrücklich gegen die Annahme, er bzw. die
Evangelisch-reformierte Landeskirche sei für die Publikation
verantwortlich.

    Träger des "Kirchenboten" ist der Zürcher Pfarrverein, welcher als
eigene juristische Person nach Art. 60 ZGB organisiert ist. Auf der Zeitung
steht denn auch ausdrücklich aufgedruckt: "Herausgeber: Reformierter
Pfarrverein". Auf die Gestaltung und Ausrichtung des "Kirchenboten" kann
daher ausschliesslich der Zürcher Pfarrverein Einfluss nehmen. Es handelt
sich somit beim "Kirchenboten" grundsätzlich um ein privates Periodikum,
das nicht offizielles Organ der Landeskirche ist.

    Aus der Sicht des Bürgers erscheint die Trennung zwischen der
Landeskirche bzw. den Kirchgemeinden einerseits und dem "Kirchenboten"
andererseits weniger eindeutig. Der Vermerk, dass der Reformierte
Pfarrverein Herausgeber ist, vermag die Annahme nicht ohne weiteres
zu beseitigen, dass es sich um ein mehr oder weniger offizielles Organ
der Landeskirche handeln könnte. Die relativ grosse Verbreitung und der
Vermerk "Kirchenbote für den Kanton Zürich" mögen diese Auffassung noch
verstärken. Der Kirchenbote wird grundsätzlich durch Kollektivabonnemente
allen reformierten Haushaltungen zugestellt; wer die Zustellung nicht
wünscht, kann den "Kirchenboten" abbestellen. Weiter kommt dazu, dass der
"Kirchenbote" tatsächlich als offizielles Organ verwendet wird, indem
zahlreiche Kirchgemeinden - entsprechend der Empfehlung in Art. 103 der
Kirchenordnung - dem "Kirchenboten" ein Einlageblatt mit ihren amtlichen
Verlautbarungen beifügen. Die Finanzierung erfolgt im wesentlichen über die
Kirchgemeinden und durch die freiwillige Bezahlung der Abonnementsgebühr.

    Bei dieser Sachlage kann der "Kirchenbote" aus der Sicht des Bürgers
und unter dem Gesichtswinkel des Stimmrechts nicht als rein private Zeitung
betrachtet werden. Er hat vielmehr in dieser Hinsicht einen offiziösen
Charakter. Und dementsprechend müssen sich die Landeskirche bzw. die
Kirchgemeinden den Inhalt des "Kirchenboten" und insbesondere auch die
streitigen Artikel grundsätzlich selber zurechnen lassen, weshalb deren
Zulässigkeit und Einfluss auf das Wahlresultat im folgenden zu prüfen ist.
Immerhin kann die juristische und journalistische Selbständigkeit des
"Kirchenboten" bei der Abwägung im einzelnen mitberücksichtigt werden.

    d) Die Prüfung der im "Kirchenboten" erschienenen Artikel
im einzelnen ergibt, dass der abgedruckte Maturanden-Vortrag des
Regierungsratskandidaten Leuenberger keinerlei Hinweise auf die Wahlen
enthält. Der Kandidat erschien mit einem Bild. Andere Anwärter auf einen
Regierungsratssitz sind nicht vorgestellt worden. Darüber hinaus ist Moritz
Leuenberger in einer redaktionellen Anmerkung als derjenige dargestellt
worden, der sich für Benachteiligte einsetze, zum Beispiel als Anwalt
für die Rückgabe der Marcos-Millionen an das philippinische Volk und
für die Anliegen der Mieter. Auch die Ausführungen über die visionären
Politiker stehen in engem Zusammenhang mit dem einzig vorgestellten
Kandidaten. All dies kann nicht anders als klare Wahlempfehlung zugunsten
von Moritz Leuenberger verstanden werden. Die Aufmachung und der Zeitpunkt
des Erscheinens kurz vor der Regierungsratswahl lassen die Absicht des
Chefredaktors erkennen, die Leser auf diesen einen Kandidaten hinzuweisen
und ihn zur Wahl zu empfehlen. Nach den obigen Ausführungen muss sich
die Landeskirche diese Wahlpropaganda zugunsten von Moritz Leuenberger
als eigene Stellungnahme zurechnen lassen.

    Es ist bereits oben dargelegt worden, dass die Landeskirche des
Kantons Zürich öffentlichrechtlich anerkannt ist. In ihrem eigenen
Selbstverständnis stellt sie eine Volkskirche dar; sie will ihren Dienst
nach ihrer eigenen Ordnung als Gesamtkirche in der Offenheit gegenüber
dem ganzen Volke leisten (Art. 5 Kirchenordnung). So ist denn auch
die Kirchenzugehörigkeit "volkskirchlich" umschrieben. Als Glied der
Landeskirche wird jeder evangelische Einwohner des Kantons betrachtet, der
die in der Kirchenordnung umschriebenen kirchlichen Erfordernisse erfüllt
und nicht ausdrücklich seinen Austritt oder seine Nichtzugehörigkeit
erklärt hat (§ 8 KG, Art. 7 Kirchenordnung; JOHANNES GEORG FUCHS,
Zum Verhältnis von Kirche und Staat in der Schweiz, Essener Gespräche
zum Thema Staat und Kirche, in: Aus der Praxis eines Kirchenjuristen,
Zürich 1979, S. 125; JOHANNES GEORG FUCHS, Offenheit der Schweizerischen
Volkskirchen, aaO, S. 146 f. und 149 f.; JOHANNES GEORG FUCHS, Kirche und
Staat in demokratischer Verbindung, aaO, S. 302 f.). Angesichts dieser
volkskirchlichen Offenheit und zusätzlich der demokratischen Ausrichtung
(vgl. FUCHS, aaO, S. 123) erscheint eine partei-politische Stellung- und
Parteinahme in einem Wahlkampf, wie sie vom Beschwerdeführer beanstandet
wird, als unhaltbar. Es liegt darin ein Verstoss gegen die innere
Kirchenordnung, wie sie oben dargestellt worden ist. Ein solcher stellt
gleichzeitig die öffentlichrechtliche Stellung der Landeskirche in Frage.

    Mit der öffentlichrechtlichen Anerkennung der Landeskirche wird diese
zu einer "Potenz des öffentlichen Rechts" (vgl. FUCHS, aaO, S. 116 und 302;
DELLSBERGER/FUCHS/GILG/HAFNER/STÄHELIN, aaO, S. 236). Sie ist in der Lage,
erheblichen Einfluss auch hinsichtlich politischer Fragen auszuüben und
damit das Stimmverhalten der Bürger zu beeinflussen bzw. das Ergebnis
eines Urnenganges zu verfälschen. Aus der Sicht des Stimmrechts gebietet
demnach die rechtliche Stellung der Landeskirche mindestens für Wahlen
Zurückhaltung. Wie es sich mit politischen Stellungnahmen der Landeskirche
oder ihrer Exponenten im Vorfeld insbesondere von Sachabstimmungen verhält,
braucht nicht in grundsätzlicher Hinsicht geklärt zu werden.

    Besonders problematisch erscheint das kirchliche Eingreifen in den
Wahlkampf im vorliegenden Fall aus dem besondern Umstand, dass die Wahl
des Regierungsrates in Frage stand. Der Regierungsrat ist nämlich in
vielfacher Weise direkte Aufsichtsbehörde der Landeskirche und gestaltet
die Ordnung der Landeskirche - in Absprache mit den kirchlichen Gremien
- wesentlich mit. So genehmigt er etwa das Verfahren bei Neuwahlen von
Pfarrern (§ 16 KG), setzt die Mitgliederzahl der Bezirkskirchenpflegen fest
(§ 25 KG), erteilt seine Zustimmung zur Besoldung von Vikaren im Falle von
Urlauben und zur Besoldung bei Einstellungen im Amt (§ 41 und 47 KG), kann
Pfarrämter für besondere Dienste schaffen (§ 45 KG), setzt die Besoldung
der Pfarrer mittels Verordnung fest (§ 51 KG) und erlässt eine Verordnung
über die Amtswohnungen der Pfarrer (§ 53 KG). Angesichts dieser Rechtslage
kann es den Staatsbürger in besonderem Masse befremden, dass die Kirche
direkt und gewissermassen aus einer besonders gelagerten Interessenlage
heraus in die Wahl der Aufsichtsbehörde eingreift und Propaganda betreibt.

    Damit erweist sich der im "Kirchenboten" erschienene und klare
Wahlpropaganda betreibende Artikel unter dem Gesichtswinkel der politischen
Rechte entsprechend der Auffassung des Beschwerdeführers tatsächlich
als fragwürdig. Es stellt sich daher die Frage, welche Folgen daran zu
knüpfen sind (vgl. oben E. 3).

    e) Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich in einem Punkte
wesentlich von andern Stimmrechtsbeschwerden, mit denen Wahlen wegen
unzulässiger Beeinflussung angefochten werden. In den meisten Fällen
stehen Benachteiligungen der Bewerber (vgl. BGE 113 Ia 291) oder aber
negative Äusserungen in Frage, mit denen einzelne Kandidaten in einem
oftmals späten Zeitpunkt verunglimpft werden (vgl. BGE 117 Ia 452, 102 Ia
264, mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall sind in keiner Weise gegenüber
einzelnen Kandidaten oder Parteien negative Äusserungen gemacht, sondern
ohne jeglichen Bezug auf eine bestimmte Partei einzig zugunsten von Moritz
Leuenberger Wahlpropaganda betrieben worden. Ein solches Eingreifen hat
bei einer Vielzahl von Bewerbern und beim grossen Bekanntheitsgrad des
Kandidaten Leuenberger zum vornherein eher geringe Auswirkungen auf das
Wahlergebnis.

    Der "Kirchenbote" mit dem streitigen Artikel ist eine gute Woche vor
den Wahlen erschienen; zwischen dem Erscheinen und dem Wahlwochenende lagen
zusätzlich noch der Karfreitag und der Ostermontag. Das Blatt erreichte
die Leser daher in einem Zeitpunkt, in dem eine allfällige Richtigstellung
im "Kirchenboten" selber, der lediglich alle zwei Wochen herausgegeben
wird, nicht mehr möglich war. Der Zeitpunkt war indessen nicht so spät,
dass die betroffenen Kreise nicht mehr hätten reagieren können. Zum einen
hat sich der Kirchenrat mit einer Richtigstellung an die Medien gewandt,
den einseitigen Artikel und die Wahlpropaganda im "Kirchenboten" bedauert
und missbilligt und zusätzlich auf die Verantwortlichkeit der Herausgabe
des "Kirchenboten" hingewiesen. Die Medien haben dem Vorfall sowie
der Berichtigung eine grosse Publizität eingeräumt. Wie der Kantonsrat
unwidersprochen ausführt, haben auch die politischen Parteien rasch und
mit erheblicher Publizität reagiert. Der "Kirchenbote" ist somit nicht
so spät herausgekommen, dass eine Reaktion nicht mehr möglich gewesen
wäre. Angesichts dieser Reaktionen kann der Einfluss der im "Kirchenboten"
erschienenen Wahlempfehlung nicht sehr gross veranschlagt werden. Es wäre
umgekehrt sogar denkbar, dass der Artikel dem Regierungsratskandidaten
Leuenberger nicht nur genützt, sondern sogar geschadet haben könnte.

    Es ist oben ausgeführt worden, dass aus den gesamten Umständen heraus
der streitige Artikel der Landeskirche zugerechnet werden muss. Trotz
dieses Umstandes ist anzunehmen, dass eine Reihe von Wählern zwischen
der Landeskirche und dem Pfarrverein als Herausgeber des "Kirchenboten"
sowie der Redaktion des Blattes zu unterscheiden wussten; dem kommt um
so grössere Bedeutung zu, weil darauf insbesondere in den Reaktionen
und der Mitteilung der Landeskirche hingewiesen worden ist. Demnach kann
auch unter diesem Gesichtswinkel der Einfluss des "Kirchenboten" nicht
als sehr erheblich bezeichnet werden.

    Moritz Leuenberger (SP) erzielte 149 267 Stimmen, der erste
Nichtgewählte, Ueli Maurer (SVP), 136 259, d.h. 13 008 (rund 8,7%) Stimmen
weniger. Angesichts des grossen Bekanntheitsgrades Leuenbergers schon vor
der Wahl und der oben angeführten Umstände kann nicht angenommen werden,
diese Stimmendifferenz sei allein auf die Wahlpropaganda im "Kirchenboten"
zurückzuführen. Wenig einleuchtend ist in dieser Hinsicht die Meinung
des Beschwerdeführers, ohne den streitigen Artikel hätten viele Wähler
statt für Moritz Leuenberger für Ueli Maurer gestimmt und diesem damit
ermöglicht, den letzten der Gewählten, den parteilosen Alfred Gilgen (mit
137 797 Stimmen und einem Stimmenunterschied zu Ueli Maurer von 1538) zu
schlagen. Dieser Zusammenhang zwischen den beiden Kandidaten Leuenberger
und Maurer erscheint recht spekulativ und unter dem Gesichtswinkel der
politischen Rechte als wenig wahrscheinlich.

    Gesamthaft gesehen zeigt sich somit, dass die gerügten
Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit dem "Kirchenboten" den Wahlausgang
nicht entscheidend beeinflusst haben. Die Möglichkeit, dass die Wahl
von Moritz Leuenberger bzw. das Wahlresultat von Ueli Maurer ohne den
streitigen Artikel anders ausgefallen wäre, erscheint in Anbetracht der
gesamten Umstände als derart gering, dass unter diesem Gesichtswinkel
eine Aufhebung des Wahlganges ausser Betracht fällt.