Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 V 401



117 V 401

54. Auszug aus dem Urteil vom 24. September 1991 i.S. G. gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des
Kantons Bern Regeste

    Art. 4 BV, Art. 105 Abs. 1 UVG, Art. 130 Abs. 2 UVV. Die
Bestimmung von Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV, mit welcher ein Anspruch auf
Parteientschädigung im Einspracheverfahren gemäss Art. 105 Abs. 1 UVG
ausgeschlossen wird, verstösst weder gegen das Gesetz noch gegen die
Verfassung (Erw. 1).

    Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG. Wird ein ziffernmässig bestimmtes
Rechtsbegehren im kantonalen Beschwerdeverfahren der Unfallversicherung nur
teilweise gutgeheissen, so verstösst die Reduktion der Parteientschädigung
wegen bloss teilweisen Obsiegens gegen die bundesrechtliche
Bemessungsvorschrift von Art. 108 Abs. 1 lit. g Satz 2 UVG, falls das
Rechtsbegehren den Prozessaufwand nicht beeinflusst hat (Erw. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    In formellrechtlicher Hinsicht beantragt der Beschwerdeführer,
der vorinstanzliche Entscheid sei dahingehend abzuändern, dass
die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihm die vollen
Parteikosten, einschliesslich derjenigen für das Einspracheverfahren,
zu vergüten habe.

Erwägung 1

    II.1.- Zu prüfen ist zunächst, wie es sich hinsichtlich des Anspruchs
auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren verhält. Dabei ist
davon auszugehen, dass Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV einen solchen Anspruch
ausdrücklich ausschliesst. Es kann sich daher lediglich die Frage stellen,
ob diese Bestimmung gegen das Gesetz oder die Verfassung verstösst.

    a) Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV ist nicht gesetzwidrig, indem weder
die Verfahrensbestimmungen des UVG (Art. 105 Abs. 1 UVG) noch die gemäss
Art. 96 UVG für die SUVA geltenden Bestimmungen des VwVG (vgl. BGE 115 V
299 Erw. 2b) einen Anspruch auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren
einräumen. Art. 64 VwVG sieht einen Anspruch auf Parteientschädigung
nur für das Beschwerdeverfahren vor. Die positivrechtliche Regelung der
Parteientschädigung im Beschwerdeverfahren (Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG)
und die Gesetzesmaterialien (Botschaft zum UVG vom 18. August 1976,
BBl 1976 III 178, 225; Kommission des Nationalrates zur Vorberatung
des UVG, Protokoll der Sitzung vom 28./29. August 1978, S. 35) lassen
sogar auf ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers bezüglich des
Anspruchs auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren schliessen. Den
rechtsanwendenden Behörden wäre es daher verwehrt, in irgendeiner Weise
lückenfüllend tätig zu werden. Sie könnten sich dabei auch nicht auf
positivrechtliche Regelungen in andern Sozialversicherungsgesetzen oder
einen allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Grundsatz stützen. Selbst
rechtspolitische Gesichtspunkte de lege ferenda gestatten derzeit keine
andere Betrachtungsweise. So wird nach Art. 58 Abs. 4 des Entwurfs zu einem
Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ein Anspruch auf Parteientschädigung für das (kostenlose und weitgehend
formlose) Einspracheverfahren ausdrücklich ausgeschlossen (Bericht der
Kommission des Ständerates zur parlamentarischen Initiative Allgemeiner
Teil Sozialversicherung, BBl 1991 II 200 und 262, sowie Bericht und
Entwurf zu einem Allgemeinen Teil der Sozialversicherung, Bern, 1984,
S. 51/52 und 76).

    b) Vorinstanz und SUVA ist darin beizupflichten, dass Art. 130 Abs. 2
Satz 2 UVV auch nicht als verfassungswidrig qualifiziert werden kann.

    Nach Lehre und Rechtsprechung lässt sich ein Anspruch auf
Parteientschädigung unmittelbar aus Art. 4 BV nicht ableiten
(GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. II, S. 847; BERNET, Die
Parteientschädigung in der schweizerischen Verwaltungsrechtspflege,
Diss. iur. Zürich 1986, S. 59 ff.; BGE 104 Ia 9; ZBl 86 [1985]
S. 508, 85 [1984] S. 141). In BGE 104 Ia 11 hat das Bundesgericht einen
Vorbehalt lediglich in dem Sinne angebracht, dass im Einzelfall der eine
Parteientschädigung ablehnende Entscheid dann wegen Verletzung von Art. 4
BV aufgehoben werden könnte, wenn die Ablehnung des Entschädigungsbegehrens
in stossender Weise dem Gerechtigkeitsempfinden zuwiderliefe. Gleichzeitig
stellte es jedoch fest, es habe nie aus Art. 4 BV den allgemeinen Satz
abgeleitet, im Rechtsmittelverfahren vor der Verwaltungsbehörde müsse
der obsiegenden Partei, wenn sie durch einen Anwalt vertreten gewesen
sei, eine Parteientschädigung zugesprochen werden. Dementsprechend hat
es auch das Eidg. Versicherungsgericht stets abgelehnt, auf dem Wege
der Rechtsprechung einen von Bundesrechts wegen bestehenden Anspruch
auf Parteientschädigung für das kantonale Beschwerdeverfahren dort
einzuführen, wo ein solcher gesetzlich nicht vorgesehen ist (BGE 114 V
230/231 Erw. 3b mit Hinweisen). Um so weniger lässt sich ein unmittelbar
aus Art. 4 BV fliessender Anspruch auf Parteientschädigung für das
Einspracheverfahren nach Art. 105 Abs. 1 UVG annehmen, welches nicht
zur streitigen Verwaltungsrechtspflege im engeren Sinne gehört (GYGI,
Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 33).

    Dem steht nicht entgegen, dass das Eidg. Versicherungsgericht in BGE
114 V 228 gestützt auf Art. 4 BV unter engen sachlichen und zeitlichen
Voraussetzungen einen Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung
im nichtstreitigen Verwaltungsverfahren der Invalidenversicherung
(Anhörungsverfahren gemäss Art. 73bis IVV) anerkannt und mit Urteil
vom heutigen Tag in Sachen B. (BGE 117 V 408) einen entsprechenden
Anspruch auch für das Einspracheverfahren gemäss Art. 105 Abs. 1
UVG bejaht hat. Beim Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung und
demjenigen auf Parteientschädigung handelt es sich um zwei verschiedene
Rechtsinstitute, deren unterschiedliche Behandlung verfassungsrechtlich
vertretbar ist. Die Rechtsgleichheit gebietet, dass auch der bedürftige
Rechtsuchende seine Interessen wahrnehmen kann, weshalb ihm ein Anspruch
auf unentgeltliche Verbeiständung einzuräumen ist, falls er auf eine
Vertretung angewiesen ist. Demgegenüber wird der bemittelte Rechtsuchende
durch den fehlenden Anspruch auf Parteientschädigung an der Durchsetzung
seiner Rechte nicht gehindert. Die Nichtgewährung einer Parteientschädigung
führt allenfalls zu einer gewissen Beeinträchtigung des Rechtsschutzes,
nicht aber zu einer eigentlichen Rechtsverweigerung (vgl. BERNET, aaO,
S. 62). Das Verfassungsrecht gewährleistet daher nur, dass nötigenfalls
auch der Unbemittelte zur Wahrnehmung seiner Interessen die Dienste eines
Rechtsverständigen in Anspruch nehmen kann. Eine im Lichte von Art. 4
BV zu beanstandende Ungleichbehandlung entsteht dagegen nicht, wenn dem
im Prozess Obsiegenden, der die Voraussetzungen für die unentgeltliche
Verbeiständung nicht erfüllt, ein Anspruch auf Ersatz der Parteikosten
verweigert wird. Fraglich kann lediglich sein, wie es sich hinsichtlich
des Entschädigungsanspruchs desjenigen Rechtsuchenden verhält, welcher
die Voraussetzungen für die unentgeltliche Verbeiständung erfüllt,
im Prozess jedoch obsiegt. Wie diesbezüglich zu entscheiden ist, kann
indessen dahingestellt bleiben, weil der Beschwerdeführer bisher nie
ein Armenrechtsgesuch gestellt hat. Offenbleiben kann des weitern, ob im
Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 104 Ia 11) Ausnahmen
vorzubehalten sind, wo gestützt auf Art. 4 BV im Einzelfall ein Anspruch
auf Parteientschädigung anzuerkennen ist. Denn es spricht nichts dafür,
dass die Verweigerung einer Parteientschädigung für das Einspracheverfahren
im vorliegenden Fall in verfassungsmässig unhaltbarer Weise dem Gebot der
Gerechtigkeit zuwiderliefe. Es muss daher bei der Feststellung bleiben,
dass der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Vergütung der mit Eingabe
an die Vorinstanz vom 2. Oktober 1990 mit Fr. 816.-- bezifferten Kosten
der Rechtsvertretung im Einspracheverfahren hat.

Erwägung 2

    II.2.- Streitig ist des weitern die Höhe der Parteientschädigung im
kantonalen Beschwerdeverfahren.

    a) Nach Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG hat der obsiegende Beschwerdeführer
Anspruch auf den vom Gericht festgesetzten Ersatz der Parteikosten. Diese
werden ohne Rücksicht auf den Streitwert nach dem zu beurteilenden
Sachverhalt und der Schwierigkeit des Prozesses bemessen.

    Im Unterschied zu andern Sozialversicherungszweigen mit bundesrechtlich
garantiertem Anspruch auf Parteientschädigung (vgl. Art. 85 Abs. 2
lit. f AHVG, Art. 69 IVG, Art. 7 Abs. 2 ELG, Art. 24 Satz 2 EOG,
Art. 22 Abs. 3 FLG und Art. 56 Abs. 1 lit. e MVG) enthält das UVG
weitergehende bundesrechtliche Vorschriften betreffend die Bemessung
der Parteientschädigung (vgl. BGE 114 V 88 Erw. 4c in fine, 111 V
49 Erw. 4a). Daraus folgt, dass das Eidg. Versicherungsgericht im
Bereich der Unfallversicherung als Frage des Bundesrechts frei prüft,
ob der vorinstanzliche Entscheid den durch Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG
eingeräumten grundsätzlichen Anspruch auf Parteientschädigung verletzt
und ob der Entscheid hinsichtlich der Bemessung der Parteientschädigung
den bundesrechtlichen Anforderungen gemäss Art. 108 Abs. 1 lit. g
Satz 2 UVG genügt. Darüber hinaus hat das Eidg. Versicherungsgericht
praktisch lediglich zu prüfen, ob die Höhe der Parteientschädigung vor
dem Willkürverbot standhält (vgl. BGE 114 V 86 Erw. 4a).

    b) Die Vorinstanz hat die Parteientschädigung aufgrund des vom
Rechtsvertreter des Beschwerdeführers geltend gemachten zeitlichen
Aufwandes von 13 Stunden in sinngemässer Anwendung des kantonalen
Konventionaltarifes (Art. 4 Abs. 2 des Dekrets über die Anwaltsgebühren
vom 6. November 1973) auf Fr. 2'210.-- festgesetzt und diesen Betrag
um einen Drittel gekürzt, was zusammen mit dem Auslagenersatz von Fr.
197.20 eine Entschädigung von Fr. 1'672.20 ergab. Dabei ging sie davon
aus, dass die SUVA die Rente im Einspracheentscheid vom 7. August 1989
auf 15% festgesetzt hatte, beschwerdeweise eine Rente von mindestens 30%
beantragt wurde und der kantonale Entscheid auf 25% lautete, so dass der
Beschwerdeführer mit seinem Antrag zu zwei Dritteln durchgedrungen ist.

    Der Beschwerdeführer ficht die Kürzung der Parteientschädigung als
sachlich nicht gerechtfertigt an. In BGE 114 V 87 Erw. 4b habe das Eidg.
Versicherungsgericht erkannt, dass im Sozialversicherungsprozess
grundsätzlich nicht auf den Streitwert abzustellen sei, sondern die
Parteientschädigung nach dem gebotenen Zeitaufwand festzusetzen sei,
wobei der Wichtigkeit und Schwierigkeit der Streitsache und dem Umfang der
gebotenen Arbeitsleistung Rechnung zu tragen sei. Damit sei zum Ausdruck
gebracht worden, dass nicht die im Zivilprozess entwickelten Kriterien
massgebend seien. Diesen Grundsätzen widerspreche der vorinstanzliche
Entscheid. Zunächst sei der Beschwerdeführer gar nicht verpflichtet
gewesen, sein Rechtsbegehren zu quantifizieren. Sodann sei das kantonale
Gericht im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes und der Offizialmaxime
gehalten gewesen, die Richtigkeit der Verfügung zu prüfen; auch sei es an
die Parteianträge nicht gebunden. Das Ausmass des Obsiegens könne daher
für die Bemessung der Parteientschädigung nicht massgebend sein, wenn
sich erweise, dass die Beschwerde dem Grundsatze nach gerechtfertigt sei.
Andernfalls würden doch zivilprozessuale Gesichtspunkte wegleitend sein.

    Dem Beschwerdeführer ist insoweit beizupflichten, als er nicht
verpflichtet gewesen wäre, den für die beantragte Rente massgebenden
Invaliditätsgrad zahlenmässig zu spezifizieren, sondern sich damit
hätte begnügen können, eine höhere Rente zu verlangen (BGE 101 V
223 Erw. 4). Diesfalls wäre der Prozesserfolg nicht anteilsmässig
quantifizierbar gewesen und der Beschwerdeführer hätte wegen Obsiegens eine
volle Parteientschädigung erhalten. Zum gleichen Ergebnis hätte geführt,
wenn die Vorinstanz die für den Entscheid über den Rentenanspruch
erforderlichen zusätzlichen Erhebungen nicht selber vorgenommen,
sondern die Sache zu ergänzender Abklärung an die SUVA zurückgewiesen
hätte (ZAK 1987 S. 268 Erw. 5), was in ihrem Ermessen stand (ZAK 1971
S. 36 Erw. 1; RKUV 1986 Nr. K 665 S. 88, 1985 Nr. K 637 S. 195 Erw. 4;
RSKV 1982 Nr. 492 S. 143 Erw. 3a). Dieses Ergebnis wäre einer Korrektur
indessen nur zugänglich, wenn der Entscheid über die Parteientschädigung
frei überprüfbar wäre. Denn unter dem Gesichtswinkel der Willkür lässt
sich eine Kürzung der Parteientschädigung nach Massgabe eines nur
teilweisen Obsiegens nicht beanstanden. Eine in diesem Sinne reduzierte
Parteientschädigung widerspricht auch nicht dem Grundsatz von Art. 108
Abs. 1 lit. g Satz 2 UVG, wonach die Parteikosten ohne Rücksicht auf den
Streitwert festzulegen sind.

    c) Die streitige Festsetzung der Parteientschädigung widerspricht der
bundesrechtlichen Bemessungsvorschrift von Art. 108 Abs. 1 lit. g Satz 2
UVG aber insofern, als mit dem Abstellen auf das bloss teilweise Obsiegen
im konkreten Fall von den Kriterien des "zu beurteilenden Sachverhalts
und der Schwierigkeit des Prozesses" abgewichen wird. Der Sachverhalt
und die Schwierigkeit des Prozesses sind nicht davon abhängig, ob der
Beschwerdeführer sein Rechtsbegehren konkret oder allgemein gefasst
hat. Wird die Entschädigung im Sinne des vorinstanzlichen Entscheids nach
dem anteilsmässigen Prozesserfolg bemessen, so hält sich dies nicht im
Rahmen der nach Gesetz und Rechtsprechung massgebenden bundesrechtlichen
Anforderungen an die Festsetzung der Parteientschädigung. Nach der
Rechtsprechung hat der Beschwerdeführer bei teilweisem Obsiegen Anspruch
auf eine reduzierte Parteientschädigung (BGE 110 V 57 Erw. 3a, ZAK
1980 S. 124 Erw. 5). Eine "Überklagung" rechtfertigt aber auch dort,
wo das Quantitativ einer Leistung streitig ist, eine Reduktion der
Parteientschädigung nur, wenn das ziffernmässig bestimmte Rechtsbegehren
den Prozessaufwand beeinflusst hat (EVGE 1967 S. 215 Erw. 3a). Hiefür
fehlen im vorliegenden Fall aber jegliche Anhaltspunkte.

    Nach dem Gesagten kann der vorinstanzliche Entscheid, soweit
damit eine Kürzung der Parteientschädigung wegen bloss teilweisen
Obsiegens vorgenommen wurde, nicht bestätigt werden. Da die übrigen
Bemessungselemente von keiner Seite bestritten werden und einer
Willkürprüfung standhalten, steht dem Beschwerdeführer im kantonalen
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'407.20 (Fr. 2'210.-- +
Auslagenersatz von Fr. 197.20) zu.