Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 V 318



117 V 318

44. Urteil vom 17. Dezember 1991 i.S. Staatliche Pensionskasse des Kantons
Solothurn gegen Z. und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Regeste

    Art. 73 BVG. Zulässigkeit einer auf die Ausrichtung künftiger
Leistungen gerichteten Klage bejaht (Erw. 1b).

    Art. 4 Abs. 2 BV.

    - Das unterschiedliche Pensionierungsalter für weibliche und männliche
Beamte verletzt Art. 4 Abs. 2 BV (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2).

    - Behebung des verfassungswidrigen Zustandes auf dem Wege konkreter
Normenkontrolle? Sachliche Voraussetzungen für ein richterliches
Eingreifen in den Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers aufgrund der
beschränkten funktionellen Eignung des Richters im vorliegenden Fall
verneint (Erw. 5, 6).

Sachverhalt

    A.- Der 1929 geborene H. Z. war als Beamter seit 1. Januar 1950
bei der Staatlichen Pensionskasse Solothurn (im Eintrittszeitpunkt
"Roth-Stiftung des Kantons Solothurn") vorsorgeversichert. Die Statuten
dieser Pensionskasse sehen vor, dass der Anspruch auf Alterspension bei
Männern nach Vollendung des 65. Lebensjahres und bei Frauen nach Vollendung
des 62. Lebensjahres entsteht (§ 29 Abs. 1 der vom Kantonsrat Solothurn
am 2. Dezember 1968 beschlossenen Statuten der Staatlichen Pensionskasse,
BGS 126.582.1).

    Am 1. Juli 1990 ersuchte H. Z. die Staatliche Pensionskasse unter
Hinweis auf die verfassungsrechtliche Gleichstellung von Mann und Frau
(Art. 4 Abs. 2 BV), ihm bereits mit Vollendung seines 62. Lebensjahres
am 9. Oktober 1991 die ungeschmälerte Alterspension auszurichten. Die
Pensionskasse lehnte dieses Gesuch am 10. September 1990 ab.

    B.- Die von H. Z. hierauf erhobene Klage auf Zusprechung einer
ungekürzten Alterspension ab 9. Oktober 1991 hiess das Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 24. April 1991 gut. Zur
Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, dass das in den Statuten
der Pensionskasse vorgesehene unterschiedliche Pensionierungsalter für
männliche und weibliche Beamte gegen Art. 4 Abs. 2 BV verstosse, was
zufolge versäumter Anpassung seitens des Gesetzgebers vom Richter zu
beheben sei.

    C.- Die Staatliche Pensionskasse Solothurn führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, es sei der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 24. April 1991 aufzuheben
und festzustellen, dass H. Z., vorbehältlich der Ergebnisse der laufenden
Statutenrevision, eine volle Alterspension erst nach Vollendung des 65.
Altersjahres zustehe.

    Während H. Z. auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf einen
Antrag.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Aufgrund der Anträge der Beschwerdeführerin ist streitig, ob sie
den Beschwerdegegner als männliches pensionsversichertes Mitglied von
Bundesverfassung wegen gleich wie ein weibliches Mitglied zu behandeln und
ihm in entsprechender Abweichung von § 29 Abs. 1 der Statuten bereits
mit Vollendung des 62. Lebensjahres eine ungekürzte Alterspension
auszurichten hat.

    a) Es handelt sich somit um eine spezifische Streitigkeit aus dem
Bereich der beruflichen Vorsorge, und zwar zwischen der Vorsorgeeinrichtung
und einem Anspruchsberechtigten (RIEMER, Das Recht der beruflichen
Vorsorge in der Schweiz, 1985, § 6 Rz. 3, S. 127; MEYER, Die Rechtswege
nach dem BVG, in: ZSR 106/1987 I S. 601 ff., insbesondere S. 613 f.). Aus
diesem Grunde und weil es sich bei der beschwerdeführenden Staatlichen
Pensionskasse um eine registrierte Vorsorgeeinrichtung im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 BVG handelt, die einerseits am Obligatorium nach Art. 7
ff. BVG mitwirkt (§§ 1 Abs. 1, 8 Abs. 2 der Statuten) und sich anderseits
im Bereich der weitergehenden Vorsorge betätigt (§§ 2, 8 Abs. 1 der
Statuten), ist in sachlicher Hinsicht die Rechtspflegezuständigkeit
nach Art. 73 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 2 BVG sowohl
der Vorinstanz als auch des Eidg. Versicherungsgerichts gegeben. Ferner
ist die Zuständigkeit der beiden Gerichte vorliegend auch in zeitlicher
Hinsicht zu bejahen, da bezüglich des streitigen Anspruchs eine Tatsache
erheblich ist, deren Verwirklichung in die Zeit nach dem am 1. Januar
1985 erfolgten Inkrafttreten des BVG fällt (vgl. BGE 116 V 202 Erw. I/1
mit Hinweisen).

    b) Das kantonale Gericht ist auf die Klage eingetreten, obwohl diese
mit der beantragten Ausrichtung einer ungekürzten Altersrente ab 9. Oktober
1991 eine künftige Leistung zum Gegenstand hatte. Wie die Behandlung der
sachlichen und zeitlichen Zuständigkeit des Richters nach Art. 73 BVG durch
die Vorinstanz hat das Eidg. Versicherungsgericht die Eintretensfrage auch
in diesem Punkt von Amtes wegen zu überprüfen (BGE 116 V 202 Erw. I/1a,
115 V 130 Erw. 1 mit Hinweisen).

    Nach allgemein anerkannter Auffassung werden im Anwendungsbereich
des Art. 73 BVG auch die auf den streitigen Einzelfall bezogenen
Feststellungsklagen grundsätzlich zugelassen (BGE 115 V 372, 112 Ia 185
Erw. 2b; RIEMER, aaO, § 6 Rz. 4, S. 128; MEYER, aaO, S. 614). Es ist
nicht einzusehen, weshalb für die auf Zusprechung künftiger Ansprüche
gerichteten Leistungsklagen anderes gelten sollte, kann doch die
Klärung einer ungewissen Rechtslage auch auf diese Weise bewirkt
werden (HELBLING/LANG, Personalvorsorge und BVG, 5. Aufl., 1990,
S. 439; vgl. in allgemeiner Hinsicht STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur
Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., 1982, N 9 zu § 59, S. 129
oben). Hier wie dort ist indes als Verfahrensvoraussetzung - analog zum
Zivilprozess - ein schutzwürdiges Interesse an der Klage zu verlangen
(GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., 1979, S. 206 ff.;
STRÄULI/MESSMER, aaO, N 5 ff. zu § 59, S. 125 ff.; zur Feststellungsklage
vgl. ferner BGE 115 V 373 Erw. 3, 114 II 255 Erw. 2a, 110 II 357 Erw. 2,
109 Ib 85 sowie Art. 25 BZP). Wie beim Erlass von Feststellungsverfügungen
(Art. 25 Abs. 2 VwVG) genügt hiefür ein Interesse tatsächlicher Art,
sofern es sich als besonders, unmittelbar und aktuell erweist (BGE 115
V 373 Erw. 3 mit Hinweisen, 114 V 201).

    In diesem Lichte lässt sich die Verfahrensweise der Vorinstanz nicht
bemängeln. Denn das Interesse des Beschwerdegegners an der mit der Klage
verfolgten Klärung seines Anspruchs auf vorsorgerechtliche Altersleistungen
ist im Hinblick auf die in Frage stehenden wirtschaftlichen Interessen
unbestritten sowie aktuell und folglich zu Recht als schützenswert
erachtet worden.

Erwägung 2

    2.- Nach dem in der Volksabstimmung vom 14. Juni 1981 angenommenen
Art. 4 Abs. 2 BV sind Mann und Frau gleichberechtigt (Satz 1). Das Gesetz
sorgt für ihre Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit
(Satz 2). Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige
Arbeit (Satz 3).

    a) Die in dieser Verfassungsbestimmung angelegte Beschränkung der
zulässigen Ungleichbehandlung auf geschlechtsbedingte biologische
oder funktionale Verschiedenheiten (BGE 108 Ia 29 Erw. 5a) hat das
Bundesgericht dazu bewogen, das unterschiedliche Pensionierungsalter für
weibliche und männliche Beamte als gegen Art. 4 Abs. 2 BV verstossend
zu bezeichnen (ZBl 87/1986 S. 482, vgl. ferner BGE 109 Ib 88 f.). Das
Eidg. Versicherungsgericht ist dieser - im Schrifttum selbst gegenüber
vergleichbaren bundesgesetzlichen Regelungen vertretenen - Auffassung
unlängst gefolgt (BGE 116 V 209 mit Hinweisen; vgl. etwa HAEFLIGER,
Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, 1985, S. 101; HENNINGER,
Gleichberechtigung von Mann und Frau im Wandel, Freiburger Diss. 1984,
S. 156 ff.; HORT, L'égalité des droits entre hommes et femmes dans l'AVS,
in: SZS 31/1987 S. 225 ff., S. 228; RIEMER-KAFKA, Die Gleichstellung von
Mann und Frau in der schweizerischen Sozialversicherung, in: SZS 35/1991
S. 233 f.; WILI, Die Entwicklung im schweizerischen Bundesverfassungsrecht,
1989, Sonderheft zur ZSR, 1990, S. 154 ff.). Auch im vorliegenden Fall
ergibt somit die vorfrageweise Überprüfung von § 29 Abs. 1 der Statuten
auf seine Verfassungsmässigkeit hin, dass die dort festgeschriebene
geschlechtsspezifische Ausgestaltung des Altersrentenanspruchs Art. 4
Abs. 2 BV zuwiderläuft. Diesem Mangel lässt sich nicht etwa mittels
verfassungskonformer Auslegung Rechnung tragen; denn der klare Sinn einer
Gesetzesbestimmung darf nicht auf diesem Wege beseitigt werden (BGE 116
V 212 Erw. II/2b mit Hinweisen). Endlich wird die Ungleichbehandlung
auch nicht deshalb ausgemerzt, weil den männlichen Versicherten
ab dem 60. Altersjahr die Möglichkeit der vorzeitigen Pensionierung
offensteht, bringt doch ein solcher Schritt erfahrungsgemäss einschneidende
Rentenkürzungen mit sich (vgl. § 29 Abs. 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 1bis
der Statuten; BRÜHWILER, Die betriebliche Personalvorsorge in der Schweiz,
1989, S. 505, Rz. 66 und FN 136).

    b) Die Auslegung von § 29 Abs. 1 der Statuten durch die Vorinstanz wird
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht nicht gerügt. Ebensowenig
wird die grundsätzliche Verfassungswidrigkeit des nach dieser Bestimmung
je nach Geschlecht unterschiedlichen Rentenalters bestritten. Die
Beschwerdeführerin macht vielmehr einzig geltend, dass die Beseitigung
dieser rechtsungleichen Regelung nicht dem Richter obliege, sondern dem
Gesetzgeber vorbehalten bleibe.

Erwägung 3

    3.- Es bleibt somit zu prüfen, ob und inwieweit sich die in § 29 Abs. 1
der Statuten der Staatlichen Pensionskasse enthaltene Verfassungswidrigkeit
durch den im konkreten Anwendungsfall angerufenen Richter beseitigen lässt.

Erwägung 4

    4.- a) Vorweg ist festzuhalten, dass es sich bei der hier streitigen
vorsorgerechtlichen Altersrente nicht um einen Anspruch auf gleichen Lohn
im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV handelt (BGE 116 V 207 Erw. II/2a/aa
mit Hinweisen), welche Bestimmung sich auf alle bei ihrem Inkrafttreten
gegebenen Tatbestände unmittelbar anwenden liesse (BGE 113 Ia 110 Erw. 1a,
ZBl 87/1986 S. 485).

    b) Mit dem kantonalen Gericht ist sodann, entgegen der von der
Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung, davon auszugehen, dass sich auch
der übrige Gehalt des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebotes
von Mann und Frau keineswegs in einem blossen Gesetzgebungsauftrag
erschöpft. Vielmehr misst die Rechtsprechung in Anlehnung an den
Verfassungsgeber gerade Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BV die Bedeutung einer
echten Grundrechtsgarantie bei, indem sie daraus einen gerichtlich
durchsetzbaren (justiziablen) Anspruch auf Gleichbehandlung abgeleitet
hat, und zwar auch in Rechtsgebieten, die schwergewichtig dem Gesetzgeber
zur verfassungskonformen Ausgestaltung zugewiesen sind (BGE 116 V 214;
ZBl 88/1987 S. 309; Botschaft über die Volksinitiative "Gleiche Rechte für
Mann und Frau" vom 14. November 1979, in: BBl 1980 I 142; J. P. MÜLLER, Die
Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl., 1991 [von J. P.
MÜLLER/ST. MÜLLER, Grundrechte - Besonderer Teil], S. 231; G. MÜLLER,
Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,
1987, Rz. 139 zu Art. 4 BV mit weiteren Hinweisen).

    c) Sofern die Rechtsprechung bei Verletzungen des Grundsatzes der
Gleichbehandlung von Mann und Frau ein richterliches Eingreifen in Betracht
zieht, pflegt sie seit jeher danach zu unterscheiden, ob der angefochtene
Akt vor oder nach Inkrafttreten von Art. 4 Abs. 2 BV ergangen ist (BGE 116
V 213 ff., ZBl 88/1987 S. 306, 87/1986 S. 485; HAEFLIGER, aaO, S. 93 ff.).

    Auch diesbezüglich ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass §
29 Abs. 1 der Statuten zwar noch vor dem 14. Juni 1981 erlassen wurde und
daher im Verhältnis zu Art. 4 Abs. 2 BV als altrechtliche Bestimmung
betrachtet werden könnte, indes der kantonale Gesetzgeber die ihm
einzuräumende Übergangsfrist zur Anpassung an die verfassungsmässige
Ordnung ungenutzt verstreichen liess. Daran vermögen auch die
Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern. Wie
die Beschwerdeführerin selbst einräumt, wurden erste Schritte zur
Verwirklichung der Geschlechtergleichbehandlung im Leistungsbereich
der Staatlichen Pensionskasse im Mai 1986 veranlasst, mithin in einem
Zeitpunkt, als die Verfassungswidrigkeit der noch heute geltenden Ordnung
bereits seit fast fünf Jahren erkennbar gewesen war. Ohne dieses Zuwarten
wäre es den dazu berufenen Organen bis heute selbst bei Wahrung der
Zuständigkeitsordnung möglich gewesen, die erforderlichen Vorkehren
zu treffen. Soweit die Beschwerdeführerin im übrigen einwendet, ihre
Revisionsbestrebungen auf Empfehlung der Finanzdirektorenkonferenz bis zur
Bekanntgabe der im Rahmen der 10. AHV-Revision erarbeiteten Vorschläge
ausgesetzt zu haben, ändert dies an der festgestellten objektiven
Untätigkeit nichts. Hinsichtlich der späteren Verzögerung bringt sie damit
ebenfalls nichts vor, was aus verfassungsrechtlicher Sicht bedeutsam wäre.

    In Anbetracht dieser Säumigkeit des Gesetzgebers ergibt sich somit,
dass die Vorinstanz die zeitlichen Voraussetzungen für ein richterliches
Eingreifen nach Massgabe der bisherigen Rechtsprechung (BGE 116 V 215)
zu Recht bejaht hat.

Erwägung 5

    5.- Diese Feststellung leitet zur zentralen Frage über, ob sich ein
fallbezogener Eingriff des Richters in die herkömmliche Zuständigkeit des
Gesetzgebers zwecks Herstellung der verfassungsmässigen Ordnung unter den
hier gegebenen Umständen auch in sachlicher Hinsicht rechtfertigen liesse.

    a) Die der Verwaltungsgerichtspflege auf Bundesebene von Gesetzes
wegen zugewiesene Verfassungsgerichtsbarkeit, ausgestaltet als konkrete
(inzidente) Normenkontrolle (Art. 97 ff., Art. 104 lit. a OG), führt -
im Gegensatz zur abstrakten Überprüfung gemäss Art. 84 OG - im Falle
festgestellter Verfassungswidrigkeit nach ständiger Rechtsprechung
nicht zur Aufhebung der betroffenen Norm, sondern in der Regel nur
zu deren Nichtanwendung im streitigen Einzelfall (BGE 116 V 216 mit
Hinweisen, vgl. ferner BGE 116 Ia 118 Erw. 3e). Dabei ist zwar die aus der
vorfrageweisen Prüfungsbefugnis sich ergebende Normenkontrolle keineswegs
von vornherein auf Fälle beschränkt, in denen der verfassungsmässige
Zustand durch blosse Nichtanwendung der beanstandeten Bestimmung
wiederhergestellt werden kann. Vielmehr hat die verwaltungsgerichtliche
Normenkontrolle im Dienste eines wirksamen Rechtsschutzes grundsätzlich
auch dort zu greifen, wo es der richterlichen Lückenfüllung bedarf
(vgl. die Entscheide kantonaler Gerichte in: ZBl 89/1988 S. 508, 87/1986
S. 406 ff.). Dennoch bleiben die Möglichkeiten des Richters wesensgemäss
begrenzt. Seinem gestaltenden Eingreifen in den Zuständigkeitsbereich
des Gesetzgebers erwachsen namentlich aus dem Verfassungsgrundsatz der
Gewaltentrennung Einschränkungen in verschiedener Hinsicht.

    Die Vorinstanz hat sich mit diesen Schranken in der Begründung ihres
Entscheides, trotz entsprechender Einwendungen der Beschwerdeführerin im
kantonalen Klageverfahren, nicht befasst. Vielmehr ist sie ohne weiteres
davon ausgegangen, dass sich aus dem Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts
in Sachen K. vom 23. August 1991 (BGE 116 V 198) die Befugnis zu
richterlichem Eingreifen auch im vorliegenden Fall ergebe. Fraglich und
zu prüfen ist, ob sich dieser Schluss halten lässt.

    b) Die Rechtsprechung hat gegenüber Eingriffen in die gesetzgeberische
Zuständigkeit seit je Zurückhaltung geübt. Zu deren Begründung haben die
Gerichte nicht nur auf den Verfassungsgrundsatz der Gewaltentrennung,
sondern auch darauf verwiesen, dass sich der Richter wegen der Komplexität
der zu regelnden Materie und der Vielzahl der Normierungsmöglichkeiten
ausserstande sehe, sich an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen
(BGE 110 Ia 14; ASA 55 [1986/87] Nr. 44 S. 663; vgl. ferner ASA 58
[1989/90] S. 74 ff., 57 [1988/89] S. 171 ff.). Gerade im Zusammenhang
mit der Gleichbehandlung im Bereich der beruflichen Vorsorge hat das
Bundesgericht trotz festgestellter Verfassungswidrigkeit der auf die
weiblichen Versicherten beschränkten Möglichkeit vorzeitiger Pensionierung
nach 35 Beitragsjahren von einer Sanktionierung abgesehen. Dabei hat es im
wesentlichen angeführt, angesichts der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten
sei es nicht Sache des Richters, über die Art und Weise der Beseitigung
der Ungleichheit zu befinden, weshalb dem Kläger die in den Statuten nicht
vorgesehenen Leistungen nicht zugesprochen werden könnten (BGE 109 Ib 88
Erw. 4e). Unter Bezugnahme auf diesen Fall hat das Bundesgericht in der
Folge entschieden, die Aufhebung einer Art. 4 Abs. 2 BV zuwiderlaufenden
Verfügung komme nicht in Frage, wenn damit ein eigentlich rechtsfreier Raum
geschaffen würde, der eine komplexe Regelungsmaterie insgesamt aus den
Angeln zu heben geeignet wäre, was vorwiegend im Bereich des staatlichen
Leistungsrechts (Sozialversicherungen usw.) der Fall sein könne (ZBl
88/1987 S. 309).

    c) Das Eidg. Versicherungsgericht seinerseits hat einen
vorsorgerechtlichen Leistungsstreit im erwähnten Urteil K. dahin
entschieden, dem beschwerdeführenden Versicherten, unter Nichtanwendung
der verfassungswidrigen Anspruchsvoraussetzungen, eine Witwerrente
zuzusprechen (BGE 116 V 215 Erw. II/3b). Dabei hat es als wesentlich
erachtet, dass mit dieser folgerichtigen Durchsetzung des Gebotes der
Gleichbehandlung von Mann und Frau keine grundlegende Umgestaltung der
pflichtigen Versicherungskasse einherging, und zwar schon deshalb nicht,
weil die Witwerrente gemäss den Statuten - wenn auch in verfassungswidriger
Ausgestaltung - bereits vorgesehen war. Es handelte sich also nicht um die
Einführung einer von der Vorsorgeeinrichtung bislang nicht versicherten
neuen Leistungsart, was erhebliche finanzielle Folgen haben kann, und
aus diesem Grund, wie auch im Hinblick auf die Vielzahl der denkbaren
Regelungsmöglichkeiten, eher in die Zuständigkeit des Gesetzgebers fällt
(BGE 116 V 215 Erw. II/3b).

Erwägung 6

    6.- a) Die Ausgestaltung des vorsorgerechtlichen Altersrentenanspruchs
unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebotes von weiblichen
und männlichen Versicherten, wie sie im vorliegenden Fall in Frage
steht, lässt sich auf verschiedene Weise verwirklichen (RIEMER-KAFKA,
aaO, S. 234; WEBER-DÜRLER, Auf dem Weg zur Gleichberechtigung, in:
ZSR 104/1985 I S. 1 ff., insbesondere S. 22 f.). Dieser Umstand
allein steht einem richterlichen Eingreifen nicht im Wege, wie das
Eidg. Versicherungsgericht in BGE 116 V 198 gezeigt hat. Doch kann
die Vielzahl denkbarer Regelungsmöglichkeiten, zusammen mit weiteren
ebenfalls zu berücksichtigenden Gesichtspunkten, zu einem anderen Ergebnis
führen. So lässt sich dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter
nicht entnehmen, wo das einheitliche Rentenalter anzusetzen wäre.
Überdies handelt es sich hiebei, anders als bei der geschlechtsneutralen
Ausgestaltung der Hinterlassenenrente, um eine erstrangig politische
Frage, wie die Diskussion um die 10. AHV-Revision eindrücklich belegt. Auf
kantonaler Ebene verhält es sich nicht grundlegend anders. Dies alles
scheint nach bisheriger Rechtsprechung gegen ein richterliches Eingreifen
in die bestehende ungenügende Ordnung zu sprechen (BGE 116 V 212 Erw. II/3a
mit Hinweisen; G. MÜLLER, aaO, Rz. 138 zu Art. 4 BV; vgl. ferner
J. P. MÜLLER, Soziale Grundrechte in der Verfassung, 2. Aufl., 1981,
S. 193). Zwar liesse sich fragen, ob diese Zurückhaltung angesichts der
Schwere des durch die Verfassungswidrigkeit entstehenden Rechtsnachteils
einerseits und der überlangen gesetzgeberischen Untätigkeit anderseits
noch geboten sei (KÄLIN, Verfassungsgerichtsbarkeit in der Demokratie,
1987, S. 168 ff.; grundlegend BIAGGINI, Verfassung und Richterrecht,
Basler Diss. 1991, S. 452 ff., 464, 468 ff.). Solche Zweifel wären
umso begründeter, als sich der Gesetzgeber durch einen fallbezogenen,
einleuchtend begründbaren Eingriff des Richters keineswegs am Erlass einer
neuen Ordnung gehindert sähe, die den Schranken der Bundesgesetzgebung
und den Grundrechten ebenso Rechnung tragen würde wie den allgemeinen
verfassungsrechtlichen Prinzipien (BGE 116 V 216; vgl. auch BGE 99 Ia
637), hingegen den Rechtsuchenden im streitigen Einzelfall kaum mehr zu
erfassen vermöchte (ZBl 87/1986 S. 406).

    Darüber braucht hier nicht abschliessend entschieden zu werden. Selbst
wenn nämlich ein richterliches Eingreifen nicht bereits aus Gründen
verschiedener Regelungsmöglichkeiten im Verein mit den andern erwähnten
Gesichtspunkten entfiele, setzt hier die beschränkte funktionelle Eignung
des Richters, einen Regelungsbereich grundlegend (neu) zu normieren,
eine unüberwindbare Schranke.

    b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in BGE 116 V 198 betont, dass
es nicht Sache des Richters sein könne, einen Regelungsbereich gestützt
auf den Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau grundlegend
umzugestalten (Erw. 5c hievor). Während die Zuerkennung einer Witwerrente
entsprechend den für die Witwenrenten geltenden Bestimmungen (Prinzip
der Begünstigungsausdehnung) zweifelsohne keinen solchen qualifizierten
Eingriff darstellt (BGE 116 V 215 Erw. II/3b), greift die hier zu
beurteilende Frage des Rentenalters entschieden weiter.

    In diesem Zusammenhang erweist sich als bedeutsam, dass die
Beschwerdeführerin als Vorsorgeeinrichtung nach dem Leistungsprimat
aufgebaut ist (§ 30 der Statuten). Die von ihr zu erbringenden Leistungen
richten sich somit - anders als beim System des Beitragsprimates
(Primat der Beiträge oder Altersgutschriften), wo die festgesetzten und
individuell geleisteten Beiträge leistungsbestimmend sind - nach festen
Vorgaben in den Statuten (HELBLING, aaO, S. 113 ff.; GERHARDS, Grundriss
Zweite Säule, 1990, S. 50 ff.; vgl. ferner BRÜHWILER, aaO, Rz. 5 S. 205;
RIEMER, aaO, § 1 Rz. 17, S. 30). Solche Leistungsziele müssen finanziert
und sichergestellt werden, was weitsichtige und umfassende Planung
verlangt. Es liegt auf der Hand, dass dabei dem ausgewogenen zahlenmässigen
Verhältnis zwischen Beitragspflichtigen und Leistungsbezügern überragende,
ja für die Vorsorgeeinrichtung lebenswichtige Bedeutung zukommt (VOLKMER,
Finanzierung und finanzielles Gleichgewicht, Schweizer Personalvorsorge
[SPV] 1989 H. 5 S. 155 f.; GERHARDS, aaO, S. 103 ff., insbesondere Rz. 9
ff.; vgl. die anschaulichen Graphiken bei HELBLING, aaO, S. 251 f.). Eine
Herabsetzung des Pensionierungsalters, wie es dem Beschwerdegegner
vorschwebt, zöge weitreichende Folgen nach sich, die sich für die
Staatliche Pensionskasse in unabsehbarer Weise auswirken könnten. Mit
Sicherheit sähe sich der Gesetzgeber gezwungen, durch entsprechende
Massnahmen die Finanzierung des Leistungsausbaus abzusichern. Ob unter
diesem Gesichtspunkt die seitens der Vorinstanz erkannte Herabsetzung des
Rentenalters männlicher Versicherter auf das 62. Altersjahr gemessen an
den anfallenden Mehrkosten überhaupt verwirklicht werden könnte, muss
angesichts der Erfahrungen anderer ebenfalls auf dem Leistungsprimat
beruhender Vorsorgeeinrichtungen bezweifelt werden (vgl. Botschaft zur
Verordnung über die Eidg. Versicherungskasse und zu den Statuten der
Pensions- und Hilfskasse der SBB vom 2. März 1987, BBl 1987 II 493 ff.,
502).

    Wie dem auch sei, fest steht jedenfalls, dass die Herabsetzung
des Pensionierungsalters beim System des Leistungsprimates nicht nur
leistungsseitig einem folgenschweren Eingriff gleichkommt, sondern
darüber hinaus eine eigentliche Umgestaltung der Finanzierungsgrundlagen
und -modalitäten der Vorsorgeeinrichtung erzwingt. Dies erfordert eine
sofortige Klärung komplexer Verhältnisse, die weit über den streitigen
Leistungsanspruch hinausgeht und im Rahmen fallbezogener richterlicher
Beurteilung nicht zu erbringen ist. Derart grundlegende, vorwiegend an
Zweckmässigkeitsüberlegungen auszurichtende und bezüglich ihrer Tragweite
nur schwer erfassbare Umgestaltungen können daher nicht dem Richter
obliegen. Darin stimmen Rechtsprechung und Lehre einhellig überein (BGE
116 V 215 f., 109 Ib 88 f.; vgl. ferner BGE 114 II 246 sowie ZBl 87/1986
S. 409 f. Erw. 8; WEBER-DÜRLER, aaO, S. 21 f.; HÄNNI, Grenzen richterlicher
Möglichkeiten bei der Durchsetzung von Gleichheitsansprüchen gemäss Art. 4
BV, in: ZSR 107/1988 S. 591 ff., insbesondere S. 609; HAEFLIGER, aaO,
S. 95; KÄLIN, aaO, S. 175; J. P. MÜLLER, Soziale Grundrechte, aaO, S. 194
f.; J. P. MÜLLER in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen
Eidgenossenschaft, 1987, Einleitung zu den Grundrechten, Rz. 88; BIAGGINI,
aaO, S. 465 ff.).

    c) Diese ausschlaggebende Sachlage hat das kantonale Gericht in
ungenügender, gegen Art. 4 Abs. 2 BV verstossender Weise gewürdigt. Es
muss daher in der vorliegenden Sache bei der Feststellung der
Verfassungswidrigkeit der geltenden Ordnung sein Bewenden haben. Diese
Lösung mag aus Sicht des rechtsuchenden Beschwerdegegners als
unbefriedigend empfunden werden. Indes ist ihm diesbezüglich
entgegenzuhalten, dass mit einem richterlichen Eingriff, wie ihn
das kantonale Gericht zur Durchsetzung des verfassungsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatzes befürwortet hat, zwangsläufig neue
Rechtsungleichheiten geschaffen würden (BGE 103 V 62 Erw. 2). Dieser
Folge kann nur mittels rechtssatzmässiger Normierung in rechtsstaatlich
befriedigender Form begegnet werden (J. P. MÜLLER, Soziale Grundrechte,
a. a.O., S. 197).

    Auch unter diesem Gesichtspunkt kommt daher die Zusprechung einer
ungekürzten Altersrente an den Beschwerdegegner im heutigen Zeitpunkt
nicht in Frage.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 24. April 1991 aufgehoben.