Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 V 271



117 V 271

36. Auszug aus dem Urteil vom 26. November 1991 i.S. S. gegen Caisse
interprofessionnelle vaudoise d'assurance-vieillesse et survivants (CIVAS)
und Kantonale Rekurskommission für die AHV und IV, Appenzell Regeste

    Art. 21 Abs. 1 IVG, Art. 2 Abs. 2 HVI, Ziff. 13.02*
HVI-Anhang. Entgegen der Verwaltungspraxis setzt der Anspruch auf
Hilfsmittel für die Tätigkeit im Aufgabenbereich nicht voraus, dass die
Versicherte den Haushalt überwiegend selbständig besorgt; es genügt, dass
die Tätigkeit im Aufgabenbereich einen beachtlichen Umfang erreicht. Was
als beachtlich zu gelten hat, bestimmt sich aufgrund des konkreten
Aufgabenbereichs unter Berücksichtigung der durch das Hilfsmittel möglichen
Verbesserung der Leistungsfähigkeit.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- b) Zu prüfen ist, ob das streitige Hilfsmittel - ein Levo-Rollstuhl
- gestützt auf Ziff. 13.02* HVI-Anhang abgegeben werden kann. Gemäss
dieser Bestimmung übernimmt die Invalidenversicherung der Behinderung
individuell angepasste Sitz-, Liege- und Stehvorrichtungen, soweit sie für
die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die Tätigkeit im Aufgabenbereich,
für die Schulung, die Ausbildung oder die funktionelle Angewöhnung
notwendig sind (Art. 2 Abs. 2 HVI).

    aa) Dass die Beschwerdeführerin den Levo-Rollstuhl nicht zur Schulung,
zur Ausbildung oder zur funktionellen Angewöhnung benötigt, steht fest
und bedarf keiner weiteren Ausführungen.

    Unbestritten ist auch, dass der Levo-Rollstuhl nicht der Ausübung
einer Erwerbstätigkeit dient. Eine solche ist nach der Verwaltungspraxis
nur anzunehmen, wenn der Versicherte ohne Anrechnung von Soziallohn und
Renten aus seiner Tätigkeit ein jährliches Einkommen erzielt, das dem
Mindestbeitrag für Nichterwerbstätige gemäss Art. 10 Abs. 1 AHVG entspricht
oder höher ist (Rz. 1006 der Wegleitung über die Abgabe von Hilfsmitteln
durch die Invalidenversicherung [WHMI]). Die Beschwerdeführerin arbeitet
zwar im Betrieb des Ehemannes mit, jedoch nurmehr in sehr begrenztem Umfang
und ohne hiefür einen Lohn zu beziehen. Zudem führt der Levo-Rollstuhl in
diesem Bereich unbestrittenermassen zu keiner wesentlichen Verbesserung
der Arbeitsfähigkeit. Fraglich bleibt daher lediglich, ob er für die
Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Aufgabenbereich notwendig ist.

    bb) Verwaltung und Vorinstanz haben den Leistungsanspruch mit der
Begründung verneint, eine Tätigkeit im Aufgabenbereich im Sinne von Art. 21
Abs. 1 IVG und Art. 2 Abs. 2 HVI sei nur anzunehmen bei Versicherten, die
den Haushalt im wesentlichen selbständig besorgten. Diese Voraussetzung
sei bei der Beschwerdeführerin nicht gegeben, da sie grösstenteils auf
die Hilfe der Familienangehörigen oder fremder Personen angewiesen sei,
woran auch der streitige Rollstuhl nichts ändere. Nach den Angaben des
behandelnden Arztes, Dr. med. S., lasse sich die praktisch vollständige
Arbeitsunfähigkeit als Hausfrau mit dem Rollstuhl auf 75 bis 80%
reduzieren, wogegen die Arbeitsunfähigkeit im Bürobereich unverändert bei
80% liege. Die von der Invalidenversicherung anlässlich der Abklärung
an Ort und Stelle vom 3. Mai 1988 festgestellte Arbeitsfähigkeit im
Haushalt von 10% könne demnach auf höchstens 25% gesteigert werden, was
zur Folge hätte, dass - bei einer Gewichtung von 50% Haushalt- und 50%
Büroarbeiten - eine Verminderung der Invalidität von 80 auf 72,5%, somit
eine Verbesserung von nicht einmal 10% eintreten würde.

    Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Anspruch auf Hilfsmittel
gemäss Art. 21 Abs. 1 IVG und Art. 2 Abs. 2 HVI keine Verbesserung
des Invaliditätsgrades voraussetzt und auch der Bezug einer ganzen
Invalidenrente den Anspruch auf Hilfsmittel nicht ausschliesst (BGE 115 V
200 Erw. 5c, 108 V 213 Erw. 1d). Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz
auch insofern, als sie den Anspruch verneint, weil die Versicherte den
Haushalt nicht überwiegend selbständig besorge. Sie stützt sich dabei
auf die Verwaltungspraxis, wonach eine Tätigkeit im Aufgabenbereich nur
angenommen werden kann, wenn die Versicherte den Haushalt im wesentlichen
selbständig besorgt, wogegen die Selbstsorge ohne Führung eines eigenen
Haushaltes oder gelegentliche Verrichtungen oder Handreichungen im Haushalt
nicht als Tätigkeit im Aufgabenbereich betrachtet werden können (Rz. 1007
der genannten Wegleitung). Mit dieser Praxis wird der Hilfsmittelanspruch
praktisch auf Versicherte beschränkt, die im Haushalt noch mindestens zu
50% arbeitsfähig sind. Damit werden an den Anspruch auf Hilfsmittel im
Aufgabenbereich höhere Anforderungen gestellt als bei erwerbstätigen
Versicherten, wo die Erzielung eines jährlichen Erwerbseinkommens
entsprechend dem Mindestbeitrag nach Art. 10 Abs. 1 AHVG genügt. Dies
bedeutet aber eine Schlechterstellung der im gesetzlich anerkannten
Aufgabenbereich tätigen Versicherten gegenüber den Erwerbstätigen, die
weder vor Art. 21 Abs. 1 IVG noch vor Art. 4 Abs. 2 BV standhält (vgl. BGE
116 V 322). Im nicht veröffentlichten Urteil M. vom 21. September 1990 hat
das Eidg. Versicherungsgericht zu Rz. 13.07.1* (betreffend Treppenlifte)
in der bis Ende 1988 gültig gewesenen Fassung der Wegleitung festgestellt,
dass im Rahmen des gesetzlichen Eingliederungsziels nicht erforderlich
ist, dass die Versicherte den Haushalt überwiegend selbständig führt;
vielmehr genügt eine bloss beachtliche Tätigkeit im Aufgabenbereich. Diese
Feststellung fand zwar im Wortlaut der bis zu diesem Zeitpunkt gültig
gewesenen Ziff. 13.07* HVI-Anhang (wonach die Invalidenversicherung
periodische Beiträge an Hebebühnen, Treppenlifts und Rampen ausrichtete,
sofern damit eine beachtliche Tätigkeit im Aufgabenbereich ermöglicht
wurde) eine besondere Stütze. Im Hinblick auf die Gleichstellung der im
Aufgabenbereich tätigen mit den erwerbstätigen Versicherten, bei denen
ein Mindesteinkommen für den Anspruch auf die im Anhang zur HVI mit *
bezeichneten Hilfsmittel genügt, hat dies indessen auch für andere
Hilfsmittel im Aufgabenbereich zu gelten. Der Anspruch auf solche
Hilfsmittel setzt mithin voraus, dass der Versicherte in beachtlichem
Umfang im Aufgabenbereich tätig ist. Was noch als beachtlich zu gelten
hat, bestimmt sich dabei aufgrund des konkreten Aufgabenbereichs unter
Berücksichtigung der durch das Hilfsmittel möglichen Verbesserung des
Leistungsvermögens.

    cc) Aus dem Bericht des kantonalen IV-Sekretariates vom 14. Juli
1988 über die Abklärung an Ort und Stelle vom 3. Mai 1988 geht
hervor, dass die Beschwerdeführerin bei der Haushaltführung erheblich
beeinträchtigt ist, zahlreiche Arbeiten nicht mehr ausführen kann und in
verschiedenen Belangen auf die Mithilfe der Familienangehörigen angewiesen
ist. Anderseits ist es ihr möglich, einfachere Mahlzeiten zuzubereiten,
das Geschirr abzuwaschen (bzw. den Geschirrspülautomaten zu bedienen),
leichtere Reinigungsarbeiten (Abstauben im Sitzen) und das Bügeln von
kleineren Sachen sowie gelegentlich Näh-, Strick- und Flickarbeiten
vorzunehmen. Die entsprechende Arbeitsfähigkeit wird von der Verwaltung
auf 10% geschätzt. Der Levo-Rollstuhl erleichtert der Beschwerdeführerin
die Tätigkeit im Haushalt dadurch, dass sie nicht nur in bestimmtem
Umfang die Sitzhöhe ändern, sondern - ohne den Fahrstuhl zu verlassen -
auch aufstehen kann. Die Verwaltung erachtet die hieraus sich ergebende
Verbesserung der Leistungsfähigkeit als gering. Die Beschwerdeführerin
weist demgegenüber glaubhaft darauf hin, dass sie dank der Aufrichtehilfe
und der Höhenverstellbarkeit des Rollstuhls viele Arbeiten sitzend,
halb oder ganz stehend verrichten kann, die ihr ohne das Hilfsmittel
nicht mehr möglich wären. Im Abklärungsbericht des IV-Sekretariates wird
darauf hingewiesen, dass der Rollstuhl der Versicherten den Zugang zu den
Kästen, Tablaren und Regalen der Küche und den Schränken in den Zimmern
ermöglicht, so dass sie u.a. selbständig Geschirr und Wäsche hervornehmen
und wieder versorgen kann. Diese Verrichtungen bilden eine unerlässliche
Voraussetzung für die Ausübung verschiedener Haushalttätigkeiten und
sind daher für die Leistungsfähigkeit der Versicherten im Haushalt von
erheblicher Bedeutung. Der behandelnde Arzt, welcher die Arbeitsunfähigkeit
der Beschwerdeführerin im Haushalt ohne Hilfsmittel auf nahezu 100%
schätzt, erachtet eine Steigerung der Leistungsfähigkeit um 10 bis 15% als
möglich. Wird aufgrund der Abklärungsergebnisse der Invalidenversicherung
davon ausgegangen, dass ohne Hilfsmittel eine Arbeitsfähigkeit im Haushalt
von 10% besteht, so resultiert eine Leistungsfähigkeit von gegen 25%,
was für eine Versicherte, die ohne das Hilfsmittel praktisch keine
Haushaltarbeiten mehr ausführen könnte, als beachtlich zu gelten hat. Im
übrigen ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin die verbleibende
Leistungsfähigkeit im Haushalt nur mit einem Hilfsmittel der beantragten
Art zu verwerten vermag, weshalb dieses als notwendig und geeignet zur
Erreichung des angestrebten Eingliederungszwecks zu betrachten ist.