Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 V 268



117 V 268

35. Auszug aus dem Urteil vom 8. November 1991 i.S. B. & Co. gegen
Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 31 ff. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge.
Präzisierung der Rechtsprechung zur Auslegung staatsvertraglicher Begriffe
nach Inkrafttreten des Wiener Übereinkommens.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Art. 6 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale
Sicherheit lautet in der hier noch anwendbaren ursprünglichen Fassung
vom 18. Juli 1979 des französischen Originaltextes:

    Sous réserve des dispositions contraires du Titre III de la présente

    Convention ou du Protocole final, un ressortissant de l'un des Etats
   contractants qui exerce une activité lucrative salariée sur le
   territoire de l'un ou des deux Etats contractants, est soumis aux
   dispositions légales concernant l'assurance obligatoire de l'Etat où
   il exerce son activité; pour le calcul des cotisations dues selon la
   législation de cet Etat, il n'est pas tenu compte des revenus que la
   personne réalise du fait d'une activité lucrative salariée exercée
   sur le territoire de l'autre Etat contractant.

    Und in der deutschen Übersetzung:

    Unter Vorbehalt abweichender Bestimmungen im Abschnitt III dieses

    Abkommens oder im Schlussprotokoll ist ein Staatsangehöriger eines

    Vertragsstaates, der im Gebiet eines oder beider Vertragsstaaten eine
   unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften über die

    Versicherungspflicht des Staates unterstellt, in dessen Gebiet er
   beschäftigt ist; für die Berechnung der nach der Gesetzgebung dieses

    Staates zu entrichtenden Beiträge wird das Einkommen aus
unselbständiger

    Erwerbstätigkeit, das im Gebiet des andern Vertragsstaates erzielt
worden
   ist, nicht berücksichtigt.

    b) Die Auslegung eines Staatsvertrages hat in erster Linie vom
Vertragstext auszugehen. Erscheint dieser klar und ist seine Bedeutung, wie
sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie aus Gegenstand und Zweck
des Übereinkommens ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, so kommt eine
über den Wortlaut hinausgehende ausdehnende bzw. einschränkende Auslegung
nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte
mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der
Vertragsstaaten zu schliessen ist (BGE 116 Ib 221 Erw. 3a, 114 V 11
Erw. 1b, 113 V 103 Erw. 2b, 265 Erw. 3a).

    In diesem Rahmen sind nach der bisherigen Rechtsprechung
des Eidg. Versicherungsgerichts Wendungen und Begriffe,
die in einem Sozialversicherungsabkommen Anwendung finden
und für die Versicherungsleistungen einer schweizerischen
Sozialversicherungseinrichtung massgeblich sind, stets direkt nach
schweizerischem innerstaatlichen Recht auszulegen (BGE 112 V 149 Erw. 2a,
111 V 120 Erw. 1b).

    Diese Rechtsprechung muss angesichts der am 6. Juni 1990 für die
Schweiz in Kraft getretenen Wiener Konvention zum Vertragsrecht vom 23. Mai
1969 (SR 0.111; AS 1990 1112) relativiert werden. Nach Massgabe der in
den Art. 31 bis 33 der Konvention festgelegten allgemeinen Grundsätze der
Staatsvertragsauslegung ist in erster Linie nach der autonomen Bedeutung
der Abkommensbestimmung zu suchen. Nur wenn ein Abkommen - im Lichte dieser
Regeln ordnungsgemäss ausgelegt - eine bestimmte Frage weder ausdrücklich
noch stillschweigend regelt, ist es angängig, subsidiär die Begriffe
und Konzeptionen des anwendbaren Landesrechts zur Auslegung beizuziehen
(Botschaft des Bundesrates über den Beitritt der Schweiz zur Wiener
Konvention von 1969 über das Recht der Verträge, BBl 1989 II 775 ff.;
VPB 1989 [53] Nr. 54, S. 432; JACOT-GUILLARMOD, Strasbourg, Luxembourg,
Lausanne et Lucerne: méthodes d'interprétation comparées de la règle
internationale conventionnelle, in: Les règles d'interprétation. Principes
communément admis par les juridictions, Freiburg 1989, S. 115 ff.; SPIRA,
L'application du droit international de la sécurité sociale par le juge,
in: Mélanges Berenstein, Lausanne 1989, S. 483 ff.).

    Im vorliegenden Fall erklärt die zitierte Abkommensbestimmung mit
der Wendung "in dessen Gebiet er beschäftigt ist" den Erwerbsort als
Anknüpfungspunkt für die Versicherteneigenschaft. Was unter Erwerbsort
zu verstehen ist, lässt sich weder Art. 6 noch den übrigen Bestimmungen
des Staatsvertrages direkt oder indirekt entnehmen, weshalb die an den
Grundsätzen der Art. 31 ff., insbesondere Art. 31 Abs. 1 Wiener Konvention
(Vertragsauslegung "nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der
gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden
Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zwecks") orientierte Auslegung
keinen Aufschluss gibt. Es liegt eine Lücke im zwischenstaatlichen
Vertragsrecht vor, zu deren Ausfüllung schweizerisches Landesrecht
ergänzend herangezogen werden darf.