Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 V 257



117 V 257

33. Urteil vom 31. Oktober 1991 i.S. Ausgleichskasse des Basler
Volkswirtschaftsbundes gegen P. P. u. P. und Versicherungsgericht des
Kantons Basel-Landschaft Regeste

    Art. 23 Abs. 3, 25 Abs. 2 AHVG, Art. 83 Abs. 1 Ziff. 1 ZStV.

    - Für den Beginn der Hinterlassenenrenten ist nicht der im
Todesregister verurkundete Zeitpunkt des Leichenfundes massgebend,
sondern es ist nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
zu beurteilen, wann der Tod des Versicherten eingetreten ist.

    - Fall eines Versicherten, der zweieinhalb Jahre nach seinem
Verschwinden tot aufgefunden wurde.

Sachverhalt

    A.- Der verheiratete U. P., Vater zweier Kinder, war seit dem 13. Mai
1987 vermisst. Am 26. November 1989 wurde seine Leiche aufgefunden. Im
Januar 1990 meldeten sich seine Witwe E. P. und seine beiden Kinder
zum Bezug von Hinterlassenenrenten an. Mit Verfügung vom 18. April 1990
sprach die Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes E. P. und
den beiden Kindern ordentliche volle Witwen- und Waisenrenten mit Wirkung
ab 1. Dezember 1989 zu.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht
des Kantons Basel-Landschaft mit Entscheid vom 12. September 1990 gut
und verpflichtete die Ausgleichskasse, die Hinterlassenenrenten mit
Wirkung ab 1. Juni 1987 zu erbringen und auf den zwischen 1. Juni 1987
und 30. November 1989 aufgelaufenen Rentenbeträgen ab 17. Mai 1990 einen
Verzugszins auszubezahlen.

    C.- Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
beantragt die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides.

    E. P. und ihre Kinder lassen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung beantragt.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig und zu prüfen ist zunächst, in welchem Zeitpunkt der
Anspruch der Beschwerdegegner auf die Hinterlassenenrenten entstanden ist.

    a) Nach Art. 23 Abs. 3 AHVG entsteht der Anspruch auf eine Witwenrente
am ersten Tag des dem Tode des Ehemannes folgenden Monats. Der Anspruch
auf eine einfache Waisenrente entsteht am ersten Tag des dem Tode des
Vaters folgenden Monats (Art. 25 Abs. 2 AHVG).

    Gemäss Art. 83 Abs. 1 Ziff. 1 der Zivilstandsverordnung (ZStV)
soll das Todesregister über den Tod und über den Fund der Leiche einer
bekannten Person enthalten: Tag, Monat (in Buchstaben), Jahr, Stunde und
Minute des Todes oder des Leichenfundes.

    Die Verwaltungspraxis gemäss der Wegleitung über die Renten (RWL;
gültig ab 1. Januar 1986), auf welche sich die Ausgleichskasse beruft,
lautet:

    "2. Tod und Verschollenheit
      a) Zeitpunkt des Todes 132 Massgebend ist der im Todesregister
      eingetragene Zeitpunkt des Todes
   (siehe Rz. 1026 ff.). Dies gilt auch dann, wenn die Leiche nicht
   aufgefunden wurde, der Tod aber gemäss Art. 49 ZGB ins Todesregister
   eingetragen wurde.

    133 1/88

    Ist der Zeitpunkt des Todes im Todesregister nicht eingetragen, so gilt
   der Zeitpunkt des Leichenfundes als massgebendes Todesdatum. Vorbehalten
   bleibt eine nachträgliche Ergänzung der Eintragung im Todesregister,
   wenn der Zeitpunkt des Todes noch festgestellt wird. Ist das Todesdatum
   zwar festgestellt, aber nicht im Todesregister eingetragen worden,
   so sind die

    Akten dem BSV zum Entscheid über das massgebende Todesdatum zu
   unterbreiten.

    b) Verschollenheit

    134

    Die richterliche Verschollenerklärung gemäss Art. 35-38 ZGB ist dem Tod
   gleichgestellt. Als Zeitpunkt des Todes gilt in diesen Fällen der im

    Todesregister eingetragene Zeitpunkt, auf den die richterliche

    Verschollenerklärung zurückbezogen wird."

    b) Die beschwerdeführende Ausgleichskasse rügt, dass sie
sich, entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen, nicht auf Rz. 132
RWL gestützt habe, sondern auf Rz. 133, wonach der Zeitpunkt des
Leichenfundes als massgebendes Todesdatum gelte, wenn der Zeitpunkt
des Todes im Todesregister nicht eingetragen sei. So verhalte es sich
hier. Dem kantonalen Gericht stehe es nicht zu, eigene Kriterien zum
Beweis des Todeszeitpunktes zu entwickeln, welche den hiezu erlassenen
behördlichen Weisungen diametral entgegenstünden. Im vorliegenden Falle
sei nicht der Todeszeitpunkt, sondern der Zeitpunkt des Leichenfundes
im Todesregister eingetragen, "so dass das Datum des letzteren für die
AHV-Leistungen massgeblich" sei; im übrigen sei der Todeszeitpunkt laut
gerichtsmedizinischem Institut nicht feststellbar.

    Das BSV unterstützt die beschwerdeführende Ausgleichskasse mit dem
Argument, nach konstanter Rechtsprechung (Berufung auf BGE 102 V 37)
stelle das Zivilrecht eine Ordnung dar, welche von der Sozialversicherung
vorausgesetzt werde und dieser grundsätzlich vorgehe. Sei anstelle
des Zeitpunkts des Todes derjenige des Leichenfundes im Todesregister
eingetragen, so habe dieser als massgebliches Todesdatum zu gelten,
selbst wenn gewisse Anhaltspunkte vermuten liessen, der Tod sei
bereits vor dem eingetragenen Zeitpunkt eingetreten. Die Berichtigung
des Todesregistereintrags müsse im Interesse der Rechtssicherheit
durch den Richter angeordnet werden. In diesem Sinne habe das
Eidg. Versicherungsgericht in BGE 110 V 250 auch die Wirkung einer
Verschollenerklärung bis zu deren richterlicher Aufhebung weiterwirken
lassen, obwohl der Verschollene erwiesenermassen noch gelebt habe. Mit
der Berichtigungsklage nach Art. 45 ZGB habe denn auch das Zivilrecht
einen entsprechenden Rechtsbehelf vorgesehen.

    c) Der Argumentation von Ausgleichskasse und BSV kann nicht
beigepflichtet werden. Zwar stellt das Zivilrecht nach der Rechtsprechung
des Eidg. Versicherungsgerichts eine Ordnung dar, welche von der
Sozialversicherung vorausgesetzt wird und dieser daher grundsätzlich
vorgeht (BGE 112 V 102 oben mit Hinweis). Dieser Grundsatz führt aber
nicht zu den Schlussfolgerungen, welche Ausgleichskasse und BSV aus dem
Umstand ziehen, dass im vorliegenden Fall im Todesregister der Zeitpunkt
des Leichenfundes eingetragen worden ist. Wenn gemäss Art. 83 Abs. 1
Ziff. 1 ZStV anstelle des Todeszeitpunktes der Zeitpunkt des Leichenfundes
in das Todesregister einzutragen ist, so heisst dies nicht, der Zeitpunkt
des Leichenfundes sei identisch mit dem Zeitpunkt des Todes. Eine solche
Gleichsetzung verbietet sich insbesondere auch aus zivilstandsrechtlicher
Sicht: Falls wegen Unkenntnis des Todeszeitpunktes der Zeitpunkt des
Leichenfundes im Todesregister eingetragen wird, so besagt dieser Eintrag
einzig, dass der Tod nicht später als im Zeitpunkt des Auffindens der
Leiche eingetreten ist. Einzig diese Tatsache ist im Sinne von Art. 9
Abs. 1 ZGB durch öffentliche Urkunde ausgewiesen. Dagegen sagt der Eintrag
des Zeitpunktes des Leichenfundes nach Art. 83 Abs. 1 Ziff. 1 ZStV auch
zivilstandsrechtlich nichts darüber aus, wann der Tod in der Zeit vor
dem Auffinden der Leiche eingetreten ist. Die Eintragung des Zeitpunktes
des Leichenfundes im Todesregister vermag folglich den zivilrechtlichen
Todeszeitpunkt und damit den für die sozialversicherungsrechtliche
Leistungsberechtigung massgeblichen Zeitpunkt des Todeseintritts (Erw. 1a)
im Sinne von Art. 9 Abs. 1 ZGB nicht schlüssig zu beweisen. Allein schon
unter diesem Gesichtswinkel geht die Gleichsetzung vom Zeitpunkt des
Leichenfundes und Zeitpunkt des Todes als materielle Anspruchsvoraussetzung
gemäss Rz. 133 1/88 am Anfang RWL fehl. Die Berufung des BSV auf die
Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts zur Verschollenerklärung
(BGE 110 V 248) ist sodann nicht stichhaltig, weil in diesem Bereich
zivilrechtlich das Verschollensein dem Tod gleichgesetzt wird, das heisst,
der Verschollene gilt zivilrechtlich als tot (Art. 38 Abs. 1 und 2 ZGB),
woran das Sozialversicherungsrecht anknüpft (BGE 110 V 249 Erw. 1 mit
Hinweisen). Eine solche zivilrechtliche Gleichsetzung, welche allenfalls
auch sozialversicherungsrechtlich beachtlich wäre, besteht indessen,
wie dargetan, zwischen dem (nicht verurkundeten) Todeszeitpunkt und dem
(eingetragenen) Zeitpunkt des Leichenfundes gerade nicht. Bei dieser
zivilrechtlichen Rechtslage besteht denn auch kein Anlass, Hinterlassene,
welche einen früheren Todeszeitpunkt des Versicherten behaupten als den
im Todesregister eingetragenen Zeitpunkt des Leichenfundes, auf den Weg
der Abänderungsklage nach Art. 45 Abs. 1 ZGB zu verweisen.

Erwägung 2

    2.- Nach dem Gesagten ist im Bereich des Sozialversicherungsrechts für
den Rentenbeginn (Art. 23 Abs. 3 und 25 Abs. 2 AHVG) eine Bindung an das im
Todesregister verurkundete Datum des Leichenfundes zu verneinen. Vielmehr
ist nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 115 V 142 Erw. 8b mit zahlreichen
Hinweisen) zu beurteilen, wann der Tod eines Versicherten eingetreten ist.

    Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass der Ehemann
bzw. Vater der Beschwerdegegner am 13. Mai 1987 das letzte Mal lebend
gesehen worden ist. Für die Zeit danach sind keine Lebenszeichen mehr
bekannt. Der Zustand des am 26. November 1989 gefundenen Leichnams wird
als "Fundskelett" beschrieben (Schreiben des Gerichtlich-Medizinischen
Instituts der Universität Zürich vom 27. März 1990). Ferner wurden die
Überreste der Kleider gefunden, welche der Verstorbene am Tag seines
Verschwindens am 13. Mai 1987 getragen hatte. Aufgrund dieser Umstände
ist der Schluss zu ziehen, dass der Tod des Ehemannes bzw. Vaters
der Beschwerdegegner mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Mai 1987
eingetreten ist. Dies führt zur Zusprechung von Hinterlassenenrenten ab
dem ersten Tag des auf den Eintritt des Todes folgenden Monats (Art. 23
Abs. 3 und 25 Abs. 2 AHVG), d.h. ab 1. Juni 1987.

Erwägung 3

    3.- (Verzugszinsen)

Erwägung 4

    4.- (Parteientschädigung)