Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 V 125



117 V 125

13. Urteil vom 7. Mai 1991 i.S. S. gegen Ausgleichskasse Berner Arbeitgeber
und Verwaltungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 33ter, 39 Abs. 2 und Abs. 3 AHVG, Art. 55ter AHVV, Art.  34quater
Abs. 2 BV: Betrag des Zuschlages beim Rentenaufschub. Art. 55ter Abs.
3 AHVV, wonach der Betrag des Zuschlages bei der aufgeschobenen Rente
der Preis- und Einkommensentwicklung nicht angepasst wird, ist gesetzes-
und verfassungskonform.

Sachverhalt

    A.- Der am 7. November 1919 geborene Kurt S. meldete sich im
April 1984 bei der Ausgleichskasse Berner Arbeitgeber zum Bezug einer
Altersrente an. Nachdem er sich über die Berechnungsgrundlagen seiner auf
den 1. Dezember 1984 entstandenen Ehepaarrente hatte informieren lassen,
entschloss er sich zum Aufschub, was die Verwaltung mit Formularschreiben
vom 17. Dezember 1984 bestätigte.

    Am 14. September 1989 rief Kurt S. die Altersrente auf den 1. Dezember
1989 ab. Daraufhin sprach ihm die Ausgleichskasse ab diesem Datum eine
ordentliche volle Ehepaar-Altersrente im maximalen Grundbetrag von
Fr. 2'250.-- zu, welche im Hinblick auf die fünfjährige Aufschubsdauer
um den höchstmöglichen Prozentsatz von 50%, somit um Fr. 1'125.-- auf
Fr. 3'375.-- im Monat erhöht wurde (Verfügung vom 12. Oktober 1989).

    Bereits mit Schreiben vom 20. September 1989 hatte der Versicherte
die Verwaltung ersucht, ihm "die Anpassung (der) aufgeschobenen
Ehepaar-Altersrente (zahlbar ab 1. Dezember 1989) an den ab 1. Januar
1990 geltenden Rentenindex durch eine beschwerdefähige Verfügung bekannt
zu geben". Am 12. Januar 1990 erliess die Kasse eine Verfügung, mit
welcher sie die Rente ab anfangs 1990 neu auf Fr. 3'525.-- festsetzte,
wobei sie den Grundbetrag von Fr. 2'250.-- gestützt auf die Verordnung
90 über Anpassungen an die Lohn- und Preisentwicklung bei der AHV/IV um
6,66% auf Fr. 2'400.-- erhöhte, den Zuschlag dagegen unverändert bei Fr.
1'125.-- beliess.

    B.- Beschwerdeweise beantragte Kurt S., die Ausgleichskasse habe auch
den monatlichen Rentenzuschlagsbetrag auf den 1. Januar 1990 an die Lohn-
und Preisentwicklung anzupassen. Mit Entscheid vom 21. Mai 1990 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde ab.

    C.- Kurt S. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das
vorinstanzliche Rechtsbegehren erneuern.

    Während die Ausgleichskasse auf eine Vernehmlassung verzichtet,
beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 39 AHVG können Personen, die Anspruch auf eine
ordentliche Altersrente haben, den Anfang des Rentenbezuges mindestens
ein Jahr und höchstens fünf Jahre aufschieben und innerhalb dieser
Frist die Rente nach freier Wahl im voraus von einem bestimmten
Monat an abrufen. Während der Aufschubszeit besteht kein Anspruch auf
ausserordentliche Rente (Abs. 1). Die aufgeschobene Altersrente und die sie
allenfalls ablösende Hinterlassenenrente wird um den versicherungsmässigen
Gegenwert der nicht bezogenen Leistung erhöht (Abs. 2). Nach Abs. 3 setzt
der Bundesrat die Erhöhungsfaktoren für Männer und Frauen einheitlich
fest und ordnet das Verfahren; er kann einzelne Rentenarten vom Aufschub
ausschliessen.

    Die auf diese gesetzlichen Bestimmungen gestützte nähere Regelung des
Rentenaufschubes findet sich in den Art. 55bis bis 55quater AHVV. Während
Art. 55bis AHVV den Ausschluss vom Rentenaufschub und Art. 55quater
AHVV die Aufschubserklärung und den Abruf der aufgeschobenen Rente
ordnen, bestimmt Art. 55ter AHVV die Berechnung des Zuschlages beim
Rentenaufschub. Dieser bemisst sich nach einem variablen, mit zunehmender
Aufschubsdauer ansteigenden Prozentsatz des Grundbetrages. Er beläuft
sich, je nach einer Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren, auf 8,4
bis 50,0%. Laut Abs. 2 Satz 1 von Art. 55ter AHVV gilt der massgebende
Prozentsatz insbesondere für die einfache, die Ehepaar-Altersrente und
die Zusatzrenten; Satz 2 bezeichnet als Bezugsgrösse für die Ermittlung
des frankenmässigen Zuschlages jene Rente, die im Zeitpunkt des Abrufs
beansprucht werden könnte. Massgebend ist also nicht der (in der Regel
tiefere) Betrag im Zeitpunkt, da der Anspruch auf die Altersrente
entstanden ist. Art. 55ter Abs. 3 AHVV bestimmt sodann, dass der so
ermittelte Betrag des Zuschlages der Preis- und Einkommensentwicklung
nicht angepasst wird.

Erwägung 2

    2.- Es steht fest und wird auch nicht bestritten, dass die
Beschwerdegegnerin den Betrag des Zuschlages entsprechend diesen
verordnungsmässigen Grundlagen festgesetzt hat. Bei einer Aufschubsdauer
von fünf Jahren und einem massgeblichen Rentengrundbetrag von Fr. 2'250.--
beläuft sich der Zuschlag auf Fr. 1'125.--, wie verfügt. Verwaltung und
Vorinstanz haben den Zuschlag in Beachtung von Art. 55ter Abs. 3 AHVV auf
den 1. Januar 1990 nicht der allgemeinen Preis- und Einkommensentwicklung
angepasst. Zu prüfen ist daher einzig, ob diese Bestimmung übergeordnetem
Gesetzes- oder Verfassungsrecht widerspricht, wie der Beschwerdeführer
geltend macht.
   a) (Überprüfung der Verordnungen des Bundesrates)

    b) Die Vorinstanz hat unter Bezugnahme auf BGE 98 V 257 Erw. 1 erwogen,
der versicherungsmässige Gegenwert einer während der Aufschubszeit
nicht bezogenen Rentenleistung lasse sich spätestens nach Ablauf
der Aufschubszeit betragsmässig berechnen. Dieser Betrag bleibe in
der Folge unverändert und werde insbesondere auch durch eine nach
der Aufschubszeit eingetretene Preis- und Einkommensentwicklung nicht
beeinflusst. Dagegen seien zwischen Aufschub und Abruf teuerungsbedingt
eingetretene Erhöhungen der Rente insofern berücksichtigt, als nach
Art. 55ter Abs. 2 Satz 2 AHVV für die Ermittlung des frankenmässigen
Zuschlages jene Rente massgebend sei, die im Zeitpunkt des Abrufs
beansprucht werden könnte. Es gebe grundsätzlich zwei Möglichkeiten,
um dem Ansprecher den versicherungsmässigen Gegenwert der nichtbezogenen
Rentenleistungen zukommen zu lassen. So könnte der gesamte zurückbehaltene
Betrag dem Versicherten nach Ablauf der Aufschubszeit im Sinne einer
Kapitalabfindung auf einmal bar ausbezahlt werden, bei welcher Lösung
sich die Frage einer nachträglichen Anpassung dieser Summe an eine nach
dem Zeitpunkt der Auszahlung eingetretene Teuerung gar nicht stellen
könne. Die andere denkbare Lösung bestehe darin, dass die nichtbezogenen
Renten im Zeitpunkt des Abrufs in einen nach versicherungsmathematischen
Gesichtspunkten bemessenen monatlichen Zuschlag zur Grundrente umgewandelt
würden. Bei einer solchen Lösung bestehe für den Versicherten in der Tat
die Gefahr, dass im Falle einer erheblichen Teuerung der reale Wert des
betragsmässig unverändert ausgerichteten Zuschlags zur Rente immer geringer
werde. Dieses Risiko liege aber in der Natur der Sache begründet und müsse
vom Versicherten hingenommen werden. Es sei im übrigen wesentlich geringer
als das Risiko, das statistische Durchschnittsalter von Personen seines
Jahrganges nicht zu erreichen und damit erheblich weniger an Renten zu
beziehen, als dies dem versicherungsmässigen Gegenwert der aufgeschobenen
Leistungen entsprechen würde. Würde aber das Risiko einer zukünftigen
Teuerung berücksichtigt, so müsste der Zuschlag anfänglich jedenfalls
geringer sein, weil der versicherungsmässige Gegenwert der nichtbezogenen
Renten nicht überstiegen werden dürfe. Wenn sich nun der Verordnungsgeber
in Art. 55ter AHVV für die Abgeltung des versicherungsmässigen
Gegenwerts der nichtbezogenen Leistungen in Form eines betragsmässig
unveränderten, der künftigen Lohn- und Preisentwicklung nicht mehr
angepassten Zuschlages zur ordentlichen Altersrente entschieden habe,
dann halte sich dies zweifellos innerhalb der Grenzen der dem Bundesrat
vom Gesetz eingeräumten Befugnisse. Keinesfalls gehe es aber an, wie
der Beschwerdeführer beantrage, auf dem ursprünglich berechneten fixen
Zuschlag einen Teuerungsausgleich zu beziehen, würde doch auf diese Weise
der kapitalisierte Wert des Rentenzuschlages den versicherungsmässigen
Gegenwert der während der Aufschubszeit nichtbezogenen Renten mit der Zeit
immer mehr übersteigen, was sich mit dem Gesetz nicht vereinbaren lasse.

    c) Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 55ter Abs. 3 AHVV gehe über
den dem Bundesrat in Art. 39 Abs. 3 AHVG eingeräumten Rechtsetzungsauftrag
(einheitliche Festsetzung der Erhöhungsfaktoren für Männer und Frauen,
Ordnung des Verfahrens, Ausschluss einzelner Rentenarten vom Aufschub)
hinaus. Indem der Bundesrat zusätzlich zur Regelung der Erhöhungsfaktoren
das Kriterium der Teuerung miteinbezogen habe, habe er sich über den
Inhalt und das Ausmass der Delegationsermächtigung hinweggesetzt. Als
Ausführungsverordnung dürfe Art. 55ter AHVV das Gesetz nur konkretisieren,
von dessen Zielsetzung aber nicht abweichen. Beanstandet werde nicht das
System der Bemessung des versicherungsmässigen Gegenwertes nach Art. 55ter
Abs. 1 AHVV, sondern der Umstand, dass der versicherungsmässige Gegenwert
der aufgeschobenen Renten der künftigen Lohn- und Preisentwicklung
nicht angepasst werde, wodurch der zurückbehaltene Rentenbetrag bei jedem
Teuerungsanstieg kaufkraftmässig an Wert verliere. Entgegen der Auffassung
des Verwaltungsgerichts erfolge durch die geforderte Teuerungsanpassung des
Rentenzuschlages keine versicherungsmässige Leistungsverbesserung. Das dem
Rentner durch den Aufschub zustehende Äquivalent bleibe versicherungsmässig
auf dem Stand, den es am Ende der Aufschubszeit gehabt habe. Mit einer
Teuerungsanpassung solle lediglich dieser Äquivalentwert erhalten werden,
was der gesetzlich gewollten Regelung entspreche, wie sie auch für die
Grundrente vorgesehen sei. Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung gehe
es ferner nicht an, dass der Versicherte, welcher die Rente aufschiebe und
daher schon das Risiko eingehen müsse, das statistische Durchschnittsalter
von Personen seines Alters nicht zu erreichen und damit erheblich weniger
an Renten zu beziehen, als dies dem versicherungsmässigen Gegenwert der
aufgeschobenen Leistungen eigentlich entsprechen würde, zusätzlich noch
das Risiko der Kaufkraftminderung tragen solle.

    Ferner beruft sich der Beschwerdeführer auf Art. 34quater BV
(angemessene Deckung des Existenzbedarfes, Anpassung der Renten
mindestens an die Preisentwicklung) und Art. 33ter AHVG (Anpassung der
Renten an die Lohn- und Preisentwicklung). Diese Bestimmungen würden
den Bundesrat verpflichten, auch den Betrag des Zuschlages im Falle
eines Rentenaufschubes (nicht nur den Rentengrundbetrag) der Preis-
und Einkommensentwicklung anzupassen.

    d) Das BSV weist in seiner Vernehmlassung darauf hin, der
versicherungsmässige Gegenwert gemäss Art. 39 Abs. 2 AHVG bedeute
die Summe der aufgezinsten, nichtbezogenen Renten und des sogenannten
Sterblichkeitsgewinnes, wie das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 98 V
256 Erw. 1 entschieden habe (bestätigt in 105 V 52 Erw. b). Das habe zur
Folge, dass die Gesamtleistung, welche wegen des Aufschubes nicht sofort
ausbezahlt werde, auf die verbleibende Rentenbezugsdauer aufzuteilen
sei. Versicherte, welche ihre Rente aufschieben, würden dadurch nicht
benachteiligt, da in den aufgeschobenen Leistungen ein Zinsertrag
eingerechnet werde und bei Rentenabruf im Zuschlag enthalten sei.
Zusätzlich umfasse der Zuschlag noch einen Anteil an den Beträgen, die
infolge Hinschieds von Versicherten innerhalb der Aufschubsdauer nicht
ausbezahlt worden seien. Mit dieser Regelung habe der Verordnungsgeber
die ihm in Art. 39 AHVG eingeräumte Befugnis zur Festsetzung der
Berechnungsregeln für den Aufschubszuschlag nicht überschritten.

    e) Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass zumindest
in denjenigen Fällen, in denen einerseits während der Aufschubszeit
keine Teuerung besteht, die Bemessungsregel des Art. 55ter Abs. 2 Satz
2 AHVV folglich nicht greift (vgl. Erw. 1 in fine), in denen anderseits
eine steigende Lohn- und Preisentwicklung nach dem Abruf einsetzt, der
nach Art. 55ter Abs. 1 AHVV ermittelte versicherungsmässige Gegenwert
der nichtbezogenen Renten wirtschaftlich (kaufkraftmässig) weniger
einbringt, als wenn der Versicherte in der Aufschubszeit über die
Rente hätte verfügen können. Das hat denn auch das Verwaltungsgericht
zutreffend eingeräumt. Selbst das BSV macht nicht geltend, dass den
(den versicherungsmässigen Gegenwert darstellenden) Prozentzahlen des
Art. 55ter Abs. 1 AHVV auch Faktoren zugrunde gelegt würden, welche eine
nach Beendigung der Aufschubszeit eingetretene voraussichtliche Teuerung
mitberücksichtigen.

    Obgleich somit nach der in Art. 55ter AHVV gewählten Konzeption
im Falle einer nach dem Rentenabruf eintretenden oder fortwährenden
Teuerung der versicherungsmässige Gegenwert der aufgeschobenen Renten
an Kaufkraft verliert, liegt kein Verstoss gegen Art. 39 Abs. 2 und
Abs. 3 AHVG vor; denn diese Grundsatz- und Delegationsbestimmungen
verpflichten den Bundesrat offensichtlich nicht zur Einführung des
geforderten Teuerungsausgleichs auf der Rentenzulage. Aber auch die
übrigen angerufenen und einschlägigen Verfassungs- und Gesetzesnormen
betreffend Rentenanpassung führen zu keinem anderen Ergebnis. Wohl
schreibt Art. 34quater Abs. 2 BV vor, dass die im Rahmen der ersten Säule
zu schaffenden AHV-Renten den Existenzbedarf angemessen decken sollen und
mindestens der Preisentwicklung anzupassen sind, und in Art. 33ter AHVG hat
der Bundesgesetzgeber diesen verfassungsmässigen Auftrag konkretisiert. Im
Lichte dieses verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Erfordernisses,
dass die AHV-Renten den Existenzbedarf angemessen decken sollen und in
der Regel alle zwei Jahre der Lohn- und Preisentwicklung anzupassen sind,
ist indessen eine aufgeschobene Rente anders zu beurteilen als eine
laufende Rente. Der Rentenzuschlag bietet nur Ausgleich im Rahmen der
während der Aufschubszeit herrschenden Verhältnisse, was hinsichtlich der
nicht bezogenen Renten durch Art. 55ter Abs. 2 Satz 2 AHVV (Berechnung des
Zuschlages aufgrund des Grundbetrages der Rente im Zeitpunkt des Abrufes)
kaufkraftmässig hinreichend gewährleistet ist. Wenn der Versicherte
die Rente aufschiebt, besteht von Verfassungs und Gesetzes wegen keine
Verpflichtung, den versicherungsmässigen Gegenwert der aufgeschobenen
Rente an die spätere Lohn- und Preisentwicklung in einer Zeit anzupassen,
für welche der Versicherte den Rentenzuschlag nicht zwecks angemessener
Deckung des Existenzbedarfes bezieht; hiefür steht ihm die für diese
Zeit laufende Grundrente zur Verfügung, welche nach den Regeln des
Art. 33ter AHVG und den Ausführungsbestimmungen periodisch an die Lohn-
und Preisentwicklung angepasst wird.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.