Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 97



117 IV 97

22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Mai
1991 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    1. Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB; leichter Fall.

    Ein leichter Fall ist in der Regel bei Freiheitsstrafen bis zu drei
Monaten anzunehmen; Ausnahmen sind möglich bei besonderen (objektiven oder
subjektiven) Umständen, die nicht bereits für den Schuldspruch oder die
Bemessung der Strafe bestimmend waren (E. 3; Änderung der Rechtsprechung).

    2. Art. 277ter BStP; Tragweite des Rückweisungsentscheids.

    Nach Aufhebung und Rückweisung hat sich die kantonale Behörde bei der
Neuentscheidung auf das zu beschränken, was sich aus den Erwägungen des
Bundesgerichts als Gegenstand der neuen Entscheidung ergibt. In den Grenzen
des Verbots der reformatio in peius kann sich dabei die neue Entscheidung
auch auf Punkte beziehen, die vor Bundesgericht nicht angefochten waren,
sofern dies der Sachzusammenhang erfordert (E. 4a und b; Änderung der
Rechtsprechung).

    Anwendungsfall eines Widerrufsentscheids, dessen Aufhebung Auswirkungen
auf die - im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde unangefochtene - Frage
des bedingten Strafvollzugs der neuen Freiheitsstrafe hat (E. 4c).

Sachverhalt

    A.- Am 19. Juni 1988 entwendete H. das Fahrzeug seiner Ex-Freundin
in Wädenswil, um damit herumzufahren, obwohl er mit ihr abgemacht hatte,
das Auto nicht mehr zu benutzen. Er begab sich nach Zürich, von wo aus
er nach 02.00 Uhr nach Wädenswil zurückkehren wollte. Während der Fahrt
schlief er am Steuer ein. Das Fahrzeug geriet nach links, überquerte
die dortige Sicherheitslinie und die anschliessende Fahrbahn sowie das
Trottoir, worauf es gegen zwei Schutzbügel und einen Baum prallte. Obwohl
Sachschaden entstanden war, unterliess es H., sofort den Geschädigten
oder unverzüglich die Polizei zu verständigen. Er telefonierte seiner
Ex-Freundin und legte sich in der Nähe des Sees zum Schlafen nieder. Als er
um 06.00 Uhr erwachte und sah, dass das Fahrzeug wegtransportiert war, fuhr
er mit dem Zug nach Wädenswil, ohne sich weiter um den Vorfall zu kümmern.

    Die obenerwähnte und weitere Fahrten in der Zeit von Januar bis Mai
1988 hatte H. unternommen, obwohl ihm der Führerausweis mit Verfügung
des Strassenverkehrsamtes des Kantons St. Gallen vom 14. Juli 1986 auf
unbestimmte Zeit entzogen worden war.

    Im übrigen kaufte und konsumierte er in der Zeit von Juli 1987 bis
Juni 1988 verschiedene Male Heroin.

    B.- Am 29. Juni 1989 sprach das Obergericht des Kantons Zürich H. im
Berufungsverfahren schuldig der groben Verletzung von Verkehrsregeln,
des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall, des wiederholten Fahrens
trotz Entzugs des Führerausweises und der wiederholten Übertretung des
Betäubungsmittelgesetzes. Das Obergericht bestrafte ihn mit 70 Tagen
Gefängnis (bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von drei Jahren)
sowie einer Busse von Fr. 400.-- und beschloss, eine mit Urteil des
Bezirksgerichts Horgen vom 6. April 1984 ausgesprochene Strafe von 15
Monaten Gefängnis werde vollzogen.

    Gegen dieses Urteil und den Beschluss richtet sich die
Nichtigkeitsbeschwerde des H. Er beantragt unter anderem die Aufhebung
des Widerrufsbeschlusses. Das Bundesgericht heisst das Rechtsmittel in
diesem Punkt gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Auffassung der
kantonalen Richter, wonach in subjektiver Hinsicht nicht mehr von einem
leichten Fall im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 StGB gesprochen werden könne,
überzeuge nicht. Die Schwere des Verschuldens komme in der verhängten
Strafe zum Ausdruck. Es sei daher widersprüchlich, objektiv einen leichten
Fall zu bejahen, subjektiv aber zu verneinen. Bei Freiheitsstrafen bis
zu drei Monaten sei generell von einem leichten Fall auszugehen.

    b) Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Horgen, auf
dessen Urteil die Vorinstanz verweist, führte aus, bei einer Verurteilung
zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten könne nach ständiger Praxis
des Bundesgerichts in objektiver Hinsicht noch ein leichter Fall angenommen
werden. In subjektiver Hinsicht falle aber der Umstand schwer ins Gewicht,
dass der Beschwerdeführer nicht wegen einer einmaligen Verfehlung habe
verurteilt werden müssen, sondern wegen mehrerer unabhängiger Delikte,
die er während einer längeren Zeitdauer zum Teil wiederholt begangen
habe. So habe er während rund eines Jahres dem Betäubungsmittelgesetz
zuwidergehandelt und sei während eines halben Jahres wiederholt
Auto gefahren, ohne den erforderlichen Führerausweis zu besitzen. Der
Beschwerdeführer habe den Selbstunfall vom 19. Juni 1988 zwar fahrlässig
verursacht, doch erscheine bedenklich, dass er sich anschliessend überhaupt
nicht um den Schaden und die damit verbundene Meldepflicht gekümmert habe
und sich auch nicht habe kümmern wollen. Auch damit habe er offenbart,
wie gleichgültig ihm seine Verfehlungen gewesen seien.

    c) Gemäss Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 und 2 StGB ist der bedingte
Strafvollzug unter anderem zu widerrufen, wenn der Verurteilte während der
Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen begeht; sofern begründete Aussicht
auf Bewährung besteht, kann der Richter in leichten Fällen auf den Widerruf
verzichten und statt dessen eine weniger einschneidende Massnahme anordnen.

    Der Begriff des "leichten Falles" im Sinne von Art. 41 Ziff. 3
Abs. 2 StGB ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Interpretation
durch die kantonale Instanz als Frage des Bundesrechts vom Bundesgericht
grundsätzlich in freier Kognition überprüft wird. Ist die kantonale
Instanz bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs von
falschen rechtlichen Kriterien ausgegangen, so hat das Bundesgericht
einzugreifen. Ein falsches rechtliches Kriterium liegt dann vor, wenn
die kantonale Instanz die Qualifikation mit sachlich unzutreffenden
Argumenten begründet oder rechtlich massgebende Gesichtspunkte unrichtig
gewichtet. Einzig für Grenzfälle hat das Bundesgericht angenommen, dass
es bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs nur mit einer
gewissen Zurückhaltung von der Auffassung der Vorinstanz abweiche (BGE
116 IV 314 E. 2c).

    aa) Nach der Rechtsprechung hängt die Frage, ob ein während der
Probezeit begangenes Delikt als "leicht" zu bewerten ist, nicht allein von
der Art und Dauer der ausgesprochenen Strafe ab; wenn diesem Kriterium
auch eine erhebliche Bedeutung zukomme, sei daneben die Gesamtheit der
Tatumstände zu berücksichtigen; der Richter müsse anhand aller objektiven
und subjektiven Umstände des Einzelfalles prüfen, ob der neuen Tat ein
leichtes oder nicht mehr leicht zu nehmendes Verschulden zugrunde liege
und ob allenfalls aussergewöhnliche Umstände in Betracht zu ziehen seien
(BGE 109 IV 90, 105 IV 296 f., 102 IV 232, 101 IV 13, 98 IV 251 E. c). Der
Dauer der Freiheitsstrafe kommt danach zwar eine gewichtige Rolle zu,
eine Schematisierung wird indessen abgelehnt. Insbesondere soll bei
Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten nicht stets ein leichter Fall gegeben
sein (vgl. BGE 98 IV 250 E. 3b).

    bb) In der Lehre ist diese Rechtsprechung auf Kritik
gestossen. Hingewiesen wird auf das schwererträgliche Mass an
Rechtsunsicherheit und Rechtsungleichheit, welche die verschiedenartige
Praxis in den Kantonen mit sich bringe, und die Meinung vertreten, dass
die Grenze, bis zu welcher noch ein leichter Fall angenommen werden
könne, bei etwa drei Monaten Freiheitsstrafe liege (STRATENWERTH, AT
II, Bern 1989, § 4 N 137; SCHULTZ, AT II, 4. Aufl., S. 116; derselbe,
SJK 1198 S. 9/10; TRECHSEL, Kurzkommentar, Zürich 1989, Art. 41 N 55;
vgl. auch GERMANN, Grundzüge der Partialrevision des schweizerischen
Strafgesetzbuches, ZStR 1971, S. 373/374; VAUTIER, Crime ou délit de
peu de gravité?, SJZ 1982, S. 304; LOGOZ, Commentaire du Code pénal
Suisse, Partie générale, deuxième édition, S. 242; KURT, Änderungen
des Schweizerischen StGB, Kriminalistik 1972, S. 158). ALBRECHT (Der
Widerruf des bedingten Strafvollzuges wegen neuer Delikte, BJM 1975,
S. 65), welcher der Ansicht der übrigen Autoren grundsätzlich folgt,
lehnt eine zu schematische Grenzziehung allerdings ab, weil es sich beim
Begriff des leichten Falles um eine Generalklausel handle, welche die
Besonderheiten des einzelnen Sachverhaltes zu berücksichtigen erlaube.

    Abgelehnt als Kriterium wird das Mass des Verschuldens, da dieses
bereits die Höhe der ausgesprochenen Strafe wesentlich bestimmt hat
(ALBRECHT, Die "leichten Fälle" gemäss Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB, SJZ
1978, S. 140; STRATENWERTH, aaO, § 4 N 137; TRECHSEL, aaO). Ob die neue
Strafe unbedingt oder bedingt ausgesprochen wird, kann ebenfalls nicht
ausschlaggebend sein, da die Frage der Bewährungsaussicht nichts über die
Schwere der Straftat besagt (STRATENWERTH, aaO, § 4 N 135 am Schluss;
ALBRECHT, aaO, BJM 1975, S. 64; a. M. SCHULTZ, aaO). Ebensowenig kann
die Dauer der Strafe Beachtung finden, deren bedingter Vollzug widerrufen
werden soll, sonst wären diejenigen Verurteilten privilegiert, die früher
schwer straffällig geworden sind (ALBRECHT, aaO, BJM 1975, S. 67). Entgegen
BGE 86 IV 152 soll es keine Rolle spielen, ob die neue Tat im In- oder
im Ausland begangen worden ist; zu prüfen ist bei einer Auslandstat
vielmehr, ob es sich um eine Tat handelt, die nach schweizerischem
Recht ein Verbrechen oder Vergehen ist, und ob das zu der Verurteilung
im Ausland führende Verfahren den Grundsätzen des schweizerischen Rechts
nicht widerspricht (SCHULTZ, SJK 1198, S. 3 lit. bb; derselbe, Der bedingte
Strafvollzug nach dem Bundesgesetz vom 18. März 1971, ZStR 1973, S. 63 f.).

    cc) Nach dem Gesagten kommt dem Strafmass bei der Frage, ob ein Delikt
"leicht" ist, die massgebliche Bedeutung zu. Dem Bedürfnis einerseits,
keine fixe Grenze für die Bestimmung des leichten Falles festzulegen,
andererseits die Gesamtheit der Tatumstände zu konkretisieren, ist in
dem Sinne Rechnung zu tragen, dass eine Freiheitsstrafe von bis zu drei
Monaten in der Regel als leicht im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
bezeichnet wird. Für eine Grenzziehung bei drei Monaten spricht, dass der
Gesetzgeber verschiedentlich eine besondere Behandlung der Freiheitsstrafen
von bis zu drei Monaten vorsieht, wobei er insbesondere gemäss Art. 41
Ziff. 1 Abs. 2 StGB den bedingten Vollzug einer Freiheitsstrafe gestattet,
wenn in den fünf Jahren vor der Tat eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe
von nicht mehr als drei Monaten verbüsst worden war (SCHULTZ, SJK 1198,
S. 9 mit Hinweisen; derselbe, aaO, ZStR S. 66). Für die hier vertretene
Lösung spricht auch, dass bei Übertretungen (Haft bis zu drei Monaten)
der Widerruf nicht zwingend vorgeschrieben ist (SCHULTZ, aaO, ZStR 1973,
S. 66; ALBRECHT, aaO, BJM 1975, S. 65).

    dd) Die Grenze von drei Monaten ist nicht eine starre Regel,
von der im Einzelfall nicht abgewichen werden kann. Das Gebot der
Gleichheit in der Rechtsanwendung erfordert aber, dass das Abweichen von
einer solchen Regel durch besondere objektive oder subjektive Umstände
gerechtfertigt (BGE 115 II 11 E. 5a) und in diesem Sinn begründet sein
muss (TRECHSEL, aaO; derselbe, Die "Umstände des besonderen Falles" in
der Strafrechtspraxis, in: Beiträge zur Methode des Rechts, St. Galler
Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1981, S. 204).

    So kann für die Annahme eines leichten Falles trotz einer Strafe von
mehr als drei Monaten beispielsweise sprechen

    - dass der nachträgliche Vollzug der aufgeschobenen Strafe für den
Täter eine unverhältnismässige Härte bedeuten würde (ALBRECHT, aaO,
SJZ 1978, S. 140; derselbe, aaO, BJM 1975, S. 67; anders BGE 102 IV 233);

    - dass sich ein jugendlicher Straftäter bis zum Widerrufsentscheid
ernsthaft bemüht hat, den Einstieg in die Gesellschaft zu finden
(II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern in LGVE 1984 Nr. 37 S. 75);

    - dass zwischen der früheren Verurteilung bzw. dem Ende der seinerzeit
ausgesprochenen Probezeit und dem Entscheid über den Widerruf viel Zeit
verstrichen ist (ALBRECHT, aaO, SJZ 1978, S. 140; derselbe, aaO, BJM 1975,
S. 66; Appellationsgericht BS in BJM 1977, S. 310 ff.; anders BGE 102
IV 233);

    - dass sich der Rückfall erst gegen Ende der Probezeit ereignet hat
(vgl. ALBRECHT, aaO, BJM 1975, S. 63 oben, allerdings im Zusammenhang
mit der Prognosestellung);

    - dass seit der neuen Verfehlung verhältnismässig lange Zeit
verstrichen ist und der Verurteilte sich unterdessen wohl verhalten hat
(BGE 86 IV 8);

    - oder dass die Strafe auch Taten umfasst, die ausserhalb der Probezeit
begangen wurden und deshalb für den Widerruf unerheblich sind (ALBRECHT,
aaO, BJM 1975, S. 65 mit Hinweisen; vgl. auch SCHULTZ, SJK 1198, S. 10).

    d) Bei einer Strafe von 70 Tagen Gefängnis und Fr. 400.-- Busse, wie im
vorliegenden Fall ausgesprochen, ist danach in der Regel ein leichter Fall
anzunehmen. Zu prüfen bleibt, ob davon aufgrund von besonderen objektiven
oder subjektiven Umständen abgewichen werden kann.

    Die kantonalen Richter stellten entscheidend darauf ab, (1) dass der
Beschwerdeführer nicht wegen einer einmaligen Verfehlung habe verurteilt
werden müssen, sondern wegen mehrerer unabhängiger Delikte, die er während
einer längeren Zeitdauer zum Teil wiederholt begangen habe, sowie darauf,
(2) dass er den Selbstunfall vom 19. Juni 1988 zwar fahrlässig verursacht
habe, es aber bedenklich erscheine, dass er sich anschliessend überhaupt
nicht um den Schaden und die damit verbundene Meldepflicht gekümmert habe
und sich auch nicht habe kümmern wollen. Dies rechtfertigt (vgl. oben
E. c/dd) kein Abweichen von der Regel, dass bei einer Freiheitsstrafe
von unter drei Monaten ein leichter Fall vorliegt. Teilweise belegen die
erwähnten Ausführungen nichts anderes, als dass und in welcher Weise sich
der Beschwerdeführer überhaupt strafbar gemacht hat, und teilweise sind
sie beim Verschulden zu berücksichtigen. Sie betreffen also den Schuld-
sowie den Strafpunkt und können deshalb bei der Frage des leichten Falles
nicht mehr ausschlaggebend sein. Demgegenüber haben die kantonalen Richter
beispielsweise nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer die neuen
Straftaten fast am Ende der Probezeit verübt hat.

    Die Verneinung eines leichten Falles verletzt demnach Bundesrecht,
weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Punkt gutzuheissen und die
Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen ist. Dieses
wird bei der Neubeurteilung von einem leichten Fall auszugehen und sich
darüber hinaus mit der Frage der begründeten Aussicht auf Bewährung gemäss
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB zu befassen haben.

Erwägung 4

    4.- Die Vorinstanz hat dem Beschwerdeführer für die wegen der neuen
Taten ausgefällte Strafe den bedingten Strafvollzug vor allem mit der
Begründung gewährt, die wegen des Widerrufs zu verbüssende 15monatige
Gefängnisstrafe könne bei der Beurteilung des künftigen Wohlverhaltens
nicht ausser acht gelassen werden; es sei anzunehmen, dass der Strafvollzug
eine nachhaltige Wirkung auf den Beschwerdeführer hinterlassen werde. Da
die Vorinstanz in bezug auf den Widerruf neu zu entscheiden hat, stellt
sich die Frage, ob sie auf die im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde
unangefochtene Gewährung des bedingten Strafvollzuges für die neue Strafe
zurückkommen kann.

    a) Gemäss Art. 277ter hebt der Kassationshof, wenn er die Beschwerde im
Strafpunkt für begründet hält, den angefochtenen Entscheid auf und weist
die Sache zur neuen Entscheidung an die kantonale Behörde zurück. Diese
hat ihrem Entscheid die rechtliche Begründung der Kassation zugrunde zu
legen. Nach der Rechtsprechung ergibt sich aus dieser Regelung, dass die
kantonale Behörde nach Aufhebung und Rückweisung nicht frei urteilen
kann, als ob bisher überhaupt kein Urteil gefällt worden wäre. Sie
hat sich vielmehr auf das zu beschränken, was sich aus den für sie
verbindlichen Erwägungen des Kassationshofes als Gegenstand der neuen
Entscheidung ergibt (dazu näher E. 4b hiernach). Entsprechend hat die
Rechtsprechung angenommen, dass der neue Entscheid der kantonalen Instanz
vor Bundesgericht nicht mehr angefochten werden kann, wenn die Anfechtung
bereits in bezug auf das erste Urteil möglich gewesen wäre und nach
Treu und Glauben für die betreffende Partei die Anfechtung zumutbar war
(BGE 111 II 95 f. mit Hinweisen; vgl. auch BGE 116 II 222, 110 IV 116 f.,
106 IV 197 E. 1c).

    Die Rechtsprechung zu Art. 277ter BStP beruht auf dem Grundgedanken,
dass das Strafverfahren prinzipiell mit dem Urteil der (oberen) kantonalen
Instanz abgeschlossen ist. Im Falle einer Kassation des Urteils aufgrund
der Gutheissung einer eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde soll deshalb
nicht das ganze Verfahren erneut in Gang gesetzt werden, sondern nur
insoweit, als dies notwendig ist, um den verbindlichen Erwägungen des
Bundesgerichts Rechnung zu tragen.

    b) In der Rechtsprechung ist allerdings das Ausmass der Bindungswirkung
gemäss Art. 277ter BStP zu stark betont und dementsprechend der der
kantonalen Behörde noch verbleibende Spielraum zu sehr eingeengt worden. So
wurde in BGE 101 IV 103 ff. angenommen, es sei der kantonalen Behörde
versagt, anstelle von 18 Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug
und einer Busse von Fr. 1'000.-- neu 12 Monate Gefängnis unbedingt
unter Verzicht auf die Geldbusse auszusprechen, wenn Gegenstand
des Nichtigkeitsbeschwerdeverfahrens nur die Frage des bedingten
Strafvollzuges gewesen sei. Die kantonale Behörde sei vielmehr aufgrund
des Rückweisungsentscheides verpflichtet, den bedingten Strafvollzug
zu verweigern und im übrigen das frühere Urteil unverändert zu belassen
(aaO, 107).

    Gegen diese Rechtsprechung wurde eingewandt, der in der Praxis
bestehende nahe Zusammenhang zwischen Strafzumessung und bedingtem
Strafvollzug sei dabei nicht beachtet worden (SCHULTZ, ZBJV 1976,
S. 446). In seiner neueren Rechtsprechung zur Frage der Beschränkung der
Appellation gemäss kantonalem Prozessrecht hat denn auch der Kassationshof
angenommen, dass eine Rechtsmittelbeschränkung insoweit sachlich
gerechtfertigt sein könne, als im konkreten Fall eine isolierte Überprüfung
der aufgeworfenen Frage möglich sei (BGE 115 Ia 107 ff.). Umgekehrt ergibt
sich aus dieser Entscheidung, dass eine Teilanfechtung dann abzulehnen
ist, wenn damit Fragen auseinandergerissen werden, die in einem sachlichen
Zusammenhang stehen. Diesem Gesichtspunkt ist auch bei der Tragweite der
Bindungswirkung gemäss Art. 277ter BStP Rechnung zu tragen.

    Für den Bereich der Sanktionen ergibt sich daraus, dass die
Gutheissung einer Nichtigkeitsbeschwerde, mit der stets die Aufhebung des
angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz
zu neuer Entscheidung verbunden ist, folgendes bewirkt: Die Vorinstanz
ist angewiesen, die Begründung des Bundesgerichts zu befolgen und
entsprechend dieser das neue Urteil zu fällen. Das aufgehobene
Urteil ist dabei nicht nur in dem Punkte abzuändern, der unmittelbar
Gegenstand des durch das Bundesgericht auf Nichtigkeitsbeschwerde hin
gefällten Urteils bildete. Gegebenenfalls sind auch weitere Urteilspunkte
abzuändern, auf die sich die andere Beurteilung einer Rechtsfrage durch
das Bundesgericht in der Weise auswirkt, dass sich in diesen sonst
ein bundesrechtswidriger Entscheid der kantonalen Instanz ergäbe. Auch
solche mittelbare Auswirkungen der rechtlichen Begründung der Kassation
erlauben der kantonalen Instanz und verpflichten sie zugleich, ihren durch
das Bundesgericht aufgehobenen Entscheid - bei Nichtigkeitsbeschwerden
des Verurteilten in den Grenzen des Verbots der reformatio in peius -
entsprechend zu ändern.

    Wenn daher in einem angefochtenen Entscheid bei der Gewährung des
bedingten Strafvollzuges eine längere Freiheitsstrafe, gegebenenfalls
verbunden mit einer Busse, ausgesprochen wurde, als dies im Falle der
Verweigerung des bedingten Strafvollzuges der Fall gewesen wäre, dann hat
die Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die
Gewährung des bedingten Strafvollzuges entgegen BGE 101 IV 103 ff. nicht
zur Folge, dass die kantonale Instanz auf die Dauer der Freiheitsstrafe und
die ausgesprochene Busse nicht mehr zurückkommen kann. Sie ist gezwungen,
neu eine unbedingte Freiheitsstrafe auszusprechen. Die rechtliche
Begründung der Kassation gestattet und verpflichtet jedoch, die Strafe -
in bezug auf deren Dauer und die Ausfällung einer Busse - im neuen Urteil
so festzusetzen, wie die kantonale Instanz dies bereits im ersten Urteil
getan hätte, wenn sie den bedingten Strafvollzug verweigert hätte.

    c) Entsprechend gilt im vorliegenden Fall folgendes: Sollte
die Vorinstanz in ihrem neuen Urteil von einem Widerruf der früher
ausgesprochenen 15monatigen Strafe absehen, hätte sie über die Gewährung
des bedingten Strafvollzuges für die neu ausgesprochene Strafe ebenfalls
neu zu entscheiden, da sie im aufgehobenen Urteil den bedingten
Strafvollzug für die neue Strafe offenbar (auch) im Hinblick auf die
zu erwartende Verbüssung der Widerrufsstrafe gewährt hat. Umgekehrt
ist zu beachten, dass die Vorinstanz bei der Prognose in bezug auf die
frühere Strafe gegebenenfalls zu berücksichtigen hat, ob der Vollzug der
neuen Strafe von 70 Tagen dem Beschwerdeführer eine genügende Warnung
ist (BGE 116 IV 177). Eine Einschränkung unter dem Gesichtswinkel
des Verbots der reformatio in peius ergibt sich hier nicht, da das
Gesamtergebnis der neuen, von der Vorinstanz zu fällenden Entscheidung
für den Beschwerdeführer auf jeden Fall nicht schwerer sein wird als das
heute vom Bundesgericht aufgehobene Urteil.