Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 67



117 IV 67

17. Urteil des Kassationshofes vom 19. Februar 1991 i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Widerhandlungen gegen das Lebensmittelgesetz.

    1. Art. 53 LMG.

    Als Übertretungen von geringer Bedeutung im Sinne dieser Bestimmung
kommen angesichts der darin angedrohten Höchststrafe von 50 Franken Busse
nur ausgesprochene Bagatellfälle in Betracht (E. 1).

    2. Art. 11 ff., 16 LMG.

    Die Zulässigkeit eines Strafverfahrens und einer Verurteilung wegen
Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher Lebensmittel setzt weder die
Erstattung einer Strafanzeige durch die gemäss Art. 16 LMG zuständige
Behörde noch die vorgängige Durchführung des in Art. 11 ff. LMG geregelten
Verfahrens voraus (E. 2).

    3. Art. 38 LMG.

    Die Gesundheitsschädlichkeit eines Stoffes bestimmt sich nach
den Gesetzen der Natur und nicht nach behördlichen Vorschriften. Der
Umstand, dass in der zur Zeit der Taten geltenden Verordnung für die
vom Täter in Verkehr gebrachten Feigen keine Grenzwerte in bezug auf
die gesundheitsschädlichen Aflatoxine genannt wurden, weil beim Erlass
jener Verordnung ein Aflatoxin-Problem bei Feigen noch nicht bekannt war,
betrifft nicht die Frage der Gesundheitsschädlichkeit, sondern die Frage
der Schuld des Täters (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Gerichtskommission Gossau verurteilte X. am 19.  Januar
1990 wegen fahrlässiger Widerhandlung gegen das Lebensmittelgesetz im
Sinne von Art. 38 Abs. 1 LMG zu einer Busse von Fr. 2'000.--, bedingt
vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr. Die Strafkammer
des Kantonsgerichts St. Gallen wies die vom Gebüssten dagegen erhobene
Berufung am 20. August 1990 ab. X. wird zur Last gelegt, er habe als
verantwortlicher Geschäftsleiter der Z. im Bereich Früchte, Gemüse und
Trockenfrüchte Ende 1986 und Anfang 1987 teilweise stark mit Aflatoxinen
kontaminierte türkische Feigen in der Schweiz gelagert bzw. in Verkehr
gebracht, deren Kontamination mit Aflatoxinen er bei Anwendung der nach
den Umständen gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, und er habe eine
Rückzugsverfügung des Kantonalen Laboratoriums St. Gallen vom 5. März
1987 nicht befolgt.

    B.- Der Gebüsste führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Sache
zur neuen Entscheidung (im Sinne eines Freispruchs) an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht wie bereits im kantonalen Verfahren
geltend, die ihm zur Last gelegten Widerhandlungen seien im Sinne von
Art. 53 LMG von geringer Bedeutung, daher Übertretungen gemäss Art. 101
StGB und deshalb absolut verjährt.

    Sind Übertretungen, welche unter die Art. 38 und 41 LMG fallen,
von geringer Bedeutung, so wird gemäss Art. 53 LMG der Fehlbare mit
einer Busse von höchstens 50 Franken bestraft. Eine solche "Übertretung"
von geringer Bedeutung ist angesichts der in Art. 53 LMG angedrohten
Strafe eine Übertretung im technischen Sinne gemäss Art. 101 StGB und
verjährt daher relativ in einem und absolut in zwei Jahren (Art. 109
StGB, vgl. auch Art. 333 StGB). Mit Rücksicht auf die in Art. 53 LMG
angedrohte Höchststrafe von 50 Franken Busse fallen als Widerhandlungen
von geringer Bedeutung nur ausgesprochene Bagatellfälle in Betracht. Das
gilt auch unter Berücksichtigung der erheblichen Geldentwertung seit
dem Inkrafttreten des Lebensmittelgesetzes vom 8. Dezember 1905, auf
die in der Nichtigkeitsbeschwerde hingewiesen wird. Art. 53 LMG ist
objektiv-zeitgemäss auszulegen; massgebend ist demnach, dass heute der
Betrag von 50 Franken ein geringer Betrag ist. Im übrigen ist darauf
hinzuweisen, dass der seit dem Jahre 1905 unverändert gebliebene
Art. 38 LMG für fahrlässiges Inverkehrbringen gesundheitsschädlicher
Lebensmittel etc. immerhin Gefängnis bis zu sechs Monaten und/oder
Busse bis zu Fr. 1'000.-- androht. Angesichts dessen dürften auch
bei subjektiv-historischer Auslegung von Art. 53 LMG, für die der
Beschwerdeführer plädiert, nur ausgesprochene Bagatellfälle als
Übertretungen von geringer Bedeutung qualifiziert werden. So war
denn auch in den Verhandlungen der Eidgenössischen Räte in diesem
Zusammenhang verschiedentlich von Bagatellsachen die Rede (vgl. etwa
Sten.Bull. 1905 S. 396, Votum NR Brosi; S. 891, Votum SR Richard). Die
dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Widerhandlungen gemäss Art. 38
LMG sind nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil schon
angesichts der hochgradig krebserzeugenden Wirkung von Aflatoxinen, die
dem Beschwerdeführer bekannt war, sowie auch unter Berücksichtigung des
Ausmasses der in einzelnen Fällen festgestellten Grenzwertüberschreitungen
nicht in diesem Sinne von geringer Bedeutung. Es ist insoweit entgegen
einem Einwand in der Nichtigkeitsbeschwerde unerheblich, welche Massnahmen
die Behörden selber getroffen hatten; massgebend ist vielmehr, dass
die Behörden die Importeure und Händler mehrfach dringend baten, der
Angelegenheit grösste Aufmerksamkeit zu schenken.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht wie bereits im kantonalen Verfahren
geltend, dass weder das Kantonale Laboratorium St. Gallen noch der
Kantonschemiker, die am 24. April 1987 beim Bezirksamt Gossau Strafanzeige
einreichten, wodurch die Strafverfolgung eröffnet wurde, die im Sinne
von Art. 16 Abs. 1 LMG zur Weiterleitung der Anzeige an den Richter
zuständige Behörde sei; gemäss dem damals (und bis 1990) geltenden Art. 12
der st. gallischen Vollzugsverordnung zur Gesetzgebung über den Verkehr
mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. November 1955 sei allein
die örtliche Gesundheitskommission - im vorliegenden Fall jene von Gossau
- zur Erstattung der Strafanzeige befugt und damit zuständige Behörde im
Sinne von Art. 16 Abs. 1 LMG gewesen; diese habe aber bewusst auf die
Einreichung einer Strafanzeige verzichtet. Der Beschwerdeführer macht
im weiteren geltend, es sei ihm sodann entgegen den in Art. 16 Abs. 1
und 2 LMG enthaltenen Vorschriften vor der Weiterleitung der Anzeige an
den Richter von der Anzeige (der Untersuchungsanstalt an die zuständige
Behörde) keine Kenntnis gegeben und ihm damit auch nicht die Möglichkeit
eingeräumt worden, innert fünf Tagen nach Empfang der Mitteilung Einsprache
zu erheben und eine Oberexpertise zu verlangen. Seines Erachtens sind
die Einreichung der Strafanzeige durch die zuständige Behörde im Sinne
von Art. 16 Abs. 1 LMG und die Einhaltung des in Art. 16 Abs. 1 und 2
LMG vorgeschriebenen Verfahrens bundesrechtliche Prozessvoraussetzungen;
da diese nicht erfüllt seien, müsse die Sache zu seiner Freisprechung oder
zur Einstellung des Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen werden.

    Abgesehen von den Fällen, welche in die Kompetenz der
Lebensmittelinspektoren und der Ortsexperten fallen, werden
die Proben (betreffend Waren oder Rohmaterialien, siehe dazu
Art. 11 Abs. 1 LMG) mit einem schriftlichen Bericht der zuständigen
Untersuchungsanstalt übermittelt, welche der auftraggebenden Amtsstelle
von dem Untersuchungsresultat in kürzester Frist Kenntnis gibt (Art.
13 Abs. 1 LMG). Gibt die Untersuchung Anlass zur Beanstandung, dann
ist der zuständigen Behörde unter Beilage des Untersuchungsberichts
unverzüglich schriftliche Anzeige zu erstatten (Art. 14 Abs. 2 LMG). Bevor
die zuständige Behörde auf Grund der Anzeige ihre Verfügungen trifft
oder die Anzeige an den Richter weiterleitet, hat sie dem Beteiligten
Kenntnis von der gegen ihn erstatteten Anzeige zu geben (Art. 16 Abs. 1
LMG). Dem Beteiligten steht das Recht zu, innert fünf Tagen nach Empfang
der Mitteilung Einsprache zu erheben und eine Oberexpertise zu verlangen
(Art. 16 Abs. 2 LMG).

    a) Über die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen, die
bundesrechtlicher Natur sind und daher Gegenstand der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde sein können, ist erst zu entscheiden, wenn
feststeht, dass das Kantonale Laboratorium St. Gallen bzw. der
Kantonschemiker nach dem einschlägigen kantonalen Recht nicht die im
Sinne von Art. 16 Abs. 1 LMG zur Weiterleitung der Anzeige an den Richter
zuständige Behörde war.

    Das Kantonsgericht hat nicht erkannt, dass nach der st. gallischen
Vollzugsverordnung zur Gesetzgebung über den Verkehr mit Lebensmitteln und
Gebrauchsgegenständen in der im massgebenden Zeitpunkt der Einreichung der
Strafanzeige geltenden Fassung neben der örtlichen Gesundheitskommission
auch das Kantonale Laboratorium bzw. der Kantonschemiker als die zuständige
Behörde qualifiziert werden müsse, von der in Art. 16 LMG die Rede ist. Es
geht in seinen Erwägungen im Gegenteil offenbar davon aus, dass nach der
kantonalen Vollzugsverordnung in der damals geltenden Fassung in der Tat
wohl einzig die örtliche Gesundheitskommission als zuständige Behörde im
Sinne von Art. 16 LMG zu betrachten ist. Es vertritt aber die Auffassung,
dass Art. 16 LMG die Zulässigkeit der Strafverfolgung wegen Widerhandlungen
im Sinne von Art. 38 LMG nicht von der Anzeige bzw. Ermächtigung der in
Art. 16 LMG genannten zuständigen Behörde abhängig mache, dass Art. 16
LMG vielmehr einfach eine Anzeigepflicht der dort genannten zuständigen
Behörde statuiere, dass aber, da es sich bei den Widerhandlungen im
Sinne von Art. 38 LMG um Offizialdelikte handle, das Anzeigerecht nach
den allgemeinen Regeln des Prozessrechts jedermann zustehe und damit
insbesondere auch dem Kantonschemiker, der gemäss Art. 4 Abs. 1 der
kantonalen Vollzugsverordnung in der damals geltenden Fassung den Verkehr
mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen "überwachte".

    Es ist demnach vorliegend davon auszugehen, dass nach der vom
Kantonsgericht im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung das Kantonale
Laboratorium bzw. der Kantonschemiker gemäss der Vollzugsverordnung
in der damals geltenden Fassung nicht die zuständige Behörde war,
von der in Art. 16 LMG die Rede ist. Abs. 3 von Art. 12 der kantonalen
Vollzugsverordnung in der damals geltenden Fassung, der offensichtlich
auf Art. 16 LMG Bezug nahm, bestimmte, dass die Gesundheitskommission
Strafanzeige erstattet, wenn keine Oberexpertise verlangt oder die
Beanstandung durch die Oberexpertise bestätigt wird und eine strafbare
Handlung in Frage steht. Demgegenüber ist in Art. 3 und 4 der kantonalen
Vollzugsverordnung in der damals geltenden Fassung betreffend die Aufgaben
der Untersuchungsanstalt und die Befugnisse des Kantonschemikers von der
Erstattung von Strafanzeigen nicht die Rede.

    b) Die Tatsache, dass somit vorliegend die Strafanzeige wegen
Widerhandlungen gemäss Art. 38 LMG nicht von der im Sinne von Art. 16 LMG
zuständigen Behörde erstattet wurde, hat indessen nach der zutreffenden
Auffassung des Kantonsgerichts nicht die Bedeutung, die ihr der
Beschwerdeführer beilegt.

    Art. 16 LMG ist im Abschnitt I. A des Gesetzes betreffend "kantonale
Aufsicht" enthalten. Er regelt das Vorgehen in Fällen, in denen bei
Gelegenheit von Untersuchungen, die im Rahmen der allgemeinen Aufsicht
über den Verkehr mit Lebensmitteln vorgenommen werden, Anlass zu
Beanstandungen besteht. Aus Art. 16 LMG kann nicht abgeleitet werden,
dass ein Strafverfahren wegen Widerhandlung im Sinne von Art. 38 LMG nur
dann eröffnet werden dürfe, wenn die im Sinne von Art. 16 LMG zuständige
Behörde, welche vom kantonalen Recht bezeichnet wird, die ihr gemäss
Art. 14 Abs. 2 LMG unter Beilage des Untersuchungsberichts unverzüglich
erstattete "schriftliche Anzeige", dass Anlass zu Beanstandungen besteht,
an den Richter weiterleitet. Eine derart erhebliche Einschränkung der
Möglichkeiten der Strafverfolgung betreffend Widerhandlungen im Sinne
von Art. 38 LMG müsste im Gesetz klar zum Ausdruck gebracht werden
(vgl. etwa die Regelung in Art. 302 StGB). Es sind auch keine sachlichen
Gründe erkennbar, die dafür sprechen, dass eine Strafverfolgung wegen
Widerhandlungen im Sinne von Art. 38 LMG nur auf Anzeige der zuständigen
Behörde im Sinne von Art. 16 LMG möglich sein soll. Die in Art. 2 ff. LMG
geregelte Aufsicht ist zwangsläufig nicht eine umfassende; es liegt aber
im Interesse einer wirksamen Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten,
dass jedermann Anzeige wegen Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher
Lebensmittel etc. im Sinne von Art. 38 LMG einreichen kann. Dafür spricht
zudem auch, dass Art. 38 LMG die öffentliche Gesundheit und auch die
Gesundheit jedes einzelnen schützen will. Nach der zutreffenden Auffassung
der Vorinstanz begründet Art. 16 LMG eine Anzeigepflicht der zuständigen
Behörde für den Fall, dass nach Ansicht dieser Behörde ein Straftatbestand
nach dem Lebensmittelgesetz erfüllt ist, keinesfalls aber ein exklusives
Anzeigerecht dieser Behörde.

    c) Es ist sodann entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
für die Frage der Rechtmässigkeit des Strafverfahrens und des dieses
abschliessenden Urteils auch unerheblich, dass vor der Weiterleitung
der Anzeige an den Richter dem Beschwerdeführer keine Kenntnis von
der Anzeige gegeben (Art. 16 Abs. 1 LMG) und ihm somit auch nicht
die Möglichkeit eingeräumt wurde, innert fünf Tagen nach Empfang der
Mitteilung Einsprache zu erheben und eine Oberexpertise zu verlangen
(Art. 16 Abs. 2 LMG). Die Unterlassung dieser in Art. 16 LMG beschriebenen
Vorkehrungen begründet entgegen einer in ZBJV 61/1925 S. 81 vom bernischen
Obergericht vertretenen Auffassung, auf die in der Literatur verwiesen
wird (siehe KARL DÜRR, Kommentar zum eidgenössischen Lebensmittelgesetz
nebst Verordnungen, Bern 1953, S. 13; WALTER THALMANN, Kompetenzen und
Verfahren der Behörden des eidgenössischen Lebensmittelpolizeigesetzes,
Diss. Bern 1929, S. 111/112), nicht einen Formfehler, der zur Kassation
des Verfahrens führt. Die Durchführung des in Art. 16 LMG beschriebenen
Verfahrens, welches seinerseits erst nach Durchführung des in Art. 11
ff. LMG geregelten Verfahrens möglich ist, ist entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers keine Voraussetzung für die Zulässigkeit
eines Strafverfahrens wegen Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher
Lebensmittel im Sinne von Art. 38 LMG (offengelassen in einem Gutachten
der Bundesanwaltschaft vom 6./10. Januar 1928, VEB 1928 Nr. 23). So wie
die Strafverfolgung wegen Lebensmittelfälschung und Inverkehrbringens
gefälschter Lebensmittel, die bis zum Inkrafttreten des Strafgesetzbuches
(vgl. Art. 398 Abs. 2 lit. f StGB) in Art. 36 und 37 LMG geregelt waren
und nun unter Art. 153 f. StGB fallen, ohne vorgängige Durchführung eines
Verfahrens nach Art. 11 ff. LMG zulässig ist (vgl. dazu BGE 72 IV 14), muss
auch die Strafverfolgung wegen Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher
Lebensmittel, das übrigens in echter Konkurrenz zu den Delikten gemäss
Art. 153 f. StGB stehen kann (BGE 81 IV 161), ohne vorgängige Durchführung
des in Art. 11 ff. LMG geregelten Verfahrens möglich sein. Wollte man
anders entscheiden, dann hätte dies unter anderem beispielsweise zur Folge,
dass in Fällen, in denen das fragliche Lebensmittel schon vollständig
verzehrt worden ist und somit davon keine Probe mehr genommen werden
(vgl. Art. 11 Abs. 2 LMG) und demzufolge das Verfahren nach Art. 11 ff.
LMG gar nicht mehr durchgeführt werden kann, eine Strafverfolgung wegen
Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher Lebensmittel im Sinne von Art. 38
LMG gar nicht mehr möglich wäre. Die Strafverfolgung ist bei Vorliegen
eines hinreichenden Anfangsverdachts zu eröffnen. Dieser kann durch
beliebige Beweismittel, nicht nur durch das Ergebnis einer im Verfahren
gemäss Art. 11 ff. LMG durchgeführten Untersuchung, begründet sein. Die
modernen Strafprozessordnungen unserer Zeit bieten Gewähr dafür, dass
der Angeschuldigte im Strafverfahren seine Rechte wahren und etwa den
Beweisantrag auf Einholung einer Expertise oder gar einer Oberexpertise
- von der in Art. 16 Abs. 2 LMG die Rede ist - verlangen kann. Ob und
inwieweit die Einhaltung des in Art. 16 LMG geregelten Verfahrens eine
Voraussetzung für die Rechtsgültigkeit von administrativen Verfügungen,
etwa Verkaufsverboten, ist (vgl. dazu z.B. VEB 1930 Nr. 37), braucht
vorliegend nicht entschieden zu werden. Die Einhaltung des Verfahrens
gemäss Art. 16 LMG ist nach dem Gesagten entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers jedenfalls keine Voraussetzung für die Zulässigkeit
des Strafverfahrens bzw. für die Rechtmässigkeit einer Verurteilung wegen
Widerhandlung im Sinne von Art. 38 LMG.

    d) Der Entwurf des Bundesrates zu einem Bundesgesetz über Lebensmittel
und Gebrauchsgegenstände (BBl 1989 I S. 893 ff., 992) bestimmt in
Art. 30 ("Anzeige und Verwarnung"): Die zuständige Vollzugsbehörde
zeigt Widerhandlungen gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften der
Strafverfolgungsbehörde an (Abs. 1). In besonders leichten Fällen kann die
Vollzugsbehörde auf eine Strafanzeige verzichten und den Verantwortlichen
verwarnen. In diesem Fall entfällt jede weitere Strafe (Abs. 2). Es wäre
wünschenswert, wenn im Gesetz klargestellt würde, welche Bedeutung dieser
"Anzeige" der zuständigen Vollzugsbehörde bzw. einem allfälligen Verzicht
der zuständigen Behörde auf Erstattung einer Anzeige für die Zulässigkeit
der Durchführung eines Strafverfahrens bzw. einer Verurteilung wegen
Vergehen (Art. 47 des Entwurfs) und Übertretungen (Art. 48 des Entwurfs)
im allgemeinen und bei Vorliegen eines besonders leichten Falles im
besonderen - vgl. auch Art. 48 Abs. 3 des Entwurfs, der in Art. 47 des
Entwurfs keine Entsprechung findet - zukommen soll.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht schliesslich wie bereits im kantonalen
Verfahren geltend, der objektive Tatbestand von Art. 38 LMG sei nicht
erfüllt, da die von ihm in Verkehr gebrachten Feigen nicht im Sinne dieser
Bestimmung gesundheitsschädlich gewesen seien. Zur Begründung führt er
aus, die Frage der Gesundheitsschädlichkeit sei immer und ausschliesslich
nach den Anforderungen zu beurteilen, welche das Gesetz im Zeitpunkt des
Inverkehrbringens einer Ware stellte, und nicht nach (möglicherweise noch
so begründeten) Meinungen und Thesen von Wissenschaftlern und Ämtern. Ein
Produkt, bei dem die vorhandenen Mikroorganismen oder Toxine den in den
einschlägigen Verordnungen festgelegten Grenzwert nicht erreichen, sei
nicht im Sinne von Art. 38 LMG gesundheitsschädlich. Der zur Zeit der
inkriminierten Taten geltende Anhang zur damals geltenden Verordnung
des EDI vom 14. September 1981 über die hygienisch-mikrobiologischen
Anforderungen an Lebensmittel, Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände in
der Fassung vom 19. Januar 1983 (AS 1981 1742, AS 1983 197) habe nur bei
einzelnen, genau bezeichneten Produkten für den Aflatoxin-Gehalt einen
Grenzwert festgelegt; Feigen seien darin nicht aufgeführt; erst durch die
neue Verordnung des EDI vom 1. Juli 1987, in Kraft seit 1. August 1987 (SR
817.024), die zur Zeit der inkriminierten Taten noch nicht gegolten habe,
seien in deren Anhang für sämtliche Lebensmittel, also auch für Feigen,
Grenzwerte hinsichtlich des Aflatoxin-Gehalts festgelegt worden.

    a) Gemäss Art. 38 Abs. 2 LMG ist strafbar, wer gesundheitsschädliche
oder lebensgefährliche Lebensmittel etc. feilhält oder sonst in Verkehr
bringt. Nach Art. 8a Abs. 1 1. Satz der Lebensmittelverordnung dürfen
Lebensmittel etc. Mikroorganismen und mikrobielle Stoffwechselprodukte
nur in Mengen enthalten, welche die menschliche Gesundheit nicht gefährden
können. Das EDI kann in einer Verordnung hygienisch-mikrobiologische
Anforderungen an Lebensmittel etc. festlegen (Art. 8a Abs. 2 LMV). Enthält
eine Probe eines Lebensmittels etc. krankheitserregende Mikroorganismen in
Mengen, welche die menschliche Gesundheit gefährden, so ist das Warenlos
vorsorglich zu beschlagnahmen (Art. 8a Abs. 3 LMV). Die zur Zeit der
inkriminierten Taten geltende Verordnung des EDI bestimmte in Art. 1
Abs. 2, dass der Grenzwert die Menge von Mikroorganismen oder Toxinen
bezeichnet, bei deren Überschreiten ein Produkt gesundheitsgefährdend,
verdorben oder unbrauchbar ist (ähnlich Art. 2 Abs. 1 der heute geltenden
Verordnung).

    Es ist unbestritten, dass die zur Zeit der inkriminierten Taten
geltende Verordnung des EDI vom 14. September 1981 in der Fassung vom
19. Januar 1983 in ihrem Anhang nur für einzelne, genau bezeichnete
Lebensmittel - z.B. Nüsse, Ölsamen, Mais, Cerealien - Aflatoxin-Grenzwerte
festlegte, wobei Feigen nicht erwähnt waren; erst im Anhang zur noch
heute geltenden Verordnung des EDI vom 1. Juli 1987, in Kraft seit
1. August 1987, wird bestimmt, dass die dort genannten Grenzwerte für alle
Lebensmittel gelten. Daraus kann der Beschwerdeführer indessen nach der
zutreffenden Auffassung der Vorinstanz nichts zu seinen Gunsten ableiten.

    b) Aflatoxine sind durch Schimmelpilze gebildete, stark krebserregende
Stoffe. Aflatoxine sind damit jedenfalls in Mengen, die gewisse Grenzwerte
überschreiten, gesundheitsschädlich im Sinne von Art. 38 LMG, in welchem
Lebensmittel sie auch enthalten sein mögen. Die Feigen waren im Anhang
der zur Zeit der inkriminierten Taten geltenden Verordnung des EDI
nicht deshalb nicht aufgeführt worden, weil nach dem damaligen Stand der
Erkenntnisse Aflatoxine in Feigen als ungefährlich galten, sondern sie
waren nach einer plausiblen Bemerkung im angefochtenen Urteil, die in
der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten wird, offensichtlich allein
deshalb nicht genannt worden, weil damals, zur Zeit des Erlasses jener
Verordnung, noch nicht bekannt war, dass die krebserzeugenden Aflatoxine
auch in Feigen enthalten sein können. Unter diesen Umständen kann
dahingestellt bleiben, wie es sich in bezug auf den objektiven Tatbestand
von Art. 38 Abs. 2 verhielte, wenn die Nichterwähnung der Feigen im
Anhang der zur Zeit der inkriminierten Taten geltenden Verordnung des
EDI vom 14. September 1981 in der Fassung vom 19. Januar 1983 auf der
wissenschaftlichen Annahme beruht hätte, dass Aflatoxine in Feigen nicht
gesundheitsschädlich seien. Es sei immerhin aber darauf hingewiesen,
dass sich die Gesundheitsschädlichkeit eines Lebensmittels im Sinne von
Art. 38 LMG bzw. eines darin enthaltenen Stoffes grundsätzlich nicht nach
Vorschriften in Gesetzen und Verordnungen, sondern allein nach den Gesetzen
der Natur bestimmt, und dass in den Vorschriften (bestenfalls) nur die von
den sie erlassenden Behörden anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse
im Zeitpunkt des Erlasses der Vorschriften zum Ausdruck kommen. Die
wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in den gesetzlichen Vorschriften
zum Ausdruck kommen, und damit diese Vorschriften selber können aber
für die Beantwortung der Frage nach der Gesundheitsschädlichkeit im
Sinne von Art. 38 LMG nicht massgebend sein, wenn sie im Zeitpunkt der
Ausfällung des Urteils oder gar schon zur Zeit der inkriminierten Taten
anerkanntermassen falsch sind.

    c) Der Umstand, dass im Anhang der zur Zeit der inkriminierten Taten
geltenden Verordnung des EDI Feigen nicht erwähnt und somit für Feigen
keine Aflatoxin-Grenzwerte genannt worden waren, berührt vorliegend somit
nicht die Frage der Gesundheitsschädlichkeit und damit den objektiven
Tatbestand von Art. 38 LMG, sondern einzig den subjektiven Tatbestand,
d.h. die Frage nach der Schuld. Der Beschwerdeführer durfte an sich fürs
erste davon ausgehen, dass bei Feigen ein Aflatoxin-Problem nicht bestehe,
da Feigen im Anhang der zur Zeit der inkriminierten Taten geltenden
Verordnung des EDI nicht aufgeführt waren. Von dem Augenblick aber,
als die Behörden, unter anderen das Bundesamt für Gesundheitswesen, die
Importeure von türkischen Feigen, unter ihnen auch den Beschwerdeführer,
in verschiedenen Schreiben darüber orientierten, dass in türkischen Feigen
krebserzeugende Aflatoxine in Mengen festgestellt worden seien, welche
die für bestimmte Lebensmittel festgelegten Grenzwerte um ein Vielfaches
übersteigen, und die Importeure daher von den Behörden dringend gebeten
wurden, dieser Angelegenheit grösste Aufmerksamkeit zu schenken, durfte
der Beschwerdeführer nicht mehr davon ausgehen, dass sich bei Feigen kein
Aflatoxin-Problem stelle. Es kann in bezug auf die von der Vorinstanz
angenommene Fahrlässigkeit auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil
verwiesen werden, da der Beschwerdeführer in der Nichtigkeitsbeschwerde
nicht geltend macht, dass neben dem objektiven Tatbestand auch der
subjektive Tatbestand (in Form von Fahrlässigkeit) nicht erfüllt sei.