Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 504



117 IV 504

88. Urteil des Kassationshofes vom 21. März 1991 i.S. H. gegen
Statthalteramt des Bezirkes Winterthur (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 12 Abs. 2 VRV; brüskes Bremsen (Schikanestop).

    1. Brüsk im Sinne von Art. 12 Abs. 2 VRV bremst auch, wer - wenn ein
anderes Fahrzeug folgt - auf Autobahnen sein Fahrzeug durch Bremsen mehr
als nur unwesentlich verzögert (E. 1b; Präzisierung der Rechtsprechung).

    2. Brüskes Bremsen stellt nur dann eine Verletzung von Art. 12 Abs. 2
VRV dar, wenn durch dieses Verhalten andere Verkehrsteilnehmer gefährdet
werden (E. 1c).

Sachverhalt

    A.- H. fuhr am 26. Dezember 1988 um 15.30 Uhr mit seinem Personenwagen
auf der Autobahn N 1 auf der Überholspur, um eine Wagenkolonne zu
überholen. Ihm folgte ein ziviles Polizeifahrzeug, dessen Lenker durch
mehrere Zeichen mit der Lichthupe anzeigte, dass er überholen wolle. Da das
Fahrzeug etwas zu nahe aufgeschlossen war und er sich dadurch schikaniert
fühlte, wollte H. den Lenker dieses Fahrzeuges durch mehrmaliges (drei-
bis viermal) Antippen des Bremspedals, wodurch sein Fahrzeug mehr als
nur geringfügig verzögert wurde, auf sein verkehrswidriges Verhalten
aufmerksam machen.

    Nachdem H. mit Strafverfügung des Statthalteramtes des Bezirkes
Winterthur gestützt auf diesen Sachverhalt am 9. März 1989 noch wegen
Ausführens eines Schikanestops und ungenügenden Rechtsfahrens bestraft
worden war, sprach ihn der Einzelrichter am 15. Januar 1990 nur noch
wegen des Schikanestops in Anwendung von Art. 12 Abs. 2 VRV in Verbindung
mit Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von
Fr. 100.--.

    Eine gegen dieses Urteil gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde
von H. wies das Obergericht des Kantons Zürich am 14. August 1990 ab.

    Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt H., das Urteil
des Obergerichts aufzuheben.

    Das Obergericht des Kantons Zürich und das Statthalteramt des Bezirkes
Winterthur haben auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 12 Abs. 2 VRV.

    a) Die kantonalen Instanzen verurteilten den Beschwerdeführer gestützt
auf Art. 12 Abs. 2 VRV, wonach "brüskes Bremsen und Halten" nur gestattet
sind, wenn kein Fahrzeug folgt und im Notfall.

    Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz stelle zwar fest,
er habe sein Fahrzeug mehr als nur unwesentlich verzögert; von brüskem
Bremsen sei indessen weder im erstinstanzlichen Entscheid, noch im Urteil
des Obergerichts die Rede. Dass ein Fahrzeug folgte und kein Notfall
vorlag, wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Es ist daher einzig
zu prüfen, ob eine "mehr als nur unwesentliche Verzögerung" als brüskes
Bremsen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 VRV bezeichnet werden kann.

    b) Vorinstanz und Beschwerdeführer stützen sich auf BGE 99 IV 100 ff.,
ziehen indessen daraus unterschiedliche Schlüsse. Der Entscheid lässt in
der Tat verschiedene Auslegungen von Art. 12 Abs. 2 VRV zu: Einerseits
wird das brüske bzw. "grundlos scharfe Bremsen aus Böswilligkeit" als
unzulässig erachtet, andererseits das nur unwesentliche Verzögern der
Fahrt des Fahrzeuges als zulässig bezeichnet.

    Art. 12 Abs. 2 VRV konkretisiert Art. 37 Abs. 1 SVG und ist im Lichte
der Grundverkehrsregel von Art. 26 SVG auszulegen, wonach sich im Verkehr
jedermann so zu verhalten hat, dass er andere in der ordnungsgemässen
Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet (vgl. BGE 115 IV
250 E. 2b und 3a). Für die Verkehrsregeln im Vordergrund steht deshalb
die Verkehrssicherheit, d.h. die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer und
anderer Dritter (vgl. SCHAFFHAUSER, Strassenverkehrsrecht I, Bern 1984,
N 282). Ursprünglich war die Bestimmung auf Situationen mit dichtem
Verkehr und entsprechend knappen Abständen zwischen den Fahrzeugen (BBl
1955 II 34) und damit eher normale (städtische) Strassen zugeschnitten,
auf welchen zu jener Zeit, als noch keine Autobahnen bestanden (das BG
über die Nationalstrassen (SR 725.11), das den Bau solcher Strassen
ermöglichte, trat 1960 in Kraft), noch keine hohen Geschwindigkeiten
gefahren werden konnten. Heute ist die Bestimmung angesichts der
veränderten Verkehrsverhältnisse zeitgemäss auszulegen. Die erheblich
höheren Geschwindigkeiten, die auf den heutigen Autobahnen gefahren werden,
führen dazu, dass schon ein Abbremsen des Fahrzeuges, welches nicht als
"brüsk" im Sinne eines "scharfen" (BGE 99 IV 102) oder "einigermassen
kräftigen" (SCHAFFHAUSER, aaO, N 534) Bremsens bezeichnet werden kann,
die Verkehrssicherheit beeinträchtigt; denn je höher die gefahrene
Geschwindigkeit und je knapper der zwischen dem bremsenden und dem
nachfolgenden Fahrzeug bestehende Abstand, um so gefährlicher kann auch
ein geringfügiges Bremsen für die Verkehrsteilnehmer sein. Aufgrund dieses
Gefahrenpotentials ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass im Sinne
von Art. 12 Abs. 2 VRV brüsk bremst, wer - wenn ein anderes Fahrzeug folgt
- auf Autobahnen sein Fahrzeug durch Bremsen mehr als nur unwesentlich
verzögert. Die erwähnte Rechtsprechung ist in diesem Sinne zu präzisieren.

    c) Nicht gefolgt werden kann indessen der von der Vorinstanz
vertretenen Auffassung, es könne offenbleiben, ob das nachfolgende Fahrzeug
durch das Antippen des Bremspedals gefährdet wurde; denn brüskes Bremsen
stellt nur dann eine Verletzung von Art. 12 Abs. 2 VRV dar, wenn durch
dieses Verhalten andere gefährdet werden und der Bremsende weiss oder
wissen muss, dass dies der Fall ist (BGE 115 IV 255 E. 5d mit Hinweis).