Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 452



117 IV 452

79. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. November 1991 i.S. S.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 204 StGB; unzüchtige Veröffentlichungen, Sexanzeiger.

    Eine Zeitschrift mit Kontaktanzeigen sowie Inseraten von Prostituierten
und Massagesalons erfüllt den Tatbestand, wenn die sich prostituierenden
Frauen darin zu blossen Objekten sexueller Begierde herabgewürdigt
werden, und überdies, wenn darin Sexualpraktiken angeboten werden, deren
Darstellung unter die harte Pornographie fällt.

    Der Verkauf von pornographischen Schriften jeglicher Art an Kiosken
erfüllt den Tatbestand auf jeden Fall.

Sachverhalt

    A.- S. war einziger Verwaltungsrat, später Verwaltungsratspräsident
und von 1987 an Geschäftsführer der R. AG, B., welche von Mitte 1984
an den "O."-Sexanzeiger herausgab. Die Zeitschrift bestand aus einem
redaktionellen Teil, der sich mit sexuellen Themen befasste, und aus
Inseraten von Prostituierten und Massagesalons sowie Kontaktanzeigen. S.
befasste sich mit der Akquisition der Inserate.

    B.- Mit Urteil vom 18. Juni 1990 erklärte das Kantonsgericht St. Gallen
S. in zweiter Instanz der fortgesetzten und wiederholten unzüchtigen
Veröffentlichung schuldig und verurteilte ihn zu drei Wochen Gefängnis
mit bedingtem Strafvollzug unter Auferlegung einer Probezeit von 2 Jahren
und zu einer Busse von Fr. 5'000.--. S. wurde ferner zur Bezahlung einer
Ersatzleistung für den unrechtmässig erlangten Vorteil in der Höhe von
Fr. 30'000.-- an den Staat verurteilt.

    C.- S. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für den Fall der Bestätigung des
Schuldspruchs beantragt er eine Herabsetzung der Ersatzforderung.

    Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft haben auf die Einreichung
einer Vernehmlassung verzichtet.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist rein kassatorischer
Natur; sie führt im Falle der Gutheissung zur Aufhebung des angefochtenen
Entscheids, nicht aber zu einer neuen Entscheidung in der Sache selbst
durch das Bundesgericht (Art. 277ter BStP). Soweit der Beschwerdeführer
mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids beantragt, ist auf
die Beschwerde daher nicht einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz hat den "O."-Sexanzeiger als unzüchtige
Veröffentlichung im Sinne von Art. 204 StGB gewertet. Unter Verweisung auf
verschiedene Inseratentexte führt sie aus, dass in kaum zu überbietender
direkter Art beschrieben würde, auf welche Weise bei den Inserentinnen
geschlechtliche Befriedigung zu erreichen sei. Die detaillierten
Darstellungen beschrieben die Sexualität als primitive Lustbefriedigung im
Rahmen eines nahezu sklavischen Abhängigkeitsverhältnisses und brächten
ein Menschenbild zum Ausdruck, das sich mit der Würde der Frau nicht
vertrage. Gestützt auf diese Feststellungen ist sie zum Schluss gelangt,
dass die Toleranzgrenze bei solchen Texten überschritten würde. Daran
ändere der Umstand nichts, dass sich der "O."-Sexanzeiger mit diesen Texten
primär an einen interessierten Männerkreis richte. Es sei unbestritten,
dass das fragliche Presseerzeugnis auch am Kiosk erhältlich sei und damit
beispielsweise in die Hände Jugendlicher gelangen könne.

    Der Beschwerdeführer wendet demgegenüber ein, weder die Texte noch
die Bilder im "O."-Sexanzeiger könnten als Gegenstand sexueller Schaulust
bezeichnet werden, da sie viel zu harmlos seien. Bei dem fraglichen
Anzeiger handle es sich nicht um eine pornographische Schrift.

Erwägung 4

    4.- a) Die Vorinstanz hat festgestellt, der Umstand, dass sich der
"O."-Sexanzeiger von der ersten bis zur letzten Seite mit Sexualität
befasse, und zwar fast ausschliesslich mit käuflicher Liebe, qualifiziere
die Zeitschrift noch nicht ohne weiteres als unzüchtig. Anstoss erregen
könne aber die penetrante Art und Weise, mit der diese Liebesdienste
angeboten würden.

    b) Für den Sachverhalt verweist die Vorinstanz auf das Urteil des
Bezirksgerichtes, namentlich auf die von diesem getroffene Auswahl von
Anzeigen und Inseratentexten. Die fraglichen Anzeigen bestehen nach den
Ausführungen der Vorinstanzen aus Bildern oder Texten sowie aus einer
Kombination beider Elemente. Die Bilder, die überwiegend in schwarz-weiss
gehalten sind, zeigen weitgehend spärlich bekleidete oder nackte Frauen,
die allein oder in Gruppen in verschiedenen Posen und Stellungen abgebildet
sind. Auf verschiedenen Fotos sind Frauen zu sehen, die sich selbst oder
gegenseitig (auch mit künstlichen Geschlechtsteilen) befriedigen. Andere
Bilder stellen masochistische bzw. sadistische Handlungen dar.

    Die Texte im Inseraten- und Anzeigenteil weisen in unverblümter Weise
auf die angebotenen sexuellen Praktiken der Inserentinnen hin. Dabei
finden sich einerseits nüchterne stichwortartige Aufzählungen sämtlicher
angepriesener Leistungen von "superscharfen Lesbospielen" bis hin zu
"diversen S/M-Spielen mit Herrin, Zofe oder Sklavin", wobei offensichtlich
besondere Praktiken mittels Abkürzungen verschlüsselt werden. Auf der
anderen Seite beschreiben die Texte die sich anbietenden Inserentinnen
und ihre Liebesdienste in ausführlicher Weise. Diese Texte fallen
zunächst dadurch auf, dass sie die Prostituierten unverblümt zu gegen
Bezahlung verfügbaren Objekten der Lustbefriedigung und unterwürfigen
Geschlechtswesen degradieren, mit denen sexuell in jedwelcher Art und
Weise verfahren werden kann. Die offenbar mehrheitlich sieben Tage in
der Woche arbeitenden und zum Teil minderjährigen Frauen werden etwa als
"langbeiniges blondes Sexhäschen", "geil-perverse mollige Super-Blondine",
"geilverdorbenes junges Girl" oder "junge hübsche Lustsklavin mit
ausgesprochener Vorliebe für Perverses" dargestellt, die "mit zitterndem
Verlangen" darauf warten, vom "niveauvollen", "netten" oder "energischen
Herrn" aufgesucht zu werden. Es wird damit geworben, die Inserentinnen
hätten "grossen Spass an verschiedenen Schleckspielen" und könnten es
"kaum erwarten, bis warmer Saft in mein kirschrotes Mündchen strömt",
es stünden Frauen zur Verfügung, die man "in der Folterkammer erziehen"
oder "anal drannehmen" dürfe. Ferner erwecken die Texte den Eindruck,
die Frauen würden jeden Wunsch erfüllen, hätten sich "voll mit Leib und
Seele den phantasievollen, erotischen Spielereien verschrieben", würden
"stöhnend nach immer mehr betteln" und "für alles Geile, Ausgefallene und
Perverse" zur Verfügung stehen. Die angebotenen Liebesdienste, die den
Geschlechtsverkehr in allen Variationen, auch mit Einschluss abartiger
Praktiken jeglicher Prägung umfassen ("die Wonnen der Unterwerfung
auskosten ..."), werden unverblümt umschrieben und auf geschmacklose und
primitive Art und Weise angepriesen.

    c) Ob der "O."-Sexanzeiger als unzüchtige Veröffentlichung i.S. von
Art. 204 StGB zu qualifizieren ist, ist im Lichte der neuen Rechtsprechung
des Bundesgerichts zu prüfen. Dabei ist zunächst die Frage zu entscheiden,
ob der Schrift überhaupt pornographischer Charakter zukommt. Dies ist
zu bejahen. Zwar lässt der Umstand, dass eine Zeitschrift teilweise mit
Fotos illustrierte Kontaktanzeigen und Inserate von Prostituierten und
Massagesalons etc. veröffentlicht, diese für sich allein noch nicht als
pornographisches Erzeugnis erscheinen. Wesentliche Bedeutung kommt in
diesem Zusammenhang der konkreten Aufmachung der Schrift sowie Form und
Inhalt der jeweiligen Inserate zu. Dabei ist für die Frage, ob die Schrift
überhaupt unter die (weiche) Pornographie fällt, auch der Gesamteindruck
des zu beurteilenden Gegenstandes mit zu berücksichtigen (vgl. BGE 96 IV
69). Im vorliegenden Fall mag zutreffen, dass einzelne Inserate weder
hinsichtlich Bild noch Textausgestaltung Anstoss erregen. In der vom
Bezirksgericht getroffenen Auswahl finden sich jedoch überwiegend Texte,
die sexuelle Befriedigung in grobschlächtiger und aufreisserischer Weise in
den Vordergrund stellen und auf sich selbst reduzieren. Ins Auge springt
dabei die nahezu vollständige Herabsetzung der Inserentinnen auf blosse
entmenschlichte Lustobjekte. Der "O."-Sexanzeiger ist aus diesen Gründen
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers als pornographische Schrift
zu qualifizieren.

    Dies besagt jedoch noch nicht, dass der zu beurteilende Sexanzeiger
als unzüchtige Veröffentlichung zu werten ist. Nach der neuen
bundesgerichtlichen Rechtsprechung fallen pornographische Erzeugnisse
nicht mehr in jedem Fall unter Art. 204 StGB. Dies gilt vorbehaltlos
nur für die sogenannte harte Pornographie. Wo genau die Grenze zur
strafbaren unzüchtigen Veröffentlichung gezogen werden muss, kann hier
offenbleiben. In jedem Fall verstösst der Inhalt des "O."-Sexanzeigers,
auch bei Berücksichtigung des allgemeinen Wandels in der Einstellung
zur Sexualität, in grober Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl des normal
empfindenden Bürgers. Im Vordergrund steht hiefür der Umstand, dass die
abgedruckten Inserate die sich prostituierenden Frauen zu blossen Objekten
sexueller Begierde herabwürdigen, über welche nach Belieben verfügt
werden kann. Als unzüchtig erweist sich die Veröffentlichung nach der
neuen Rechtsprechung aber auch insoweit, als sie Anzeigen enthält, die
abartige und perverse Sexualpraktiken anbieten, deren Darstellung unter
die harte Pornographie fällt, also sexuelle Handlungen u.a. in Verbindung
mit menschlichen Ausscheidungen oder Gewalttätigkeiten zum Inhalt hat. In
dieser Hinsicht wäre die Zeitschrift im übrigen selbst dann als unzüchtige
Veröffentlichung einzustufen, wenn auch nur ein einziges der Inserate die
Grenzen der neuen Rechtsprechung überschritte und sexuelle Handlungen aus
dem Bereich der harten Pornographie anböte. Ob die Schrift dabei auch bei
einer Gesamtbetrachtung als pornographisches Erzeugnis zu qualifizieren
wäre oder insgesamt als harmlos erschiene, bliebe ohne Bedeutung.

    Dass die Schrift als Störung der sozialen Ordnung angesehen werden
muss, folgt schliesslich auch aus der Berücksichtigung der Begleitumstände
der Veröffentlichung sowie des Adressatenkreises. Die Vorinstanzen haben in
diesem Zusammenhang verbindlich festgestellt, dass der "O."-Sexanzeiger
im Abonnement bezogen werden kann oder an Kiosken und in Sex-Shops
erhältlich ist.

    Die neu vorgesehene Pornographiebestimmung (Art. 197 Ziff. 1 StGB
in der noch dem Referendum unterworfenen Fassung vom 21.6.1991) bezweckt
neben dem absoluten Verbot harter Pornographie den Schutz Jugendlicher vor
jeglicher Konfrontation mit pornographischen Darstellungen. Ferner soll
verhindert werden, dass jemand gegen seinen Willen Darstellungen sexuellen
Inhalts wahrnimmt. Rechtsgut der revidierten Bestimmung ist die ungestörte
sexuelle Entwicklung Jugendlicher (vgl. Botschaft des Bundesrates über die
Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes
vom 26. Juni 1985, BBl 1985 II 1089; ähnlich die deutsche Regelung in § 184
dtStGB). Dies gilt uneingeschränkt auch für das geltende Recht. Der Schutz
Jugendlicher vor der Wahrnehmung pornographischer Darstellungen ist nicht
gewährleistet, wenn derartige Schriften an Kiosken für jedermann erhältlich
sind. Dass sich "O."-Sexanzeiger primär an einen interessierten Männerkreis
richtet, ändert daran nichts. Der Schuldspruch wegen Art. 204 StGB ist
daher im zu beurteilenden Fall auch aus diesem Grund zu Recht erfolgt.