Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 449



117 IV 449

78. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. November 1991 i.S. S.
gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    1. Art. 166 StGB; Unterlassung der Buchführung.

    In subjektiver Hinsicht genügt für die Erfüllung des Tatbestandes
von Art. 166 StGB dolus eventualis; eine Verschleierungsabsicht ist
nicht erforderlich (E. 5).

    2. Art. 151 StGB; Erschleichung einer Leistung (Gratisfahren).

    In der Ausnutzung der allgemeinen Öffnung von Massenverkehrsmitteln
liegt kein Erschleichen einer Leistung, wenn der Passagier dem
(Stichproben-)Kontrolleur offen bekanntgibt, keinen gültigen Fahrausweis
zu besitzen (E. 6).

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte im
Appellationsverfahren A. am 14. Mai 1991 wegen Anstiftung zu einfacher
Brandstiftung, Betruges, Bertrugsversuches, betrügerischen Konkurses,
Urkundenfälschung, Unterlassens der Buchführung und Erschleichens einer
Leistung zu 34 Monaten Zuchthaus.

    B.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt A., das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und ihn freizusprechen.

    Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht hat auf
Gegenbemerkungen zur Beschwerde verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- a) Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Unterlassung der
Buchführung bestritt dieser in objektiver Hinsicht schon vor der Vorinstanz
nicht. Der Beschwerdeführer macht lediglich geltend, dass der Tatbestand
in subjektiver Hinsicht eine Verschleierungsabsicht verlange.

    b) Nach der einhelligen Lehre (vgl. SCHUBARTH/ALBRECHT, Kommentar
Strafrecht, Band 2, Art. 166 N 18; TRECHSEL, Kurzkommentar, Art. 166
N 4; beide mit Hinweisen) genügt für die Erfüllung des Tatbestandes
von Art. 166 StGB dolus eventualis. Soweit in BGE 77 IV 166 von einem
engeren Vorsatzbegriff ausgegangen worden sein sollte, kann daran nicht
festgehalten werden. Von einer Verletzung von Bundesrecht kann auch in
diesem Zusammenhang keine Rede sein.

Erwägung 6

    6.- a) Dem Beschwerdeführer wird schliesslich vorgeworfen, am
3. August 1988 mit der Bern-Neuenburg-Bahn von Bern nach Bümpliz-Nord
gereist zu sein (Fahrpreis Fr. 2.--), ohne dem kontrollierenden Beamten
eine gültige Fahrkarte vorweisen zu können; er habe damit den Tatbestand
des Erschleichens einer Leistung (Art. 151 StGB) erfüllt. Dem hält der
Beschwerdeführer entgegen, eine Verletzung von Art. 151 StGB liege mangels
Heimlichkeit seines Verhaltens nicht vor; allenfalls habe er gegen Art. 16
des Transportgesetzes verstossen.

    b) Nach Art. 151 StGB macht sich unter anderem strafbar, wer eine
Leistung, die, wie er weiss, nur gegen Entgelt gemacht wird, ohne zu zahlen
erschleicht, namentlich die Fahrt auf einer Eisenbahn, auf einem Schiff,
auf der Post. Art. 151 StGB hat nach allgemeiner Auffassung lediglich
Auffangfunktion gegenüber dem Tatbestand des Betruges.

    aa) Der Begriff des Erschleichens wird in der Lehre verschieden
interpretiert. Nach der einen Auffassung erfasst Art. 151 StGB jede
unberechtigte unentgeltliche Inanspruchnahme einer Dienstleistung, ohne
dass dafür noch hinterlistiges Handeln oder besondere Tricks erforderlich
wären (NOLL, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil I, S. 216; REHBERG, Strafrecht
III, S. 96). Demgegenüber verlangen THORMANN/VON OVERBECK grundsätzlich
eine gewisse Heimlichkeit des Vorgehens; als typisches Beispiel wird
der blinde Passagier genannt, welcher das Verkehrsmittel benütze, ohne
dass sein Einsteigen oder Mitfahren oder der Mangel einer Fahrkarte vom
Personal bemerkt worden wäre (Das Schweiz. StGB, Art. 151 N 1 ff.). Nach
LOGOZ ist die Anwendung von List oder Kniffen ("ruse") erforderlich;
als Beispiel nennt er die Hintergehung oder Vereitelung von Kontrollen
(Commentaire du Code pénal suisse, art. 151 N 2). Nach TRECHSEL bedeutet
"Erschleichen" das Erlangen durch unlauteres Verhalten und impliziere eine
gewisse Heimlichkeit (Kurzkommentar StGB, Art. 151 N 3). Auch SCHUBARTH
(Kommentar StGB, Art. 151 N 1, 8 und 9) verlangt zusätzlich ein Moment
der Heimlichkeit.

    bb) Die Auffassung, welche als Erschleichen einer Leistung jede
unberechtigte unentgeltliche Inanspruchnahme derselben erfasst, ist
mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu vereinbaren; wie insbesondere die
romanischen Texte erkennen lassen ("frauduleusement", "fraudolentemente"),
setzt das "Erschleichen" vielmehr zusätzlich ein unlauteres (vgl. BGE 104
Ia 102 E. a), täuschendes Verhalten voraus. Das Erschleichen hat damit
auch etwas Verwerfliches an sich (vgl. ALWART, Über die Hypertrophie eines
Unikums (§ 265a StGB), JZ 1986, S. 569). Wo wie hier der herbeigeführte
Schaden ohnehin gering, der Erfolgsunwert ohnehin klein ist, muss die
Begehungsweise, der Handlungsunwert besonders ernst genommen werden;
nur dann kann die Rechtsgutverletzung die Schwelle der Strafwürdigkeit
erreichen (ALWART, aaO, S. 566). An die Verwerflichkeit der Begehungsweise
sind deshalb hohe Anforderungen zu stellen.

    cc) Diese Überlegungen führen dazu, dass entgegen der Auffassung
des Beschwerdegegners und der kantonalen Instanzen in der Ausnutzung der
allgemeinen Öffnung von Massenverkehrsmitteln kein Erschleichen im Sinne
von Art. 151 StGB liegt (für das deutsche Recht vgl. ALWART, aaO, S. 568);
denn insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln mit Selbstkontrolle -
das heisst ohne ständige Fahrzeugbegleiter (von einem solchen Fall sind
die Vorinstanzen offenbar ausgegangen) - haben die Verkehrsbetriebe auf
sämtliche ständigen Kontroll-Einrichtungen verzichtet und diese durch
Stichproben ersetzt. Unter diesen Umständen ist nur dann ein Erschleichen
anzunehmen, wenn die unbefugte Inanspruchnahme der Leistung unter
Umgehung der von den Verkehrsbetrieben gegen eine unerlaubte Benutzung
geschaffenen Sicherungsvorkehren erfolgt (SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER,
Kommentar, 23. Aufl., § 265a N 8) oder wenn sich ein Passagier versteckt
oder sich sonstwie durch täuschendes Verhalten der Kontrolle entzieht,
nicht aber dann, wenn er dem Kontrolleur offen bekanntgibt, keinen gültigen
Fahrausweis zu besitzen (vgl. SCHUBARTH, aaO, Art. 151 N 8).

    dd) Die Missachtung des Verbotes, die Bahn ohne gültigen Fahrausweis
zu benützen, war ursprünglich nach Art. 6 des Bahnpolizeigesetzes
(SR 742.147.1) i.V.m. der Transportverordnung (SR 742.401) strafbar,
auch bei Fahrlässigkeit (BGE 83 IV 203). Heute ist massgeblich Art. 51
Abs. 1 des Transportgesetzes (TG; SR 742.40) vom 4. Oktober 1985 (in
Kraft seit 1. Januar 1987) i.V.m. Art. 1 der Transportverordnung (TV;
SR 742.401). Das Verhalten des Beschwerdeführers ist also nicht straflos.