Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 437



117 IV 437

75. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Dezember 1991 i.S. H.
gegen Generalprokurator des Kantons Bern, Einwohnergemeinde der Stadt
Bern und Groupe Sangliers (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 28 und 145 Abs. 1 und 2 StGB; Sachbeschädigung, Strafantrag.

    Das Recht, Strafantrag zu stellen, steht neben dem Eigentümer jedem
Berechtigten zu, der die Sache nicht mehr gebrauchen kann (E. 1b).

    Strafantragsberechtigung des Präsidenten eines Vereins und eines
einfachen Gesellschafters (E. 1c).

    Das Tatbestandsmerkmal der gemeinen Gesinnung (Art. 145 Abs. 2 StGB)
ist eng auszulegen (E. 2b/aa). Wer ein einmaliges, historisch äusserst
wertvolles Denkmal mit grossem symbolischem Wert zerstört, handelt aus
gemeiner Gesinnung (E. 2b/bb).

Sachverhalt

    A.- In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 1986 sägte
H. gemeinsam mit einer weiteren Person in Reconvilier einen Fahnenmast
um und nahm die daran gehisste Bernerflagge mit. Die Flagge verbrannte
er später. In der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober 1986 zerstörte
eine Täterschaft von mindestens vier Personen die "Justitia" auf dem
Gerechtigkeitsbrunnen in Bern. H. wird vorgeworfen, einer der Täter
zu sein.

    Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte H. am 2. Juli 1990 wegen
einfacher und qualifizierter Sachbeschädigung zu 22 Monaten Zuchthaus sowie
zur Bezahlung von Fr. 199'963.-- zuzüglich Zins von 5% seit 13. Oktober
1986 an die Einwohnergemeinde Bern.

    H. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht
zurückzuweisen. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Der
Generalprokurator des Kantons Bern und die Einwohnergemeinde der Stadt
Bern beantragen Abweisung der Beschwerde. Der Groupe Sangliers hat keine
Vernehmlassung eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 28 StGB. Das
Recht zum Strafantrag sei persönlich und unübertragbar. Sei der Verletzte
eine juristische Person, so sei die interne Organisation massgeblich für
die Strafantragsberechtigung. Die Vorinstanz verletze Art. 28 StGB, wenn
sie annehme, es spiele keine Rolle, ob der Verletzte ein Verein oder eine
einfache Gesellschaft sei. Denn entgegen der Auffassung der Vorinstanz
hänge gerade davon ab, wer gültig Antrag stellen könne.

    b) Einfache Sachbeschädigung gemäss Art. 145 Abs. 1 StGB wird nur
auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt ist nach einer Auffassung nur der
Eigentümer der beschädigten Sache, da Art. 145 ausschliesslich das Eigentum
schütze und nur der Eigentümer als der Träger des unmittelbar geschützten
Rechtsgutes anzusehen sei (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht,
Besonderer Teil I, 3. Aufl., S. 222 f. N 13; REHBERG, Strafrecht III,
5. Aufl., S. 113). Das Bundesgericht hat angenommen, antragsberechtigt
sei überdies der Mieter respektive jeder Berechtigte, der die Sache nicht
mehr gebrauchen kann (BGE 74 IV 6; zustimmend SCHWANDER, Das schweizerische
Strafgesetzbuch, N 555; LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, Art. 145
N 3a; NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, S. 166; SCHUBARTH,
Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Art. 145 N 34).

    An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Denn der Eigentümer ist
häufig durch die Sachbeschädigung nicht oder weniger betroffen, wenn ihm
der Sachwert gegebenenfalls von einer Versicherung ersetzt wird und wenn
er selbst am unmittelbaren Gebrauchswert kein Interesse hat. Demgegenüber
können der Mieter und andere Berechtigte unmittelbar auf den Gebrauchswert
der Sache angewiesen und deshalb von deren Ausfall stärker betroffen sein,
als wenn sie nur den entsprechenden Sachwert verloren hätten (SCHUBARTH,
aaO). Überdies entspricht es den Reformbestrebungen, Sachbeschädigung
und damit eine entsprechende Antragsberechtigung schon dann anzunehmen,
wenn an der Sache ein fremdes Gebrauchs- oder Nutzungsrecht besteht
(vgl. Botschaft über die Änderung des Strafgesetzbuches vom 24. April 1991,
BBl 1991 II 1013 sowie Art. 144 Abs. 1 des Entwurfes, aaO 1122).

    c) Der Groupe Sangliers war nach den verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) Inhaber der Verfügungsgewalt über
Fahnenmast und Flagge. Damit war er Berechtigter im oben umschriebenen
Sinne und deshalb strafantragsberechtigt. Ob er ein Verein oder eine
einfache Gesellschaft sei, durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von
Bundesrecht offenlassen. Aufgrund der obergerichtlichen Annahme war
V. Präsident des Groupe Sangliers. Als Vereinspräsident stand ihm
die Vertretungsmacht und damit das Strafantragsrecht zu, da weder ein
entgegenstehender Handelsregistereintrag noch eine derartige individuelle
Mitteilung aktenkundig ist (RIEMER, Berner Kommentar, N 67 ff. zu Art. 69
ZGB). Als einfacher Gesellschafter konnte er als Verletzter Strafantrag
stellen (REHBERG, Der Strafantrag, ZStR 85/1969 S. 259). Der Hinweis
des Beschwerdeführers auf BGE 99 IV 1 geht an der Sache vorbei, weil
dort die Strafantragsberechtigung eines Handlungsbevollmächtigten eines
kaufmännischen Unternehmens in einer Ehrverletzungssache und somit
ein nicht vergleichbarer Fall zu beurteilen war. Deshalb bedurfte es
vorliegend auch keiner nachträglichen Bestätigung des Strafantrags durch
den Groupe Sangliers.

Erwägung 2

    2.- Die einfache Sachbeschädigung gemäss Art. 145 Abs. 1 StGB ist
mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder Busse bedroht, qualifizierte
Sachbeschädigung gemäss Abs. 2 demgegenüber mit Zuchthaus von einem bis
zu fünf Jahren. Die Qualifikation ist gegeben, wenn der Täter aus gemeiner
Gesinnung einen grossen Schaden verursacht hat.

    a) Das Tatbestandsmerkmal des grossen Schadens ist vorliegend
unstrittig erfüllt. Die Vorinstanz geht von einem Schaden von rund
Fr. 200'000.-- aus; auch der Beschwerdeführer anerkennt einen Schaden
von mindestens Fr. 82'000.--. Die Qualifikation ist somit in objektiver
Hinsicht zu bejahen.

    b) aa) Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gemeinen Gesinnung
ist der Rechtsfolge Rechnung zu tragen (BGE 106 IV 25), weshalb das
Merkmal eng auszulegen ist (BGE 104 IV 247). Das Bundesgericht hat gerade
in seiner jüngeren Rechtsprechung betont, dass Qualifikationen restriktiv
auszulegen sind, wenn sie zu einer erhöhten Mindeststrafe führen (BGE
116 IV 316 E. aa, 329 E. 3a, 337 E. 3b; 117 IV 22; vgl. auch 117 IV 161
E. a). Dabei ist zu beachten, dass vorliegend für den Grundtatbestand nur
Gefängnis bis zu drei Jahren ausgesprochen werden kann; die Qualifikation
ist also schärfer als etwa diejenige des gewerbsmässigen Betrugs.

    Die Rechtsprechung hat eine gemeine Gesinnung verneint bei der
Zerstörung einer Radaranlage zur Verhinderung von Bestrafung und
Führerausweisentzug (BGE 106 IV 24), dagegen bejaht bei terroristischen
Anschlägen (BGE 104 IV 238; kritisch dazu STRATENWERTH, aaO, S. 223 N
15). In BGE 104 IV 248 wurde die gemeine Gesinnung angenommen mit der
Begründung, der Täter habe die unkontrollierbare und unberechenbare Wirkung
der Sprengstoffexplosion gekannt und daher einen sehr grossen Schaden und
die Gefahr für Leib und Leben unbeteiligter arg- und wehrloser Menschen in
Kauf genommen. Er habe sich bei diesem heimtückischen und hinterhältigen
Vorgehen gegen die abgelehnte Gesellschaft offenkundig letztlich von Hass-
und Rachegefühlen leiten lassen. Diese seien nach den Umständen nicht
entschuldbar gewesen und daher besonders verwerflich oder gemein im Sinne
des Gesetzes. Die Gefühle hätten nicht bloss der momentanen Stimmungslage,
sondern einer dauernden Einstellung entsprochen, welche die Täter immer
wieder zu neuen Attentaten getrieben habe.

    bb) Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, bei der Zerstörung der
"Justitia" handle es sich um einen skrupellosen Vandalenakt. Zwar wurden
dabei - im Gegensatz zum Geschehen in BGE 104 IV 238 - keine unbeteiligten
Personen gefährdet. Art. 145 StGB zählt aber zu den strafbaren Handlungen
gegen das Vermögen. Deshalb kann das Tatbestandsmerkmal der gemeinen
Gesinnung nicht allein mit dem Argument verneint werden, Menschen seien
nicht in Gefahr gewesen. Vorliegend ist von Bedeutung, dass es sich beim
Gerechtigkeitsbrunnen von Bern nicht bloss um ein Denkmal mit grossem
symbolischem Wert, sondern auch um ein einmaliges, historisch äusserst
wertvolles Kunstwerk handelt. Wer aber ohne Rücksicht auf kulturelle Werte
und die Wertschätzung in der Bevölkerung gezielt ein derartiges Kunstwerk
zerstört, der handelt aus gemeiner Gesinnung im Sinne von Art. 145 Abs. 2
StGB. Deshalb verletzt die vorinstanzliche Annahme der qualifizierten
Sachbeschädigung Bundesrecht nicht. Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist
sich insoweit als unbegründet.