Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 419



117 IV 419

72. Urteil des Kassationshofes vom 24. Oktober 1991 i.S. R. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 139 Ziff. 3 StGB; In-Lebensgefahr-Bringen des Opfers (Änderung
der Rechtsprechung).

    1. Bei der Auslegung dieser Qualifikation ist den im Gesetz
unterschiedenen vier Gefährlichkeitsstufen des Raubes und der Mindeststrafe
von fünf Jahren Zuchthaus, die derjenigen für vorsätzliche Tötung
entspricht, Rechnung zu tragen.

    Entscheidend ist, ob aufgrund der Tatumstände und des tatsächlichen
Verhaltens des Täters die konkrete Gefahr einer tödlichen Verletzung
des Opfers sehr nahe liegt. Dies trifft zu, wenn eine aus kurzer Distanz
auf das Opfer gerichtete Schusswaffe geladen, entsichert und durchgeladen
oder gespannt ist, so dass ein Schuss jederzeit ausgelöst werden oder sich
ungewollt lösen kann; ebenso, wenn bei einer geladenen und gesicherten oder
nicht durchgeladenen oder ungespannten Waffe weitere besondere Umstände
(z.B. Handgemenge) hinzukommen.

    Der Vorsatz muss sich auf die Verwirklichung der sehr naheliegenden
Lebensgefahr richten (E. 4).

    2. Konkrete, sehr naheliegende Lebensgefahr für das Opfer verneint,
aber die besondere Gefährlichkeit des Täters nach Art. 139 Ziff. 2 StGB
bejaht, wenn bei einem Trommelrevolver zur Schussabgabe noch der Hahn
gespannt oder ein erhebliches Abzugsgewicht überwunden werden muss (E. 5).

Sachverhalt

    A.- R. verübte (in Mittäterschaft mit Sch.) am 22. Oktober 1988 einen
Raubüberfall auf die Tankstelle der Gatoil AG in Moosseedorf. Dabei
bedrohte er den Tankwart mit einem (mit 6 Patronen) scharf geladenen,
nicht sicherbaren Revolver der Marke Smith & Wesson, indem er - den
Finger am Abzugsbügel - auf Brusthöhe aus einer Distanz von 1/2 bis
1 m auf ihn zielte. Unter dieser Drohung deponierte das Opfer sein
Portemonnaie in den ihm von R. mit der linken Hand entgegengehaltenen
Plastiksack. Darauf ergriffen die Täter mit dem für den Raubüberfall
entwendeten und von Sch. gelenkten Personenwagen die Flucht.

    B.- Die Kriminalkammer des Kantons Bern verurteilte R. am 7. November
1990 deswegen gestützt auf Art. 139 Ziff. 3 StGB (qualifizierter Raub;
Lebensgefahr des Opfers) sowie wegen Entwendung eines Personenwagens
zum Gebrauch und unter Berücksichtigung einer leichten Verminderung
der Zurechnungsfähigkeit (Art. 11/66 StGB) zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus;
gleichzeitig ordnete sie eine ambulante psychotherapeutische Behandlung
während des Strafvollzugs an (Art. 43 Ziff. 1 StGB).

    Gleich lautet das Urteil im Straf- und Massnahmepunkt für den
Mittäter Sch.

    C.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt R., das
Urteil der Kriminalkammer sei in bezug auf die Verurteilung zu 3 1/2
Jahren Zuchthaus in Anwendung von Art. 139 Ziff. 3 StGB aufzuheben,
und die Sache sei zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer bestreitet die Qualifikation nach Ziff. 3
von Art. 139 StGB (Lebensgefahr des Opfers).

Erwägung 2

    2.- In seiner Rechtsprechung zum früheren Raubtatbestand des Art. 139
Ziff. 2 Abs. 2 StGB bejahte das Bundesgericht den Qualifikationsgrund
der Bedrohung mit dem Tode, wenn der Täter die Todesdrohung objektiv
unmittelbar verwirklichen konnte und das Opfer nach den Umständen,
insbesondere nach der Art der Drohung, tatsächlich einer erheblichen,
akuten Lebensgefahr ausgesetzt war. Eine solche Todesgefahr wurde
angenommen, wenn der Täter beim Raub eine scharf geladene Waffe auf kurze
Distanz auf das Opfer richtete, auch wenn die Waffe gesichert oder nicht
durchgeladen war (BGE 108 IV 18, 107 IV 110, 105 IV 300, 102 IV 18 mit
Verweisungen). Am 1. Oktober 1982 trat der revidierte Art. 139 StGB
in Kraft, der in Ziff. 3 für den besonders schweren Raub nicht mehr
das Kriterium der "Bedrohung mit dem Tode" enthält, sondern für diese
qualifizierte Form des Raubes u.a. voraussetzt, dass "der Täter das Opfer
in Lebensgefahr bringt" (Art. 139 Ziff. 3 StGB). Mit Urteil vom 26. Mai
1983 legte das Bundesgericht diesen neuen qualifizierten Tatbestand
gemäss der bisherigen Rechtsprechung zu Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
aus, der wie der revidierte Art. 139 Ziff. 3 StGB eine Mindeststrafe
von fünf Jahren Zuchthaus androhte (BGE 109 IV 106). Diese Praxis wurde
in der Folge mehrmals in nicht veröffentlichten Entscheiden und in BGE
111 IV 127 bestätigt. Darin (S. 129) wurde der Kritik in der Literatur
im wesentlichen entgegengehalten, der Versuch, die Grenze zwischen der
abstrakten und konkreten Lebens- bzw. Todesgefahr mit dem Kriterium der
Waffensicherung zu ziehen, lasse ausser acht, dass eine geladene Waffe in
der Regel in Sekundenschnelle und ohne Mühe entsichert oder durchgeladen
werden könne. Auch könnten Aufregung, unvorhergesehene Reaktion des Opfers,
Eingreifen eines Dritten usw. gerade bei Gelegenheitsdelinquenten zu
einer plötzlichen Fehlreaktion und damit zur Schussabgabe führen, und
zwar selbst dann, wenn der Täter vorher beabsichtigt hatte, von der Waffe
keinen Gebrauch zu machen. Später präzisierte das Bundesgericht, dass auch
die unmittelbare Bedrohung eines Opfers mit einer gesicherten und nicht
durchgeladenen Pistole eine konkrete Lebensgefahr schaffe (BGE 112 IV
14). In BGE 112 IV 16 wurde eine konkrete Lebensgefahr für das Opfer auch
dann bejaht, wenn ein Trommelrevolver so geladen ist, dass der Abzugshebel
bis zur Schussabgabe mehrmals betätigt werden muss. Als entscheidend wurde
schliesslich in BGE 114 IV 9 betrachtet, ob die Schusswaffe objektiv
innert kürzester Zeit schussbereit gemacht werden kann, wobei es keine
Rolle spiele, ob die allenfalls nachfolgende Schussabgabe auf einem
Willensentschluss oder auf einer Fehlreaktion beruhe.

Erwägung 3

    3.- In der Literatur überwiegen die kritischen Stimmen zu dieser
Auslegung und Anwendung von Art. 139 Ziff. 3 StGB.

    a) Gegen die bundesgerichtliche Rechtsprechung spricht sich
insbesondere SCHULTZ aus (ZStrR 101/1984 S. 119 ff., ZBJV 1985/Bd. 121
S. 42/43, 1987/Bd. 123 S. 43, 1988/Bd. 124 S. 4/5). Er beanstandet, das
Bundesgericht trage den Materialien hinsichtlich des Tatschuldprinzips
nicht genügend Rechnung; das In-Lebensgefahr-Bringen sei ein eigener
Qualifizierungsgrund, der vom Verschulden des Täters erfasst, von ihm
erkannt und gewollt sein müsse; dazu genüge die blosse Bedrohung mit
einer Schusswaffe nicht, sondern es müssten Umstände dazu kommen,
die das Losgehen der Waffe wahrscheinlich werden liessen, wie sie
die bundesdeutsche Rechtsprechung und Lehre zum ähnlich umschriebenen
Qualifikationsgrund des "in die Gefahr des Todes bringen" (BRD StGB §
250 Ziff. 3) herausgearbeitet hätten (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER, N 20
ff. zu § 250).

    STRATENWERTH (BT I, 3. Aufl., § 8, N 158, S. 218 f.) weist auf die
Problematik des hohen Strafminimums von fünf Jahren hin; die Möglichkeit
einer Fehlreaktion des Täters bilde den Grund für die Qualifikation
nach Ziff. 1bis; sie könne nicht zugleich die Anwendung von Ziff. 3
rechtfertigen; auch reiche der Unterschied etwa zwischen dem "blossen"
Mitsichführen einer funktionsfähigen Waffe und der Drohung mit ihr nicht
aus, um die Anhebung des Strafminimums auf fünf Jahre Freiheitsstrafe
verständlich zu machen; in Lebensgefahr gebracht sei das Opfer erst dann,
wenn schon ein Zufall, eigenes unbedachtes Verhalten oder eine Intervention
Dritter, auch ohne weitere Handlungen des Täters, zu seinem Tode führen
könne, wie etwa bei der Bedrohung mit einer entsicherten Waffe.

    Im Kommentar SCHUBARTH (BT II, N 88, S. 74 f.) stützt sich die Kritik
in der Hauptsache ebenfalls auf das hohe Strafminimum; eine Mindeststrafe
von fünf Jahren sei nur vertretbar bei Taten, die mit dem Unrechtsgehalt
einer vorsätzlichen Tötung vergleichbar seien; in der Regel dürfte mangels
Vorsatz nicht einmal eine Vorbereitung zur vorsätzlichen Tötung gegeben
sein; die Tatgerichte würden durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung
ohne Vorliegen eines Strafmilderungsgrundes zur Verhängung von teilweise
als unmenschlich hart empfundenen Strafen gezwungen; mit der Revision von
1982 sei die Mindeststrafe für den gefährlichen Raub von fünf auf zwei
Jahre Zuchthaus herabgesetzt worden; damit komme im Gesetz zum Ausdruck,
dass die Mindeststrafe von fünf Jahren die seltene Ausnahme bleiben
solle; gerechtfertigt sei sie nur, wenn der Täter das Opfer vorsätzlich
in unmittelbare Lebensgefahr bringe.

    Für NOLL (BT I, S. 163) ist die konkrete, naheliegende Möglichkeit,
dass das Opfer stirbt, erforderlich; die Drohung gegen Leib und Leben,
die schon im Grundtatbestand enthalten sei und die, vor allem beim
bewaffneten Raub, auch eine Lebensgefahr enthalten könne, genüge nicht.

    b) Zustimmend zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung äussert sich
REHBERG (Grundriss Strafrecht III, 5. Aufl., S. 86); das Bundesgericht
habe insbesondere berücksichtigt, dass in den erwähnten Fällen die Waffe
innert kürzester Frist hätte schussbereit gemacht werden können; dies
habe zur Folge, dass der mit einer schiesstauglichen Waffe ausgerüstete
Räuber nur dann unter Art. 139 Ziff. 1bis StGB falle, wenn er von ihr
bei der Tat überhaupt nicht oder nur Dritten gegenüber Gebrauch mache.

    c) ARZT vertritt die Meinung, entgegen der Ansicht der
Expertenkommission und der Botschaft habe sich mit der Revision nichts -
oder jedenfalls nahezu nichts - geändert; die neue Fassung von Art. 139
StGB habe allenfalls insofern eine kleine Einengung bzw. Präzisierung
gebracht, als nicht schon das Drohen mit der geladenen, sondern erst
das Drohen mit der geladenen und entsicherten Waffe für die Bejahung der
Lebensgefahr genüge (ZStrR 100/1983 S. 268 ff.).

    In ähnlichem Sinne äussert sich SCHWENTER (ZStrR 100/1983 S. 286
ff.); er führt aus, es müsse sich um ein Täterverhalten handeln, welches
das Opfer einer ernsten Gefahr, getötet zu werden, aussetze, aber noch
nicht eine unmittelbare Lebensgefährdung im Sinne von Art. 129 Abs. 1
StGB darstelle.

Erwägung 4

    4.- An der bisherigen Rechtsprechung zum qualifizierten Tatbestand
des besonders schweren Raubes nach Ziff. 3 von Art. 139 StGB kann aus
verschiedenen Gründen nicht festgehalten werden.

    a) Die neue Fassung der Ziff. 3 von Art. 139 StGB bezweckte u.a.,
den bestehenden Widerspruch zwischen dem Grundtatbestand (alte Ziff. 1:
Bedrohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben) und der
qualifizierten Begehungsform (alte Ziff. 2: Bedrohung mit dem Tode),
die beide den gleichen Sachverhalt erfassten, zu beseitigen (Botschaft
des Bundesrates in BBl 1980 I S. 1258). Daraus wird zunächst klar,
dass der Wortlaut von Ziff. 3: "... das Opfer in Lebensgefahr bringt"
etwas anderes bedeutet als der Grundtatbestand in Ziff. 1: "Mit einer
gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben bedroht ...". Beim Grundtatbestand
genügt einerseits die Drohung, ohne dass sich eine Gefahr tatsächlich
verwirklichen muss (vgl. BGE 107 IV 33), während die Ziff. 3 letzteres
erfordert. Andererseits kann die Lebensgefahr nach Ziff. 3 auch in anderer
Weise als durch Bedrohung, nämlich auch durch Gewaltanwendung oder auf
andere Weise herbeigeführt werden (vgl. STRATENWERTH, aaO, S. 218/9).

    b) In bezug auf die tatsächlich verwirklichte Gefahr für das Leben
des Opfers ergibt sich aus der systematischen Regelung im Gesetz, dass
zwischen vier verschiedenen Graden der Gefahr zu unterscheiden ist,
jene des Grundtatbestandes und drei verschiedene Stufen der Steigerung
entsprechend den drei verschiedenen Qualifizierungsgründen: Ziff. 1bis,
wonach der Räuber mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter einem Jahr
bestraft wird, wenn er zum Zwecke des Raubes eine Schusswaffe oder eine
andere gefährliche Waffe mit sich führt; Ziff. 2, nach der der Räuber mit
Zuchthaus nicht unter zwei Jahren zu bestrafen ist, u.a. wenn er sonstwie
durch die Art, wie er den Raub begeht, seine besondere Gefährlichkeit
offenbart; Ziff. 3, die eine Strafe von Zuchthaus nicht unter fünf Jahren
vorsieht, wenn der Täter u.a. das Opfer in Lebensgefahr bringt.

    Diese Abstufung kann für den Richter insofern hilfreich sein, als sie
erkennen lässt, dass lediglich der Grundtatbestand erfüllt sein soll, wenn
der Täter bloss eine abstrakte Gefahr schuf, indem er etwa nur einen nicht
besonders gefährlichen Gegenstand verwendete (BGE 117 IV 137). Führt der
Täter eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich, ohne
sie einzusetzen, liegt eine erhöhte abstrakte Gefahr vor, die zur Anwendung
der Ziff. 1bis führt. Eine im Ausmass erheblich grössere Gefährdung (BGE
116 IV 316 E. bb) und mithin eine konkrete Gefahr setzt sodann die Ziff. 2
voraus, die in aller Regel zu bejahen sein dürfte, wenn der Räuber eine
Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe entsprechend zur Bedrohung
des Opfers einsetzt. Bei der Ziff. 3 muss es sich demzufolge um eine stark
erhöhte konkrete Gefahr oder um eine konkrete, sehr naheliegende Gefahr -
dies entspricht denn auch den überwiegenden Lehrmeinungen, wie sie oben
angeführt wurden, - handeln, in die der Täter das Opfer bringt; auch das
von zwei auf fünf Jahre erhöhte Strafminimum - dem im Sinne der Auslegung
nach der Strafandrohung besondere Bedeutung zukommt (eingehender dazu:
BGE 116 IV 315 E. aa) - zeigt auf, dass zwischen der nach Ziff. 2 und
der in Ziff. 3 von Art. 139 StGB vorausgesetzten Nähe der Lebensgefahr
für das Opfer ein ganz erheblicher Unterschied bestehen muss.

    c) In den Fällen des Einsatzes einer Schusswaffe durch den Räuber
in der Weise, dass diese auf das Opfer gerichtet wird, sind nach dem
Gesagten die Voraussetzungen von Art. 139 Ziff. 2 StGB grundsätzlich als
erfüllt zu betrachten, wenn die Waffe geladen, aber gesichert ist, oder
wenn diese zwar geladen, aber nicht durchgeladen ist, d.h. der Hahn noch
nicht gespannt ist. Für den Unterschied zwischen gespanntem und noch nicht
gespanntem Hahn bei einer Pistole ist zu beachten, dass beim Abzug recht
unterschiedliche Abzugsgewichte zu überwinden sind; beim im vorliegenden
Fall verwendeten Revolver: bei gespanntem Hahn ca. 1,5 Kilogramm, nicht
durchgeladen ca. 4,5 Kilogramm. Sowohl bei der Sicherung als auch bei
noch nicht gespanntem Hahn besteht zwar eine konkrete, hingegen noch
nicht eine sehr naheliegende Gefahr, dass sich bei der Bedrohung des
Opfers mit vorgehaltener Waffe ein Schuss lösen könnte. Vielmehr müssen
in beiden Fällen weitere Umstände (z.B. bewusste Entsicherung oder
Kraftaufwendung oder gleicher ungewollter Erfolg etwa, wenn sich der
Täter auf ein Handgemenge einlässt) tatsächlich hinzutreten, damit die
sehr nahe oder unmittelbare Gefahr einer Schussauslösung besteht, die
die Bejahung eines besonders schweren Raubes gemäss Ziff. 3 rechtfertigt.

    Die Voraussetzung der Ziff. 3 ist als erfüllt zu betrachten, wenn
die geladene Waffe entsichert und auch durchgeladen oder gespannt ist, so
dass sich ein Schuss zumal dann, wenn der Täter den Finger am Abzug hält,
jederzeit lösen und das Opfer töten kann. Nur unter diesen Umständen oder
wenn bei gesicherter oder nicht durchgeladener Schusswaffe die erwähnten
weiteren Umstände hinzukommen, liegt eine konkrete Gefahr für das Leben
des Opfers so nahe, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat eine jener
für vorsätzliche Tötung (Art. 111 StGB) entsprechende Mindeststrafe von
fünf Jahren Zuchthaus als gerechtfertigt erscheinen lässt.

    Die Meinungsäusserungen in der Literatur bejahen bei Bedrohung
mit geladener und entsicherter Waffe den besonders schweren Raub (so
ausdrücklich STRATENWERTH und ARZT, aaO, sowie TRECHSEL, Kurzkommentar
zum StGB, N 16 zu Art. 139). STRATENWERTH (aaO, S. 219 N 158) betont,
in Lebensgefahr sei das Opfer "erst dann, wenn schon ein Zufall, eigenes
unbedachtes Verhalten (vgl. BGE 102 IV 20) oder eine Intervention
Dritter, auch ohne weitere Handlungen des Täters, zu seinem Tode führen
kann". Bei gesicherter oder noch nicht gespannter Waffe kann sich ein
Schuss aber noch nicht allein durch Zufall oder unbedacht lösen, wie
bisher angenommen wurde.

    d) An der bisherigen Rechtsprechung kann insbesondere nicht
festgehalten werden, soweit diese damit begründet wurde, der Täter
könne in Sekundenschnelle die Waffe entsichern oder durchladen. Auf
diese Weise würde der Räuber in Verletzung des Tatschuldprinzips für
etwas bestraft, was er hätte tun können, anstatt allein für das, was er
tat. Wie bei den Tötungsdelikten (vgl. dazu BGE 117 IV 389 E. 17) war
der Gesetzgeber bei der Teilrevision 1982 des Strafgesetzbuches auch in
bezug auf die qualifizierten Tatbestände des Diebstahls und des Raubes
bestrebt, dem Tatschuldprinzip, dem die bundesgerichtliche Rechtsprechung
nicht genügend Rechnung trug, Nachachtung zu verschaffen (Botschaft des
Bundesrates, BBl 1980 I S. 1257/8 und dazu bereits BGE 116 IV 317 E. e;
vgl. auch SCHULTZ, ZBJV 121/1985, S. 42). Entgegen BGE 114 IV 9 kann
demnach nicht entscheidend sein, ob die Waffe innert kürzester Zeit
schussbereit gemacht werden kann, sondern ob aufgrund der Umstände der
Tat und des durch den Täter tatsächlich an den Tag gelegten Verhaltens
die Gefahr einer Schussauslösung sehr nahe liegt.

    Allerdings muss der Täter nicht den Vorsatz haben, das Opfer
notfalls zu töten; sein Wille, die Drohung wahr zu machen, ist nicht
erforderlich. Der Vorsatz muss sich indessen auf die Verwirklichung der
Todesgefahr richten, d.h. der Räuber muss mit Wissen und Willen das Opfer
in eine Lage versetzen, bei der eine sehr nahe Lebensgefahr ohne weiteres
Zutun des Täters in einen Tötungserfolg umschlagen kann. Er muss erkannt
haben, dass er mit seinem Vorgehen das Opfer in diesem Sinne einer sehr
naheliegenden Gefahr für das Leben aussetzt, und der Täter muss dies
auch wollen. Eventualvorsatz genügt, so dass es auch ausreicht, wenn
sich dem Täter, die sehr hohe Gefahr als so wahrscheinlich aufdrängte,
dass sein Verhalten vernünftigerweise nur als deren Inkaufnahme ausgelegt
werden kann (BGE 101 IV 46).

Erwägung 5

    5.- Auf den Fall des Beschwerdeführers angewandt, bedeutet dies, dass
bloss der Qualifizierungsgrund der Ziff. 2, nicht aber jener von Art. 139
Ziff. 3 StGB gegeben ist. Er bedrohte den Tankwart mit einem mit sechs
Patronen geladenen Trommelrevolver, indem er - den Finger am Abzugsbügel -
auf Brusthöhe aus einer Entfernung von 1/2 bis 1 m auf diesen zielte. Da
der Hahn des nicht sicherbaren Revolvers nicht gespannt war, hätte es
einer zusätzlichen Handbewegung in der Form des Spannens des Hahns bedurft,
damit die sehr naheliegende Gefahr einer Schussauslösung gegeben gewesen
wäre; oder der Täter hätte mit erheblicher Kraft und somit bewusst das
Abzugsgewicht von 4,5 Kilogramm überwinden müssen, damit sich ein Schuss
löse. Mithin wurde zwar ohne weiteres eine konkrete Gefahr für Leib
und Leben des Opfers geschaffen, mit der die Täterschaft ihre besondere
Gefährlichkeit im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 StGB bekundete. Eine sehr
naheliegende Lebensgefahr für das Opfer entstand beim blossen Richten
der Waffe auf das Opfer in einer Entfernung von 1/2 bis 1 m unter den
Umständen des vorliegenden Falles jedoch noch nicht.

Erwägung 6

    6.- Die Qualifikation nach Art. 139 Ziff. 3 StGB verstösst deshalb
gegen Bundesrecht. In Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde ist demzufolge
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.