Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 415



117 IV 415

71. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. November 1991 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 117 und 125 StGB.

    Verkehrssicherungspflicht der Bergbahn- und Skiliftunternehmen
(Lawinenunglück bei der Pleus-Skipiste in Elm); Stellungnahme zur Kritik
an BGE 115 IV 189 ff.

Sachverhalt

    A.- X. war im Jahre 1985 bei den Sportbahnen Elm AG für die
Pistensicherung verantwortlich. Am 3. Februar 1985 löste sich eine Lawine,
die die Pleus-Skipiste auf einer Breite von ca. 300 m verschüttete. Mehrere
Skifahrer, die sich teilweise auf der präparierten und markierten Piste,
teilweise aber auch im Lawinenhang oberhalb der Piste befanden, wurden
erfasst. Einer dieser Variantenfahrer wurde getötet und einer leicht
verletzt. Das Polizeigericht des Kantons Glarus büsste X. am 7. April
1987 wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung mit
Fr. 400.--. In Gutheissung einer Appellation hob das Obergericht des
Kantons Glarus den erstinstanzlichen Entscheid am 7. März 1988 auf und
sprach X. von Schuld und Strafe frei. Das Bundesgericht hob dieses Urteil
am 8. November 1989 auf (publiziert in BGE 115 IV 189 ff.).

    Das Obergericht des Kantons Glarus wies am 15. März 1991 die
(seinerzeitige) Appellation ab und bestätigte das Urteil des
Polizeigerichtes vom 7. April 1987 im Schuld-, Straf- und Kostenpunkt.

    X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 15. März 1991 sei
aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- a) In bezug auf die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung des
A. stellte die Vorinstanz in ihrem neuen Entscheid fest, Variantenfahrer
seien bei der Bergstation häufig in den Hang hinausgefahren. Nachdem sich
folglich an dieser Stelle eine wilde Piste gebildet hatte, sind an die
Verkehrssicherungspflicht die Anforderungen gemäss BGE 115 IV 193 E. c
zu stellen.

    BGE 115 IV 189 ff. ist in der Literatur auf Kritik gestossen. So
wurde eine Haftung des Pistenverantwortlichen abgelehnt, wenn sie damit
begründet werde, dieser hätte die Skifahrer durch Sperren etc. daran
hindern müssen, "sich trotz voller Kenntnis der mit der Abfahrt verbundenen
Risiken selbst zu gefährden" (ANDREAS DONATSCH, Sicherungspflichten
abseits der Pisten? - Selbstgefährdung des Skifahrers, Zeitschrift für
Gesetzgebung und Rechtsprechung in Graubünden (ZGRG) 1990, S. 81). Diese
Auffassung trifft zu. Sie ergibt sich denn auch aus BGE 115 IV 199,
wonach die Eigenverantwortung dort beginnt, wo sich der Skifahrer über
klare Signalisationen und Absperrungen hinwegsetzt.

    DONATSCH wendet sich gegen die Forderung des Bundesgerichts in BGE
115 IV 194 E. 3d, nebst einer Sperrtafel seien soweit zumutbar überdies
Zugangssperren (z.B. durch gekreuzte Gefahrenstangen oder Fähnchen an
einer Schnur) zu errichten, da man davon ausgehen können müsse, der Fahrer
verstehe den Sinn einer Hinweis- oder Verbotstafel (aaO S. 83). Dem kann
insoweit zugestimmt werden, als in der Regel eine Warn- oder Verbotstafel
genügen dürfte. Dass dies jedoch nicht immer zutrifft, ergibt sich
u.a. aus den "Richtlinien für Anlage und Unterhalt von Skiabfahrten" der
schweizerischen Kommission für Unfallverhütung auf Skiabfahrten und Loipen
(SKUS), die als Warnsignal 9 ausdrücklich "Seilwimpel zur Kennzeichnung
von Absperrungen und Abschrankungen" vorsehen.

    DONATSCH ist generell der Ansicht, es sei vertretbar und angemessen,
"Skifahrer, die abseits der Pisten im freien Gelände abfahren wollen,
mit Bezug auf die Gefahrtragung wie Tourenskifahrer zu behandeln"
(aaO S. 85). Von dieser Betrachtungsweise ist das Bundesgericht nur bei
eigentlichen "wilden Pisten" und bei erheblicher Lawinengefahr abgewichen
(vgl. BGE 115 IV 193 E. 3c und d). Das Prinzip der Zumutbarkeit schliesst
aus, dass Unzumutbares vorgekehrt werden muss.

    b) Der Beschwerdeführer bestreitet im übrigen nicht, sondern
bestätigte an der vorinstanzlichen Verhandlung ausdrücklich, dass bei
der Bergstation eine Sperrung des gefährdeten Gebietes durchaus möglich
gewesen sei. Er legt im übrigen nicht dar, inwieweit sie nicht zumutbar
gewesen wäre, sondern macht in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf
BGE 106 IV 352 nur geltend, die "Richtlinien für Anlage und Unterhalt
von Skiabfahrten" der schweizerischen Kommission für Unfallverhütung auf
Skiabfahrten und Loipen (SKUS) stellten - wie die FIS-Verhaltensregeln -
eine "Rechtsquelle" dar. Im genannten Entscheid hielt das Bundesgericht
in bezug auf die FIS-Regeln jedoch ausdrücklich fest, diese seien keine
Rechtsnormen, sondern an die Skifahrer gerichtete Verhaltensempfehlungen,
wobei grundsätzlich nichts im Wege stehe, sie als Massstab für die im
Skisport üblicherweise zu beachtende Sorgfalt heranzuziehen. Das gleiche
gilt für die Richtlinien der SKUS.

    c) Das Bundesgericht hatte am 8. November 1989 schliesslich darauf
hingewiesen, dass A. mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fahrt unterlassen
hätte, wenn er bei der Bergstation unmissverständlich auf die Lawinengefahr
aufmerksam gemacht worden wäre (BGE 115 IV 198 E. 5d); auch dies wird in
der Beschwerde zu Recht nicht in Abrede gestellt.

    d) Nachdem feststeht, dass bei der Bergstation Variantenfahrer häufig
waren, an dieser Stelle eine Sperrung des gefährdeten Gebietes möglich
und zumutbar gewesen wäre und A. mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fahrt
unterlassen hätte, wenn er bei der Bergstation unmissverständlich auf
die Lawinengefahr aufmerksam gemacht worden wäre, ist der angefochtene
Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung nicht zu beanstanden.

Erwägung 6

    6.- a) In bezug auf den Schuldspruch wegen fahrlässiger
Körperverletzung zum Nachteil des B., der die Piste oberhalb des
Doppelmastes 12/13 verlassen hatte, wurde die Vorinstanz im Urteil
des Bundesgerichts vom 8. November 1989 aufgefordert, abzuklären,
ob und gegebenenfalls von welchen Stellen aus der Südwesthang zwischen
Schabellgipfel und dem Gelb Chopf häufig von Variantenfahrern befahren
wurde.

    Die Vorinstanz stellte in ihrem neuen Entscheid fest, "unten im Bereich
der Masten" seien Variantenfahrer häufig in den Hang hinausgefahren. Damit
steht aber nicht fest, ob sich an der Stelle, an der B. ins freie
Skigelände fuhr, die Einfahrt zu einer eigentlichen wilden Piste befunden
hat. Die Frage kann jedoch offenbleiben, denn die Vorinstanz ging weiter
davon aus, eine Sicherung der Piste auf einer Länge von ca. 550 m durch
eigentliche Abschrankungen wäre vor allem vom Aufwand her unzumutbar und
unverhältnismässig gewesen. Bei dieser Sachlage ist aber nicht zu sehen,
welche Massnahmen der Beschwerdeführer "unten im Bereich der Masten"
hätte treffen müssen, um B. auf die herrschende Lawinengefahr aufmerksam
zu machen und ihn von der Fahrt in den Lawinenhang abzuhalten. Die von
der Vorinstanz als notwendig erachteten Pistenrandmarkierungen sind dazu
ungeeignet (s. BGE 115 IV 197/198 E. 5c Abs. 2).

    b) Eine weitere vom Bundesgericht im Entscheid vom 8. November 1989
aufgeworfene Frage lautete, ob B. durch entsprechende Signalisations-
und Sperrmassnahmen bei der Bergstation hinreichend davor gewarnt worden
wäre, seine Fahrt in den Lawinenhang zu unternehmen.

    Diesbezüglich stellte die Vorinstanz fest, die in bezug auf
den Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung des A. als notwendig
erachteten Vorkehren im Bereich der Bergstation hätten B. noch nicht
mit hoher Wahrscheinlichkeit davon abgehalten, die Piste (weiter
unten) zu verlassen. Von dieser Annahme ist auszugehen, zumal auch die
Beschwerdegegnerin in ihrer Stellungnahme vom 6. November 1991 nicht
das Gegenteil behauptet.

    c) Die Beschwerdegegnerin erachtet in ihrer Vernehmlassung als
unerheblich, dass B. neben der Piste fuhr, da er auch auf der präparierten
Piste von der Lawine erfasst worden wäre; strafrechtlich verantwortlich
sei der Beschwerdeführer, weil er es unterlassen habe, den Betrieb der
Pleusbahn einzustellen; damit habe er das Risiko von Unfällen auf und
neben der Piste in Kauf genommen.

    Diese Auffassung geht an der Sache vorbei. Dem Beschwerdeführer
wird nicht angelastet, er habe durch das Aufrechterhalten des Betriebs
der Pleusbahn das Risiko von Unfällen in Kauf genommen, sondern
es wird ihm konkret vorgeworfen, er habe notwendige Signalisations-
bzw. Sperrmassnahmen unterlassen, und wegen dieser Sorgfaltswidrigkeit sei
B., der sich abseits der Piste aufgehalten habe, in die Lawine geraten
und verletzt worden. In bezug auf die auf der Piste verschütteten, aber
unverletzt gebliebenen Fahrer wurde denn auch keine Anklage erhoben.

    d) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Verurteilung wegen
fahrlässiger Körperverletzung Bundes recht verletzt. In diesem Punkt wird
der Beschwerdeführer freizusprechen sein.