Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 398



117 IV 398

67. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Oktober
1991 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell
A.Rh. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 44 StGB; ambulante Behandlung von Trunk- und Rauschgiftsüchtigen.

    Art. 43 Ziff. 3 Absätze 2 und 3 StGB, welche die ambulante Behandlung
an geistig Abnormen betreffen, sind analog auch auf die ambulante
Behandlung von Trunk- und Rauschgiftsüchtigen gemäss Art. 44 StGB
anwendbar, wenn sich die Massnahme als unzweckmässig oder für andere
gefährlich erwiesen und der Richter deshalb zu entscheiden hat, ob und
wieweit aufgeschobene Strafen noch vollstreckt werden sollen oder ob an
Stelle des Strafvollzuges eine andere gleichartige ambulante Massnahme
angeordnet werden soll.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Obwohl im vorliegenden Fall im Jahre 1986 eine Massnahme
gemäss Art. 44 StGB (Behandlung von Trunk- und Rauschgiftsüchtigen)
ausgesprochen worden war, erstattete die Justizdirektion 1990 Bericht und
Antrag gemäss Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 StGB. Diese Bestimmung bezieht sich
auf Massnahmen an geistig Abnormen. Es stellt sich zunächst die Frage,
ob diese analoge Anwendung richtig war.

    b) aa) Die herrschende Lehre und die kantonale Rechtsprechung nehmen
an, dass die Abs. 2 und 3 des Art. 43 Ziff. 3 StGB, die bei Misserfolg
der ambulanten Behandlung eines geistig Abnormen eingreifen und es dem
Richter erlauben, nachträglich die Anstaltseinweisung oder eine andere
sichernde Massnahme anzuordnen, bei Erfolglosigkeit der ambulanten
Massnahme gegenüber einem Trunk- oder Rauschgiftsüchtigen sinngemäss
anwendbar sind (vgl. URSULA FRAUENFELDER, Die ambulante Behandlung
geistig Abnormer und Süchtiger als strafrechtliche Massnahme nach
Art. 43 und 44 StGB, Diss. Zürich 1978, S. 171 f.; REHBERG, Fragen bei
der Anordnung und Aufhebung sichernder Massnahmen nach StGB Art. 42-44,
ZStR 93/1977, S. 198 f.; SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des
Strafrechts, 2. Band, 4. Aufl., S. 171 f.; ferner SJZ 81/1985, S. 269
Nr. 50, und ZBJV 113/1977 S. 276 f.). Demgegenüber lehnt STRATENWERTH
(Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil II, § 12 N 48 und 49) beim
Scheitern einer ambulanten Behandlung nach Art. 44 StGB zwar eine analoge
Anwendung von Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 StGB nicht ab, will indessen nur
den nachträglichen Vollzug der aufgeschobenen Strafe in Betracht ziehen,
da für die Einweisung in eine Anstalt oder die Anordnung einer anderen
sichernden Massnahme die gesetzliche Grundlage fehle.

    bb) Die ambulante Behandlung von Trunk- und Rauschgiftsüchtigen
ist in Art. 44 Ziff. 1 Satz 2 (i.V.m. Ziff. 6) StGB vorgesehen. Nach
Satz 3 dieser Bestimmung ist Art. 43 Ziff. 2 StGB entsprechend
anwendbar. Weitere Bestimmungen über die ambulante Behandlung von Trunk-
und Rauschgiftsüchtigen enthält Art. 44 StGB in den weiteren Ziffern,
die den Vollzug und die Beendigung der Massnahme betreffen, nicht;
diese Behandlungsart findet dort keine Erwähnung mehr. Hingegen wird die
Ziff. 3 von Art. 45 StGB, die von der nicht bestandenen Probezeit bei einer
bedingten oder probeweisen Entlassung aus einer Massnahme handelt, in deren
Abs. 7 als sinngemäss anwendbar erklärt, wenn eine ambulante Behandlung
unter Aufschub der Strafe gemäss Art. 43 und 44 StGB angeordnet wurde.

    Die Verweisung auf Art. 43 Ziff. 2 StGB bedeutet, dass bei einer
ambulanten Massnahme nach Art. 44 StGB der Vollzug der Strafe gleich
wie bei einer solchen nach Art. 43 StGB aufgeschoben werden kann, um
der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Der Richter kann in diesem
Falle entsprechend Art. 41 Ziff. 2 StGB Weisungen erteilen und wenn
nötig eine Schutzaufsicht anordnen. Geht es um die Beendigung einer
ambulanten Behandlung eines Trunk- oder Rauschgiftsüchtigen und um die
damit zusammenhängenden nachträglichen richterlichen Entscheidungen, so
müssen dafür folgerichtig auch die entsprechenden weiteren Bestimmungen
von Art. 43 StGB Anwendung finden, nachdem Art. 44 StGB diese Fragen
in den Einzelheiten nicht selber regelt, sondern in Ziff. 1 auf Art. 43
Ziff. 2 StGB verweist. Die Regelung von Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 StGB,
die für eine nach dieser Bestimmung angeordnete ambulante Behandlung
in bezug auf den Abbruch der Massnahme wegen deren Unzweckmässigkeit
oder Gefährlichkeit für Dritte und die damit im Zusammenhang stehenden
nachträglichen richterlichen Entscheidungen gilt, ist daher grundsätzlich
auch für die ambulante Behandlung nach Art. 44 StGB heranzuziehen.

    Dass dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht und nicht von einem
qualifizierten Schweigen auszugehen ist, wenn in Art. 44 Ziff. 1 nur
auf Ziff. 2 und nicht auch auf Ziff. 3 von Art. 43 StGB verwiesen wird,
ergibt sich aus folgendem: Während die Botschaft des Bundesrates zur
entsprechenden Revision des schweizerischen Strafgesetzbuches (BBl 1965 I
S. 577) die ambulante Behandlung der Trunk- und Rauschgiftsucht im Rahmen
des bedingten Strafvollzuges nach Art. 41 StGB mit einer entsprechenden
Weisung als möglich ansah, wurde in der ständerätlichen Kommission
(Protokoll der 4. Sitzung vom 11.-13. Mai 1966, S. 162) beantragt, "analog
zum Art. 43" die Möglichkeit der ambulanten Behandlung vorzusehen. Dies
führte in der Folge zur Ergänzung von Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 StGB mit den
heutigen Sätzen 2 und 3. Mit einer analogen Regelung wie in Art. 43 StGB
war offenkundig nicht nur die Anwendung dieser Bestimmung bei der Anordnung
einer ambulanten Massnahme, sondern auch bei deren Abbruch sowie den damit
zusammenhängenden nachträglichen richterlichen Entscheidungen gemeint.

    Die Verweisung auf die für die Anordnung der ambulanten Massnahme
anwendbare Gesetzesbestimmung genügt somit, um zu schliessen, damit
finde auch die für deren Abbruch und die damit im Zusammenhang stehenden
Fragen geltende Regelung Anwendung. Die gleiche Gesetzestechnik verwendet
der Gesetzgeber denn auch beispielsweise in Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 mit
dem Hinweis auf Art. 41 Ziff. 2 StGB. Ist diese zweite Bestimmung die
Grundlage für die Erteilung von Weisungen, so ist folgerichtig Art. 41
Ziff. 3 StGB sinngemäss anzuwenden, wenn es um die Folgen einer Missachtung
der Weisungen geht (vgl. BGE 109 IV 11 E. 2b).

    cc) Ob durch diese sinngemässe Anwendung von Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und
3 StGB auf Trunk- und Rauschgiftsüchtige auch eine genügende gesetzliche
Grundlage dafür gegeben ist, beim Scheitern einer ambulanten Behandlung
eines Trunk- oder Rauschgiftsüchtigen die nachträgliche Einweisung in
eine Anstalt oder eine andere sichernde Massnahme anzuordnen - was
STRATENWERTH verneint (s. oben E. 2/b/aa) -, kann im vorliegenden
Fall offenbleiben. Eine solche Einweisung oder Anordnung stand nicht
zur Diskussion und wurde denn auch nicht verfügt. Was die Frage des
nachträglichen Vollzugs der aufgeschobenen Freiheitsstrafen und einer
neuen, gleichartigen ambulanten Massnahme betrifft, gingen die kantonalen
Behörden jedenfalls zu Recht von einer analogen Anwendung der erwähnten
Bestimmungen von Art. 43 StGB aus.