Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 314



117 IV 314

57. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. August 1991 i.S. L.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG; Gebrauch von Cannabis; Gesundheitsgefahr.

    Cannabis kann nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse auch
in grossen Mengen die Gesundheit vieler Menschen im Sinne von Art. 19
Ziff. 2 lit. a BetmG nicht in Gefahr bringen. Bei Widerhandlungen gegen
Art. 19 Ziff. 1 Satz 1 BetmG, die sich auf diese Droge beziehen, ist die
Annahme eines schweren Falles gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG somit
ausgeschlossen (E. 2; Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- L. handelte in der Zeit von ungefähr Ende Mai bis September 1983
mit mindestens acht Kilogramm Haschisch. Ausserdem rauchte er von Januar
bis August 1984 verschiedene Male Haschisch.

    B.- Mit Urteil vom 30. November 1988 sprach ihn das Obergericht
des Kantons Zürich, II. Strafkammer, zweitinstanzlich schuldig der
fortgesetzten Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 in
Verbindung mit Ziff. 2 lit. a und c BetmG und verurteilte ihn zu zwanzig
Monaten Zuchthaus, abzüglich 167 Tage Untersuchungshaft. Auf die Anklage
der wiederholten und fortgesetzten Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes
im Sinne von Art. 19a BetmG trat es infolge Verjährung nicht ein.

    C.- L. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
an dieses zurückzuweisen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung
der Beschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist,
teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe zu Unrecht einen
schweren Fall gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG angenommen; auch grosse
Mengen Haschisch könnten die Gesundheit vieler Menschen nicht in Gefahr
bringen.

    a) Art. 19 Ziff. 1 Satz 1 BetmG stellt den unbefugten Anbau,
Handel und Besitz von Betäubungsmitteln in allen seinen Formen unter
Strafe. Für vorsätzliche Tatbegehung droht das Gesetz Gefängnis oder
Busse an. Gemäss Art. 19 Ziff. 1 Satz 2 BetmG ist in schweren Fällen
die Strafe Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter einem Jahr, womit eine
Busse bis zu 1 Million Franken verbunden werden kann. Ein schwerer Fall
liegt nach Art. 19 Ziff. 2 BetmG insbesondere vor, wenn der Täter

    a) weiss oder annehmen muss, dass sich die Widerhandlung auf eine Menge
   von Betäubungsmitteln bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen in

    Gefahr bringen kann;

    b) als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur

    Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs zusammengefunden hat;

    c) durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen
   erheblichen Gewinn erzielt.

    b) aa) Das Bundesgericht hatte sich bereits in BGE 106 IV 227
ff. dazu zu äussern, ob es angehe, einen schweren Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG auch bei grossen Mengen Haschisch zu
verneinen. Zur Beurteilung stand eine Nichtigkeitsbeschwerde, die
sich gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom
30. Januar 1980 (veröffentlicht in SJZ 77/1981, S. 180 ff.) richtete. Das
Obergericht vertrat gestützt auf ein Sachverständigengutachten den
Standpunkt, dass Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG auf verschiedene umfangreiche
Haschischgeschäfte mehrerer Täter - ein Fall betraf 8 Kilogramm Haschisch,
ein anderer 10,5 Kilogramm Haschischöl - nicht anwendbar sei. Zur
Begründung führte es im wesentlichen aus, das Gefährdungspotential von
Haschisch sei nach den Erkenntnissen der Wissenschaft im Vergleich zu
anderen vom Betäubungsmittelgesetz erfassten Drogen, insbesondere zum
Heroin, erheblich geringer und unterschreite in mancher Hinsicht sogar
dasjenige von Alkohol; mit Schäden sei nur bei zwei bis vier Prozent
der regelmässigen Haschischkonsumenten zu rechnen, und auch das nur bei
langjährigem, häufigem Konsum; von hundert Haschischkonsumenten hörten
im übrigen neunzig wieder auf; schliesslich sei auch widerlegt, dass
Haschisch eine Einstiegsdroge sei.

    Das Bundesgericht hob im zitierten Entscheid das Urteil des
Obergerichts auf. Es hielt dafür, aus der gesetzlichen Ordnung - Art. 1,
8, 19 und 19a BetmG - ergebe sich, dass der Gesetzgeber selber Cannabis
als Rohstoff, aber auch die aus ihm gewonnenen Wirkstoffe und die solche
enthaltenden Präparate für abhängigkeitserzeugend befunden habe. Die
Gefahr aber, drogenabhängig, also süchtig zu werden, sei eine Gefahr für
die menschliche Gesundheit; denn wer süchtig sei, sei krank. Dieser Gedanke
liege auch dem revidierten Betäubungsmittelgesetz zugrunde, und er betreffe
nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesundheit. Psychische
Abhängigkeit bedeute nach dem Gesetz somit eine Beeinträchtigung der
Gesundheit. Um nur schon die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung zu
vermeiden, habe der Gesetzgeber, wie die genannten Bestimmungen und ihre
Entwicklungsgeschichte zeigten, den Handel mit den im Gesetz aufgeführten
Drogen in allen seinen Formen, einschliesslich die Vorbereitungshandlungen
und teilweise auch den Konsum, unter Strafe gestellt. Habe aber der
Gesetzgeber die Frage nach der abhängigkeitserzeugenden Wirkung von
Cannabissubstanzen und damit der Gefährlichkeit des Handels mit solchen
Stoffen für die menschliche Gesundheit nach dem seinerzeitigen Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnis selber entschieden, so stehe es dem
Richter nicht zu, sie in eigener Würdigung anders zu beantworten. Sollte
nach heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis diese Gefahr nicht bestehen,
sei es am Gesetzgeber, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Daraus
ergebe sich ohne weiteres, dass der Richter bei Anwendung des Art. 19
Ziff. 2 lit. a BetmG nur zu entscheiden habe, ob im Einzelfall so
erhebliche Mengen eines Betäubungsmittels Gegenstand einer der vom Gesetz
verpönten Handlungen gebildet haben, dass eine Vielzahl von Menschen
damit versorgt werden konnte oder hätte versorgt werden können. Wo das
zutreffe, sei nach dem Sinn des Gesetzes auch schon eine Gefahr für die
Gesundheit vieler Menschen geschaffen, ohne dass noch zu prüfen sei, ob
das Gefährdungspotential einer Droge erheblich, die Gefahr hochgradig,
naheliegend sei. Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG setze keine so qualifizierte
Gefahr voraus, habe doch der Gesetzgeber auch bewusst darauf verzichtet,
zwischen leichten und harten Drogen zu unterscheiden. Das verkenne das
Obergericht, wenn es Haschisch auf seine Gefährlichkeit für die Gesundheit
des Menschen prüfe und nach Würdigung eines Expertenberichtes die Gefahr
einer abhängigkeitserzeugenden Wirkung von Cannabissubstanzen für eine
Vielzahl von Menschen verneine, unbesehen der Mengen, die in Frage stünden.

    bb) Davon ausgehend, dass bereits zwanzig Personen eine Vielzahl von
Menschen darstellten (BGE 108 IV 65 f. E. 2), nahm das Bundesgericht in
BGE 109 IV 143 ff. nach Anhörung von Sachverständigen sodann an, dass eine
Gefährdung vieler Menschen im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG bei
einer Menge von vier Kilogramm Haschisch gegeben sei.

    c) Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist im Schrifttum auf
Kritik gestossen. In einer eingehenden Auseinandersetzung mit BGE 106
IV 227 ff. kommt JENNY (Der Begriff der Gesundheitsgefahr in Art. 19
Ziff. 2 lit. a BetmG: Eine Kritik der neuesten Rechtsprechung, Beiheft
1 zur Zeitschrift für schweizerisches Recht, Basel 1982, S. 97 ff.) zum
Schluss, dass die vom Bundesgericht darin vertretene Auffassung, die
rein psychische Abhängigkeit von einer Droge sei schon eine Krankheit,
nicht haltbar sei; aus den Materialien ergebe sich, dass der Gesetzgeber
eine Beeinträchtigung der Gesundheit erst bei Eintritt körperlicher,
seelischer oder sozialer Schäden angenommen habe (S. 103 ff.); den
Unterlagen zu den Gesetzgebungsarbeiten seien zudem keine Hinweise
darauf zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Richter daran habe hindern
wollen, der Gefährlichkeit der einzelnen Drogen und den Erkenntnissen der
Wissenschaft dazu im Rahmen von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG Rechnung
zu tragen (S. 110 f.); Gesundheit bzw. Krankheit seien in erster Linie
medizinische, nicht rechtliche Begriffe; Urteile darüber abzugeben,
wann das eine oder das andere vorliege, sei zunächst Sache der Medizin,
nicht der Rechtswissenschaft; die Gesetzesauslegung dürfe sich, wo
immer das vermeidbar sei, mit erfahrungswissenschaftlichen Tatsachen
nicht in Widerspruch setzen; stelle sich heraus, dass eine in das
Betäubungsmittelgesetz aufgenommene Substanz in Wahrheit harmlos sei,
sei es dem Richter zwar verwehrt, berichtigend einzugreifen und sie aus
dem Katalog der inkriminierten Betäubungsmittel zu streichen; spreche
das Gesetz dagegen von einer Gefahr für die Gesundheit, sei er nicht nur
berechtigt, sondern verpflichtet, auf die wissenschaftliche Entwicklung
und die Korrektur früherer Befunde Rücksicht zu nehmen (S. 111).

    d) aa) Wie das Bundesgericht insbesondere in seiner jüngeren
Rechtsprechung mehrfach betont hat, hat der Richter bei der Auslegung von
Straftatbeständen der angedrohten Strafe Rechnung zu tragen (BGE 116 IV
315 f. E. 2d/aa; 116 IV 329 E. 3b; 116 IV 337 E. 3b; 117 IV 22).

    bb) Bei einer einfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
gemäss Art. 19 Ziff. 1 Satz 1 BetmG besteht die Mindeststrafe, wie
dargelegt (E. 2a), in einer Busse; die Höchststrafe beträgt drei Jahre
Gefängnis (Art. 36 Satz 2 StGB) zuzüglich Busse (Art. 50 Abs. 2 StGB). In
einem schweren Fall gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG steigt die
Mindeststrafe auf ein Jahr Zuchthaus (Art. 35 Satz 2 StGB) oder ein
Jahr Gefängnis und die Höchststrafe auf zwanzig Jahre Zuchthaus (Art. 35
Satz 2 StGB), womit eine Busse bis zu 1 Million Franken verbunden werden
kann. Angesichts dieser erheblichen Verschärfung der Strafdrohung für
einen schweren Fall ist Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG restriktiv auszulegen,
d.h. die darin genannte Gesundheitsgefahr für viele Menschen ist im Sinne
der nachfolgenden Ausführungen nur mit Zurückhaltung anzunehmen.

    cc) Die Gesundheitsgefahr gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG ist
daher schon begrifflich eng zu fassen. Sie ist entgegen der in BGE 106 IV
227 ff. vertretenen Ansicht nicht schon zu bejahen, wenn der Gebrauch
einer Droge psychisch abhängig machen, sondern erst, wenn er seelische
oder körperliche Schäden verursachen kann.

    Diese begriffliche Eingrenzung der Gesundheitsgefahr liegt auch deshalb
nahe, weil es dem Gesetzgeber bei der Unterstellung der verschiedenen
Drogen unter das Betäubungsmittelgesetz und dessen Strafbestimmungen darum
ging, den Menschen vor seelischen, körperlichen und sozialen Schäden
zu bewahren. Solche Beeinträchtigungen können daher auch im Rahmen von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG nicht bedeutungslos sein. Psychische und
physische Schädigungen befürchtete der Gesetzgeber namentlich auch von
Cannabis; er war vor allem der Ansicht, der Gebrauch dieser Droge bilde
nur die Vorstufe zu jenem härterer Stoffe. Das ergibt sich bereits aus der
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Änderung
des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom 9. Mai 1973 (BBl 1973 I,
S. 1354 ff.). Darin wird ausgeführt, bei Cannabis handle es sich um ein
Halluzinogen, das nach der in der medizinischen Wissenschaft überwiegenden
Meinung bei Dauergebrauch zu Bewusstseinsveränderungen führen könne; es
werde immer wieder festgestellt, dass Cannabis eine Schrittmacherfunktion
ausübe und besonders bei jungen Menschen eine Neigung zum "Umsteigen",
zum Beispiel auf Opiate oder Amphetamine, hervorrufe; das Hanfkraut und
sein Harz lägen sicherlich im unteren Gefährdungsbereich; jedoch werde
die oft vertretene Auffassung, dass sie physisch nicht gefährlich seien,
überwiegend nicht geteilt. Auch die Beratungen in den Räten zeigen, dass
der Gesetzgeber den Menschen vor den Gefahren des seelischen, körperlichen
und sozialen Ruins schützen wollte. Dort wurde mehrfach auf die bereits in
der Botschaft hervorgehobene Schrittmacherfunktion von Cannabis verwiesen
(Amtl.Bull. SR 1973, S. 694 (Andermatt), S. 697 (Tschudi), S. 705
(Honegger); Amtl.Bull. NR 1974 II, S. 1419 (Schmitt), 1425 (Reich),
1428 (Meier)) und wiederholt auf die schwerwiegenden gesundheitlichen
Folgen aufmerksam gemacht, die jener zu gewärtigen habe, der sich auf
den Drogenkonsum einlasse (Amtl.Bull. NR 1974 II, S. 1416 (Welter), 1428
(Meier), 1429 f. (Hürlimann); Amtl.Bull. SR 1973, S. 697 (Tschudi).

    dd) Aus dem Erfordernis der einengenden Auslegung von Art. 19 Ziff. 2
lit. a BetmG folgt überdies, dass die Gefahr für die Gesundheit vieler
Menschen eine naheliegende und ernstliche sein muss.

    Ob das der Fall ist, hat der Richter unter Berücksichtigung der
Erkenntnisse der Wissenschaft zu prüfen. Daran, dass es ihm, wie in
BGE 106 IV 227 ff. angenommen wurde, verwehrt sei, den Ergebnissen der
Forschung Rechnung zu tragen und es Sache des Gesetzgebers sei, daraus die
Konsequenzen zu ziehen, kann nicht festgehalten werden. Der Richter könnte
sonst, je nach Wissensstand, unter Umständen gezwungen sein, einen Täter
für eine Gefahr verantwortlich zu machen, die nicht bestand und ihm eine
Strafe aufzuerlegen, die sich unter Schuldgesichtspunkten nicht vertreten
lässt (vgl. JENNY, aaO, S. 112). Im übrigen geht aus den Materialien
hervor, dass sich der Gesetzgeber bewusst war, die Gefährlichkeit von
Cannabis nicht endgültig beurteilen zu können; er war sich darüber
im klaren, dass die Forschung dazu noch im Gang war. In der Botschaft
betreffend die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom 9. Mai 1973 (BBl
1973 I, S. 1355) hält der Bundesrat fest, die biochemischen Vorgänge,
die sich im menschlichen Körper beim Genuss von Cannabis vollzögen,
seien noch nicht genau bekannt; die Forschung befasse sich jedoch
intensiv damit, und es sei zu erwarten, dass man in einigen Jahren zu
schlüssigen Ergebnissen gelangen werde; weiter legt er dar, das Ausmass
der schädlichen Nebenwirkungen, die bei der Massenverwendung der Droge
auftreten könnten, seien nicht zu beurteilen, da Hanfkraut und sein Harz
pharmakologisch und klinisch noch nicht genügend untersucht seien. Das
spricht dafür, dass es der Gesetzgeber als Sache des Richters ansah,
die zu erwartenden Forschungsergebnisse jedenfalls soweit zu beachten,
als das Gesetz, wie in Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG, dafür Raum lässt
(ebenso JENNY, aaO, S. 110/1).

    e) Die Berücksichtigung der Gefährlichkeit der einzelnen
Betäubungsmittel bei der Anwendung von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG kann
dazu führen, dass "weiche" und "harte" Drogen insoweit unterschiedlich zu
behandeln sind. Das ist entgegen der in BGE 106 IV 227 ff. geäusserten
Ansicht zulässig. Weder aus der Botschaft des Bundesrates an die
Bundesversammlung betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die
Betäubungsmittel vom 9. Mai 1973 noch aus den parlamentarischen Beratungen
geht hervor, dass der Gesetzgeber eine voneinander abweichende Behandlung
"weicher" und "harter" Drogen in jeder Hinsicht verhindern wollte
(vgl. JENNY, aaO, S. 110). Unter der Überschrift "Keine Unterscheidung
zwischen 'harten' und 'weichen' Drogen" sprach sich der Bundesrat einzig
dagegen aus, Haschisch für den freien Verkehr zuzulassen und für "weiche"
Drogen eine geringere Strafdrohung vorzusehen; er war der Meinung,
eine Regelung, die für "weiche" Drogen eine tiefere Strafe androhte,
wäre dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt, da wissenschaftlich fundierte
Anhaltspunkte fehlten, nach denen die "weichen" von den "harten" Drogen
abgegrenzt werden könnten; für die einen sei nur das Hanfkraut eine
"weiche" Droge, für andere seien es auch Haschisch, LSD und sogar Opium
(BBl 1973 I, S. 1354 ff.). Dass die unterschiedliche Gefährlichkeit der
"weichen" und der "harten" Drogen bei der Anwendung von Art. 19 Ziff. 2
lit. a BetmG ausser Betracht zu bleiben habe, wird nicht gesagt.

    f) aa) Wie dargelegt (E. 2d/cc), ging der Gesetzgeber davon aus,
Cannabis stelle eine Gefahr für die menschliche Gesundheit dar; er
war insbesondere der Auffassung, dieses Betäubungsmittel könne als
"Einstiegsdroge" leicht zum Gebrauch härterer Stoffe verführen.

    bb) Das stellten bereits die Professoren Kielholz, Ladewig und
Uchtenhagen in ihrem Gutachten zuhanden des Obergerichts des Kantons Zürich
vom 26. September 1978 (veröffentlicht in Schweiz. Rundschau für Medizin
68/1979, S. 1687 ff.) in Frage. Sie vertraten die Auffassung, dass der
Konsum von Haschisch weder bei akuter Vergiftung noch bei länger dauerndem
mässigem Konsum ein deutliches Gesundheitsrisiko in sich berge; erhebliche
körperliche Schädigungen des Organismus seien selten, soweit das beurteilt
werden könne; Haschischkonsum könne zu Toleranz und mässiger psychischer
Abhängigkeit führen; das Abhängigkeitspotential und die Fähigkeit, soziale
und psychische Folgen zu verursachen, sei bei Haschisch jedoch deutlich
schwächer als bei andern Drogen wie Morphin/Heroin, Amphetamin/Kokain,
Alkohol/Barbiturate; körperliche, psychische und soziale Schädigungen
würden wahrscheinlicher, wenn weitere Risikofaktoren hinzukämen, die
nichts mit der Droge Haschisch zu tun hätten, aber auch bei steigender
Dosierung und Häufigkeit des Konsums; insofern seien die Risiken beim
Gebrauch des Haschischkonzentrats (Haschischöl) höher zu veranschlagen
als beim gewöhnlichen Haschischkonsum; eine auf die Droge zurückzuführende
erhebliche Gefahr des Umstiegs von Haschisch auf härtere Drogen sei nicht
erwiesen; ein Vergleich der Gefährlichkeit von Haschisch und Heroin
ergebe in fast allen Punkten ein erhöhtes Risiko beim Heroinkonsum,
einschliesslich der damit verbundenen sozialen Folgekosten.

    Ähnlich äusserte sich im Jahre 1985 auch Prof. Kind. Er führte aus,
Cannabisprodukte verursachten keine sicher nachgewiesenen körperlichen
Schäden, die denen des Nikotins in der Schwere oder Häufigkeit auch
nur entfernt vergleichbar seien; es gebe jedoch eine kleine Zahl von
Konsumenten, die abhängig werde, indem sie die Droge exzessiv gebrauche und
dadurch in psychische und soziale Schwierigkeiten gerate; die besondere
Gefährlichkeit von Cannabisprodukten sei bisher immer wieder damit
begründet worden, dass Haschisch eine "Einstiegsdroge" für sogenannte
harte Drogen (Heroin/Kokain) sei; diese Behauptung sei heute eindeutig
widerlegt (Die Gefährlichkeit der Drogen und die heutige Drogenpolitik,
NZZ Nr. 142 vom 22./23. Juni 1985, S. 39).

    cc) Das wird im wesentlichen bestätigt im Bericht der Subkommission
"Drogenfragen" der Eidgenössischen Betäubungsmittelkommission über Aspekte
der Drogensituation und Drogenpolitik in der Schweiz (herausgegeben
vom Bundesamt für Gesundheitswesen, Bern, Juni 1989). Danach ist beim
Cannabistyp bei einer akuten Vergiftung keine Lebensgefährdung belegt;
je nach Dosierung und Konzentration des Wirkstoffes (THC) könne eine mehr
oder weniger geringfügige Störung im Bereich der Herztätigkeit oder des
Magen-Darms sowie eine Reizung der Bronchialschleimhaut auftreten (S. 41);
der Langzeitgebrauch von Cannabis könne die bekannten Raucherschäden
verursachen; vor allem Störungen der Lungenfunktion, chronische
Bronchitis und Lungenkrebs könnten beim Cannabis-Rauchen früher als
beim gewöhnlichen Rauchen auftreten (S. 42); über sonstige schädliche
Auswirkungen des Gebrauchs von Cannabis auf den menschlichen Körper sei
noch nichts Sicheres bekannt (S. 42); eine körperliche Abhängigkeit
werde bei Cannabis selten beobachtet; dagegen sei die Gefahr der
psychischen Abhängigkeit deutlich vorhanden und hange in besonderem
Masse vom Wirkstoffgehalt ab, der bei den einzelnen Handelsformen
(Marihuana, Haschisch, Haschischöl) sehr unterschiedlich sei (S. 44);
die seelischen Auswirkungen der akuten Vergiftung seien stark von der
Persönlichkeit des Konsumenten und der Situation der Drogeneinnahme
abhängig; bei höherer Dosierung oder bei entsprechender Disposition
gebe es Wahrnehmungsverzerrungen, Fehlleistungen, auch ängstliche
Erregungszustände bis zur Panik; vorübergehender Verfolgungswahn sei
möglich, ebenso ein späterer Echorausch (Wiederholung des Rausches
ohne Drogeneinnahme; S. 45); bei Langzeitgebrauch von Cannabis seien
suchtbedingte Persönlichkeitsveränderungen möglich, umso eher, je häufiger
und in je konzentrierterer Form der Stoff konsumiert werde; längerdauernde
Psychosen (Wahnzustände) seien selten (S. 47); unerwünschte soziale
Folgen seien beim Cannabistyp eher die Ausnahme als die Regel, träten
aber vermehrt bei häufigem als bei mässigem Konsum auf; inwieweit es
sich dabei um eine unmittelbare Folge des Cannabiskonsums handle oder um
eine Folge der gesellschaftlichen Reaktion darauf, sei unsicher (S. 49);
die Theorie eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Gebrauch von
Cannabis und jenem härterer Drogen sei nicht haltbar; nur der kleinste
Teil der Haschisch-Raucher steige auf Opiate um (S. 54).

    g) aa) Die Droge Cannabis ist demnach nicht unbedenklich. Sie kann
insbesondere bei lange dauerndem und übermässigem Gebrauch durchaus zu
psychischen und physischen Belastungen führen. Die Gefahren, die vom
Konsum von Cannabis für die menschliche Gesundheit ausgehen, sind jedoch
vergleichsweise gering. Sie unterschreiten deutlich jene der harten
Drogen, insbesondere von Heroin, und bleiben in verschiedener Beziehung
sogar hinter jenen des Alkohols zurück (vgl. dazu die Übersicht über die
Wirkungen der abhängigkeitserzeugenden Stoffe auf S. 53 des Berichts der
Subkommission "Drogenfragen" vom Juni 1989). Anders als Heroin und Alkohol
ist Cannabis auch bei akuter Vergiftung nicht lebensgefährlich. Die auf
den Gebrauch von Cannabis zurückzuführenden Schädigungen der Atemwege und
der Lunge treten überdies in der Regel, wie beim Genuss von Tabakwaren,
- wenn überhaupt - erst nach geraumer Zeit ein, und auch das nur, wenn
die Droge geraucht, nicht aber wenn sie, beispielsweise in Teeform, oral
aufgenommen wird. Durch Cannabis hervorgerufene psychische Schäden sind,
wie dargelegt, ausserdem selten; sie treffen vor allem Personen, die
entsprechend vorbelastet sind (vgl. GESCHWINDE, Rauschdrogen, 2. Aufl.,
1990, S. 46 N 170). Der Gebrauch von Cannabis führt ferner keineswegs
zwangsläufig zu jenem gefährlicherer Stoffe; nach neuesten Schätzungen
greifen insgesamt etwa fünf Prozent aller Jugendlichen, die Erfahrung
mit Cannabis haben, zu härteren Drogen (GESCHWINDE, aaO, S. 44 N 166).

    Nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse lässt sich somit nicht
sagen, dass Cannabis geeignet sei, die körperliche und seelische Gesundheit
vieler Menschen in eine naheliegende und ernstliche Gefahr zu bringen.

    bb) Die gegenteilige Ansicht haben auch die vom Kassationshof am 5. Mai
1983 in Basel angehörten Sachverständigen nicht vertreten. Sie äusserten
sich lediglich dahingehend, dass bei Cannabis ab einer bestimmten Menge die
Gefahr der psychischen Abhängigkeit gegeben sei (vgl. BGE 109 IV 144/5).

    cc) An der in BGE 109 IV 145 vertretenen Auffassung, eine Gefahr
für die Gesundheit vieler Menschen im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a
BetmG liege bei einer Menge von vier und mehr Kilogramm Haschisch vor,
kann danach nicht festgehalten werden. Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG ist
in Fällen, in denen sich die Widerhandlung gemäss Art. 19 Ziff. 1 Satz
1 BetmG auf Cannabissubstanzen bezieht, nicht anwendbar.

    h) Daraus folgt nicht, dass ein schwerer Fall im Sinne von Art. 19
BetmG hier nicht mehr gegeben sein könne. Er ist weiterhin anzunehmen, wenn
der Täter als Mitglied einer Bande gehandelt hat, die sich zur Ausübung
des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs zusammengefunden hat (Art. 19
Ziff. 2 lit. b BetmG), oder wenn er durch gewerbsmässigen Handel einen
grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt hat (Art. 19 Ziff. 2
lit. c BetmG). Insbesondere die Voraussetzungen der Gewerbsmässigkeit
gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. c BetmG werden bei einem ausgedehnten Handel
mit grossen Mengen Cannabis regelmässig zu prüfen sein. Dazu kommt, dass
Art. 19 Ziff. 2 BetmG den schweren Fall nicht abschliessend umschreibt
(vgl. BGE 114 IV 164 ff.).