Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 3



117 IV 3

2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Januar 1991 i.S. S.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 41 Ziff. 1 StGB; bedingter Vollzug der Landesverweisung.

    Nebst dem Vorleben und dem Charakter des Betroffenen stellt auch die
Bewährung am Arbeitsplatz einen wesentlichen Faktor der Prognose dar. Eine
Verweigerung des bedingten Vollzugs trotz Bewährung am Arbeitsplatz kommt
nur dann in Betracht, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung schwerwiegende
konkrete Gegenindizien derart überwiegen, dass sich keine günstige Prognose
stellen lässt.

Sachverhalt

    A.- Das Strafgericht Basel-Stadt sprach den srilankischen Staatsbürger
S. am 7. Juli 1989 der fortgesetzten, qualifizierten Widerhandlung gegen
das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel (BetmG) schuldig und bestrafte
ihn mit 3 3/4 Jahren Zuchthaus und mit zehn Jahren Landesverweisung
(bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von fünf Jahren).

    Gegen den bedingten Aufschub der Landesverweisung appellierte die
Staatsanwaltschaft. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt
bestätigte am 21. Februar 1990 das erstinstanzliche Urteil mit der
Ergänzung, dass die Landesverweisung für die Dauer von zehn Jahren
unbedingt ausgesprochen werde.

    Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt S., das
Urteil des Appellationsgerichts sei aufzuheben und die Angelegenheit zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht heisst
die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den
bedingten Vollzug der Landesverweisung zu Unrecht verweigert. Soweit
er behauptet, die Vorinstanz habe dabei Art. 55 StGB verletzt, ist er
nicht zu hören. Art. 55 StGB regelt die Voraussetzungen, unter denen eine
Landesverweisung angeordnet werden kann (Abs. 1), sowie diejenigen der
nachträglichen Gewährung des probeweisen Aufschubs einer im Strafurteil
unbedingt angeordneten Landesverweisung für den Fall, dass der Verurteilte
bedingt aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe entlassen wird (Abs. 2;
s. auch Abs. 3). Im vorliegenden Verfahren geht es nur um die Anwendung
von Art. 41 Ziff. 1 StGB, wonach bereits der Strafrichter den Vollzug
einer von ihm ausgesprochenen Nebenstrafe bedingt aufschieben kann.

    b) Gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann der Richter den Vollzug
der Nebenstrafe der Landesverweisung aufschieben, wenn Vorleben und
Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde dadurch von weiteren
Verbrechen oder Vergehen abgehalten (und wenn er den gerichtlich oder
durch Vergleich festgestellten Schaden, soweit es ihm zuzumuten war,
ersetzt hat). Nebst dem Vorleben und dem Charakter stellt auch die
Bewährung am Arbeitsplatz einen wesentlichen Faktor für die Prüfung der
Prognose dar (BGE 102 IV 64). Eine Verweigerung des bedingten Vollzugs
trotz Bewährung am Arbeitsplatz kommt nur dann in Betracht, wenn im
Rahmen einer Gesamtwürdigung schwerwiegende konkrete Gegenindizien derart
überwiegen, dass sich trotz des genannten gewichtigen Bewährungsfaktors
keine günstige Prognose stellen lässt.

    Bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die
Gewährung des bedingten Vollzugs gegeben sind, steht dem kantonalen
Richter ein Ermessen zu, bei dessen Ausübung er sich aber auf sachlich
haltbare Gründe stützen muss. Das Bundesgericht hebt seinen Entscheid auf,
wenn er nicht von rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist
oder wenn er diese in Überschreitung oder Missbrauch seines Ermessens
unrichtig gewichtet hat.

    c) Der Beschwerdeführer ist am 15. September 1988 aus dem vorläufigen
Strafvollzug entlassen worden. Seither hat er sich wohlverhalten. Er
arbeitet seit Januar 1989 in einem Schnellverpflegungsrestaurant. Die
Vorinstanz hob hervor, seine beruflichen Leistungen seien "von
überdurchschnittlicher Qualität" und der Arbeitgeber sei entsprechend
zufrieden. Ohne Zweifel sind dies erhebliche Indizien dafür, dass sich
der Beschwerdeführer in Zukunft wohlverhalten wird.

    Die Vorinstanz schwächt die erwähnte konkret nachgewiesene Bewährung am
Arbeitsplatz dadurch ab, dass gerade der Arbeitsplatz des Beschwerdeführers
- ein Schnellimbissrestaurant - nicht besonders geeignet sei, tragfähige
persönliche Beziehungen aufzubauen und ihn mit den hiesigen Arbeits-
und Lebensgewohnheiten vertraut zu machen, "da in dieser Art von
Betrieben erfahrungsgemäss Personalwechsel besonders häufig sind und
zudem zu einem grossen Teil ausländische Jugendliche als Arbeitskräfte
beschäftigt werden". Diese rein abstrakte und schon deshalb etwas
fragliche Erwägung vermag die feststehende Tatsache nicht zu entkräften,
dass sich der Beschwerdeführer tatsächlich an seinem Arbeitsplatz bewährt
hat und er dort ausgezeichnet beurteilt wird.

    Auch die übrigen Argumente, die die Vorinstanz gegen die Gewährung
des bedingten Vollzugs der Landesverweisung anführt, reichen nicht
aus, um dem Beschwerdeführer trotz der nachgewiesenen Bewährung am
Arbeitsplatz eine ungünstige Prognose stellen zu können. Der Umstand,
dass er bis zur Entlassung aus dem vorläufigen Strafvollzug nie einer
geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und deshalb kaum Gelegenheit
gehabt habe, sich zu assimilieren, kann heute nicht mehr ausschlaggebend
sein, da der Beschwerdeführer seine Chance nach der Entlassung aus dem
Strafvollzug eben gerade genutzt und sich seither wohlverhalten hat;
dass er in dieser neueren Zeit keine Gelegenheit gehabt haben soll,
sich mit den hiesigen Lebensumständen vertraut zu machen, lässt sich
dem angefochtenen Entscheid nicht entnehmen. Dies ist insbesondere noch
nicht aus dem Umstand herzuleiten, dass er weiterhin gute Beziehungen zu
srilankischen Landsleuten und Familienangehörigen unterhält, von denen auch
die Vorinstanz nicht behauptet, dass sie in Beziehung zu Drogen stehen. Die
Vorinstanz anerkennt im übrigen, dass der Beschwerdeführer eine "gewisse
persönliche Beziehung" zu seiner Betreuerin von der "Freiplatzaktion für
Asylbewerber" unterhält, die darum ersucht hat, ihn "nicht auszuschaffen";
diese konkret nachgewiesene persönliche Beziehung ist für die vorliegend
zu beurteilende Frage von erheblicher Bedeutung und kann nicht durch den
generellen Hinweis darauf, dass angeblich keine weiteren Bindungen zur
Schweiz bestehen, entkräftet werden. Schliesslich geht das Argument, die
Prognose des Beschwerdeführers sei in seinem Heimatland besser als in der
Schweiz, an der Sache vorbei, denn damit ist noch nicht ausgeschlossen,
dass die Prognose auch in der Schweiz grundsätzlich gut ist.

    Es mag auch darauf hingewiesen werden, dass die Vorinstanz gewisse
Umstände ausser acht lässt, die das Strafgericht zu seinem abweichenden
Entscheid bewogen haben. Die erste Instanz wies darauf hin, dass der
ausgestandene Strafvollzug auf den Beschwerdeführer einen intensiven
Eindruck hinterlassen hat, dass er sich freiwillig der Justizbarkeit
unterworfen und Reue und Einsicht gezeigt hat. Auch diese von der
Vorinstanz nicht in Frage gestellten Tatsachen sprechen für eine günstige
Prognose.

    Soweit die Vorinstanz am Rande auf BGE 102 IV 64 verweist, zieht sie
einen unzulässigen Vergleich. In diesem Entscheid standen der Bewährung am
Arbeitsplatz gewichtige Gegenindizien gegenüber, die gegen eine positive
Bewährungsaussicht sprachen. Der Täter wies vier Vorstrafen auf, und die
erneute Verurteilung bestätigte das bereits zuvor festgestellte mangelhafte
Verantwortungs- und Pflichtgefühl; der Täter leugnete hartnäckig und
bekundete damit nicht nur ein erhebliches Mass an fehlender Einsicht,
sondern liess auch Zweifel an seiner dauernden inneren Besserung aufkommen;
überdies erwies er sich während des ehelichen Zusammenlebens mit einer
Mitangeklagten als skrupelloser Ausbeuter des ertrogenen Geldes und
setzte sich rücksichtslos gegen den auf eine ehekonforme Lebensführung
gerichteten Willen der Mitangeklagten durch (BGE 102 IV 63). Unter diesen
Umständen konnte die Bewährung am Arbeitsplatz für eine günstige Prognose
nicht ausreichen.

    d) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Vorinstanz wesentliche
Gründe, die für die Gewährung des bedingten Vollzugs der Nebenstrafe
sprechen, nicht ihrer Bedeutung entsprechend gewichtet und ihren Entscheid
statt dessen zur Hauptsache auf Gründe gestützt hat, die - soweit sie
überhaupt rechtlich erheblich sind - die positiven Aspekte des Falles nicht
zu überwiegen vermögen. Damit hat sie ihr Ermessen überschritten. Die
Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.