Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 23



117 IV 23

7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Januar 1991 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 167 StGB. Bevorzugung eines Gläubigers; Generalklausel.

    Der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn die inkriminierte
Handlung nach ihrem Unrechtsgehalt den in Art. 167 StGB genannten
Regelbeispielen gleichwertig ist, sie gerade auf die Bevorzugung einzelner
Gläubiger zum Nachteil der andern zielt und sich in ihr die eindeutige
Bevorzugungsabsicht des Täters objektiv manifestiert. Diese Voraussetzungen
sind gegeben, wenn ein Organ einer faktisch in Liquidation befindlichen AG
deren Einrichtungsgegenstände veräussert und den Verkaufserlös entsprechend
einem vorgefassten Entschluss ausschliesslich zur vollumfänglichen Tilgung
einer längst verfallenen Darlehensschuld der AG verwendet (E. 4).

Sachverhalt

    A.- X. war Mitglied des Verwaltungsrates der S. Diese geriet im
Frühjahr 1983 in eine verzweifelte und perspektivlose Situation unter
anderem deshalb, weil die K., deren Produkte die S. in der Schweiz
vertrieb, im Januar 1983 die Schliessung ihrer Produktionsstätte
in Deutschland angekündigt hatte. Per 30. Juni 1983 wurden sämtliche
Arbeitsverträge mit den Angestellten der S. aufgelöst. Überdies wurde der
Auszug aus den von der S. gemieteten Räumen vorbereitet, ein Nachmieter
gesucht und, nach Angaben von X., im September 1983 gefunden. X. kaufte
von der S. deren Büromaterial und Einrichtungsgegenstände zum Preis
von Fr. 90'000.--, was dem Buchwert entsprach. Er zahlte den Betrag von
Fr. 90'000.-- am 29. September 1983 aus eigenen Mitteln auf ein Konto der
S. beim Schweizerischen Bankverein ein. Am 30. September 1983 überwies
er diesen Betrag an die Z., welche dadurch für eine längst fällige
Darlehensforderung von Fr. 90'000.--, deren Erfüllung sie einige Tage
zuvor schriftlich verlangt hatte, vollumfängliche Deckung erhielt. Am 7.
Dezember 1983 wurde über die S. der Konkurs eröffnet.

    B.- Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich verurteilte
X. am 8. März 1989 wegen Gläubigerbevorzugung zugunsten der Z. zu einem
Monat Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren.

    C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache
zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Indem der Beschwerdeführer als Organ der S. ab deren Konto beim
Schweizerischen Bankverein den tags zuvor darauf einbezahlten Betrag
von Fr. 90'000.-- der Z. zukommen liess und dadurch deren längst fällige
Darlehensforderung beglich, tilgte er eine verfallene Schuld der S. durch
übliche Zahlungsmittel; damit erfüllte er keine der in Art. 167 StGB
im Sinne von Regelbeispielen genannten Tatbestandsvarianten. Es stellt
sich somit die Frage, ob der Beschwerdeführer durch das inkriminierte
Vorgehen im Sinne der in Art. 167 StGB enthaltenen Generalklausel in der
Absicht, einzelne seiner Gläubiger zum Nachteil anderer zu bevorzugen,
"darauf abzielende Handlungen" vorgenommen habe.

    a) Die in Art. 167 StGB generalklauselartig umschriebene
Tatbestandsvariante lehnt sich an die Absichtsanfechtung gemäss
Art. 288 SchKG an (PETER ALBRECHT, Kommentar zum schweizerischen
Strafrecht, Art. 167 StGB N 10, mit Hinweisen, NOLL, Besonderer Teil I,
S. 183, REHBERG, Strafrecht III, S. 180, SCHWANDER, Das Schweizerische
Strafgesetzbuch, S. 378). Ihre Formulierung, die objektive und subjektive
Elemente verknüpft, ist als Strafbestimmung problematisch (STRATENWERTH,
Besonderer Teil I, S. 309). Bei der Anwendung von Art. 167 StGB ist
insoweit aus rechtsstaatlichen Gründen Zurückhaltung geboten. Nicht
alles, was paulianisch anfechtbar ist, braucht strafbar zu sein (GERMANN,
Das Verbrechen im neuen Strafrecht, Zürich 1942, Art. 167 N 2/2). Auch
bei der gebotenen Zurückhaltung verstösst indessen die Verurteilung des
Beschwerdeführers wegen Gläubigerbevorzugung unter den gegebenen Umständen
nicht gegen Bundesrecht.

    b) Art. 167 StGB schützt den Anspruch der Gläubiger auf
Gleichbehandlung nach der gesetzlichen Regelung der Zwangsvollstreckung
(BGE 93 IV 18/19; TRECHSEL, Kurzkommentar, Art. 167 N 1). Daraus
folgt nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil,
dass der zahlungsunfähige Schuldner vermögensrechtlich nicht mehr im
Besitz einer uneingeschränkten Handlungsfreiheit ist. Allerdings ist,
wie auch die Vorinstanz anerkennt, nicht jede Schuldentilgung durch
einen zahlungsunfähigen Schuldner strafbar; das ergibt sich nicht
zuletzt schon daraus, dass ja die Tilgung einer verfallenen Schuld durch
übliche Zahlungsmittel von den in Art. 167 StGB ausdrücklich genannten
Regelbeispielen - wie auch von Art. 287 SchKG (Überschuldungsanfechtung)
- nicht erfasst wird. Dem zahlungsunfähigen Schuldner ist es also nicht
schlechterdings verwehrt, seinen Verbindlichkeiten nachzukommen. Strafbar
ist nur die ungerechtfertigte Schmälerung der Basis für die Befriedigung
der übrigen Gläubiger (STRATENWERTH, op.cit., S. 310). Dabei ist - im Sinne
der gebotenen Einschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 167 StGB - mit
NOLL (op.cit., S. 183) zu fordern, dass die Bevorzugung "eine krasse und
ungerechtfertigte Ungleichheit zwischen den Gläubigern schafft" (vgl. auch
NIKLAUS SCHMID, BlSchK 1986 S. 201 ff., 211). Verpönt ist grundsätzlich
die "inkongruente Deckung", also eine Deckung, die der Gläubiger aufgrund
der materiellen Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung nicht bzw. nicht in
dieser Art beanspruchen und durchsetzen kann (NIKLAUS SCHMID, op.cit.,
S. 211 f. mit Hinweisen auf die deutsche Lehre und Rechtsprechung). Das
ist in den beiden in Art. 167 StGB genannten Regelbeispielen der Bezahlung
einer nicht verfallenen Schuld und der Tilgung einer verfallenen Schuld
anders als durch übliche Zahlungsmittel der Fall. Allerdings können auch
Fälle kongruenter Deckung unter gewissen Voraussetzungen nach Art. 288
SchKG anfechtbar (HINDERLING, ZSR 1935 S. 240 ff., 244; BGE 99 III 91
betreffend Sicherstellung) und ausnahmsweise strafbar sein (PETER ALBRECHT,
op.cit., Art. 167 N 12). Voraussetzung ist strafrechtlich insoweit, dass
die inkriminierte Handlung nach ihrem Unrechtsgehalt den in Art. 167 StGB
genannten Regelbeispielen gleichwertig ist, sie gerade auf die Bevorzugung
einzelner Gläubiger zum Nachteil der andern zielt und sich in ihr die
eindeutige Bevorzugungsabsicht des Täters objektiv deutlich manifestiert.

    c) Das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Vorgehen ist in
Anbetracht der konkreten Tatumstände unter Berücksichtigung der ratio
legis in seinem Unrechtsgehalt der Tilgung einer verfallenen Schuld durch
unübliche Zahlungsmittel gleichwertig. Hätte der Beschwerdeführer das
Büromaterial und die Einrichtungsgegenstände der S. an Zahlungsstatt der
Darlehensgläubigerin übergeben, dann läge unter den gegebenen Umständen
im Sinne des Regelbeispiels die Tilgung einer verfallenen Schuld durch
ein unübliches Zahlungsmittel vor (vgl. BGE 85 III 197, FRITZSCHE,
Schuldbetreibung und Konkurs, Band II, S. 281, PETER ALBRECHT, op.cit.,
Art. 167 N 21 f.). Indem er statt dessen diese Gegenstände (an sich selber)
verkaufte und (als Organ der S.) den Verkaufserlös der Darlehensgläubigerin
zur Tilgung einer längst verfallenen Schuld zukommen liess, nahm er eine
in ihrem Unrechtsgehalt jenem verpönten Verhalten gleichwertige Handlung
vor. Wohl mag es angesichts der Beendigung der Geschäftstätigkeit
und der Kündigung der Mieträumlichkeiten allenfalls geboten gewesen
sein, das Büromaterial und die Einrichtungsgegenstände zu verkaufen.
Der Erlös aus diesem Verkauf, der nicht im Rahmen des ordentlichen
Geschäftsgangs erfolgte, sondern eine Liquidationshandlung darstellte,
musste dann aber, angesichts der Liquidation des Unternehmens, der
Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung gehalten werden. Die Veräusserung
der Einrichtungsgegenstände hatte angesichts der konkreten Umstände
offensichtlich gerade den Zweck, die längst fällige Darlehensforderung
der Z. zu erfüllen. Der Verkauf der Einrichtungsgegenstände zwecks
Mittelbeschaffung einerseits und die Befriedigung der Z. aus den auf
diese Weise beschafften Mitteln anderseits sind zwar zwei verschiedene,
rechtlich selbständige Rechtsgeschäfte, doch besteht zwischen ihnen
unter den gegebenen Umständen offensichtlich ein enger tatsächlicher
Zusammenhang (siehe dazu C. JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs,
Art. 288 N 3, E. BRAND, ZSR 62/1943 S. 207 f., je mit Hinweisen). Die von
der Vorinstanz mit eingehender Begründung dargelegte eindeutige Absicht
des Beschwerdeführers, angesichts des bevorstehenden Zusammenbruchs der
S. die Z. zum Nachteil der (nach Meinung des Beschwerdeführers für die
Schwierigkeiten der S. verantwortlichen) K. zu bevorzugen, manifestierte
sich durch das inkriminierte ungewöhnliche Vorgehen auch objektiv derart
deutlich, dass die generalklauselartig umschriebene Tatbestandsvariante
von Art. 167 StGB auch bei der gebotenen Zurückhaltung als erfüllt zu
betrachten ist. Daran ändert unter den gegebenen Umständen nichts, dass
nach den Aussagen des Beschwerdeführers das Darlehen seinerzeit der S.
gewährt worden war, um die Fortführung des Betriebes zu ermöglichen.