Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IV 153



117 IV 153

30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. März
1991 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 105 AVIG, Art. 148 StGB. Erschleichung von
Schlechtwetterentschädigungen.

    1. Die Vorlage von inhaltlich unwahren Kontrollausweisen
(Stempelkarten) der Arbeitnehmer zwecks Erschleichung von
Schlechtwetterentschädigungen ist eine arglistige Täuschung (E. 4b).

    2. Die Erschleichung von Schlechtwetterentschädigungen durch arglistige
Täuschung ist als Betrug (Art. 148 StGB) und nicht als Leistungsbetrug
(Art. 14 VStrR) zu ahnden. Bei der Strafzumessung nach Art. 63 StGB kann
berücksichtigt werden, dass Leistungsbetrug gemäss Art. 14 VStrR milder
bestraft wird als Betrug nach Art. 148 StGB (E. 5).

Sachverhalt

    A.- X., Geschäftsführer der Firma X., ersuchte mit Eingaben
vom 17. März und 2. April 1986 das kantonale Arbeitsamt in
Solothurn um Ausrichtung von Schlechtwetterentschädigungen für
wetterbedingte Arbeitseinstellungen auf den Baustellen in Bellach,
Riedholz und Derendingen während der Monate Januar, Februar und
März 1986. Aufgrund dieser Anträge und der für die Beurteilung des
Anspruchs eingereichten Rapporte und Abrechnungen erhielt die Firma
X. am 12. Mai 1986 Schlechtwetterentschädigungen in der Höhe von total
Fr. 61'043.55 ausbezahlt. X. wird vorgeworfen, er habe auf den dem
Arbeitsamt eingereichten Unterlagen falsche Angaben gemacht und deshalb
Versicherungsleistungen in Höhe von Fr. 40'243.20 unrechtmässig ausbezahlt
erhalten.

    B.- Das Amtsgericht Bucheggberg-Wasseramt sprach X. der
wiederholten Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die obligatorische
Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG, SR 837.0)
schuldig und verurteilte ihn deswegen zu drei Monaten Gefängnis, bedingt
vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren, und zu einer Busse von Fr.
5'000.--. Von den Anschuldigungen des Betrugs, des Versuchs hiezu und
der Urkundenfälschung sprach es ihn frei. Gegen diesen Entscheid erhoben
sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft Appellation. Das
Obergericht des Kantons Solothurn sprach X. am 21./28. Februar 1990
der wiederholten Widerhandlung gegen das AVIG und des wiederholten
Betrugs schuldig und verurteilte ihn zu sechs Monaten Gefängnis, bedingt
vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren, sowie zu einer Busse
von Fr. 5'000.--. Vom Vorwurf der Urkundenfälschung sprach es ihn frei.

    C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
den Anträgen, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben, eventuell
sei seine Verurteilung wegen wiederholten Betrugs aufzuheben und in diesem
Fall das Strafmass erheblich herabzusetzen.

    Die Staatsanwaltschaft hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer macht gegen seine Verurteilung wegen
wiederholten Betrugs zunächst geltend, dass die Tatbestandsmerkmale des
Vermögensschadens und der Arglist nicht erfüllt seien.

    a) Der Schaden des Arbeitsamtes entstand mit der Auszahlung der
unrechtmässig erwirkten Beträge und kann offensichtlich nicht mit der
Möglichkeit einer Rückforderung in Frage gestellt werden. Denn einen
Rückforderungs- respektive Schadenersatzanspruch hat jedes Betrugsopfer
(vgl. BGE 100 IV 170, 277; 74 IV 153; SCHUBARTH, Kommentar Strafrecht Band
2, Art. 148 N 90; MARKUS BOOG, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Begriff des Vermögensschadens beim Betrug, Diss. Basel 1989, S. 42).

    b) Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe nur provisorische,
nicht falsche Angaben gemacht, steht im Widerspruch zu tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz und ist daher nicht zu hören. Sein
Einwand, dass zwischen ihm bzw. der Firma X. und dem kantonalen
Arbeitsamt kein Vertrauensverhältnis bestehe, geht an der Sache vorbei,
da die Vorinstanz die Arglist nicht unter Hinweis auf ein besonderes
Vertrauensverhältnis, sondern vielmehr mit den Machenschaften des
Beschwerdeführers begründete. Das Argument, die Kasse sei gemäss Art. 48
Abs. 1 AVIG verpflichtet, die Voraussetzungen für die Ausrichtung
der Schlechtwetterentschädigung (Art. 42 und 43 AVIG) zu prüfen, ist
unbehelflich. Die Vorinstanz verneinte die Arglist in den Fällen, in denen
der Beschwerdeführer bloss falsche Angaben machte, gerade unter Hinweis auf
diese Prüfungspflicht. In den Fällen aber, in denen der Beschwerdeführer
seine falschen Angaben durch Vorlage inhaltlich unwahrer Stempelkarten
seiner Arbeitnehmer untermauerte, liegt nach den zutreffenden Ausführungen
im angefochtenen Entscheid eine Machenschaft und damit Arglist im Sinne
von Art. 148 StGB vor. Der Beschwerdeführer unterstützte damit seine
Lügen durch Dokumente, von deren inhaltlichen Richtigkeit das kantonale
Arbeitsamt prinzipiell ausgehen durfte. Dabei ist zu beachten, dass diese
Kontrollausweise gemäss Art. 72 AVIV von den Arbeitsämtern am Arbeitsort
ausgestellt wurden. Das kantonale Arbeitsamt hätte also zunächst überprüfen
müssen, ob auch diese jeweiligen Arbeitsämter getäuscht worden sind.
In der Verstärkung der falschen Angaben durch derartige "flankierende
Massnahmen", deren Überprüfung einen zusätzlichen Aufwand erfordert und
die besondere Glaubwürdigkeit erwecken, weil sie von einer Amtsstelle
stammen, liegt die Arglist.

    Die übrigen Tatbestandsmerkmale des Betrugs sind in diesen Fällen
unbestrittenermassen erfüllt.

Erwägung 5

    5.- Der Beschwerdeführer macht gegen seine Verurteilung wegen
wiederholten Betrugs sodann geltend, dass Art. 105 AVIG als lex specialis
dem gemeinstrafrechtlichen Betrug im Sinne von Art. 148 StGB vorgehe.

    Wer durch unwahre oder unvollständige Angaben oder in anderer Weise
für sich oder einen andern zu Unrecht Versicherungsleistungen erwirkt
(Art. 105 Abs. 1 AVIG), wird gemäss Art. 105 Abs. 5 AVIG, sofern nicht
ein mit einer höheren Strafe bedrohtes Verbrechen oder Vergehen des
Schweizerischen Strafgesetzbuches vorliegt, mit Gefängnis bis zu sechs
Monaten oder mit Busse bis zu 20'000 Franken bestraft. Beide Strafen
können miteinander verbunden werden.

    a) Die Vorinstanz geht davon aus, dass der Tatbestand von Art. 105
Abs. 1 AVIG hinter den allgemeinen Betrugstatbestand gemäss Art. 148 StGB
zurücktritt, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Sie beruft sich auf
einen nicht publizierten Entscheid des Kassationshofes des Bundesgerichts
vom 5. Oktober 1984 in Sachen K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich, in dem aus dem Wortlaut von Art. 105 Abs. 5 AVIG geschlossen wird,
Art. 148 StGB gehe Art. 105 AVIG vor.

    b) Der Kassationshof des Bundesgerichts hat sich schon verschiedentlich
mit den Fragen des Verhältnisses zwischen den Strafbestimmungen des StGB
einerseits und nebenstrafrechtlichen Spezialnormen anderseits befasst,
so etwa in den Bereichen des Urkundenstrafrechts (BGE 108 IV 31/32, 180)
und des Betrugs (BGE 110 IV 24 ff., 112 IV 19 ff.). Insbesondere auf dem
Gebiet des Betrugs besteht eine uneinheitliche gesetzliche Regelung
mit unterschiedlichen Strafandrohungen, die nicht zu befriedigen
vermag. Ist die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen einer
Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen und somit gemäss Art. 1 VStrR
das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht anwendbar, dann wird der
Leistungsbetrug nach Art. 14 Abs. 1 VStrR lediglich mit Gefängnis oder mit
Busse, also milder bestraft als der Betrug gemäss Art. 148 Abs. 1 StGB,
für den Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis angedroht werden. Die
betrügerische Erschleichung kantonaler und kommunaler Leistungen fällt nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichts unter Art. 148 StGB (BGE 112 IV 19
ff.), der Vorrang vor Strafbestimmungen hat, welche die Kantone allenfalls
gestützt auf Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB erlassen können (vgl. dazu auch
DETLEF KRAUSS, Die strafrechtliche Problematik der Erschleichung kantonaler
Subventionen, in FS FRANK VISCHER, Zürich 1983, S. 47 ff., 49 f.; kritisch
TRECHSEL, Kurzkommentar, Art. 335 StGB, N 10, SCHULTZ, ZBJV 124/1988
S. 5 ff., SCHUBARTH, Kommentar, Art. 148 StGB N 136). In verschiedenen
Bundesgesetzen werden die besonderen Bestimmungen des Bundesgesetzes
über das Verwaltungsstrafrecht (Art. 14-18 VStrR) als anwendbar erklärt,
so etwa in Art. 91bis LFG (SR 748) und in Art. 64 PVG (SR 783.0). Gemäss
Art. 45 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die wirtschaftliche Landesversorgung
vom 8. Oktober 1982 (SR 531) gelten für Leistungs- und Abgabebetrug
usw. Art. 14 ff. VStrR, doch wird in Art. 45 Abs. 2 die Höchststrafe
auf fünf Jahre Gefängnis bzw. 100'000 Franken Busse festgesetzt. In der
Botschaft des Bundesrates zum Landesversorgungsgesetz (BBl 1981 III 405
ff.) wird dazu ausgeführt, angesichts der Bedeutung, die der Versorgung
des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen im Hinblick
auf einen Krisen- oder Kriegsfall zukomme, sei es gerechtfertigt, die
Strafdrohungen im Unterschied zu denjenigen des Verwaltungsstrafrechts auf
maximal fünf Jahre Gefängnis und Busse bis zu 100'000 Franken festzusetzen
(S. 445). In Art. 76 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 (BVG, SR 831.40),
der unter anderem die Erschleichung von Leistungen der Vorsorgeeinrichtung
durch unwahre Angaben bestraft (Abs. 1), werden im letzten Absatz die mit
schwererer Strafe bedrohten Vergehen und Verbrechen des Schweizerischen
Strafgesetzbuches vorbehalten. In der Botschaft des Bundesrates vom
19. Dezember 1975 zum BVG (BBl 1976 I 149 ff.) wird dazu ausgeführt, bei
der Ausarbeitung der Strafbestimmungen sei darauf geachtet worden, dass sie
im Einklang mit denjenigen des AHVG stehen; das gelte insbesondere für die
Systematik der Strafbestimmungen und das Strafmass (S. 271). Im weiteren
wird festgehalten, eine blosse Verweisung auf das Verwaltungsstrafrecht
sei schon allein deshalb unmöglich, weil die Verfolgung und Beurteilung
von BVG-Widerhandlungen nicht den Verwaltungsbehörden des Bundes
(siehe Art. 1 VStrR), sondern den Kantonen obliegt; ausserdem werde die
berufliche Vorsorge überwiegend von privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen
durchgeführt (Botschaft S. 271). Im vorliegend zur Diskussion stehenden
Art. 105 AVIG (vom 25. Juni 1982) werden im letzten Absatz, gleich
wie in Art. 76 BVG, die mit einer höheren Strafe bedrohten Verbrechen
und Vergehen des Schweizerischen Strafgesetzbuches vorbehalten. Diese
Bestimmung entspricht Art. 104 des bundesrätlichen Entwurfs und wurde von
den Eidgenössischen Räten diskussionslos angenommen (Amtl.Bull. NR 1981
S. 846, SR 1982 S. 148). Gemäss der Botschaft des Bundesrates vom 2. Juli
1980 zum AVIG wurden die Strafandrohungen mit jenen von Art. 87 und 88
AHVG koordiniert (BBl 1980 III 635). In der Botschaft zum AVIG wird,
anders als in der vorn zitierten Botschaft zum BVG, nicht ausdrücklich
dargelegt, aus welchen Gründen in Art. 105 AVIG die Strafbestimmungen
des StGB und nicht - soweit Betrug und Urkundenfälschung in Frage stehen -
die Strafbestimmungen des VStrR vorbehalten werden.

    c) Es ist an dieser Stelle nicht darüber zu entscheiden, ob die
betrügerische Erschleichung von Schlechtwetterentschädigungen etwa
angesichts der Art dieser Leistung und/oder der Person des Geschädigten
prinzipiell schwerer wiege als die unter Art. 14 Abs. 1 VStrR fallenden
Leistungsbetrüge und ob somit die nach dem Wortlaut klare Regelung
von Art. 105 Abs. 5 AVIG, in welcher die mit höheren Strafen bedrohten
Verbrechen und Vergehen des Schweizerischen Strafgesetzbuches und somit
unter anderem Art. 148 StGB vorbehalten werden, sachlich gerechtfertigt
sei. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass die Privilegierung des
Leistungsbetrugs gemäss Art. 14 Abs. 1 VStrR gegenüber dem Betrug nach
Art. 148 StGB unter Umständen fragwürdig sein kann (siehe dazu DETLEF
KRAUSS, op.cit., S. 70 ff.). Die Schädigung des Gemeinwesens ist im Prinzip
nicht weniger strafwürdig als die Schädigung eines Privaten (BGE 110 IV 29
unten). Dass die Verwaltung über mehr und bessere Kontrollmöglichkeiten
verfügt als der Private, berührt weniger die Schwere des Tatunrechts als
vielmehr die Frage, ob eine falsche Angabe arglistig sei. Es ist nicht
schon an sich stossend, einen Leistungsbetrug zum Nachteil des Gemeinwesens
gemäss Art. 148 StGB zu ahnden. Stossend kann dies dann und deshalb sein,
wenn und weil ein nach Art. 148 StGB zu bestrafender Leistungsbetrug im
konkreten Fall nicht schwerer wiegt als die unter Art. 14 Abs. 1 VStrR
fallenden Leistungsbetrüge. In einem solchen Fall ist es dem Richter nicht
verwehrt, jedenfalls bei der Strafzumessung nach Art. 63 StGB innerhalb
des durch Art. 148 StGB festgelegten Strafrahmens auch dem Umstand Rechnung
zu tragen, dass eine ganze Reihe von Leistungsbetrügen gemäss Art. 14
Abs. 1 VStrR milder bestraft wird als der Betrug nach Art. 148 StGB.
Wie es sich damit im einzelnen verhält, kann aus nachstehenden Gründen
jedoch dahingestellt bleiben.

    d) Der Beschwerdeführer erschlich durch Vorlage von inhaltlich unwahren
Stempelkarten der Arbeitnehmer arglistig Schlechtwetterentschädigungen. Er
täuschte das kantonale Arbeitsamt Solothurn. Er verwendete die ihm
ausgezahlten Versicherungsleistungen nicht ihrem gesetzlichen Zwecke
entsprechend, sondern, wie im angefochtenen Entscheid in den Erwägungen
zur Strafzumessung festgehalten wird, eigennützig. Unter diesen Umständen
stellt sich das Verhalten des Beschwerdeführers insoweit als gewöhnlicher,
gemeinrechtlicher Betrug dar, der sich nicht wesentlich etwa von einem
Betrug zum Nachteil einer Versicherungsgesellschaft unterscheidet und
daher gemäss Art. 148 StGB zu ahnden ist.