Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 85



117 II 85

19. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Januar 1991
i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen X. & Z. AG
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Handelsregister. Eintragung einer Zweigniederlassung.

    1. Begriff der Zweigniederlassung (E. 3).

    2. Umstände, aus denen zu schliessen ist, dass der dem Hauptsitz
unterstellte Zweigbetrieb die für eine Zweigniederlassung erforderliche
Selbständigkeit besitzt; massgebend ist die Autonomie nach aussen (E. 4a).

    3. Die Leitung muss bevollmächtigt sein, die laufenden Geschäfte
ohne Genehmigung oder Gegenzeichnung durch eine Stelle ausserhalb
der Niederlassung abzuschliessen. Die Eigenständigkeit fehlt,
wo die Hauptleitung bloss ihren Wirkungsbereich auf eine von der
Hauptniederlassung getrennte Geschäftsstelle ausweitet (E. 4b).

    4. Da keiner der beiden Verwaltungsräte seine Tätigkeit
schwergewichtig auf die Leitung des Zweigbetriebes verlegt hat, genügt die
Kollektivunterschrift für die Annahme der erforderlichen Selbständigkeit
nicht (E. 4c).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die X. & Z. AG Ingenieure und Planer mit Hauptsitz in Bern bezweckt
den Betrieb eines Ingenieurbüros für Planung, Projektierung und Bauleitung
sowie Ausführung von allen weiteren mit dem Bauen zusammenhängenden
Dienstleistungen. Am 1. März 1990 meldete sie eine Zweigniederlassung in
Thun zur Eintragung in das Handelsregister an. Als Zeichnungsberechtigte
wurden angegeben die beiden einzigen Verwaltungsräte der Unternehmung,
X. und Z., welche Kollektivunterschrift führen, sowie A. mit kollektiver
Vollunterschrift zu zweien mit einem Mitglied des Verwaltungsrats.

    Am 9. Juli 1990 wies der Handelsregisterführer von Thun die Anmeldung
mit der Begründung ab, der Begriff der Zweigniederlassung sei mangels
eigener Leitung mit hinreichender Vertretungsmacht nicht erfüllt. Eine
dagegen gerichtete Beschwerde der Anmelderin hiess die Justizdirektion
des Kantons Bern am 11. September 1990 gut und wies das Handelsregisteramt
Thun an, die Zweigniederlassung einzutragen.

    Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschwerdeentscheid der
Justizdirektion aufzuheben und die Verfügung des Handelsregisterführers
zu bestätigen. Die X. & Z. AG sowie die Justizdirektion des Kantons Bern
schliessen auf Abweisung der Beschwerde, der Handelsregisterführer
von Thun auf deren Gutheissung. Das Bundesgericht heisst die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und bestätigt die Verfügung des
Handelsregisteramtes Thun vom 9. Juli 1990.

Erwägung 3

    3.- Die schweizerische Aktiengesellschaft ist nach Art. 642 und
Art. 935 Abs. 1 OR berechtigt und verpflichtet, ihre Zweigniederlassung
in das Handelsregister einzutragen. Weder das Gesetz noch die Verordnung
vom 7. Juni 1937 über das Handelsregister (HRegV) umschreiben dabei
den Begriff der Zweigniederlassung. Nach Lehre und Rechtsprechung ist
darunter ein kaufmännischer Betrieb zu verstehen, der zwar rechtlich Teil
einer Hauptunternehmung ist, von der er abhängt, der aber in eigenen
Räumlichkeiten dauernd eine gleichartige Tätigkeit wie jene ausübt und
dabei über eine gewisse wirtschaftliche und geschäftliche Unabhängigkeit
verfügt (BGE 108 II 124 E. 1 mit Hinweisen; LUSSY, Aktuelle Fragen des
Handelsregisterrechts, BN 1986 S. 213 ff., 219 ff.).

    Im vorliegenden Fall allein streitig ist das Kriterium der
Selbständigkeit der Zweigniederlassung aufgrund deren Leitungsstruktur.

Erwägung 4

    4.- a) Die Selbständigkeit, die die Zweigniederlassung kennzeichnet,
besteht nur in dem Masse, als der Zweigbetrieb ohne wesentliche Änderungen
selbständig geführt werden könnte; ob diese Bedingung erfüllt ist, muss
von Fall zu Fall unter Berücksichtigung des Aussenverhältnisses bestimmt
werden. Es ist deshalb nicht wesentlich, ob die Zweigniederlassung an
die Instruktionen des Hauptsitzes oder eines anderen Zweigbetriebes
gebunden ist, ob dieser ihre Tätigkeit überwacht, ihr Budget genehmigt,
ihre Buchhaltung führt, sich ihre Einnahmenüberschüsse überweisen lässt
oder gewisse wichtige Geschäfte selber abwickelt. Für die Unabhängigkeit
der Zweigniederlassung ist vielmehr bedeutsam, ob sie über eine eigene
Büroorganisation mit einem bevollmächtigten Leiter verfügt und ständig
mindestens ein Angestellter anwesend ist, welcher befugt ist, wichtige
Briefe zu unterzeichnen. Die geforderte Selbständigkeit lässt sich ferner
daraus schliessen, ob direkte Beziehungen zur Kundschaft bestehen, Verträge
mit Dritten abgeschlossen werden, eine eigene Korrespondenz auf Papier
mit speziellem Briefkopf geführt wird, Rechnungen ausgestellt werden,
eine Telegrammadresse, Telefon- oder Fernschreibernummer angegeben wird,
ein Postcheck- oder Bankkonto vorhanden ist, und endlich, welches die
Bedeutung der behandelten Geschäfte ist. Dagegen ist an sich belanglos,
ob der Leiter am Geschäftssitz wohnt und die Kunden direkt an den Hauptsitz
bezahlen. In der Praxis sind zahlreiche Abstufungen zwischen Abhängigkeit
und Selbständigkeit festzustellen; entscheidend ist die Gesamtlage (BGE 89
I 413). Massgebend ist dabei stets die Autonomie nach aussen, wie immer
die interne Organisation auch gestaltet sein mag (BGE 108 II 125 E. 1;
PATRY, SPR VIII/1 S. 94).

    b) Die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht der zur Eintragung
angemeldeten Zweigniederlassung der Beschwerdegegnerin steht entweder
den beiden einzigen Verwaltungsräten der Hauptunternehmung gemeinsam oder
einem von ihnen zusammen mit dem örtlichen Zweigstellenleiter zu. Es stellt
sich die Frage, ob damit eine hinreichende Autonomie im Aussenverhältnis
gegeben ist.

    Die Eigenständigkeit nach aussen manifestiert sich unter anderem in
einem unmittelbaren Marktzugang. Der Zweigbetrieb tritt selbständig auf
dem Produktions-, Handels- oder Dienstleistungsmarkt auf. Für den Begriff
der Zweigniederlassung ist dabei erforderlich, dass dieser Marktzugang
rechtsgeschäftlich erfolgt, indem Mitarbeiter des Zweigbetriebs in dieser
Eigenschaft Rechtsgeschäfte für das Hauptunternehmen abschliessen (GAUCH,
Der Zweigbetrieb im schweizerischen Zivilrecht, S. 22 Rz. 118/9 und
S. 145/6 Rz. 738/9). Dies setzt voraus, dass mindestens ein Mitarbeiter
der Zweigniederlassung zum Abschluss von Rechtsgeschäften bevollmächtigt
ist (BGE 68 I 113). Die Leitung muss den Zweigbetrieb im wesentlichen nach
dem Ergebnis eigener Willensbildung führen können (GAUCH, aaO, S. 150
Rz. 770) und bevollmächtigt sein, die laufenden Geschäfte selbständig,
d.h. ohne Genehmigung oder Gegenzeichnung durch eine geschäftliche Stelle
ausserhalb der Niederlassung abzuschliessen (GAUCH, aaO, S. 151 Rz. 774;
SIEGWART, N 26 zu Art. 642 OR; VON STEIGER, N 2 zu Art. 782 OR). Als
Mitarbeiter und Leiter einer Zweigniederlassung fallen dabei nur Personen
in Betracht, welche organisatorisch in den Zweigbetrieb eingegliedert
sind, deren Mittelpunkt ihrer Tätigkeit im Geschäft die betreffende
Niederlassung bildet (BGE 81 I 158; GAUCH, aaO, S. 153 Rz. 785/6;
FORSTMOSER, Schweizerisches Aktienrecht, Band I/1, S. 415 Fn. 13). Zwar
ist nicht entscheidend, wo die betreffenden Personen wohnen (BGE 89 I
413, 81 I 158), ob sie sich geschäftlich dauernd an einem bestimmten
Ort aufhalten (BGE 81 I 156) oder ob sie innerhalb oder ausserhalb des
Geschäfts noch andere Funktionen ausüben (BGE 81 I 154 ff., 76 I 150 ff.),
doch ist erforderlich, dass die Leitung des Zweigbetriebes eine in sich
geschlossene und damit selbständige Aufgabe darstellt und nicht bloss als
Teil der unternehmerischen Gesamtleitung erscheint. Die Eigenständigkeit
der Niederlassungsleitung geht nicht dadurch verloren, dass sie ihrem
Inhaber eine bedeutende Stellung innerhalb des Gesamtbetriebes und
damit der Hauptleitung verschafft (GAUCH, aaO, S. 24 Rz. 130 und S. 153
Rz. 784; VON STEIGER, aaO); sie fehlt indessen, wo die Hauptleitung
bloss ihren Wirkungsbereich auf eine von der Hauptniederlassung getrennte
Geschäftsstelle ausweitet. Die Zeichnungsberechtigung mindestens eines
Verwaltungsrates auch für die Zweigniederlassung der Aktiengesellschaft
ist zwar nach der Registerpraxis erforderlich (BJM 1957 S. 135 Ziff. 13;
FORSTMOSER, aaO, S. 425 Rz. 54), für die Annahme einer eigenständigen
Leitung indessen noch nicht ausreichend. Vielmehr wird die geforderte
Eigenständigkeit erst erreicht, wenn bei Verzicht auf eine organunabhängige
Leitung der Zweigniederlassung innerhalb des Verwaltungsrates eine
Kompetenzabgrenzung vorgenommen und genau bestimmt wird, welches Mitglied
für die Niederlassung im Sinne eines Tätigkeitsschwerpunktes zuständig ist
(FORSTMOSER, aaO, S. 415 Fn. 13).

    c) Die Leitungsstruktur der angemeldeten Zweigniederlassung der
Beschwerdegegnerin genügt diesem Begriff der Eigenständigkeit nicht. Der
organisatorische Leiter des Zweigbetriebs vermag nur mit Gegenzeichnung
durch ein Mitglied der Verwaltung rechtsgeschäftlich zu handeln, ohne
dass eine Kompetenzaufteilung innerhalb der Verwaltung vorgenommen worden
wäre. Dass einer der beiden Verwaltungsräte seine Tätigkeit schwergewichtig
auf die Leitung des Zweigbetriebs Thun verlegt hätte, ist weder erstellt
noch geltend gemacht. Die Willensbildung im Zweigbetrieb ist damit
keine unabhängige und der selbständige Marktzugang der Niederlassung im
Rechtsverkehr nicht gewährleistet. Die eigentliche Filialleitung vermag
aufgrund der erforderlichen Mitwirkung der Hauptleitung nicht selbständig
zu handeln, ihre so beschränkte Kollektivunterschrift genügt praxisgemäss
für die Annahme der erforderlichen Eigenständigkeit nicht (STAMPA, Sammlung
von Entscheiden des Bundesrates und seines Justiz- und Polizeidepartementes
in Handelsregistersachen, S. 103; HIS, N 20 zu Art. 935 OR). Diese Praxis
aber ist nach dem Gesagten bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

    Das EJPD hat klar die Absicht bekundet, dieser Praxis auch weiterhin
zum Durchbruch zu verhelfen. Die Beschwerdegegnerin vermag daher zu ihren
Gunsten auch nichts aus dem Umstand abzuleiten, dass ihr Zweigbetrieb
in Biel mit gleichgestalteter Leitungsstruktur als Zweigniederlassung in
das Handelsregister eingetragen wurde (BGE 113 Ib 313 E. 3, 112 Ib 387).