Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 604



117 II 604

110. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. November
1991 i.S. V. SA gegen E. B.V. und vertragliches Schiedsgericht
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG. Internationale
Schiedsgerichtsbarkeit. Ordre public.

    Voraussetzungen, unter denen die Beurteilung einer Schiedssache
gegen die öffentliche Ordnung verstösst (E. 3). Eine schiedsgerichtliche
Vertragsauslegung widerspricht mindestens solange nicht dem Ordre public,
als ein Vertrag gleichen Inhalts nach innerstaatlichem Recht ebenfalls
wirksam wäre. Vorbehalten bleibt die Berücksichtigung einer strengeren
ausländischen, supranationalen oder universellen Wert- oder Rechtsordnung,
sofern dies die Besonderheiten des Einzelfalls erfordern (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Der Zivilgerichtspräsident des Saanebezirkes in Freiburg
gewährte der E. B.V. in einer gegen die V. SA eingeleiteten Betreibung
die provisorische Rechtsöffnung für einen Betrag von Fr. 3'577'500.--
nebst Zins. Die von der V. SA erhobene Aberkennungsklage wurde gestützt
auf eine vertraglich vereinbarte Schiedsklausel von einem Schiedsgericht
mit Sitz in Basel am 18. Juli 1991 abgewiesen. Zu beurteilen war die in
der Auflösungsvereinbarung zwischen den Parteien vorgesehene Entlastung
der E. B.V. von einer in einem Joint-venture-Verhältnis eingegangenen
Garantieverpflichtung durch eine Barleistung der V. SA. Das Schiedsgericht
gelangte zum Schluss, die Forderung sei bei Einleitung der Betreibung
fällig gewesen und die Parteien hätten vertraglich auf allfällige Einreden
aus Art. 82 OR sowie auf Verrechnung verzichtet.

    Die V. SA führt gegen den Entscheid des Schiedsgerichts erfolglos
staatsrechtliche Beschwerde gemäss Art. 85 lit. c OG.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Es liegt unstreitig ein Fall internationaler Schiedsgerichtsbarkeit
im Sinne von Art. 176 ff. IPRG vor. Der Schiedsentscheid kann folglich
allein aus den Gründen gemäss Art. 190 Abs. 2 IPRG angefochten werden. Die
Beschwerdeführerin beruft sich einzig auf lit. e dieser Bestimmung und
macht geltend, die Vertragsauslegung durch das Schiedsgericht sei mit
dem Ordre public unvereinbar.

    Im Vergleich zu Art. 36 lit. f des Schiedsgerichtskonkordats (SR
279), der die materielle Anfechtung von Schiedssprüchen wegen Willkür
durch offensichtlich aktenwidrige Tatsachenfeststellungen oder klare
Verletzung des Rechts oder der Billigkeit zulässt, schränkt die Ordnung
der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit - dem Willen des Gesetzgebers
entsprechend - die Anfechtungsmöglichkeiten erheblich ein. Selbst eine
offensichtlich falsche Tatsachenfeststellung oder Rechtsanwendung stellt
für sich allein keinen ausreichenden Grund dar, um ein Schiedsurteil
aufzuheben. Die materiellrechliche Überprüfung durch das Bundesgericht
ist vielmehr auf die Frage begrenzt, ob der Schiedsentscheid vor dem
Ordre public standhält. Dabei verstösst die materielle Beurteilung
einer Schiedssache gemäss Rechtsprechung nur dann gegen diese öffentliche
Ordnung, wenn sie fundamentale Rechtsgrundsätze verletzt und daher mit der
schweizerischen Rechts- und Wertordnung schlechthin unvereinbar ist. Zu
diesen Grundsätzen zählen etwa die Vertragstreue, der Vertrauensgrundsatz,
das Rechtsmissbrauchs- oder das Diskriminierungsverbot (BGE 116 II 636 mit
Hinweisen; WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
in der Schweiz, S. 225 ff.; POUDRET, Les recours au Tribunal fédéral suisse
en matière d'arbitrage interne et international, Bulletin ASA 1988 S. 62).

    Weil der Beschwerdegrund der Verletzung des Ordre public weniger
weit geht als derjenige der Willkür, muss unter der Herrschaft des
IPRG erst recht gelten, dass sich analog zur Rechtsprechung zu Art. 4
BV die Aufhebung eines Entscheids nur dann rechtfertigt, wenn er im
Ergebnis gegen die massgebende Ordnung verstösst, ohne dass es auf
die Begründung allein ankäme (BGE 116 II 636 f.). Dabei hat nach
dem das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde beherrschenden
Rügeprinzip der Beschwerdeführer die Unvereinbarkeit des angefochtenen
Schiedsentscheids mit dem Ordre public im einzelnen aufzuzeigen. Auf eine
bloss appellatorische Kritik oder einen unzureichenden Vorwurf der Willkür
ist nicht einzutreten.

    Ob schliesslich für die Beurteilung des Ordre public allgemein
oder allenfalls je nach Inlandbezug der Streitsache die schweizerische,
eine ausländische, eine supranationale oder gar eine universale Wert-
oder Rechtsordnung massgebend ist, kann offenbleiben, wenn sich erweist,
dass der angefochtene Entscheid so oder anders vor den jeweils angerufenen
fundamentalen Grundsätzen standhält (BGE 116 II 637).

Erwägung 4

    4.- Die von der Beschwerdeführerin erhobene Rüge ist nach dem
Gesagten allein daraufhin zu prüfen, ob das Auslegungsergebnis, d.h. der
vom Schiedsgericht festgestellte Vertragsinhalt, mit der massgebenden
Rechts- und Wertordnung vereinbar ist. Die deutsche Rechtsprechung hat
dazu den Grundsatz entwickelt, dass ein schiedsmässig festgestellter
Vertragsinhalt immer dann gegen den Ordre public verstosse, wenn ein
Vertrag gleichen Inhalts unwirksam wäre (Nachweise bei SCHWAB/WALTER,
Schiedsgerichtsbarkeit, 4. Auflage, S. 203 Rz. 21 und Fn. 64). Auch wenn
SCHLOSSER (Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit,
2. Auflage, S. 629 Rz. 867) gegen diese Auffassung rechtspolitische
Einwände vorgebracht hat, ist sie jedenfalls in ihrer negativen
Aussage nicht zu beanstanden. Danach widerspricht ein Schiedsspruch
mindestens für solange nicht dem Ordre public, als ein Vertrag gleichen
Inhalts nach innerstaatlichem Recht ebenfalls wirksam wäre, es sei denn,
Besonderheiten des Einzelfalls erforderten zusätzlich die Berücksichtigung
einer strengeren ausländischen, supranationalen oder universellen Wert-
oder Rechtsordnung. In dieser Form hat die Aussage daher auch für das
schweizerische Recht Geltung, wobei im vorliegenden Fall keine Umstände
dargetan oder ersichtlich sind, welche verlangten, die Inhaltskontrolle
nicht auf das innerstaatliche Recht zu beschränken.

    Der im angefochtenen Schiedsentscheid festgestellte Vertragsinhalt
missachtet die Schranken der Privatautonomie nicht. Das Gesetz (Art. 75
OR) überlässt es der Regelungsfreiheit der Parteien, die Fälligkeit einer
vertraglichen Forderung festzulegen. Art. 82 OR ist ebenfalls nachgiebiges
Recht, das die Parteien grundsätzlich nicht hindert, auf den Rechtsbehelf
zu verzichten und die Einrede des unerfüllten Vertrags auszuschliessen
(WEBER, N 17 f. zu Art. 82 OR; SCHRANER, N 5 zu Art. 82 OR). Allenfalls
zu beachtende Geltungsschranken allgemeiner Geschäftsbedingungen spielen
hier keine Rolle. Schliesslich kann der Schuldner gemäss ausdrücklicher
gesetzlicher Vorschrift (Art. 126 OR) auch auf die Verrechnung zum voraus
verzichten. Von einer Nichtigkeit des Vertrages im Sinne der Art. 19 und
20 OR kann daher in keinem der beanstandeten Punkte die Rede sein. Damit
ist der Rüge, die Vertragsauslegung sei mit dem Ordre public unvereinbar,
von vornherein der Boden entzogen. Die Beschwerde erweist sich deshalb
als unbegründet, soweit sie sich nicht ohnehin in einer unzulässigen
Kritik an der Ermittlung des Vertragsinhalts durch das Schiedsgericht
erschöpft und nicht darlegt, inwiefern das Ergebnis der Auslegung mit
der Rechtsordnung unvereinbar sein soll.