Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 550



117 II 550

101. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Dezember 1991 i.S.
X. Immobilien AG gegen H. und P. S. (Berufung) Regeste

    Kauf eines Einfamilienhauses. Umfang und Zeitpunkt der Entstehung
des Minderungsanspruchs (Art. 205 Abs. 1 OR).

    1. Zeitpunkt der Berechnung des Minderwerts ist nach SIA-Norm 118
die Ingebrauchnahme des Werkes (E. 4b/bb). Die bis zur Ermittlung des
Minderwerts eingetretene Teuerung geht nicht zu Lasten des Unternehmers;
Teuerungskosten sind auch kein Mangelfolgeschaden (E. 4b/cc).

    2. Beginn der Zinspflicht hinsichtlich des zurückzuerstattenden
Kaufpreises (E. 4c).

Sachverhalt

    A.- Am 13. Mai 1983 verkaufte die X. Immobilien AG mit öffentlich
beurkundetem Vertrag H. und P. S. ein in Hünenberg (ZG) gelegenes
Einfamilienhaus zum Preis von Fr. 625'000.--. Unter Ziff. II/2 des
Kaufvertrages wurde u.a. vereinbart: "Betreffend Gewährleistung und
Garantieabnahme gelten die Bestimmungen des SIA und im übrigen diejenigen
des Obligationenrechts."

    In den Jahren 1984 und 1985 zeigten die Käufer der Verkäuferin
verschiedene Mängel an und forderten sie auf, diese zu beheben. Da die
X. Immobilien AG den Aufforderungen zur Nachbesserung nicht nachkam,
machten sie Minderung geltend.

    B.- Am 18. Mai 1987 klagten H. und P. S. beim Kantonsgericht des
Kantons Zug auf Zahlung von Fr. 34'275.35 als Minderwert nebst 5%
Zins seit 8. September 1986. Mit Urteil vom 17. Januar 1990 schützte
das Kantonsgericht die Klage im Umfang von Fr. 19'219.40 nebst 5% Zins
seit 18. Mai 1987, umfassend Nachbesserungskosten von Fr. 16'850.--,
Bauteuerungskosten von Fr. 1'169.40 sowie Fr. 1'200.-- für die Umtriebe
der Kläger im Zusammenhang mit der Mängelsanierung (Koordinationskosten).

    Eine von der X. Immobilien AG eingereichte Berufung hiess das
Obergericht des Kantons Zug am 21. Mai 1991 lediglich im Kostenpunkt gut.

    C.- Die von der X. Immobilien AG erhobene eidgenössische Berufung
heisst das Bundesgericht teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Beklagte macht schliesslich geltend, für die Berechnung des
Minderwertes sei allein der Zeitpunkt des Gefahrübergangs massgebend und
die Vorinstanz habe zu Unrecht den Klägern unter dem Titel Minderwert einen
Bauteuerungssatz von 6,9% auf den veranschlagten Verbesserungskosten
zugesprochen. Das Obergericht könne sich nicht auf BGE 111 II 162
ff. berufen, da im Gegensatz zum dort beurteilten Fall den Klägern keine
Sanierungskosten angefallen seien. Demgegenüber führen die Kläger in
ihrer Berufungsantwort aus, es sei im heutigen Zeitpunkt bestritten,
ob Kosten entstanden seien; abgesehen davon sei dieser Umstand unerheblich.

    a) Das Kantonsgericht hatte den Klägern für die am 1. April 1988
vom Experten errechneten Verbesserungskosten von Fr. 16'850.-- noch
Bauteuerungskosten von 6,9%, basierend auf dem Zürcher Baukostenindex,
bis 1. Oktober 1989 zugesprochen. Das Obergericht hat diesen Anspruch
von Fr. 1'169.40 gebilligt mit der Begründung, der Minderwert umfasse
zwangsläufig auch die seit dem Gefahrübergang bis zur Mängelbehebung
eingetretene Teuerung, denn zu ersetzen seien die tatsächlichen Kosten
der Mängelbehebung und nicht der Betrag, den die Mängelbehebung erfordert
hätte, wenn sie im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgenommen worden
wäre. Der Einbezug der Teuerung in den Minderwert rechtfertige sich
vorliegend umso mehr, als die Kläger nach der Gewährleistungsregelung
des Kaufvertrages ihren Minderungsanspruch erst hätten geltend machen
können, nachdem ihre Aufforderung an die Beklagte, diese möge ihren
Nachbesserungsanspruch gegen die Bauunternehmer durchsetzen, erfolglos
geblieben sei.

    b) In BGE 111 II 162, auf den sich die Vorinstanz stützt, war u.a. wie
auch vorliegend streitig, ob der Minderwert den Kosten für die Sanierung
des Mangels entspreche. Hier ist darüber hinaus zu entscheiden, ob Kosten
der Bauteuerung vom Minderungsanspruch umfasst werden.

    aa) Unhaltbar ist der Einwand der Beklagten, es seien den Klägern keine
Sanierungskosten und somit kein wirtschaftlicher Nachteil entstanden, weil
sie die Mängel noch nicht hätten beseitigen lassen. Mit der Minderungsklage
nach Art. 205 Abs. 1 OR soll durch die verhältnismässige Herabsetzung des
Preises das gestörte Gleichgewicht der Leistungen wiederhergestellt werden
(BGE 85 II 193; CAVIN, SPR VII/1, S. 103). Dieser Ausgleich kann durch eine
Herabsetzung des Preises oder Rückforderung des zuviel bezahlten Preises
erreicht werden. Ob der Käufer sich mit der nicht ganz einwandfreien
Sache zufriedengibt oder mit dem zurückerhaltenen Betrag die vorhandenen
Mängel dennoch beheben lässt, steht in seinem Belieben. Selbstverständlich
geht es aber auch bei der Gutheissung eines Minderungsanspruchs um den
Ausgleich eines wirtschaftlichen Nachteils.

    bb) Die Auffassung des Obergerichts und der Beklagten, dass für die
Berechnung des Minderwerts der Zeitpunkt des Gefahrübergangs massgebend
sei, ist richtig (BGE 45 II 661; GIGER, Art. 205 OR, N 27, S. 511). Nach
SIA-Norm 118, der sich die Parteien unterworfen haben, ist dies der
Zeitpunkt, an dem die Abnahme des Werkes durch Vollendungsanzeige
oder Ingebrauchnahme des Werkes eingeleitet wird (GAUCH, SIA-Norm 118,
Vorbemerkungen zu Art. 169-171, S. 82 lit. d mit Hinweis auf Art. 158
der Norm sowie auf BGE 115 II 459 und 113 II 267; PEDRAZZINI, SPR VII/1,
S. 518). Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanzen wurde
am 11. Mai 1983 eine gemeinsame Prüfung des Hauses vorgenommen. Zwei Tage
später wurde der Kaufvertrag abgeschlossen; der Antritt der Liegenschaft
mit Nutzen und Schaden erfolgte am 15. Mai 1983. Dieses Datum, welches
mit dem Bezug des Hauses übereinstimmt, ist nach den SIA-Normen der für
die Bestimmung des Minderungsanspruchs massgebliche Zeitpunkt.

    cc) Die kantonalen Gerichte haben den Klägern Bauteuerungskosten vom
1. April 1988 bis 1. Oktober 1989 zugesprochen. In BGE 45 II 661 lehnte das
Bundesgericht einen für sechs Jahre seit der Übernahme eines Hotels geltend
gemachten Teuerungszuschlag von 60% ab, weil für den Verkäufer keine
Nachbesserungspflicht bestanden habe und diesen die Tatsache, dass der
Käufer wegen des Streites über das Bestehen eines Preisminderungsanspruchs
die Verbesserung hinausgeschoben habe, nicht berühren könne (S. 662). Heute
ist nicht anders zu entscheiden. Teuerungskosten haben somit nichts mit der
Bestimmung des Preisminderungsanspruchs zu tun - es sei denn, die Parteien
hätten einen Teuerungsausgleich vereinbart (GAUCH, Werkvertrag, Rz. 1156)
-, sondern mit der Konkretisierung des Nachbesserungsanspruchs. Nur
dann, wenn die Kläger auf der Nachbesserung beharrt hätten, ginge eine
zwischenzeitlich eingetretene Teuerung zu Lasten des Unternehmers (GAUCH,
SIA-Norm 118, N 7 zu Art. 170, S. 101). Der Vorwurf der Beklagten,
die Vorinstanz habe die Rechtsfolgen der Minderung mit denjenigen der
Nachbesserung vermischt, trifft somit zu. Anders entscheiden hiesse,
dass die seit der Fälligkeit einer Forderung eingetretene Teuerung in
jedem Falle zu berücksichtigen wäre.

    Es bleibt zu prüfen, ob die Teuerungskosten als Schadenersatz nach
den allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts geltend gemacht
werden können. Das Bundesgericht hat es in BGE 100 II 32 abgelehnt,
dass sich der Besteller eines mangelhaften Werkes alternativ auf die
Rechtsbehelfe des Art. 368 OR (Wandelung, Minderung, Nachbesserung und
Ersatz des Mangelfolgeschadens) und die allgemeine Schadenersatzklage
des Art. 97 OR berufen kann. Gemäss Art. 171 Abs. 1 der SIA-Norm 118 hat
der Bauherr kein Recht, Schadenersatz gemäss Art. 97 ff. OR anstelle der
Mängelrechte nach Art. 169 geltend zu machen. Diese Regelung, der sich die
Parteien unterworfen haben, steht im Einklang mit der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung zu Art. 368 OR (BGE 100 II 32 f.; GAUCH, SIA-Norm 118, N 9
zu Art. 171, S. 105; GAUCH, Werkvertrag, Rz. 1689 ff., S. 444). Es ist dem
Besteller nach Art. 171 Abs. 1 SIA-Norm 118 aber nicht verwehrt, neben und
ausser den Rechten nach Art. 169 SIA-Norm 118 Schadenersatz nach Massgabe
der Art. 368 und 97 ff. OR zu verlangen. Darunter fällt etwa der Ersatz des
Mangelfolgeschadens, der dem Bauherrn trotz tadelloser Nachbesserung, trotz
Minderung oder Rücktritt verbleibt (GAUCH, SIA-Norm 118, N 2 zu Art. 171,
S. 102). Teuerungskosten sind aber bei geltend gemachter Minderung weder
ein Mangelfolgeschaden noch ein "anderer Schaden" (zu diesem Begriff
vgl. GAUCH, SIA-Norm 118, N 2 lit. b zu Art. 171, S. 103, mit Beispielen),
für den der Unternehmer bei gegebenen Voraussetzungen einzustehen hat.

    c) Die Berufung erweist sich somit in diesem Punkt als begründet,
und die Streitsache ist zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Das Obergericht hat zu ermitteln, welchen Betrag die
Behebung der von den Klägern geltend gemachten Mängel am 15. Mai 1983
ausmacht. Dabei hat es zu beachten, dass in den von den beiden Experten
W. und K. per 1. April 1988 ermittelten Mängelbehebungskosten von
Fr. 16'850.-- die seit dem 15. Mai 1983 eingetretene Teuerung enthalten
ist.

    Der vom Obergericht ermittelte Betrag ist zu verzinsen. Die Zinspflicht
beginnt gemäss BGE 116 II 315 E. 7 im Zeitpunkt des Empfanges der
rückzuerstattenden Vergütung.