Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 508



117 II 508

93. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. November 1991
i.S. F. gegen F. (Berufung) Regeste

    Art. 54 OG; Beginn der Berufungsfrist im Falle der Erläuterung eines
Urteils. Auswirkung einer falschen Rechtsmittelbelehrung nach Ablauf
der Rechtsmittelfrist.

    1. Die Berufung, die erst innerhalb der durch einen
Erläuterungsentscheid ausgelösten Rechtsmittelfrist erhoben wird, muss
auf den Gegenstand der Erläuterung beschränkt bleiben (E. 1).

    2. Erfolgt eine falsche Rechtsmittelbelehrung erst nach Ablauf der
Rechtsmittelfrist, so gebietet es der Vertrauensschutz nicht, dass diese
Frist entsprechend erstreckt wird (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Am 23. Mai 1985 klagte Maria Josefa F. beim Bezirksgericht Bülach
gegen Horst Erich F. auf Scheidung. Dieses fällte am 5. Dezember 1985
das Scheidungsurteil, das mit Ausnahme der Regelung über den Unterhalt
für den Sohn Gian Andrea am 21. Januar 1987 rechtskräftig geworden ist.

    Am 22. Dezember 1987 entschied das Obergericht des Kantons Zürich
ein erstes Mal über den Kinderunterhalt. Weil dieser Entscheid vom
Kassationsgericht des Kantons Zürich teilweise aufgehoben worden war,
legte das Obergericht den Kinderunterhalt mit Entscheid vom 14. Februar
1990 ein zweites Mal fest. Auch dieser Entscheid wurde indessen vom
Kassationsgericht auf Beschwerde von Horst Erich F. hin teilweise
aufgehoben.

    B.- Mit Urteil vom 1. Februar 1991 entschied das Obergericht
schliesslich, dass Horst Erich F. für seinen Sohn Gian Andrea monatliche
Unterhaltsbeiträge von Fr. 300.-- zusätzlich allfällige gesetzliche oder
vertragliche Kinderzulagen zu bezahlen habe.

    Mit Eingabe vom 1. März 1991 stellte Maria Josefa F. beim Obergericht
ein Begehren um Erläuterung des Urteils vom 1. Februar 1991, da nicht
klar sei, ob die Unterhaltsbeiträge indexiert seien oder nicht. Das
Obergericht beschloss am 3. Mai 1991, davon Vormerk zu nehmen, dass die
von ihm bereits im Urteil vom 22. Dezember 1987 festgelegte Indexklausel
in Rechtskraft erwachsen sei, und wies die weitergehenden Begehren ab. In
diesem Beschluss hielt es überdies ausdrücklich fest, dass die in seinem
Urteil vom 1. Februar 1991 angegebenen Rechtsmittelfristen mit Eröffnung
des Erläuterungsbeschlusses neu zu laufen begännen.

    C.- Mit Eingabe vom 17. Juni 1991 hat Maria Josefa F. Berufung an
das Bundesgericht erhoben. Sie verlangt, Horst Erich F. sei in Abänderung
des Urteils des Obergerichts vom 1. Februar 1991 zu verpflichten, an den
Unterhalt seines Sohnes Gian Andrea ab 1. Juni 1988 monatlich Fr. 500.--
zu bezahlen; gegebenenfalls sei die Sache zur Neubeurteilung an das
Obergericht zurückzuweisen.

    Horst Erich F. beantragt, die Berufung abzuweisen. Das Obergericht
hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

    Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Angefochten ist vorliegend der Entscheid des Obergerichts vom
1. Februar 1991. Dieser wurde dem Rechtsvertreter der Klägerin am 8.
Februar 1991 zugestellt und gemäss postalischer Empfangsbescheinigung
einen Tag später auch in Empfang genommen. Der Erläuterungsbeschluss
des Obergerichts vom 3. Mai des gleichen Jahres wurde dem Vertreter der
Klägerin gemäss Empfangsbescheinigung am 22. Mai 1991 zugestellt. Die
am 17. Juni 1991 bei der Post aufgegebene Berufung ist somit nur
rechtzeitig, falls mit der Zustellung des Erläuterungsentscheides eine
neue Berufungsfrist zu laufen begonnen hat, wie dies das Obergericht in
seiner Rechtsmittelbelehrung angenommen hat.

    a) In konstanter Rechtsprechung geht das Bundesgericht davon aus,
dass die Erläuterungen das ursprüngliche Urteil ergänzen und keinen davon
unabhängigen, selbständigen Entscheid darstellen. Die Erläuterung des
ursprünglichen Entscheides hat grundsätzlich zur Folge, dass eine neue
Berufungsfrist in Gang gesetzt wird (BGE 116 II 88 mit Verweis auf BGE 69
IV 57; BIRCHMEIER, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der
Bundesrechtspflege, Zürich 1950, S. 218, und GULDENER, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 537; so auch HABSCHEID,
Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Aufl.,
Basel und Frankfurt a. M. 1990, S. 474, Rz. 775). Dahinter steht die
Überlegung, dass eine Partei erst mit den Erläuterungen erfährt, was mit
dem ursprünglichen Urteil gemeint ist, das miss- oder unverständlich,
zweideutig oder widersprüchlich war. Erst wenn sie aber die Tragweite
des Entscheides erkennen kann, ist ihr zuzumuten zu entscheiden, ob ein
Rechtsmittel ergriffen werden soll (vgl. Bundesgericht in SJ 1987, S.
154 f.).

    Andererseits darf jedoch der ausserordentliche Rechtsbehelf der
Erläuterung nicht zu einer unzulässigen Verlängerung der auf dem
Bundesrecht beruhenden Berufungsfrist führen. Deshalb kann diese
Frist nur neu zu laufen beginnen, wenn tatsächlich eine Erläuterung
erfolgt, nicht aber, wenn das Gesuch abgewiesen wird. Entsprechend
hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Berufung, die erst in
der durch den Erläuterungsentscheid ausgelösten Frist erhoben wird,
auf den Gegenstand der Erläuterung beschränkt bleiben muss (BGE 116 II
88). Nur in diesem Umfang kann durch die Erläuterung eine neue Beschwer
eingetreten sein. Ob diese Beschränkung dann nicht gilt, wenn nicht der
Berufungskläger selber, sondern die andere Partei die Erläuterung verlangt
hat, diese aber zuungunsten des Berufungsklägers ausgefallen ist, wie dies
das Bundesgericht in einem Entscheid vom 2. April 1986 andeutet (SJ 1987,
S. 154 f.; nicht in amtl. Sammlung publiziert), kann offenbleiben. Eine
solche Sachlage ist vorliegend nicht gegeben.

    b) Der Beklagte ist mit dem Urteil vom 1. Februar 1991 dazu
verurteilt worden, an den Unterhalt seines Sohnes monatlich Fr. 300.--
zu bezahlen. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, den Unterhaltsbeitrag
auf Fr. 500.-- monatlich festzusetzen, insoweit nicht durchgedrungen. Im
Erläuterungsbeschluss hat das Obergericht nur präzisiert, dass der
Betrag von Fr. 300.-- indexiert sei. Es hat dem Erläuterungsbegehren
insofern entsprochen, wobei allerdings eine kleine Abweichung gegenüber
dem Erläuterungsbegehren der Klägerin besteht, indem als Ausgangspunkt
für die Teuerungsberechnung nicht der Indexstand von 107,7 Punkten
(Oktober 1985), sondern ein solcher von 110,6 Punkten (November 1987)
angenommen worden ist. Die Klägerin ist durch die Erläuterung nicht
beschwert, da diese zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen ist. Sie wendet
sich in ihrer Berufung denn auch in keiner Weise gegen die Indexierung als
solche und deren Berechnung, sondern gegen die Festsetzung der Höhe des
Unterhaltsbeitrages im Urteil vom 1. Februar 1991, die nicht Gegenstand
des Erläuterungsverfahrens gebildet hat. Die Berufung erscheint somit
als verspätet, weshalb auf sie nicht einzutreten ist.

Erwägung 2

    2.- Daran ändert auch die unrichtige Rechtsmittelbelehrung im
Erläuterungsbeschluss des Obergerichts nichts. Gemäss konstanter
bundesgerichtlicher Rechtsprechung bewirkt zwar das in Art. 4 BV
gewährleistete verfassungsmässige Recht auf Vertrauensschutz unter anderem,
dass falsche Auskünfte von Behörden unter bestimmten Voraussetzungen eine
vom gesetzten Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten (BGE
115 Ia 18 f.). Dies führt dazu, dass einer Partei aus einer fehlerhaften
Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen darf (BGE 115 Ia 19 E. a;
112 Ia 310 E. 3; 106 Ia 16 E. 3a). Von daher ist es möglich, dass eine
falsche Rechtsmittelbelehrung eine Rechtsmittelfrist verlängern kann
(BGE 114 Ia 106 ff. E. 2; 115 Ia 19 E. a).

    Vorliegend ist aber der Berufungsklägerin aus der falschen
Rechtsmittelbelehrung des Obergerichts mit Bezug auf die Rechtswahrung
kein Nachteil erwachsen. Als das Obergericht mitteilte, mit dem
Erläuterungsentscheid beginne eine neue Rechtsmittelfrist, war die Frist
für eine Berufung gegen den Entscheid vom 1. Februar 1991 bereits längstens
abgelaufen. Nachdem dieser Entscheid am 9. Februar 1991 beim Vertreter
der Klägerin eingetroffen war, endete die Frist am 11. März 1991; die
Zustellung des Erläuterungsentscheides erfolgte hingegen erst am 23. Mai
1991. Die falsche Rechtsmittelbelehrung konnte somit keinerlei Einfluss
auf den Entscheid der Klägerin haben, gegen das Urteil vom 1. Februar
1991 Berufung einzulegen oder darauf zu verzichten (vgl. dazu BGE 115
Ia 19 E. b). Für eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist mit Rücksicht
auf die falsche Rechtsmittelbelehrung aus Gründen des Vertrauensschutzes
besteht somit kein Anlass.