Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 490



117 II 490

89. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. September 1991 i.S.
R. gegen L. (Berufung) Regeste

    Bürgschaft. Internationales Privatrecht.

    1. Für die Frage des anwendbaren Rechts kommt es in erster Linie auf
eine von den Parteien getroffene Rechtswahl an; beim Fehlen einer solchen
untersteht die Bürgschaft dem Recht des Wohnsitzes des Bürgen (E. 2).

    2. Bei der gemäss Art. 493 Abs. 1 OR verlangten Angabe des
Höchstbetrages der Haftung in der Bürgschaftsurkunde selbst handelt es sich
sowohl um eine Formvorschrift wie auch um eine materielle Voraussetzung
der Gültigkeit einer Bürgschaft (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 9. Februar 1985 schlossen die Eheleute R. als Verpächter
mit Gudrun D. als Pächterin einen Pachtvertrag über eine Gaststätte
in Lottstetten-Balm in Deutschland. Als Gerichtsstand wurde Waldshut
vereinbart. Am Ende des Vertrags findet sich die folgende von Agnes B.
unterzeichnete Erklärung: "Für diesen Vertrag übernimmt Frau Agnes B.,
CH-8336 Ober-Hittnau ZH, die selbstschuldnerische Bürgschaft, dies gilt
insbesondere für die Pacht und das Inventar."

    Nach Auflösung des Pachtvertrags machten die Verpächter gegenüber der
Pächterin und gegenüber Agnes B. Forderungsansprüche für Pachtzins und
Schadenersatz geltend. Gegen letztere klagten sie am 25. Februar 1987 beim
Bezirksgericht Pfäffikon auf Bezahlung eines Betrages von Fr. 47'807.60
nebst Zins. Nachdem Agnes B. am 13. Oktober 1987 gestorben war, trat
Erwin L. als Alleinerbe in den Prozess ein. Das Bezirksgericht und auf
Appellation hin am 8. Februar 1991 das Obergericht des Kantons Zürich
wiesen die Klage ab. Die Kläger führen gegen das Urteil des Obergerichts
erfolglos Berufung beim Bundesgericht.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- In bezug auf die Frage des anwendbaren Rechts kommt die
Vorinstanz zutreffend zum Ergebnis, sowohl nach IPRG wie nach dem vor
dessen Inkrafttreten geltenden internationalen Privatrecht sei in erster
Linie eine von den Parteien getroffene Rechtswahl massgebend; beim Fehlen
einer solchen unterstehe die Bürgschaft dem Recht des Wohnsitzes des
Bürgen. Davon gehen vor Bundesgericht auch beide Parteien aus. Während das
Obergericht und der Beklagte eine Rechtswahl verneinen und demzufolge die
Bürgschaft nach schweizerischem Recht beurteilen, halten die Kläger daran
fest, die Parteien des Bürgschaftsvertrags hätten diesen dem deutschen
Recht unterstellt.

    Soweit das angefochtene Urteil einen Willen der Agnes B., die
Bürgschaftserklärung deutschem Recht zu unterstellen, verneint, liegt
eine für das Bundesgericht im Berufungsverfahren verbindliche tatsächliche
Feststellung vor (BGE 113 II 27, 107 II 229). Auf die Berufung ist daher
insoweit nicht einzutreten, als die Kläger geltend machen, Agnes B. habe
ausdrücklich eine Rechtswahl in dem Sinne getroffen, dass die von ihr
eingegangene Bürgschaft deutschem Recht unterstehe.

    Rechtsfrage und vom Bundesgericht zu überprüfen ist einzig, ob die
Kläger aus dem Vertrag und aus den Umständen des Vertragsschlusses nach
dem Vertrauensprinzip folgern durften, Agnes B. habe die Bürgschaft
deutschem Recht unterstellen wollen. Diese Frage ist vom Obergericht
mit Recht verneint worden. Obschon die Bürgschaftserklärung unten auf
der letzten Seite des Pachtvertrags angebracht worden ist, ist sie nicht
einfach Bestandteil dieses Vertrags; sie stellt vielmehr eine eigenständige
vertragliche Verpflichtung dar, die den besonderen Vorschriften über die
Bürgschaft unterliegt. Dass im Pachtvertrag ein deutscher Gerichtsstand
vereinbart worden ist und dass der zwischen zwei Parteien mit Wohnsitz in
Deutschland über eine in Deutschland gelegene Liegenschaft abgeschlossene
Vertrag naturgemäss deutschem Recht untersteht, besagt nicht, dass auch die
von einer in der Schweiz wohnhaften Person abgegebene Bürgschaftserklärung
ebenfalls nach deutschem Recht zu beurteilen sei. Wahrscheinlich hat sich
Agnes B. bei der Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung keinerlei Gedanken
darüber gemacht, nach welchem Recht diese Bürgschaft allenfalls in einem
Prozessverfahren beurteilt werde. Da sich in der Bürgschaftserklärung
kein Hinweis auf die Anwendung deutschen Rechts finden lässt, konnten
die Kläger auch nicht in guten Treuen davon ausgehen, Agnes B. habe einer
Unterstellung unter das deutsche Recht zugestimmt.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 493 Abs. 2 OR bedarf die Bürgschaftserklärung natürlicher
Personen grundsätzlich der öffentlichen Beurkundung. Das deutsche Recht
begnügt sich demgegenüber gemäss § 766 BGB mit einfacher Schriftform. Dass
die im vorliegenden Fall abgegebene schriftliche, aber nicht öffentlich
beurkundete Bürgschaftserklärung schweizerischem Recht untersteht,
bedeutet indessen noch nicht, dass die Bürgschaft deswegen formungültig
wäre. Unabhängig davon, welches materielle Recht an sich anwendbar ist,
ist ein Vertrag gemäss Art. 124 Abs. 1 IPRG formgültig, wenn er dem auf den
Vertrag anwendbaren Recht oder dem Recht am Abschlussort entspricht. Der
gleiche Grundsatz galt auch schon vor dem Inkrafttreten des IPRG im
schweizerischen internationalen Privatrecht (BGE 110 II 485 mit Hinweisen).

    Da Agnes B. die Bürgschaftserklärung in Deutschland unterzeichnet
hat, ist diese demzufolge auch in gewöhnlicher Schriftform gültig. Davon
ist auch das Obergericht ausgegangen. Indessen hat es die Bürgschaft
für ungültig erklärt, weil in der Bürgschaftserklärung entgegen
der Vorschrift von Art. 493 Abs. 1 OR keine Angabe des zahlenmässig
bestimmten Höchstbetrags der Haftung enthalten ist. Wohl heisst das
Marginale zu Art. 493 OR "Form", und das Erfordernis, den Höchstbetrag
der Haftung in der Bürgschaftsurkunde selbst aufzuführen, ist einerseits
eine Formvorschrift. Andererseits aber bildet diese Angabe auch eine
materielle Voraussetzung der Gültigkeit einer Bürgschaft. Das ergibt
sich sowohl aus der Bestimmung von Art. 492 Abs. 4 OR, wonach der
Bürge nicht auf die ihm vom Gesetz eingeräumten Rechte verzichten
kann, als auch aus Art. 499 Abs. 1 OR, der die Haftung auf den in der
Bürgschaftsurkunde genannten Höchstbetrag begrenzt (in diesem Sinne
auch SCYBOZ, Garantievertrag und Bürgschaft, in: SPR VII/2, der die
Angabe des Höchstbetrags einerseits, S. 395, unter den objektiven,
d.h. materiellen, Voraussetzungen der Bürgschaft und anderseits, S. 400,
unter den Formerfordernissen aufführt). Das Obergericht hat die Bürgschaft
daher zu Recht für ungültig erachtet.