Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 463



117 II 463

86. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. November 1991 i.S.
SUISA gegen E. Räber-Müller's Erben (Berufung) Regeste

    Art. 9 Abs. 1 URG; Übertragung von Werknutzungsrechten.

    Wird das Urheberrecht übertragen, geht die ausschliessliche Rechtsmacht
auf den Erwerber über. Vom nicht mehr Berechtigten können auch gutgläubig
keine Nutzungsbefugnisse erworben werden. Art. 167 OR vermag daran nichts
zu ändern (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die SUISA, Schweizerische Gesellschaft für die Rechte der Urheber
musikalischer Werke, ist eine Genossenschaft gemäss Art. 828 ff. OR.
Sie bezweckt, die Rechte der Urheber von nichttheatralischen musikalischen
Werken zu wahren und ist im Besitze der in Art. 1 des Bundesgesetzes
betreffend die Verwertung von Urheberrechten (SR 231.2) vorgesehenen
Bewilligung. Ihre Tätigkeit stützt sie namentlich auf Verträge mit
ihren Mitgliedern und ausländischen Verwertungsgesellschaften. Die ihr
übertragenen oder abgetretenen Rechte übt sie im eigenen Namen aus und
zieht insbesondere die für deren Verwertung geschuldeten Entschädigungen
selbst ein. Mit Vertrag vom 25. Oktober 1984 trat ihr auch Armin Brunner
die Urheberrechte an seinen geschaffenen und künftigen musikalischen
Werken zur Verwertung ab.

    E. Räber-Müller's Erben veranstalteten vom 21.-23. April 1989 im
Kino Apollo in Chur vier Vorführungen des Stummfilms "Nosferatu" mit
musikalischer Untermalung durch ein Orchester. Die dabei aufgeführte
Musik von Johann Sebastian Bach war von Armin Brunner für diesen Film
bearbeitet worden. Brunner hatte sein Einverständnis zu den Vorführungen
gegeben und für die Benützung der Musik von den Veranstaltern, denen er
die Abtretung der Werknutzungsrechte an die SUISA nicht angezeigt hatte,
eine Entschädigung von Fr. 500.-- bezogen.

    B.- Gestützt auf ihren Tarif für Konzerte und konzertähnliche
Darbietungen machte die SUISA gegenüber den E. Räber-Müller's Erben eine
Entschädigung von Fr. 826.90 geltend. Diese bestritten eine Schuld und
erhoben gegen den ihnen zugestellten Zahlungsbefehl Rechtsvorschlag,
worauf die SUISA die Forderung einklagte. Das Kantonsgericht (Ausschuss)
von Graubünden wies die Klage am 10. April 1991 ab. Es gelangte zum
Schluss, die Beklagten hätten nach Treu und Glauben annehmen dürfen, die
Aufführungserlaubnis direkt vom Urheber erworben und dessen Urheberrechte
vereinbarungsgemäss entschädigt zu haben; die Beklagten seien daher nach
Art. 167 OR gültig befreit worden.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung der Klägerin gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Werknutzungsrechte des Urhebers, wie sie hier zur Beurteilung
stehen, sind nach geltendem schweizerischen Recht (Art. 9 Abs. 1 URG)
übertragbar. Daran soll nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion auch de
lege ferenda festgehalten werden, nachdem vorübergehend erwogen worden ist,
die Urheberrechte von einer Übertragung allgemein auszuschliessen und -
nach deutschem und österreichischem Vorbild - lediglich die Einräumung
von Nutzungsrechten zu gestatten (s. Botschaft des Bundesrates vom
19. Juni 1989 zu einem Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte
Schutzrechte, BBl 1989 III 533 f.). Zulässig ist dabei gemäss allgemeinen
Grundsätzen auch eine bloss fiduziarische Rechtsübertragung. Sie führt
zum vollen Rechtserwerb des Fiduziars, sofern sie ernsthaft gewollt und
nicht bloss simuliert ist. Der Fiduziar wird dadurch gegenüber Dritten, die
sich um die internen Rechtsbeziehungen zwischen Treugeber und Treuhänder
nicht zu kümmern haben (BGE 115 II 471), als Rechtsträger legitimiert
und zu Verfügungen berechtigt (BGE 85 II 99; JÄGGI/GAUCH, N. 188 ff. zu
Art. 18 OR; KRAMER, N. 128 zu Art. 18 OR; WIEGAND, Fiduziarische
Sicherungsgeschäfte, ZBJV 116/1980, S. 541 f.). Treuhänderische
Rechtsübertragungen in diesem Sinne werden regelmässig auch auf die
monopolistisch konzipierten Verwertungsgesellschaften vorgenommen (ANGELA
MAUHS, Der Wahrnehmungsvertrag, UFITA-Schriftenreihe 96/1990, S. 18 f.).

    Das Urheberrecht wirkt absolut, d.h. gegenüber jedermann. Wird es
übertragen, geht die ausschliessliche Rechtsmacht auf den Erwerber über;
im Treuhandverhältnis gilt dies jedenfalls für die Dauer der Fiduzia. Das
bedeutet zum einen, dass der Erwerber das Recht ebenfalls gegenüber
jedermann durchsetzen kann, zum andern aber auch, dass der Veräusserer
mit der Begebung der Rechtszuständigkeit von weiteren Verfügungen über
das Recht ausgeschlossen wird und namentlich nicht mehr berechtigt ist,
weitere Nutzungsbefugnisse einzuräumen (ANGELA MAUHS, aaO, S. 107
ff.). Mangels eines durch Besitz (wie z.B. in Art. 714 Abs. 2 ZGB)
oder Registereintrag (wie z.B. in Art. 973 ZGB oder Art. 33 Abs. 4
PatG) begründeten Rechtsscheins können auch gutgläubig keine Rechte vom
nicht oder nicht mehr Berechtigten erworben werden (Erläuterungen zum
Vorentwurf II für ein revidiertes Urheberrechtsgesetz vom 1. Mai 1974,
S. 25; RIKLIN, Das Urheberrecht als individuelles Herrschaftsrecht und
seine Stellung im Rahmen der zentralen Wahrnehmung urheberrechtlicher
Befugnisse sowie der Kunstförderung, Freiburg 1978, S. 121; TROLLER,
Der gute Glaube im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht,
SJZ 46/1950, S. 205). Insoweit unterscheidet sich das Urheberrecht
nicht vom Obligationenrecht. Auch danach ist eine zweite Zession bei
gültiger Erstabtretung unwirksam, selbst wenn der Zweitzessionar von der
früheren Abtretung keine Kenntnis hat und daher das vermeintliche Recht
gutgläubig erwirbt (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des schweizerischen
Obligationenrechts, Band II, S. 338). An diesem Ergebnis vermag der vom
Kantonsgericht angewandte Regelungsgedanke von Art. 167 OR nichts zu
ändern. Diese Bestimmung ordnet weder die Aktivlegitimation an einer
Forderung noch die Befugnis zur Begründung von Schuldverhältnissen,
sondern ist ausschliesslich eine Schutzbestimmung zugunsten des in gutem
Glauben an einen früheren Gläubiger zahlenden Schuldners (BGE 56 II 368).

    Im vorliegenden Fall hat Armin Brunner der Klägerin nicht eine
Forderung gegen die Beklagten abgetreten, sondern ein absolutes Recht,
aus welchem die Klägerin eine Forderung ableitet, die ihr selbst und
unmittelbar aus der Verletzung dieses Rechts erwachsen sein soll. Diese
Forderung aber konnte nicht gegen ihren Willen mit einer Leistung an
Brunner getilgt werden, und zwar unabhängig davon, ob die Leistung gut-
oder bösgläubig bewirkt wurde. Art. 167 OR ist auf diesen Sachverhalt
auch sinngemäss nicht anwendbar. Haben demnach die Beklagten das
der Klägerin zustehende Urheberrecht verletzt, können sie sich ihrer
Entschädigungspflicht nicht mit der Begründung entziehen, gutgläubig
vom Rechtsvorgänger der Berechtigten eine Nutzungsbefugnis zugestanden
erhalten und dafür eine Vergütung bezahlt zu haben. Soweit der angefochtene
Entscheid der Leistung der Beklagten an den Urheber des aufgeführten
Werkes befreiende Wirkung im Verhältnis zur Klägerin als Rechtsinhaberin
zuspricht, verletzt er Bundesrecht.

    Zur Rechtsnatur der von der Klägerin geforderten Entschädigung
wie auch zur streitigen Höhe, insbesondere zum anwendbaren Tarif und
den massgebenden Bemessungsgrundlagen, hat sich die Vorinstanz noch
nicht geäussert. Es ist ihr Gelegenheit zu geben, dies nachzuholen. Die
Streitsache ist daher zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen ans
Kantonsgericht zurückzuweisen.