Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 458



117 II 458

85. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. August 1991 i.S. M.
gegen L. (Berufung) Regeste

    Art. 18 Abs. 1 BMM. Pflicht des Vermieters, Mietzinserhöhungen zu
begründen.

    Die Begründung einer Mietzinserhöhung hat klar zu sein. Der Vermieter
kann Mietzinsherabsetzungsansprüche des Mieters, die sich aus Senkungen
des Hypothekarzinses ergeben, nicht stillschweigend mit Erhöhungsfaktoren
verrechnen. Er muss vielmehr ausdrücklich darauf hinweisen, dass er die
Hypothekarzinsveränderungen als abgegolten betrachte. Das gilt auch,
wenn sich der Vermieter auf Anpassung an die Orts- und Quartierüblichkeit
beruft.

Sachverhalt

    A.- L. ist seit 1. Juli 1985 Mieter einer 4 1/2-Zimmerwohnung in
Rapperswil. Der Nettomietzins betrug anfänglich Fr. 910.-- monatlich. Am
11. März 1988 erwarb M. die Liegenschaft, wobei er das Mietverhältnis
mit L. übernahm. Auf den 1. April 1989 erhöhte M. den monatlichen
Mietzins auf Fr. 1'020.--. Mit amtlichem Formular vom 12. Dezember
1989 kündigte er unter Berufung auf Hypothekarzinsanstieg, Teuerung
und allgemeine Kostensteigerungen eine weitere Erhöhung des Mietzinses
an, wonach dieser mit Wirkung auf den 1. April 1990 auf Fr. 1'195.--
angehoben werden sollte.

    B.- Nachdem L. Einsprache erhoben hatte und im Schlichtungsverfahren
keine Einigung zustandegekommen war, klagte M. bei der Gerichtskommission
See auf Feststellung der Nichtmissbräuchlichkeit der Erhöhung. Mit
Urteil vom 20. September 1990 erklärte die Gerichtskommission die
Mietzinserhöhung im Umfange von Fr. 85.-- auf neu Fr. 1'105.-- netto pro
Monat zuzüglich Nebenkosten als zulässig und wies die Klage im übrigen ab.

    Auf Berufung beider Parteien bestätigte die Rekurskommission des
Kantonsgerichts St. Gallen diesen Entscheid am 22. Februar 1991.

    C.- Das Bundesgericht weist die vom Kläger gegen das
kantonsgerichtliche Urteil eingelegte eidgenössische Berufung ab, soweit
es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Streitig ist vor Bundesgericht einzig noch, ob sich der
Kläger zur Rechtfertigung der angezeigten Mietzinserhöhung auf einen
Hypothekarzinsanstieg von 5% auf 6% oder bloss von 5 1/2% auf 6% berufen
könne.

    Die Rekurskommission hält in tatsächlicher Hinsicht fest, bei
Mietbeginn habe der Mietzins auf einem Hypothekarzinsfuss von 5 1/2%
beruht. Die Senkung des Zinssatzes anfangs 1987 und im Sommer 1988
um je 1/4% habe keine Auswirkungen auf den Mietzins gehabt. Die
am 12. Dezember 1988 mitgeteilte - erste - Mietzinserhöhung auf den
1. April 1989 habe der Kläger einzig mit einer teilweisen Anpassung an
die Orts- und Quartierüblichkeit begründet, ohne anzumerken, dass er
durch diesen Erhöhungsfaktor den aus der Hypothekarzinssenkung von 5 1/2%
auf 5% resultierenden Herabsetzungsanspruch des Mieters als kompensiert
betrachte. Nach Ansicht der Rekurskommission durfte daher der Beklagte
nach Treu und Glauben davon ausgehen, der Mietzins basiere weiterhin
auf einem Hypothekarzinsfuss von 5 1/2%. Der Kläger könne folglich zur
Rechtfertigung der Mietzinserhöhung gemäss Mitteilung vom 12. Dezember 1989
lediglich eine Hypothekarzinserhöhung von 5 1/2% auf 6% geltend machen.

    Der Kläger rügt, die Auffassung der Rekurskommission verletze
Art. 15 Abs. 1 lit. b und Art. 18 BMM sowie Art. 9 VMM. Er stellt sich
auf den Standpunkt, dass der Erhöhungsgrund der Anpassung an die Orts-
und Quartierüblichkeit sämtliche seit der letzten Mietzinsfestsetzung
eingetretenen Veränderungen mitumfasse, und zwar - kompensatorisch -
auch allfällige Herabsetzungsansprüche des Mieters.

    a) Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid auf die bundesgerichtliche
Rechtsprechung zur Begründungspflicht des Vermieters (Art. 18 Abs. 1 BMM).
Danach bildet die in der Mitteilung der Mietzinserhöhung angegebene
Begründung Teil der Willenserklärung des Vermieters, die dieser so gegen
sich gelten lassen muss, wie der Mieter sie in guten Treuen verstehen
konnte (BGE 106 II 168 E. 4a, 360 E. c). Die Begründung hat dabei klar
zu sein. Sie soll dem Mieter erlauben, sich ein Bild über Tragweite
und Berechtigung der Mietzinserhöhung zu machen, und ihm damit die
Entscheidungsgrundlagen dafür verschaffen, ob er Einsprache erheben
will oder nicht. Unzulässig sind deshalb insbesondere stillschweigende
Vorbehalte bezüglich nicht ausgeschöpfter Erhöhungsgründe (BGE 111 II
204 E. 1; 106 II 360 E. c). An dieser Rechtsprechung ist trotz der von
einem Teil der Lehre daran geübten Kritik (RAISSIG/SCHWANDER, Massnahmen
gegen Missbräuche im Mietwesen, 4. Aufl., S. 139 ff.; BARBEY, L'arrêté
fédéral instituant des mesures contre les abus dans les secteurs locatifs,
S. 29 f.; zustimmend hingegen TRÜMPY, MP 1989, S. 149; GMÜR/PREROST/TRÜMPY,
Mietrecht für die Praxis, 3. Aufl. 1986, S. 97) festzuhalten. Dem Vermieter
darf zugemutet werden, Mietzinserhöhungen klar zu begründen.

    Der Rekurskommission ist uneingeschränkt darin beizupflichten,
dass dieselben Grundsätze auch für die Verrechnung von
Mietzinssenkungsansprüchen des Mieters mit Erhöhungsfaktoren zu
gelten haben. Der Vermieter hat in der Begründung der Mietzinserhöhung
ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er die zu einem früheren Zeitpunkt
nicht in Form einer Mietzinsreduktion weitergegebene Senkung des
Hypothekarzinses als abgegolten betrachte. Nur auf diese Weise kann
der Mieter, der grundsätzlich einen Anspruch auf Berücksichtigung des
niedrigeren Hypothekarzinses hat (Art. 19 BMM), die geforderte Klarheit und
damit die Grundlage für seinen Entscheid erhalten, ob er den angezeigten
Mietzins als missbräuchlich anfechten will oder nicht. Vom Mieter kann
nicht verlangt werden, dass er ohne entsprechende Angaben im amtlichen
Formular in einer Mietzinserhöhung auch noch eine stillschweigende
Verrechnung von Herabsetzungsansprüchen erblickt. Ebensowenig darf er
der Gefahr ausgesetzt werden, dass ihm der Vermieter bei einer späteren
Mietzinserhöhung vorhält, er habe die bei der vorgängigen Erhöhung
stillschweigend vorgenommene Kompensation akzeptiert.

    Das gilt entgegen der Meinung des Klägers auch, wenn sich der
Vermieter auf Anpassung an die Orts- und Quartierüblichkeit (Art. 15
Abs. 1 lit. a BMM) beruft. Der Kläger überschätzt die Tragweite dieses
Mietzinserhöhungsgrundes. Die gesetzliche Regelung zum missbräuchlichen
Mietzins beruht auf verschiedenen Motiven, die teilweise in einem gewissen
Spannungsverhältnis zueinander stehen. Die Missbrauchsgesetzgebung will
einerseits verhindern, dass der Vermieter auf Kosten des Mieters eine
übersetzte Rendite erwirtschaftet (Grundsatz der Kostenmiete). Auf der
anderen Seite gilt jedoch ein Mietzins, der sich im Rahmen der orts- und
quartierüblichen Mietzinse hält (Grundsatz der Marktmiete), selbst dann
nicht als missbräuchlich, wenn damit der zulässige Ertrag überstiegen
wird (BGE 112 II 155). Im weiteren will die Missbrauchsgesetzgebung
aber auch dem Grundsatz von Treu und Glauben Rechnung tragen. Soweit
nicht bestimmte Erhöhungsgründe ausdrücklich vorbehalten worden sind,
darf sich der Mieter deshalb darauf verlassen, dass der bisherige
Mietzins dem Vermieter einen sowohl zulässigen wie auch genügenden Ertrag
verschafft. Der Grundsatz von Treu und Glauben bildet mithin die Grundlage
der sogenannten relativen Berechnungsmethode, wonach die Zulässigkeit einer
Mietzinserhöhung ausgehend vom bisherigen Mietzins aufgrund der seit der
letzten Mietzinsfestsetzung eingetretenen Veränderungen beurteilt wird
(BGE 111 II 203 f. mit Hinweisen). Damit werden, wie ZIHLMANN (Das neue
Mietrecht, S. 126 und 161; vgl. auch Appellationsgericht/BS, in MP 1990, S.
103) zutreffend ausführt, gleichzeitig auch der Anrufung von sogenannten
absoluten Erhöhungsgründen - ungenügende Nettorendite (Art. 14 BMM),
ungenügender Bruttoertrag einer neueren Baute (Art. 15 Abs. 1 lit. c
BMM), Angleichung an die Ortsüblichkeit (Art. 15 Abs. 1 lit. a BMM) -
in einem laufenden Mietverhältnis Schranken gesetzt. Der Vermieter kann
diese Faktoren nur insoweit geltend machen, als sich die Verhältnisse
seit der letzten Mietzinsfestsetzung verändert haben. Insoweit werden die
absoluten Erhöhungsgründe, wenn sie in einem laufenden Mietverhältnis
angerufen werden, zu relativen, d.h. sie können nicht eine von Grund
auf neue Mietzinsfestlegung, sondern lediglich eine Anpassung des
bisherigen Mietzinses aufgrund der in der Zwischenzeit eingetretenen
Veränderungen rechtfertigen. Fehl geht daher einerseits der Vorwurf des
Klägers, die Vorinstanz habe verkannt, dass die Anpassung an die orts- und
quartierüblichen Mietzinse als absoluter Erhöhungsgrund zu qualifizieren
sei. Bedeutet die Angleichung an die Ortsüblichkeit keine umfassende
Neufestlegung des Mietzinses, so ergibt sich daraus anderseits aber auch,
dass dieser Erhöhungsgrund nicht, wie der Kläger behauptet, zwangsläufig
sämtliche übrigen Mietzinserhöhungs- und -reduktionsfaktoren mitumfasst;
dies um so weniger, wenn der Vermieter - wie im vorliegenden Fall -
lediglich eine teilweise Anpassung an die orts- und quartierüblichen
Mietzinse geltend macht. Der Mieter muss nach Treu und Glauben
insbesondere nicht davon ausgehen, mit der Erhöhung seien zugleich
auch Mietzinsreduktionsansprüche aufgrund von Hypothekarzinssenkungen
abgegolten.

    b) Der aus der Hypothekarzinssenkung von 5 1/2% auf 5% resultierende
Mietzinssenkungsanspruch des Beklagten darf demnach nicht als
durch die vom Kläger vorgenommene Anpassung des Mietzinses an die
Orts- und Quartierüblichkeit stillschweigend kompensiert betrachtet
werden. Die Vorinstanz hat es dem Kläger deshalb zu Recht verwehrt,
die erneute Mietzinserhöhung mit einem Hypothekarzinsanstieg von 5%
auf 6% zu rechtfertigen. Berücksichtigt werden darf nur die Erhöhung des
Hypothekarzinses von 5 1/2% auf 6%. Damit erweist sich der angefochtene
Entscheid als richtig.