Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 404



117 II 404

75. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Oktober 1991
i.S. H. AG gegen Ruth L. (Berufung) Regeste

    Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung bei anweisungsähnlichem
Verhältnis (Art. 62 OR).

    Die nach der Rechtsprechung (BGE 116 II 691 E. 3b/aa) beim
Anweisungsverhältnis anwendbare bereicherungsrechtliche Regelung gilt
auch im Fall, dass zwischen Darleiher und Darlehensnehmer ein Dritter, der
in keinem Vertragsverhältnis zum Darleiher steht, als Zahlstelle für die
Darlehenssumme vereinbart worden ist. Ein Anspruch aus ungerechtfertigter
Bereicherung des Darleihers gegenüber dem Dritten besteht deshalb nicht,
wenn sich das Vertragsverhältnis zwischen Darlehensnehmer und Drittem
als mangelhaft erweist (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Im Herbst 1985 fanden zwischen der H. AG und Werner R.
Verhandlungen über den Ankauf, die Instandstellung und den Wiederverkauf
eines bei einem Absturz beschädigten Helikopters statt. R. beabsichtigte,
den Helikopter einem Käufer zu vermitteln und sicherte sich dafür ein
als Option bezeichnetes Vorrecht, für dessen Einräumung die H. AG die
Zahlung von DM 100'000.-- verlangte.

    Da R. den Betrag nicht selbst erbringen konnte, wandte er sich an
Michael S., der seinerseits die mit ihm befreundete Ruth L. ersuchte,
ihm die Summe vorübergehend zur darlehensweisen Weitergabe an R. zur
Verfügung zu stellen. Frau L. willigte ein und überwies am 18. November
1985 DM 100'000.-- an die H. AG.

    Am 3. November 1988 klagte Ruth L. beim Handelsgericht des Kantons
Bern gegen die H. AG auf Zahlung von DM 100'000.-- nebst Zins. Mit Urteil
vom 11. Februar 1991 hiess das Handelsgericht die Klage im Umfang von
Fr. 83'353.30 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1988 gut. Zur Begründung wurde
ausgeführt, die Beklagte habe sich aufgrund vertraglicher Vereinbarung
verpflichtet, im Fall des Scheiterns der Verkaufsbemühungen von R. die
DM 100'000.-- an diesen zurückzuzahlen; mit der Klägerin seien dagegen
keine vertraglichen Bindungen eingegangen worden; sie könne jedoch einen
Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung in Höhe des eingeklagten
Betrages - umgerechnet in Schweizer Franken - geltend machen.

    Die Beklagte hat das Urteil des Handelsgerichts mit Berufung
angefochten, die vom Bundesgericht gutgeheissen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach den verbindlichen Feststellungen des Handelsgerichts (Art. 63
Abs. 2 OG) hatte keine der Prozessparteien den Willen, mit der anderen
in vertragliche Beziehungen zu treten.

    Fehlte somit auf beiden Seiten ein Verpflichtungswille, so kam es
auch nicht zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung, denn es gibt keinen
beidseitig unbewussten und ungewollten Vertragsschluss (MERZ, Vertrag
und Vertragsschluss, S. 95 Fn. 13). Das gilt auch für den irregulären
Hinterlegungsvertrag im Sinne von Art. 481 OR. Ein solcher Vertrag
setzt wie alle anderen Vertragsarten eine Willensübereinstimmung der
Vertragspartner voraus (HONSELL, Schweiz. Obligationenrecht, Besonderer
Teil, S. 258; TERCIER, La partie spéciale du Code des obligations,
S. 457 Rz. 3546). Die Vermutung von Art. 481 Abs. 2 OR bezieht sich
lediglich auf die Folgen des Vertragsschlusses, den Inhalt des Vertrages,
nicht aber auf den Vertragsschluss als solchen. Etwas anderes ergibt sich
entgegen der Behauptung der Klägerin auch nicht aus der von ihr zitierten
Literatur (BUCHER, Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Aufl., S. 280;
BÄRLOCHER, SPR, Bd. VII/1, S. 696 ff.; BECKER, N. 6 zu Art. 481 OR;
OSER/SCHÖNENBERGER, N. 5 zu Art. 481 OR).

    Im übrigen scheitert die Behauptung der Klägerin, sie habe mit
der Beklagten einen Hinterlegungsvertrag geschlossen, auch an weiteren
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz. Diese hält nämlich fest,
die Klägerin habe die DM 100'000.-- S. darlehensweise für ein Geschäft
mit R. im Zusammenhang mit der Fliegerei zur Verfügung gestellt und es mit
dieser Zweckbestimmung an die Beklagte überwiesen. Daraus ergibt sich, dass
die Klägerin das Geld der Beklagten nicht zur Verwahrung und Verwaltung
übergeben wollte, wie es für den Hinterlegungsvertrag kennzeichnend ist. Es
ist demnach davon auszugehen, dass die Klägerin keinen vertraglichen
Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte geltend machen kann.

Erwägung 3

    3.- Das Handelsgericht bejaht dagegen einen Anspruch der Klägerin
aus ungerechtfertigter Bereicherung mit der Begründung, der Rechtsgrund
für die Zahlung der DM 100'000.-- an die Beklagte sei mit dem unbenützten
Ablauf der Option entfallen; die Beklagte sei in der Höhe der überwiesenen
Summe bereichert, die Klägerin im gleichen Umfang entreichert; dieser
Sachzusammenhang genüge als Grundlage für eine direkte Forderung,
zumal die Beklagte eine Rückforderung des Geldes durch R. oder S. nicht
befürchten müsse, weil deren Ansprüche verjährt seien. Mit der Berufung
wird eingewendet, diese Auffassung verletze die gesetzlichen Regeln über
die ungerechtfertigte Bereicherung und stehe auch im Widerspruch zur
Rechtsprechung des Bundesgerichts.

    a) In BGE 116 II 691 E. 3b/aa hat sich das Bundesgericht zur
Rechtslage bei der Anweisung geäussert. Im Anweisungsverhältnis
entsteht der Bereicherungsanspruch im Fall, dass das Deckungs- oder
Valutaverhältnis fehlerhaft ist, unter den Personen, zwischen denen die
grundlose Zuwendung erfolgt ist. Gleiches gilt bei einem Doppelmangel,
wenn beide Leistungsverhältnisse fehlerhaft sind. Auch diesfalls besteht
in der Regel kein unmittelbarer Bereicherungsanspruch des Angewiesenen
gegen den Leistungsempfänger. Die Rückabwicklung ist vielmehr unter den
jeweils an einem der Leistungsverhältnisse Beteiligten vorzunehmen und
der Anweisende muss sich einen sogenannten Durchgangsverkehr anrechnen
lassen, wie wenn die Leistung zunächst seinem Vermögen zugeflossen
wäre. Ein unmittelbarer Bereicherungsanspruch des Angewiesenen gegen den
Leistungsempfänger ist damit grundsätzlich ausgeschlossen.

    Im zu beurteilenden Fall liegt keine Anweisung vor, denn aus den
Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich nicht, dass R. oder S. die
Beklagte ausdrücklich dazu ermächtigt hatten, die Zahlung von der Klägerin
zu verlangen. Ebensowenig ist eine entsprechende Verpflichtung der
Klägerin gegenüber der Beklagten festgestellt worden. Dagegen kann mit
der Vorinstanz von der Vereinbarung einer Zahlstelle ausgegangen werden
(vgl. dazu GAUTSCHI, N. 4e der Vorbemerkungen zu Art. 466 ff. OR). Wie im
folgenden gezeigt wird, besteht indessen kein sachlicher Grund, diesen
Sachverhalt bereicherungsrechtlich anders als ein Anweisungsverhältnis
zu beurteilen.

    b) Dass der hier gegebene Sachverhalt gleich zu beurteilen ist,
folgt zunächst aus dem Begriff der Leistungskondiktion. Wie beim
Anweisungsverhältnis hat im vorliegenden Fall eine einzige Güterbewegung -
die Überweisung des Geldes an die Beklagte - gleichzeitig zwei bzw. drei
Leistungen bewirkt. Die eine erfolgte zwischen R. und der Beklagten
und die andere zwischen der Klägerin und R. bzw. S. Die Güterbewegung
selbst, die Vermögensverschiebung von der Klägerin zur Beklagten
stellte dagegen keine Leistung im Rechtssinne, sondern als faktischer
Vorgang bloss eine Zuwendung dar (ESSER/WEYERS, Schuldrecht, Bd. II,
Besonderer Teil, 7. Auflage, S. 433). Diese Zuwendung beruhte gleich wie
bei einem Anweisungsverhältnis allein auf der von R. bzw. von S. der
Klägerin erteilten Ermächtigung, die Darlehenssumme an die Beklagte
zu zahlen. Sie hat ihren Rechtsgrund nicht in den Kausalverhältnissen,
die zwischen der Klägerin und S. oder R. sowie zwischen diesem und der
Beklagten bestanden. Das gilt gemäss Anweisungsrecht selbst dann, wenn
die Zuwendung aufgrund vorbehaltloser Annahme durch den Angewiesenen
erfolgt (Art. 468 Abs. 1 OR). Denn diesfalls wird eine neue, abstrakte
Schuld begründet (BGE 92 II 338 E. 3 mit Hinweisen). Die Verlagerung
des Bereicherungsanspruchs in das Einlösungsverhältnis hätte zudem
bei fehlerhaftem Valutaverhältnis oder beim Doppelmangel zur Folge,
dass der Angewiesene Einwendungen des Leistungsempfängers aus dessen
Rechtsbeziehungen zum Anweisenden oder aus Art. 64 OR ausgesetzt wäre,
mithin Risiken aus Rechtsverhältnissen, auf deren Gestaltung er keinen
Einfluss hatte (BGE 116 II 691 E. 3b/aa). Schliesslich entfiele bei
fehlerhaftem Deckungs- und gültigem Valutaverhältnis von vornherein eine
ungerechtfertigte Bereicherung des Leistungsempfängers. Es bestünde
deshalb kein Bereicherungsanspruch des Angewiesenen gegenüber dem
Leistungsempfänger (KELLER/SCHAUFELBERGER, Das Schweiz. Schuldrecht,
Bd. III, Ungerechtfertigte Bereicherung, 3. Aufl., S. 37).

    Eine abweichende Betrachtungsweise rechtfertigt sich dort, wo
die Zuwendung des Angewiesenen an den Anweisungsempfänger als solche
fehlerhaft ist. Denkbar ist etwa, dass sie auf einer missverstandenen
Anweisung beruht oder ihrerseits von der Gültigkeit eines oder beider
Kausalverhältnisse abhängig gemacht worden ist (VON TUHR/PETER,
Allg. Teil des Schweiz. Obligationenrecht, Bd. I, S. 478 Fn. 27a;
BGE 92 II 339 E. 5). Gleich verhält es sich, wenn eine in Wirklichkeit
nicht bestehende Forderung von einem Dritten in eigenem Namen bezahlt
worden ist. Der Bereicherungsanspruch gegenüber dem vermeintlichen
Gläubiger steht dann nicht dem vermeintlichen Schuldner, sondern dem
Dritten zu. Das folgt indessen daraus, dass der Dritte eine echte
Leistung im Rechtssinne erbracht und nicht bloss eine Zuwendung
vorgenommen hat (KELLER/SCHAUFELBERGER, aaO, S. 36/7; VON BÜREN,
Schweiz. Obligationenrecht Allg. Teil, S. 308). Ein solcher Sachverhalt
ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Allenfalls fehlerhaft ist
einzig das Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten und R. Fraglich ist
allerdings, ob R. gegenüber der Beklagten grundsätzlich einen Anspruch
aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäss Art. 62 Abs. 2 OR hätte geltend
machen können, wie das Handelsgericht annimmt. Es handelt sich wohl eher
um einen Rückforderungsanspruch auf vertraglicher Grundlage, wenn auf
die Feststellung im angefochtenen Urteil abgestellt wird, dass R. mit
der Beklagten für den Fall des Scheiterns seiner Verkaufsbemühungen
die Rückzahlung der DM 100'000.-- vereinbart hat. Die Frage braucht
aber nicht weiter erörtert zu werden, denn in diesem Verfahren ist sie
unerheblich. Von Bedeutung ist lediglich, dass eine Fehlerhaftigkeit
der übrigen Vertragsverhältnisse, d.h. jener zwischen der Klägerin
und S. sowie R., weder von den Prozessparteien behauptet noch von der
Vorinstanz festgestellt worden ist. Es bleibt deshalb dabei, dass eine
allfällige Leistungskondiktion aus dem Verhältnis zwischen der Beklagten
und R. ausschliesslich diesem und nicht der Klägerin zustände.

    c) Anders wäre zu entscheiden, wenn davon ausgegangen würde, dass
die Leistungskondiktion des Anweisenden einen konkurrierenden, anders
gearteten Bereicherungsanspruch des Angewiesenen nicht ausschliesst. Diese
zum Teil in der deutschen Lehre vertretene Auffassung (dazu LARENZ,
Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II, 12. Aufl., S. 535) ist auch in
der schweizerischen Literatur aufgegriffen worden. Zur Begründung
wird auf den weitgefassten Wortlaut von Art. 62 Abs. 1 OR und den das
Bereicherungsrecht beherrschenden Billigkeitsgedanken hingewiesen. Diese
Überlegungen sollen im Fall des Doppelmangels eine Durchgriffskondiktion
des Angewiesenen gegenüber dem Leistungsempfänger rechtfertigen (LEA
ROSEMARIE KAUFMANN-BÜTSCHLI, Grundlagenstudien zur ungerechtfertigten
Bereicherung in ihrer Ausgestaltung durch das schweizerische Recht,
Diss. Bern 1983, S. 265 ff.).

    Da im vorliegenden Fall kein Doppelmangel besteht, braucht nur kurz
zu dieser Auffassung Stellung genommen zu werden. Eine grundsätzliche
Auseinandersetzung erübrigt sich dagegen. Der weitgefasste Wortlaut
von Art. 62 Abs. 1 OR lässt sich zwar mit der von KAUFMANN-BÜTSCHLI
vertretenen Meinung vereinbaren. Diese hat aber den Nachteil, dass
sie dem Richter lediglich wenig konkrete und zudem auf den Einzelfall
ausgerichtete Beurteilungskriterien zur Verfügung zu stellen vermag,
da letztlich Billigkeitsüberlegungen dafür massgebend sein sollen,
ob eine Durchgriffskondiktion gewährt wird (KAUFMANN-BÜTSCHLI, aaO,
S. 274). Die hier vertretene Lösung hat demgegenüber den Vorteil,
einfach sowie praktikabel zu sein; sie gestattet es, jeden Einzelfall
aufgrund der gleichen Grundsätze zu beurteilen, und wird deshalb auch
der Rechtssicherheit besser gerecht.

    d) Das Handelsgericht will entscheidend darauf abstellen,
dass allein noch die Klägerin die Bereicherung von der Beklagten
herausverlangen könne, weil die bereicherungsrechtlichen Forderungen
von R. bzw. S. verjährt seien. Solche Billigkeitsüberlegungen, mit
denen stossende Ergebnisse vermieden werden sollen, sind zwar auch in
Urteilen des Bundesgerichts als für das Gebiet des Bereicherungsrechts
wegleitend bezeichnet worden (BGE 115 II 29, 70 II 122/3). Wie sich aber
aus der Praxis des Bundesgerichts insgesamt ergibt und in einzelnen
Entscheiden ausdrücklich hervorgehoben worden ist, gilt das nur dort,
wo die Rechtsordnung nicht anderweitigen Schutz gewährt oder wo sie keine
klare Regelung enthält (106 II 31 E. 3, 87 II 22/3, 70 II 122 unten). Daran
ist festzuhalten. In der Literatur wird denn auch zu Recht darauf
hingewiesen, dass der bereicherungsrechtliche Ausgleich ungerechtfertigter
Vermögensverschiebungen auf klar begrenzte Tatbestände beschränkt werden
muss, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Entreicherung des
Anspruchsberechtigten unmittelbar auf die Bereicherung eines anderen
zurückzuführen ist und die Vermögensverschiebung einer Rechtfertigung
entbehrt. Abzulehnen ist dagegen die Auffassung, das Bereicherungsrecht
diene im Sinne eines Notbehelfs dazu, allgemein unbillige rechtliche
Ergebnisse zu korrigieren (BUCHER, Schweiz. Obligationenrecht, Allgemeiner
Teil, 2. Aufl., S. 653). Das muss auch im vorliegenden Fall gelten. Was
das Handelsgericht zur Stützung seines Entscheides ausführt, ist deshalb
unhaltbar und verletzt Bundesrecht. Der Umstand, dass die Forderungen von
R. bzw. S. aus ungerechtfertigter Bereicherung gegenüber der Beklagten
verjährt sein sollen, vermag die Bejahung eines Anspruchs der Klägerin
aus Art. 62 OR nicht zu rechtfertigen. Die Nachteile, die aus der
Verjährung von Forderungen entstehen, können nicht auf dem Umweg über
das Bereicherungsrecht beseitigt werden (VON TUHR/PETER, aaO, S. 499;
BUCHER, aaO, S. 654).

    Aus diesen Gründen ist die Berufung gutzuheissen und die Klage
abzuweisen.