Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 35



117 II 35

9. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Februar 1991
i.S. Ziv gegen Erbengemeinschaft Wyssen und Mitbeteiligte (Berufung)
Regeste

    Notweg (Art. 694 ZGB).

    Wird die Wegnot im Sinne von Art. 694 ZGB mit der künftigen Nutzung
des Grundstücks, insbesondere seiner Überbauung, begründet, genügen blosse
Absichtserklärungen nicht, sondern muss die behauptete Nutzungsänderung
mit konkreten Projekten belegt werden. Dem Kläger obliegt auch die
Klärung der Frage, ob sich der beanspruchte Notweg mit den Vorstellungen
des Gemeinwesens über die verkehrsmässige Erschliessung des betroffenen
Gebietes deckt.

Sachverhalt

    A.- Benjamin Ziv ist Eigentümer des im Weiler Hegdorn, Gemeinde Naters,
gelegenen Grundstücks Nr. 2636. Die daran anschliessende Parzelle Nr. 7803
steht im Eigentum Adeline Schmids, während das Grundstück Nr. 7802,
welches durch die Parzelle Nr. 2614 vom Grundstück Nr. 7803 getrennt ist,
den Erben des Moritz Wyssen gehört. Südwestlich von Nr. 2636 befindet
sich das Grundstück Nr. 2630, welches wie die dazwischenliegende Parzelle
Nr. 2635 sowie die Parzelle Nr. 2613 im Eigentum des Alfred Nellen steht.

    Gemäss Kauf- und Parzellierungsvertrag vom 15. Oktober 1973 sind
aus dem alten Grundstück Nr. 2614 unter anderem die Parzellen Nrn. 7802
und 7803 gebildet worden. Gleichzeitig haben sich die Vertragsparteien
verpflichtet, die neugebildeten Parzellen zu gegebener Zeit mit einem
drei Meter breiten Durchgangs- und Durchfahrtsrecht zu belasten, wobei
die Wegführung später festgelegt und alle Parzellen möglichst gleichmässig
belastet werden sollten.

    Von all diesen Grundstücken liegt einzig das Benjamin Ziv gehörende
Grundstück Nr. 2636 an einer öffentlichen Strasse, wobei zu dessen Lasten
ein Durchgangsrecht zu Gunsten der Parzellen Nrn. 7802 und 7803 besteht.

    Nach dem Zonenplan der Gemeinde Naters befinden sich sämtliche
genannten Grundstücke in der Reservezone (RW2). Diese Zone wurde vor
Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes über die Raumplanung ausgeschieden
und anlässlich der 1982 erfolgten Teilrevision des Zonenplanes als solche
belassen.

    B.- Am 13. Dezember 1983 klagten Moritz Wyssen, Adeline Schmid und
Alfred Nellen gegen Benjamin Ziv beim Instruktionsgericht des Bezirks Brig
auf Einräumung eines Notwegrechts im Sinne von Art. 694 ZGB zu Gunsten der
Grundstücke Nrn. 2630, 2613, 7802 und 7803 sowie zu Lasten des Grundstücks
Nr. 2636. Nach dem Tod von Moritz Wyssen führten seine Erben, nämlich Urs,
Martin, Vreni und Maya Wyssen, den Prozess fort. Mit Urteil vom 18. Mai
1987 wurde die Klage vollumfänglich abgewiesen. Das Kantonsgericht des
Kantons Wallis hiess die dagegen erhobene Berufung am 12. April 1989 gut.

    C.- Mit Berufung an das Bundesgericht verlangt Benjamin Ziv die
Aufhebung dieses Urteils sowie die Feststellung, dass auf seinem Grundstück
Nr. 2636 kein Notwegrecht zu Gunsten der allesamt in Naters gelegenen
Parzellen Nrn. 2630, 7803, 7802 und 2613 laste.

    Die Erben des Moritz Wyssen sowie Adeline Schmid-Wyssen und Alfred
Nellen beantragen die Abweisung der Berufung, während das Kantonsgericht
auf Gegenbemerkungen verzichtet hat.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem
Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er nach Art. 694 Abs. 1
ZGB beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen
Notweg einräumen.

    Die Gewährung eines Notwegrechts wird angesichts des damit verbundenen
Eingriffs in die Eigentumsrechte des Nachbarn nach ständiger Rechtsprechung
von strengen Voraussetzungen abhängig gemacht. Erforderlich ist, dass
eine eigentliche Notlage geltend gemacht werden kann. Eine solche Wegnot
liegt dann vor, wenn einem Grundeigentümer die zur bestimmungsgemässen
Benutzung seines Grundstücks erforderliche Verbindung zur öffentlichen
Strasse überhaupt fehlt oder der vorhandene Weg sich als ungenügend erweist
(BGE 110 II 126; 105 II 180 E. 3b; LIVER, Das Eigentum, Schweizerisches
Privatrecht, Bd. V/1, Basel 1977, S. 266; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar,
Bd. IV/1/3, 3. A. 1975, N 44 ff. zu Art. 694; STEINAUER, Les droits réels,
Bd. II, Bern 1990, Rz. 1863 f., S. 150/151).

    Wenn es um die verkehrsmässige Erschliessung von neu zu überbauendem
Land geht, kann ein Notwegrecht mitunter Voraussetzung dafür sein,
dass eine Baubewilligung erteilt wird. Das gilt namentlich dann, wenn
die Baubehörden von der Bereinigung der Zufahrtswege die Erteilung
einer Baubewilligung abhängig machen, die Nachbarn aber zur Einräumung
vertraglicher Dienstbarkeiten nicht Hand bieten. Fehlt es jedoch aus
öffentlich-rechtlichen Gründen zum vornherein an der Überbaubarkeit auf
Jahre hinaus und damit an der Möglichkeit, das Grundstück in absehbarer
Zeit anders als bisher zu nutzen, besteht zur Annahme einer Wegnot
kein Anlass. Öffentlich-rechtliche Vorschriften gehen in solchen Fällen
einem zivilrechtlichen Anspruch auf Einräumung eines Notwegs vor bzw.
sie lassen einen solchen Anspruch geradezu als gegenstandslos erscheinen
(BGE 110 II 126 f., mit Hinweisen).

    Die Einräumung eines Notwegrechts kann somit dann erwogen werden,
wenn die Grundstücke der Kläger Bauland wären und die Erteilung einer
Baubewilligung nur mehr an der fehlenden verkehrsmässigen Erschliessung
scheiterte. Indessen ist darauf zu verweisen, dass das kantonale oder
kommunale öffentliche Recht an das Genügen eines Weges bisweilen strengere
Anforderungen stellt, zu deren Erfüllung ein Notweg im Sinne von Art. 694
ZGB nicht mehr beansprucht werden kann (vgl. BGE 110 II 19; 105 II 181,
je mit Hinweisen, sowie den unveröffentlichten Entscheid der erkennenden
Abteilung vom 28. November 1985 i.S. A. c. A.). Auf der anderen Seite
muss die Gewährung des Notwegrechts nicht bereits deshalb ausser Betracht
fallen, weil die Wegnot in solchen Fällen nicht mit der gegenwärtigen,
sondern mit einer künftigen Nutzung der Grundstücke begründet wird
(vgl. BGE 93 II 170 E. 3; 85 II 397). Erforderlich bleibt jedoch,
dass die von den Grundeigentümern beabsichtigte Nutzungsänderung oder
-intensivierung mit Sicherheit zu erwarten ist. Die geltend gemachte
Überbauung muss somit auf hinreichend konkreten Grundlagen beruhen und kann
nicht nur mit blossen Absichtserklärungen der Grundeigentümer begründet
werden (vgl. KARIN CARONI-RUDOLF, Der Notweg, Berner Diss. 1969, S.
72 f.).

Erwägung 3

    3.- Das Kantonsgericht ist davon ausgegangen, dass die betroffenen
Grundstücke als innerhalb einer Ortschaft gelegenes Wohngebiet
betrachtet werden müssten. In der Folge hat es sich mit der Frage der
Zulässigkeit einer baulichen Nutzung dieses Landes befasst. Dabei ist die
Vorinstanz in Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des RPG (SR 700)
und des kantonalen Gesetzes zur Ausführung des RPG vom 23. Januar 1987
(KRPG) zunächst zur Auffassung gelangt, dass die einer altrechtlichen
Reservezone zugeordneten Grundstücke der Kläger nicht als Bauland
gelten könnten. Als entscheidend hat sie dann jedoch erachtet, dass dem
Reservegebiet von Hegdorn offenbar sowohl von der kommunalen als auch
von der kantonalen Baubewilligungsbehörde gleichwohl Baulandeigenschaft
zuerkannt werde. Dies ergebe sich zum einen aus der Tatsache, dass auf
der dem Beklagten gehörenden Parzelle Nr. 2636 die Erstellung von zwei
Doppel-Einfamilienhäusern bewilligt worden sei. Zum andern sei das
kommunale Baureglement zu beachten, wonach auch in der Reservezone
W2 grundsätzlich Anspruch auf Erteilung der Baubewilligung bestehe,
sofern die Erschliessung durch die Grundeigentümer erfolge und den
Plänen der Gemeinde entspreche. Mit Bezug auf die Erschliessung hat das
Kantonsgericht endlich erkannt, dass die Bewilligung einer Überbauung der
fraglichen Grundstücke an der fehlenden Zufahrt scheitern müsse, während
die übrigen Voraussetzungen im Rahmen der gegenwärtigen Teilrevision des
Zonenplans in absehbarer Zeit geschaffen werden könnten.

Erwägung 4

    4.- Der Beklagte wirft dem Kantonsgericht der Sache nach vor, die
bestimmungsgemässe Benutzung der den Klägern gehörenden Grundstücke zu
Unrecht in deren Überbaubarkeit erblickt zu haben. Die Voraussetzungen
hiefür seien in raumplanerischer Hinsicht nicht gegeben, weshalb die
bauliche Nutzung bei der Beurteilung einer Wegnot unbeachtlich bleiben
müsse.

    a) Bevor auf die vom Beklagten zu Recht aufgeworfene Frage der
grundsätzlichen Überbaubarkeit der im Weiler Hegdorn gelegenen Parzellen
eingegangen wird, ist darauf zu verweisen, dass sich die Kläger während
des kantonalen Verfahrens auffallenderweise nie auf konkrete Bauabsichten
berufen oder sich gar über Bemühungen zur Erteilung einer Baubewilligung
ausgewiesen haben. Jedenfalls hat das Kantonsgericht in diesem Zusammenhang
keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Dass das Notwegrecht im
Hinblick auf eine Überbauung der ansprechenden Grundstücke erstritten
werden soll, liegt zwar auf der Hand und ist während des bisherigen
Prozessverlaufs wenigstens am Rande auch erwähnt worden. Damit kann es
jedoch nicht sein Bewenden haben. Wird das Notwegrecht hinsichtlich
einer Änderung der bisherigen Bodennutzung geltend gemacht, lässt
sich die Annahme einer Wegnot, wie bereits erwähnt worden ist, nur bei
Vorliegen greifbarer Projekte, nicht aber bei unbestimmten Absichten oder
blossen Spekulationen begründen (CARONI-RUDOLF, aaO, S. 73). Die Kläger
hätten sich demnach zur Untermauerung des erhobenen Anspruchs sowohl in
sachlicher wie in zeitlicher Hinsicht auch zu ihren Bauabsichten und die
zu deren Umsetzung bereits getroffenen Vorkehren äussern müssen. Fehlt
es an diesen Angaben oder liegen bloss vage Absichtserklärungen vor,
muss davon ausgegangen werden, dass nichts auf eine absehbare bauliche
Nutzung der ansprechenden Grundstücke hindeutet.

    b) Im gleichen Zusammenhang verdient sodann der Umstand erwähnt
zu werden, dass über die verkehrsmässige Erschliessung der fraglichen
Grundstücke, wie sie vom öffentlichen Recht für deren Überbauung zwingend
verlangt wird (Art. 19, 22 Abs. 2 lit. b RPG; Art. 4 f. des Wohnbau- und
Eigentumsförderungsgesetzes vom 4. Oktober 1974, WEG, SR 843), Unklarheit
besteht. Dass das betreffende Land im Hinblick auf seine bauliche Nutzung
vorerst noch erschlossen werden muss, steht ausser Frage. Ob dafür ein
Notweg im Sinne des Zivilrechts überhaupt zu genügen vermöchte, ist
freilich in jeder Hinsicht offen. Unter Berufung auf ein bei den Akten
liegendes Gutachten hält die Vorinstanz zwar fest, dass der Erteilung einer
Baubewilligung nach Einräumung eines Notwegrechts nichts entgegenstünde.
Das lässt darauf schliessen, dass das einschlägige öffentliche Recht
bezüglich hinreichender Zufahrt wenigstens keine strengeren Anforderungen
zu stellen scheint. Ungeklärt ist jedoch die wesentliche Frage, ob
sich der von den Klägern verlangte Notweg mit den alleine massgebenden
Vorstellungen des Gemeinwesens über die verkehrsmässige Erschliessung des
betroffenen Gebietes deckt. Das angefochtene Urteil enthält gar Hinweise,
die eher Gegenteiliges vermuten lassen. Immerhin wäre genauso denkbar,
dass sich diese Erschliessung mit einer Landumlegung erheblich erleichtern
liesse (CARONI-RUDOLF, aaO, S. 51). Bereits LIVER hat darauf verwiesen,
dass es im Gefolge planmässiger Erschliessung nicht mehr zu Situationen
kommen sollte, die mittels Einräumung eines Notwegs zu bereinigen wären
(aaO, S. 268). Wie dem auch sei: fest steht jedenfalls, dass für die
nach den Plänen der Kläger erfolgende private Erschliessung, wie sie dem
Kantonsgericht vorzuschweben scheint, eine gemäss Art. 19 Abs. 3 RPG
erforderliche behördliche Genehmigung nicht vorliegt (vgl. zu diesem
Erfordernis EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, Bern 1981, N 44 zu Art. 19,
S. 258; vgl. BGE 110 Ia 54 E. 4c; vgl. auch Art. 15 KRPG und dazu das
Bulletin des séances du Grand Conseil du Canton du Valais, Session prorogée
de novembre 1986 (1re partie janvier 1987), S. 149). Damit haben die Kläger
offensichtlich den falschen Weg beschritten; den Zivilrichter anzurufen,
bevor die Absichten des Gemeinwesens und die dem Notweganspruch vorgehenden
Möglichkeiten des öffentlichen Rechts geklärt sind, muss sich unter den
gegebenen Umständen als verfehlt erweisen.

    c) Es ergibt sich somit, dass die Kläger ihre Bauabsichten nicht
näher belegt und sich überdies nicht um eine Klärung der Vorstellungen
des Gemeinwesens über die Erschliessung des fraglichen Gebietes
bemüht haben. Selbst wenn somit davon auszugehen wäre, dass das Land
der Kläger Baulandeigenschaft aufwiese - worauf allerdings zumindest
gemäss gegenwärtiger Einteilung in eine Reservezone nicht zu schliessen
ist (vgl. BGE 114 Ib 304; 112 Ib 392 E. 4d) -, kann nicht von einer
Überbauung in absehbarer Zeit ausgegangen werden. Dass die bisherige
bestimmungsgemässe Nutzung nach einem Notweg verlangen würde, weil der
vorhandene Zugang entlang der Nordwestgrenze des dem Beklagten gehörenden
Grundstücks ungenügend sei, wird nicht behauptet. Unter diesen Umständen
fehlt es in jeder Hinsicht an einem aktuellen Interesse an der Einräumung
eines Notwegrechts, so dass die Berufung gutzuheissen und die Klage
abzuweisen ist.