Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 282



117 II 282

54. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Mai 1991
i.S. Dr. X. gegen A. F.-G., C. G. und E. G. (Berufung) Regeste

    Art. 394 Abs. 3 OR; Angemessenheit eines Honorars.

    1. Leistungen eines Anwalts, die nicht in einem gerichtlichen Verfahren
erbracht werden, sind mangels Honorarvereinbarung nicht aufgrund des
kantonalen Rechts über die Anwaltsgebühren, sondern nach Art. 394 Abs. 3
OR zu vergüten (E. 4a).

    2. Ist ein nach allgemeinen Grundsätzen bemessenes Honorar auch im
Vergleich mit dem Verbandstarif angemessen (E. 4c), kann offenbleiben,
inwieweit dieser im Rahmen von Art. 394 Abs. 3 OR überhaupt als
regelbildende Übung in Betracht kommt (E. 4b).

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1987 beauftragten A. F.-G., C. G. und E. G.  Rechtsanwalt
Dr. X. mit der Wahrung ihrer Interessen in einer erbrechtlichen
Auseinandersetzung um den Nachlass ihres Vaters. Im Mai 1988 entzogen sie
ihm das Mandat. In der Folge forderte Dr. X. für seine Bemühungen ein
Honorar von Fr. 62'000.-- zuzüglich der Vergütung der Barauslagen. Die
Auftraggeber anerkannten und bezahlten Fr. 18'750.-- nebst den Barauslagen.

    Mit Klage vom 17. Januar 1989 machte Dr. X. die von den Auftraggebern
nicht bezahlten Fr. 43'250.-- nebst Zins geltend.

    Das Bezirksgericht Unterrheintal hiess das Begehren mit Urteil vom
12. Juli 1989 im Umfange von Fr. 15'000.-- nebst Zins gut. Auf Berufung
des Klägers und Anschlussberufung der Beklagten wies demgegenüber das
Kantonsgericht St. Gallen die Klage am 26. April 1990 vollumfänglich ab.

    Der Kläger hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung
eingereicht, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Das Kantonsgericht qualifiziert die Rechtsbeziehungen der Parteien
unwidersprochen als entgeltlichen Auftrag. Mangels Honorarvereinbarung
bestimmt es die dem Anwalt geschuldete Vergütung nach Massgabe von
Art. 394 Abs. 3 OR, wobei es die "aussergerichtliche Honorarordnung des
st. gallischen Anwaltsverbandes" nicht als Ausdruck einer dispositiven
Übung wertet, sie aber dennoch als Referenz beizieht. Der Kläger hält
die Honorarbemessung für bundesrechtswidrig.

    a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann das kantonale
Recht bestimmen, welche Vergütung der Auftraggeber dem Anwalt für die
Prozessführung vor den Gerichten des Kantons schuldet (BGE 66 I 56;
vgl. auch 114 Ia 34). Soweit die Leistungen des Anwalts dagegen nicht in
einem gerichtlichen Verfahren erbracht werden, sind sie nicht aufgrund des
kantonalen Rechts über die Anwaltsgebühren, sondern nach Art. 394 Abs. 3
OR zu vergüten. Mangels Honorarvereinbarung steht dabei dem Anwalt zu,
was "üblich" ist.

    Ob das vom Anwalt für aussergerichtliche Bemühungen geforderte
Honorar sich mit der Rechtsordnung verträgt, ist im wesentlichen eine
Tat- und Ermessensfrage. Das Bundesgericht darf daher das angefochtene
Urteil bloss daraufhin überprüfen, ob es von unrichtigen rechtlichen
Voraussetzungen ausgeht, Erfahrungssätzen widerspricht oder aus dem
Rahmen des Ermessens fällt, das dem Richter nach Art. 394 Abs. 3 OR
zusteht. Das hängt insbesondere davon ab, ob die Vorinstanz das Honorar
nach zulässigen Gesichtspunkten ermittelt und berechnet oder ob sie
dabei auch auf Grundlagen abgestellt hat, die ihrer Natur nach nicht
berücksichtigt werden dürfen (BGE 101 II 111).

    b) Dass die Übung (Verkehrssitte) gegebenenfalls nicht nur den
Grundsatz, sondern auch das Mass des Vergütungsanspruchs des Beauftragten
bestimme, ist allerdings in der Literatur nicht unbestritten (Nachweise bei
WEBER, Praxis zum Auftragsrecht und zu den besonderen Auftragsarten, S. 70
Ziff. 5; vgl. auch TERCIER, La partie spéciale du Code des obligations,
S. 396 Rz. 3075). Ebenso ist streitig, wie weit einseitige Verbandstarife
das für die Anerkennung als Verkehrssitte erforderliche Mass an Üblichkeit
zu erfüllen vermögen (KRAMER, N. 244 zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, N. 403
zu Art. 18 OR; GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht,
7. Aufl., S. 460; TERCIER, aaO, Rz. 3076; WEBER, aaO). Das Bundesgericht
hat in einem unveröffentlichten Entscheid unter Hinweis auf die Zürcher
Praxis (ZR 53 Nr. 172 und 55 Nr. 177) die vom Verein Zürcherischer
Rechtsanwälte erlassene Gebührenordnung als Bemessungsgrundlage des
Honorars anerkannt, allerdings gleichzeitig darauf hingewiesen, dass beide
Parteien sich ebenfalls darauf berufen und damit die Ordnung als massgebend
anerkannt hätten (Urteil vom 21. April 1958 i.S. R. c. W., E. 2). Es
hat diesen Tarif auch in einem späteren Entscheid als Ausdruck der Übung
gewertet, die Anwendung aber auf freiberufliche Anwälte beschränkt (BGE
101 II 112 E. 3). Demgegenüber anerkennt das Bundesgericht beispielsweise
die Normen des SIA nicht als regelbildende Übung und stellt darauf bloss
ab, wenn die Parteien sie zum Vertragsinhalt erhoben haben (BGE 107 II
178). Die Praxis der Kantone ist uneinheitlich (WEBER, aaO; JÄGGI/GAUCH,
N. 403 zu Art. 18 OR).

    Eine einlässliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen kann im
vorliegenden Fall unterbleiben, da - wie nachstehend aufzuzeigen sein
wird - das Kantonsgericht den Honoraranspruch des Klägers durchaus
bundesrechtskonform bestimmt und im Rahmen seiner Gesamtbeurteilung die
zugesprochene Vergütung insbesondere auch nach dem Verbandstarif als
angemessen erachtet hat.

    c) Das Kantonsgericht hat das Honorar des Klägers nach allgemeinen
Grundsätzen festgesetzt. Dazu gehört nach der Rechtsprechung, dass die
Vergütung den geleisteten Diensten entsprechen, ihnen objektiv angemessen
sein muss. Nach welchen Gesichtspunkten sie im übrigen zu ermitteln ist
und was bei ihrer Bemessung berücksichtigt werden darf, entscheidet sich
nach den Umständen des Einzelfalles, namentlich nach der Art und Dauer des
Auftrages, der übernommenen Verantwortung sowie der beruflichen Tätigkeit
und Stellung des Beauftragten (BGE 101 II 111 E. 2). Von diesen Grundsätzen
hat sich auch die Vorinstanz leiten lassen.

    Das Kantonsgericht hat einen objektiv gerechtfertigten Aufwand
des Klägers von 93 Arbeitsstunden ermittelt. Diese Feststellung ist
tatsächlicher Natur und für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2
OG). Nicht zu beanstanden ist sodann die Auffassung, für einen objektiv
nicht gerechtfertigten Mehraufwand stehe dem Kläger kein Vergütungsanspruch
zu. Das folgt bereits aus dem bei fehlender Honorarvereinbarung ebenfalls
beachtlichen, aus den Gesamtumständen und der allgemeinen Lebenserfahrung
zu ermittelnden hypothetischen Parteiwillen (DERENDINGER, Die Nicht-
und die nichtrichtige Erfüllung des einfachen Auftrages, 2. Aufl.,
S, 197 Rz. 424). Sodann hat die Vorinstanz ein Stundenhonorar von
Fr. 200.-- als angemessen erachtet. Darin liegt nach dem Gesagten eine
Ermessensbetätigung, die vom Bundesgericht nur zurückhaltend und namentlich
darauf überprüft wird, ob die Vorinstanz grundlos von den in Lehre und
Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abgegangen ist oder Tatsachen
berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen oder umgekehrt
Umstände ausser Betracht gelassen hat, die zwingend hätten beachtet werden
müssen (BGE 116 II 149 E. 6a mit Hinweis). Davon kann im vorliegenden
Fall keine Rede sein. Das Kantonsgericht hat das Honorar des Klägers in
erster Linie nach dem wirtschaftlichen Interesse der Auftraggeber sowie
dem Ergebnis der Bemühungen bemessen und überdies den Stundenansatz an
objektive Vergleichswerte angeglichen. Dieses Vorgehen erscheint in jeder
Hinsicht als sachgerecht und bundesrechtskonform.

    Bei den Vergleichswerten hat das Kantonsgericht namentlich auch die
aussergerichtliche Honorarordnung des st. gallischen Anwaltsverbandes
berücksichtigt und festgestellt, der veranschlagte Stundenansatz liege
in deren Rahmen. Soweit der Kläger dagegen einwendet, die Vorinstanz
habe diesen Tarif unrichtig angewendet und sei insbesondere von einem
unrichtigen Interessenwert ausgegangen, ist er nicht zu hören; seine Rügen
betreffen den Inhalt einer beanspruchten Verkehrssitte und damit Tatfragen,
die vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht zu überprüfen sind (BGE
86 II 257). Anders verhielte es sich bloss, wenn die Parteien die Übung
zum Inhalt des Vertrages erhoben hätten und sie daher als Hilfsmittel
für die normative Auslegung ihrer Willenserklärungen in Betracht käme
(BGE 90 II 101, 86 II 257). Dies trifft jedoch nach den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz auf den vorliegenden Fall nicht zu.

    Stellt das Kantonsgericht aber für das Bundesgericht verbindlich fest,
das von ihm nach allgemeinen Grundsätzen bestimmte Honorar entspreche
ebenfalls dem massgebenden Verbandstarif, kann die Frage offenbleiben,
inwieweit dieser im Rahmen von Art. 394 Abs. 3 OR überhaupt als
Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist (lit. b hievor).