Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 246



117 II 246

48. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Oktober 1991
i.S. C. gegen G. (Berufung) Regeste

    Art. 505 Abs. 1 ZGB; Form der eigenhändigen letztwilligen Verfügung.

    Eine vollständige Datumsangabe bildet nach wie vor
Gültigkeitserfordernis der eigenhändigen letztwilligen Verfügung. Fehlt
in einem Testament jeglicher Hinweis auf das Errichtungsjahr, führt dies
daher zur Ungültigerklärung der eigenhändigen letztwilligen Verfügung
wegen Formmangels.

Sachverhalt

    A.- Der im Alter von nicht ganz 92 Jahren verstorbene Caspar
C. hinterliess als gesetzliche Erben einen Bruder sowie eine Anzahl Nichten
und Neffen, die an die Stelle vorverstorbener Geschwister getreten waren.

    In seiner eigenhändigen letztwilligen Verfügung hatte der Erblasser
auf sein Ableben hin folgende Anordnungen getroffen: "Meine dannzumal
noch lebenden Geschwister setze ich auf den gesetzlichen Pflichtteil. Der
übrige Nachlass vermache ich an Herrn G., der auch meinen Grabunterhalt
besorgt. Für den Grabunterhalt sowie für den Grabstein werde ich ein
separates Sparheft anlegen, damit diese Kosten aus diesem Sparheft
bestritten werden können. Das Sparheft wird auf dem Gemeindeamt
W. deponiert."

    Die letztwillige Verfügung enthielt vor der Unterschrift folgende
Datierung: "Azmoos, den 18. Oktober". Das Jahr der Testamentserrichtung
war nicht aufgeführt und ergab sich auch sonst nicht aus der letztwilligen
Verfügung oder dem Briefumschlag, worin diese beim Gemeindeamt deponiert
worden war.

    B.- Insgesamt 12 der gesetzlichen Erben von Caspar C. reichten beim
Bezirksgericht eine Rechtsschrift ein, womit sie Klage auf Ungültigkeit
der letztwilligen Verfügung erhoben. Das Bezirksgericht wies die Klage
ab, und in gleicher Weise entschied das Kantonsgericht, an welches sieben
der ursprünglichen Kläger die Streitsache weitergezogen hatten.

    Demgegenüber hiess das Bundesgericht die Berufung gut, erklärte
in Gutheissung der Klage die eigenhändige letztwillige Verfügung als
ungültig und stellte fest, dass in bezug auf die (verbleibenden zwei)
Berufungskläger die gesetzliche Erbfolge gelte.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Das Kantonsgericht St. Gallen ist im angefochtenen Urteil von
der Praxisänderung ausgegangen, die das Bundesgericht in seiner jüngsten
Rechtsprechung bezüglich der Formgültigkeit eigenhändiger letztwilliger
Verfügungen mit inhaltlich falschen Angaben des Errichtungsdatums
vorgenommen hat (BGE 116 II 117 ff.). Es hat geprüft, ob die vom
Bundesgericht für die unrichtige Datumsangabe entwickelten Grundsätze
auch bei einer unvollständigen Datierung, wie sie im vorliegenden Fall
zu beurteilen ist, Anwendung finden könnten. Das Bundesgericht hatte im
zitierten Entscheid ausgeführt, solange die geltende gesetzliche Ordnung
unverändert in Kraft stehe, müsse an einem den rein formellen Anforderungen
genügenden Datum festgehalten werden, zumal sich ein Abweichen vom klaren
Wortlaut des Art. 505 Abs. 1 ZGB nicht geradezu aufdränge; wie es sich
damit verhalte, könne offenbleiben, da die zu beurteilende Zeitangabe
wenigstens in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden sei (BGE 116 II
128 f. E. 7c).

    Das Kantonsgericht ist zum Schluss gelangt, es sei nicht einzusehen,
weshalb eine Datumsangabe ohne Jahreszahl anders zu behandeln wäre
als eine offensichtlich unrichtige Datierung. Eine unterschiedliche
Beurteilung der beiden Fallkonstellationen würde zum unbilligen und
durch nichts zu rechtfertigenden Ergebnis führen, dass ein Testament
mit einem noch so unsinnigen, aber formell vollständigen Datum durch
Auslegung berichtigt werden könnte und gültig bliebe, währenddem dies
bei einer unvollständigen Datierung ausgeschlossen wäre. Testamente
ohne jene Datumsangabe würden zwar mit gutem Grund von der Möglichkeit
der Berichtigung ausgenommen, weil die Zulassung des Datumsnachweises
durch ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Umstände keine Auslegung
mehr wäre, sondern eine unzulässige Ergänzung des Testaments. Wo aber,
wie hier, ein Datum mindestens ansatzweise vorhanden sei, rechtfertige
sich die Vermutung, dass der Erblasser die gesetzliche Form habe erfüllen
wollen und die vollständige Datierung aus Versehen unterlassen worden sei.

    Voraussetzung für die Gültigkeit eines unvollständig datierten
Testaments sei ebenso wie beim unrichtig datierten, dass entweder das
vollständige Datum auf dem Wege der Auslegung erstellt werden könne
oder dass der Vollständigkeit des Datums unter dem Gesichtspunkt der
verschiedenen Schutzzwecke des Art. 505 Abs. 1 ZGB keinerlei Bedeutung
zukomme. Auf die Vollständigkeit des Datums komme es nur dann an, wenn
zweifelhaft sei, ob der Erblasser vor übereilten Entschlüssen hinreichend
geschützt gewesen sei, wenn mehrere einander widersprechende Testamente
vorlägen, wenn die Verfügungsfähigkeit des Erblassers in Frage stehe
oder wenn nicht klar sei, ob es sich bei dem zu beurteilenden Testament
lediglich um einen Entwurf oder um eine endgültige Verfügung handle. Hier
spiele keiner dieser Schutzzwecke eine Rolle. Den Klägern sei somit der
Nachweis nicht gelungen, dass die Vollständigkeit der Datierung hier
in irgendeiner Hinsicht von Bedeutung sei. Aber selbst wenn es auf das
Errichtungsjahr überhaupt ankäme, sei der Nachweis, dass das Testament
im Jahr 1980 verfasst worden sei, aufgrund des Beweisverfahrens als
erbracht anzusehen.

    Die Berufungskläger machen demgegenüber geltend, der Entscheid der
Vorinstanz weiche vom klaren Wortlaut des Gesetzes ab und trage dem Umstand
nicht Rechnung, dass es sich bei den Formvorschriften in Art. 505 Abs. 1
ZGB um Gültigkeitserfordernisse handle.

    b) Das Bundesgericht hat, wie bereits erwähnt, auch in seinem
Entscheid vom 22. März 1990 betreffend die inhaltlich unrichtige Datierung
eines Testaments an seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten,
wonach formell ein vollständiges Datum vorliegen müsse, ansonst das
Testament wegen Formmangels angefochten werden könne (BGE 116 II 128
f. E. 7c). Es ist dieser Rechtsprechung auch kürzlich noch gefolgt,
indem es ein eigenhändiges Testament, das keine (selbständige) Angabe
des Errichtungsortes enthielt, wegen Formmangels als ungültig erklärte
(BGE 117 II 242 E. 3d-f).

    Die Auffassung des Bundesgerichts entspricht denn auch der herrschenden
Lehre (PIOTET, Erbrecht, in: Schweizerisches Privatrecht IV/1, S. 236 f.;
Kommentar ESCHER, N. 16 ff. zu Art. 505 ZGB, insbesondere N. 26; Kommentar
TUOR, N. 15 ff. zu Art. 505 ZGB, insbesondere N. 22; WALTHER BURCKHARDT,
Über die Form des eigenhändigen Testamentes, ZBJV (72/1936, S. 381 ff.;
PICENONI, Die Auslegung von Testament und Erbvertrag, Zürich 1955, S. 36
ff.; BREITSCHMID, Formvorschriften im Testamentsrecht, Zürcher Diss. 1982,
Nrn. 439 ff., insbesondere Nrn. 451 und 452); REY, Aspekte richterlicher
Rechtsfortbildung im Erbrecht, in: recht 2/1984, S. 86 f.).

    BREITSCHMID kritisiert allerdings die herrschende Auffassung als zu eng
und meint, auch eine unvollständige, aber wenigstens im Ansatz vorhandene
Datierung müsse nicht zwangsläufig zur Ungültigkeit des Testaments
führen, wenn sie versehentlich geschehen sei und "entweder aus Externa
berichtigt werden" könne "oder sich die Berichtigung mangels Relevanz des
Datums überhaupt erübrigt" (BREITSCHMID, Testament und Erbvertrag, in:
St. Galler Studien zum Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht, Band 26,
1991, S. 48 f.; vgl. auch die oben zitierte Dissertation desselben Autors,
Nrn. 453 ff.). Diese Meinung hat sich das Kantonsgericht St. Gallen zu
eigen gemacht. Nach seiner Auffassung ist es unbillig und durch nichts
zu rechtfertigen, wenn ein inhaltlich unrichtiges, aber vollständiges
Datum im Sinne der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht mehr
unbedingt zur Ungültigkeit des Testaments führe, das gleiche aber im
Falle einer unvollständigen Datierung nicht gelten sollte.

    c) Damit wird jedoch dem wichtigen Unterschied zwischen dem
Erfordernis der vollständigen Datierung einerseits und der Frage nach deren
inhaltlicher Richtigkeit anderseits, auf die bereits WALTHER BURCKHARDT
hingewiesen hat, nicht Rechnung getragen. Ob die Angabe von Ort, Jahr,
Monat und Tag, wie sie Art. 505 Abs. 1 ZGB verlangt, richtig sei, ist
genau besehen keine Frage der Form, sondern eine solche des Inhalts,
während das Erfordernis der Vollständigkeit der vom Gesetz vorgeschriebenen
Datumsangaben eine reine Formvorschrift bleibt (BURCKHARDT, aaO, S. 386
ff., insbesondere S. 389). Die vom Bundesgericht vollzogene Praxisänderung
in der Frage der inhaltlichen Richtigkeit der in einer letztwilligen
Verfügung enthaltenen Datierung muss somit unter dem Gesichtspunkt der
Logik keineswegs dazu führen, auch unvollständig datierte Verfügungen
als gültig zu betrachten.

    d) Obgleich auf der inhaltlichen Richtigkeit des Datums nicht mehr
unter allen Umständen beharrt wird, erscheint es gerechtfertigt und
sinnvoll, an der vollständigen Angabe von Ort, Jahr, Monat und Tag als
Gültigkeitserfordernis der letztwilligen Verfügung festzuhalten. Ebenso
wie die Eigenhändigkeit der Schrift bilden die vom Gesetz geforderten
Angaben über Ort und Zeit der Errichtung Formvorschriften, deren Zweck
vor allem darin besteht, dem Testierenden die Ernsthaftigkeit seiner
Verfügung bewusst zu machen.

    Zudem kann im allgemeinen verhältnismässig leicht festgestellt
werden, ob eine eigenhändige letztwillige Verfügung diesen formellen
Anforderungen genügt. Liesse man die Ergänzung einer unvollständigen
Datierung aufgrund von ausserhalb der Urkunde liegenden Umständen zu,
so würde man die durch Formvorschriften gewährleistete Rechtssicherheit
und damit auch den Sinn der im Gesetz enthaltenen Datierungsvorschriften
in Frage stellen. So wäre zum Beispiel unklar, wann ein genügender Ansatz
einer Datierung vorläge, wie ihn auch BREITSCHMID und die Vorinstanz noch
verlangen, wenn sie die Ergänzung der Datumsangabe eines Testaments für
möglich halten. Es müssten auf dem Wege der Rechtsprechung Regeln hierüber
entwickelt werden, da Art. 505 Abs. 1 ZGB ausdrücklich die Angabe von Ort,
Jahr, Monat und Tag der Errichtung verlangt. Die Aufstellung solcher über
den klaren Gesetzeswortlaut hinausgehender Regeln würde aber den Rahmen
blosser Auslegung, wie sie dem Richter zusteht, sprengen und damit in
die Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers eingreifen.

Erwägung 4

    4.- Kann es die Rechtsprechung aus den dargelegten Gründen nicht
zulassen, dass die unvollständige Datierung in gleicher Weise wie die
inhaltlich unrichtige Datierung unter bestimmten Umständen ohne Einfluss
auf die Gültigkeit einer eigenhändigen letztwilligen Verfügung bleibt,
so muss das angefochtene Urteil aufgehoben und die Ungültigkeitsklage
der Berufungskläger gutgeheissen werden.

    Dass damit der letzte Wille des Erblassers keinen Schutz findet, ist
wie in den übrigen Fällen von Formmängeln zu bedauern. Es handelt sich
dabei aber um die unvermeidliche Folge der Verletzung einer Formvorschrift,
die vom Richter so lange angewendet werden muss, als sie vom Gesetzgeber
nicht aufgehoben oder geändert wird. Die Geltendmachung des Formmangels
wird nicht dadurch schon rechtsmissbräuchlich, dass die Berufungskläger -
wie in der Berufungsantwort geltend gemacht wird - finanzielle Interessen
verfolgen. Das Gesetz lässt Ungültigkeitsklagen auch dann zu, wenn sie
aus rein wirtschaftlichen Gründen angehoben werden; dies liegt sozusagen
in der Natur solcher Klagen.