Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 163



117 II 163

35. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. März 1991
i.S. C. SA in Liquidation gegen H. (Berufung) Regeste

    Art. 741 Abs. 1 OR; Abberufung von Liquidatoren einer
Aktiengesellschaft durch den Richter.

    1. Beim Verfahren auf Abberufung von Liquidatoren, deren Mandat auf
Gesetz, Statuten, Gesellschaftsbeschluss oder Vertrag beruht, handelt es
sich um eine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 46 OG (E. 1).

    2. Der Aktionär, welcher die Abberufung der Liquidatoren aus wichtigen
Gründen anstrebt, ist nicht verpflichtet, vor der Anrufung des Richters
in der Generalversammlung der sich in Liquidation befindenden Gesellschaft
einen entsprechenden Antrag zu stellen (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Seinen Antrag, auf die Berufung nicht einzutreten,
begründet der Kläger damit, der angefochtene Entscheid betreffe keine
Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 46 OG, sondern stelle einen
Akt freiwilliger Gerichtsbarkeit dar, gegen welchen die Berufung an das
Bundesgericht nicht zulässig sei.

    Eine Zivilrechtsstreitigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichts dann vor, wenn in einem kontradiktorischen Verfahren
zwischen zwei oder mehreren Parteien durch den Richter oder eine andere
staatliche Spruchbehörde endgültig über einen Anspruch aus Bundeszivilrecht
entschieden wird (BGE 116 II 377, 115 II 239, je mit Hinweisen). Gemäss
Art. 740 Abs. 1 OR wird die Liquidation einer Aktiengesellschaft von der
Verwaltung durchgeführt, sofern sie nicht durch die Statuten oder einen
Beschluss der Generalversammlung anderen Personen übertragen wird. Daraus
folgt, dass die Gesellschaft einen Anspruch aus Bundeszivilrecht hat,
die Liquidation durch von ihr selbst bestimmte Liquidatoren besorgen
zu lassen. Im Verfahren auf Abberufung eines Liquidators aus wichtigen
Gründen gemäss Art. 741 Abs. 1 OR wird durch den Richter endgültig über
Bestand oder Nichtbestand dieses Anspruchs entschieden. Die nicht
ganz eindeutige Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Abberufung und
Ernennung von Liquidatoren (vgl. BGE 69 II 35 E. 2, 55 II 328 ff.,
42 II 291 E. 3 und 300 E. 2) ist denn auch dahin zusammenzufassen und
zu verdeutlichen, dass der Prozess um die Abberufung eines Liquidators,
dessen Mandat auf Gesetz, Statuten, Gesellschaftsbeschluss oder Vertrag
beruht, eine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 46 OG darstellt,
während die Bezeichnung eines neuen Liquidators durch den Richter oder
die Abberufung eines richterlich ernannten Liquidators als ein Akt der
freiwilligen Gerichtsbarkeit zu betrachten ist, welcher der Berufung an
das Bundesgericht nicht unterliegt.

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 741 Abs. 1 OR kann der Richter auf Antrag
eines Aktionärs die Liquidatoren abberufen, sofern dafür wichtige
Gründe bestehen. Entgegen der von der Beklagten im kantonalen Verfahren
vertretenen Auffassung, an der sie auch vor Bundesgericht festhält, ist
der Aktionär nicht verpflichtet, vor der Anrufung des Richters in der
Generalversammlung der sich in Liquidation befindenden Gesellschaft ein
entsprechendes Gesuch zu stellen. In der Literatur wird diese Meinung
nur von BÜRGI (N. 6 zu Art. 741 OR) vertreten, der sie aber nicht selbst
begründet, sondern dazu auf FUNK verweist. Dieser Autor hält indessen
an der zitierten Stelle (N. 1 zu Art. 741 OR) im Gegenteil fest, es
sei nicht erforderlich, dass der Aktionär vorgängig ein entsprechendes
Gesuch an die Generalversammlung stelle. Die Meinung der Beklagten wird
auch sonst in der Literatur nicht geteilt. Während sie von HAGMANN
ausdrücklich verworfen wird (Das Mitwirkungs- und Eingriffsrecht des
Richters im Bereiche der Aktiengesellschaft, Diss. Bern 1939, S. 102),
gehen andere Autoren stillschweigend davon aus, dass der Richter direkt
angerufen werden kann (vgl. GUHL/MERZ/KUMMER, Schweiz. Obligationsrecht,
7. Aufl., S. 684; VON GREYERZ, SPR, Bd. VIII/2, S. 284; MEIER-HAYOZ,
Die richterliche Ernennung von Liquidatoren bei der Aktiengesellschaft,
SJZ 46/1950, S. 215). Ebenfalls abgelehnt wurde die Betrachtungsweise der
Beklagten von der Cour de Justice des Kantons Genf (Urteil vom 6. April
1979, in SJ 102/1980, S. 283 E. 3b).

    Gegen die Meinung der Beklagten sprechen sodann sowohl der Wortlaut
wie auch der Sinn und Zweck von Art. 741 Abs. 1 OR. Der Wortlaut ist
eindeutig. Daraus ergeben sich keine Anhaltspunkte zu ihren Gunsten. Ein
Vergleich mit der Bestimmung von Art. 740 OR zeigt sodann, dass das Gesetz
klar zwischen der Abberufung der Liquidatoren durch die Generalversammlung
und jener durch den Richter unterscheidet. Im ersten Fall brauchen
keine wichtigen Gründe vorzuliegen, und massgebend ist in der Regel -
abweichende statutarische Vorschriften vorbehalten - das absolute Mehr
der an der Generalversammlung vertretenen Stimmen. Die Abberufung durch
den Richter kann dagegen von jedem, auch einem Minderheitsaktionär
verlangt werden; sie erfolgt beim Vorliegen wichtiger Gründe auch gegen
den Willen der Mehrheit. In der Lehre ist denn auch zu Recht anerkannt,
dass Art. 741 Abs. 1 OR hauptsächlich den Schutz der Minderheitsaktionäre
während der Liquidation sicherstellen soll (BÜRGI, N. 1 zu Art. 741
OR; MEIER-HAYOZ, aaO, S. 214; FUNK, N. 1 zu Art. 741 OR; BERTSCH, Die
Auflösung der Aktiengesellschaft aus wichtigen Gründen, Diss. Zürich
1947, S. 182 f.; ebenso zitiertes Urteil in SJ 102/1980, S. 283). Mit
dieser Zweckbestimmung verträgt es sich nicht, vom Aktionär zu verlangen,
er müsse vor der Anrufung des Richters einen abschlägigen Entscheid der
Generalversammlung veranlassen.

    b) Als unbegründet erweist sich damit auch der Einwand, ein Beschluss
der Generalversammlung sei jedenfalls dann notwendige Voraussetzung
der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens, wenn keine zeitliche
Dringlichkeit zur Abberufung der Liquidatoren bestehe. Aus den bereits
erwähnten Gründen lässt sich eine solche Einschränkung des Rechts des
Aktionärs, beim Richter die Abberufung der Liquidatoren zu verlangen,
nicht auf das Gesetz stützen. Rechtlich unerheblich ist darum auch
die Behauptung, es stehe nicht fest, dass ein entsprechendes Begehren
des Klägers an die Generalversammlung erfolglos geblieben wäre, wie der
Kantonsgerichtspräsident annehme. Auf die in diesem Zusammenhang von der
Beklagten vorgebrachten Tatsachenbehauptungen, die im übrigen ohnehin
gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. c OG unzulässig sind, braucht deshalb nicht
eingegangen zu werden.