Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 132



117 II 132

29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. April 1991 i.S. O.
gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz (Berufung) Regeste

    Anhörung im Entmündigungsverfahren.

    Die in Art. 374 ZGB vorgeschriebene Anhörung verlangt nicht die
Einvernahme durch die gesamte entscheidende Behörde. Hingegen hält die
Anhörung durch einen in der Sache selbst nicht entscheidungsbefugten
Beamten vor Bundesrecht nicht stand (Präzisierung der Rechtsprechung)
(E. 1-4).

    Keine Heilung von Mängeln des erstinstanzlichen Verfahrens, wenn die
Anhörung vor zweiter Instanz nicht durch ein Mitglied der entscheidenden
Behörde geschieht (E. 5).

Sachverhalt

    A.- O. leidet seit seiner Gymnasialzeit an Schwierigkeiten psychischer
Art, die anfänglich noch ambulant, mit der Zeit indessen wiederholt
auch stationär behandelt werden mussten. Gegenwärtig lebt er in der
Psychiatrischen Klinik Z. Zwecks Sicherstellung seiner Vermögensverwaltung
ersuchte O. die Vormundschaftsbehörde Schwyz am 5. Mai 1989 um Anordnung
einer Beirat- oder Beistandschaft. Unabhängig davon beantragte der
Amtsvormund von Schwyz auf Verlangen der Brüder von O. die Errichtung
einer Beiratschaft gemäss Art. 395 ZGB. In der Meinung, sein Vermögen
nunmehr selber verwalten zu können, zog O. sein Gesuch am 15. Juli
1989 zurück. Am 29. November 1989 beschloss die Vormundschaftsbehörde,
für O. die Vormundschaft gemäss Art. 369 ZGB anzuordnen. Als Vormund
bestellte sie den Amtsvormund von Schwyz. Der Regierungsrat des Kantons
Schwyz hiess eine dagegen von O. erhobene Beschwerde am 19. Juni 1990
insofern teilweise gut, als die Vormundschaftsbehörde eingeladen wurde,
diesem Gelegenheit einzuräumen, einen Vormund seines Vertrauens zu
nennen. Im übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen und der Beschluss der
Vormundschaftsbehörde bestätigt.

    Mit seiner Berufung vom 28. August 1990 verlangt O. die Aufhebung
des Beschlusses des Regierungsrates.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 374 Abs. 1 ZGB darf eine Person wegen Verschwendung,
Trunksucht, lasterhaften Lebenswandels oder der Art und Weise ihrer
Vermögensverwaltung nicht entmündigt werden, ohne dass sie vorher
angehört worden ist. Wie sich indirekt aus Abs. 2 dieser Bestimmung
schliessen lässt, gilt die Anhörungspflicht auch bei der Entmündigung
wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche gemäss Art. 369 Abs. 1 ZGB,
es sei denn, die Anhörung sei aus medizinischen Gründen nicht geboten
(BGE 109 II 296 E. 2, mit Hinweisen). Mit der Anhörung soll einerseits
abgeklärt werden, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen für die
vormundschaftliche Massnahme gegeben sind, und anderseits soll sich
der Betroffene zu den Absichten der zuständigen vormundschaftlichen
Behörde äussern können. Die Unterrichtung des Betroffenen über die in
Aussicht genommene vormundschaftliche Massnahme hat dabei nicht nur in
allgemeiner Form zu erfolgen, es sind ihm vielmehr auch die Einzeltatsachen
bekanntzugeben, auf die sich die Behörde bei ihrem Entscheid stützen will
(BGE 113 II 229 f.).

Erwägung 2

    2.- Der Berufungskläger wirft den kantonalen Behörden vor, das ihm
gemäss Art. 374 ZGB zustehende Anhörungsrecht in mehrfacher Hinsicht
verletzt zu haben. Dabei will er einen Verstoss gegen Bundesrecht unter
anderem auch im Umstand erkennen, dass er nicht durch die entscheidende
Behörde selbst, sondern durch einen dieser untergeordneten Beamten angehört
worden sei.

    a) Zur Begründung seines Standpunktes verweist der Berufungskläger auf
die im Zusammenhang mit der gerichtlichen Beurteilung der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung (Art. 397f ZGB) ergangene jüngste Rechtsprechung
(BGE 115 II 129 ff.). In Änderung der bis dahin geübten Praxis (BGE 110
II 124 E. 4) hat das Bundesgericht im angeführten Entscheid festgehalten,
dass die in Art. 397f Abs. 3 ZGB vorgeschriebene mündliche Einvernahme
in erster Instanz die Anhörung durch das gesamte erkennende Gericht
verlange. Diese Rechtsprechung ist der Vorinstanz nicht entgangen; sie hat
indessen dafürgehalten, dass sie sich ausschliesslich auf das Verfahren
im Sinne von Art. 397f ZGB beziehe und nicht auf das Anhörungsrecht gemäss
Art. 374 ZGB übertragen werden dürfe.

    b) Tatsächlich hat das Bundesgericht für das Entmündigungsverfahren
bereits ausdrücklich festgehalten, das Zivilgesetzbuch schreibe nicht
vor, durch wen die Befragung zu erfolgen habe, und es widerspreche
auch nicht dem Zweck der Einvernahme, wenn die Befragung einem Beamten
der Vormundschaftsbehörde übertragen werde (ZVW 19/1964, S. 27). Nicht
minder klar lautet indessen die Aussage eines älteren Entscheides, wo das
Bundesgericht die lediglich durch den Amtsarzt durchgeführte Einvernahme
als ungenügend erachtet hat; es sei angesichts des Zwecks des Art. 374
ZGB ohne weiteres klar - so das Bundesgericht -, dass die Anhörung des zu
Bevormundenden nicht durch Dritte, sondern einzig und allein durch die über
die Bevormundung entscheidende Behörde erfolgen könne (BGE 41 II 654 a.E.;
vgl. BGE 57 II 6). Einem jüngeren Entscheid lässt sich schliesslich die
wenigstens beiläufig geäusserte Auffassung des Bundesgerichts entnehmen,
wonach die Anhörung allenfalls durch eine Behördendelegation durchgeführt
werden dürfe (BGE 109 II 297).

    c) Wie und durch wen der zu Entmündigende angehört werden soll, wird im
Schrifttum zu Art. 374 ZGB nur am Rande behandelt. Der Kommentator KAUFMANN
wollte die Beantwortung dieser Frage dem kantonalen Recht anheimstellen
(Berner Kommentar, 2. A. 1924, N 2 zu Art. 374 ZGB), hat indessen zugleich
festgehalten, dass die Anhörung durch die erkennende Behörde stattfinden
soll und in der Regel nicht an Dritte delegiert werden dürfe (aaO, N 9
und 9a zu Art. 374 ZGB). Einleitend hiezu hat dieser Autor ausgeführt,
dass die Anhörung in der unmittelbaren Wahrnehmung dessen bestehe, was
der Interdizend über die ihm als Entmündigungsgründe zur Last gelegten
Umstände vorbringe (aaO, N 6 zu Art. 374 ZGB); sie soll der Behörde dazu
dienen, sich mittels Augenscheins über die persönlichen Eigenschaften,
die geistigen Fähigkeiten und die Reife des Interdizenden ein Urteil zu
bilden (aaO, N 7 zu Art. 374 ZGB). Der Kommentator EGGER geht seinerseits
- unter Hinweis auf einzelne kantonale Ordnungen - davon aus, dass die
Einvernahme durch ein einzelnes Mitglied der Behörde geschehe, wenn sie
nicht ohnehin schon Aufgabe eines Einzelbeamten sei (Zürcher Kommentar,
2. A. 1948, N 15 zu Art. 374 ZGB). SCHNYDER/MURER verlangen in ihrem
Kommentarwerk dem Grundsatz nach die Einvernahme durch ein Mitglied der
entscheidenden Behörde. Bezugnehmend auf die ergangene Rechtsprechung
wollen sie der Behörde die Möglichkeit einräumen, zwar nicht einen
ausserhalb der Verwaltung stehenden Dritten, aber doch einen von ihr
beauftragten Beamten mit der Anhörung zu betrauen, wobei die Anhörung
protokolliert und der gesamten Entscheidbehörde zur Kenntnis gebracht
werden müsse (Berner Kommentar, 3. A. 1984, N 54, 56 und 57 zu Art. 374
ZGB, mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.- Die zu beurteilende Rechtsfrage lässt sich in mehrfacher Hinsicht
mit derjenigen vergleichen, die BGE 115 II 129 ff. zugrunde lag. Das
Bundesgericht hat denn auch bereits im Zusammenhang mit der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung ohne präjudizierende Absicht ausdrücklich darauf
verwiesen, dass sich in Art. 374 ZGB ein vergleichbarer Tatbestand finde
(BGE 115 II 134). Wie es sich im einzelnen damit verhält, bleibt im
folgenden zu prüfen.

    a) Was zunächst die Schwere der in Frage stehenden Eingriffe anbelangt,
ergeben sich daraus keine endgültigen Schlüsse. So ist von verschiedenen
Autoren zu Recht erkannt worden, dass sich die nicht amtsgebundene
Möglichkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung nur schwer oder
überhaupt nicht in die nach Massgabe der Eingriffsintensität dargestellte
Stufenfolge vormundschaftlicher Massnahmen einordnen lasse (BORGHI/GROSS,
ZVW 42/1987, S. 106 Ziff. 9; THOMAS GEISER, in: Patient/Patientenrecht,
Bern 1984, S. 177 ff., insb. S. 182 lit. c; allgemein: SCHNYDER/MURER,
aaO, N 32 ff. zu Art. 367 ZGB sowie SCHNYDER, ZVW 26/1971, S. 41 ff. oder
ZBJV 105/1969, S. 268 ff.). Der mit der Freiheitsentziehung bewirkte
Eingriff in die Persönlichkeit des Betroffenen mag sich zwar insofern
als schwerwiegender erweisen, als damit wesensgemäss unmittelbarer
physischer Zwang einhergeht und die Bewegungsfreiheit weitgehend aufgehoben
wird. Auf der anderen Seite beschlägt die Entmündigung mit dem Entzug der
Handlungsfähigkeit ebenfalls einen Kernbereich der persönlichen Freiheit,
wobei sie sich regelmässig als die dauerhaftere und wenigstens insofern
einschneidendere Massnahme erweisen dürfte.

    b) Aufgrund der Tatsache, dass das geltende Recht der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung unter dem unmittelbaren Einfluss der EMRK entstanden
ist, hat das Bundesgericht bei der Auslegung von Art. 397f ZGB die
Tragweite der einschlägigen Garantien geprüft. Die dabei gewonnene
Erkenntnis bleibt im Ergebnis auch für die Anwendung von Art. 374 ZGB
bedeutsam, zumal die bislang gebilligte Praxis (BGE 109 II 297; ZVW
19/1964, S. 27) im Lichte von EMRK und Art. 4 BV nicht zu beanstanden ist
(BGE 115 II 132 f. E. 6).

    In welcher Form die gewährleistete Anhörung zu erfolgen hat, wird
von Art. 4 BV nicht geregelt. Aus der Bundesverfassung ergibt sich somit
kein Anspruch auf mündliche Anhörung, geschweige denn auf mündliche
Anhörung vor der gesamten entscheidenden Behörde (BGE 115 II 133, mit
Hinweisen). Im Lichte der EMRK verhält es sich hier insofern anders als bei
der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, als das Entmündigungsverfahren
von Art. 5 EMRK und insbesondere dessen Ziffer 4 wesensgemäss nicht
erfasst wird. Hingegen untersteht das Entmündigungsverfahren nach der
Praxis der Strassburger Organe dem Geltungsbereich des Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(Urteil EGMR vom 24. Oktober 1979 i.S. Winterwerp gegen die Niederlande,
Serie A, Bd. 33, Ziff. 55 oder EuGRZ 6/1979, S. 650 ff., S. 658 oben,
Ziff. 73; GUILLOD, ZVW 46/1991, S. 41 ff., mit Hinweisen). Diese
Bestimmung garantiert kein absolutes Recht auf persönliche Teilnahme am
Verfahren über "zivilrechtliche Ansprüche". Bestimmte Streitigkeiten
oder Umstände können jedoch eine persönliche Anhörung erforderlich
machen und zur Wahrung eines fairen Verfahrens geboten sein, wie
dies insbesondere für das Entmündigungsverfahren zutrifft, wo der
persönliche Eindruck der Behörde von der Partei und Auskünfte über
deren Lebensweise für die zu treffende Entscheidung erheblich sind
(FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl a.Rh./Strassburg/Arlington 1985,
N 69 zu Art. 6, S. 142 f.; MIEHSLER/VOGLER, Internationaler Kommentar zur
EMRK, Köln/Berlin/Bonn/München, 1. Lieferung 1986, N 358 f. zu Art. 6,
S. 129 f.). Diesen Anforderungen vermag die Anhörung, wie sie von der
Rechtsprechung zu Art. 374 ZGB konkretisiert worden ist (BGE 113 II 229
f.), vollauf zu genügen. Dass mit den EMRK-Garantien eine weitergehende
Auffassung begründet worden wäre, ist nicht ersichtlich. Dies ist
namentlich auch im erwähnten Entscheid "Winterwerp" nicht geschehen, wo
der Gerichtshof - im Gegenteil - sowohl im Zusammenhang mit Art. 5 Ziff. 4
als auch mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK ausgeführt hat, dass der Betroffene die
Möglichkeit haben müsse, "entweder persönlich oder - wenn notwendig -
durch einen Vertreter gehört zu werden" (EuGRZ 6/1979, S. 656, Ziff. 60;
S. 658, Ziff. 74).

Erwägung 4

    4.- Das Bundesgericht hat in allen Bereichen seiner Rechtsprechung
seit jeher eine auf den blossen Wortlaut beschränkte Gesetzesauslegung
verworfen und stets auch nach dem Zweck des Gesetzes gefragt (BGE 115
II 142 E. 5b, 132 E. 6; 113 II 410 E. 3a, je mit Hinweisen). Es versteht
sich von selbst, dass der mit der Anhörung verbundene Zweck auch bei der
Auslegung der Art. 373 f. ZGB gebührend zu berücksichtigen ist.

    a) Soweit die Anhörung gemäss Art. 374 ZGB dem zu Entmündigenden
ermöglichen will, sich zu den Absichten der vormundschaftlichen Behörde zu
äussern, vermag die durch eine Behördendelegation oder gar einen einzelnen
Beamten durchgeführte Befragung in Verbindung mit einer angemessenen
Protokollierung durchaus zu genügen. Damit kann es indessen nicht sein
Bewenden haben, erschöpft sich doch der Sinn des Anhörungsrechts gemäss
Art. 374 ZGB - wie derjenige des allgemeinen verfassungsrechtlichen
Gehörsanspruchs (BGE 115 Ia 11 E. 2b; 112 Ia 3, mit Hinweisen) - nicht
im Äusserungs- oder Mitwirkungsrecht des Betroffenen. Als Mittel der von
Amtes wegen erfolgenden Sachaufklärung soll die Anhörung ganz besonders
auch der Klärung dienen, ob die Voraussetzungen zur Anordnung einer
vormundschaftlichen Massnahme im konkreten Fall gegeben sind (BGE 113
II 229 E. 6a). Aufgrund der stark persönlichkeitsbezogenen Natur des
Verfahrensgegenstandes bedarf es hiezu zweifelsohne der mündlichen
oder persönlichen Anhörung des Betroffenen. In dieser Hinsicht kann
für Art. 374 ZGB nichts anderes gelten als für Art. 397f Abs. 3 ZGB,
womit der Gehalt des in beiden Bestimmungen verankerten Anhörungsrechts
gegenüber demjenigen von Art. 4 BV eine wesentliche Erweiterung erfährt.

    b) Der Beurteilung der Persönlichkeit des Interdizenden kommt
bei der Anordnung vormundschaftlicher Massnahmen ganz entscheidende
Bedeutung zu. Wie bei der gerichtlichen Überprüfung fürsorgerischer
Freiheitsentziehungen verlangt diese Beurteilung nach unmittelbarer
Wahrnehmung (KAUFMANN, aaO, N 7 zu Art. 374 ZGB), wie sie durch den
delegierten Richter oder Beamten nicht vermittelt werden kann. So gesehen,
erwiese es sich als folgerichtig, die umfassende Unmittelbarkeit -
wie in BGE 115 II 134 f. erkannt - auf das Entmündigungsverfahren
gleichermassen anzuwenden. Ausgehend von einer geltungszeitlichen und
isolierten Betrachtung von Art. 374 ZGB könnte eine solche Gleichstellung
an sich begründet werden. Dem Gedanken der unmittelbaren Wahrnehmung muss
von Bundesrechts wegen jedenfalls grosses Gewicht beigemessen werden,
weshalb die Anhörung des Interdizenden durch einen einzelnen Beamten
vor Art. 374 ZGB in der Regel dann nicht standhält, wenn diesem in der
gleichen Sache nicht zugleich eine Entscheidungsbefugnis zusteht. Soweit
das Bundesgericht in einem - soweit ersichtlich - vereinzelt gebliebenen
Fall gegenteilig entschieden hat (ZVW 19/1964, S. 27), kann daran nicht
festgehalten werden. Ob sich mit der geltenden Ordnung darüber hinaus
auch ein Anspruch auf Anhörung durch die gesamte entscheidende Behörde
vereinen liesse, scheint allerdings fraglich.

    c) Die Auslegung von Art. 374 ZGB hängt wie diejenige von Art. 397f
Abs. 3 ZGB letztlich ebenfalls davon ab, inwieweit zur Verwirklichung
des Bundeszivilrechts in die kantonale Rechtssetzungshoheit im Bereich
des Verfahrensrechts eingegriffen werden darf (BGE 115 II 131 E. 5a;
112 II 482 E. 4). Mit Bezug auf die bundesrechtliche Ausgangslage
lässt freilich ein Vergleich der Art. 373 f. ZGB mit dem weit jüngeren
Recht der fürsorgerischen Freiheitsentziehung wesentliche Unterschiede
erkennen. Angesichts der Bedeutung, die das Bundesgericht dem Begriff der
Anhörung im Sinne von Art. 374 ZGB zuerkannt hat (BGE 113 II 229 f.), ist
dabei weniger an den ungleichen Wortlaut der fraglichen Bestimmungen oder
an die im Gesetz angelegten Unterschiede im Verfahrensablauf (vgl. Art. 374
ZGB, 397a und 397d ZGB) zu denken. Entscheidend muss vielmehr der Umstand
sein, dass die im Bestreben um wirksamen und zeitgemässen Rechtsschutz
ergangene Regelung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung nicht nur die
Möglichkeit einer richterlichen Beurteilung ausdrücklich vorschreibt
(Art. 397d ZGB), sondern auch zum Verfahren selbst verschiedene
Vorschriften enthält (Art. 397e und 397f ZGB). In Entmündigungssachen
hingegen steht es den Kantonen zumindest aus der Sicht von Art. 373
ZGB und Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB noch immer frei, ob sie richterliche
oder administrative Behörden damit betrauen wollen (BGE 85 II 282 f.),
während das Gesetz zur inhaltlichen Ausgestaltung des Verfahrens nebst
dem vom Bundesgericht bereits früh konkretisierten Art. 374 ZGB keine
weiteren Bestimmungen enthält (BGE 40 II 182 ff. (Kreisschreiben des
Bundesgerichts vom 18. Mai 1914); 96 II 16 E. 3; SCHNYDER/MURER, aaO,
N 36 ff. zu Art. 374 ZGB). Dies hat dazu geführt, dass die Kantone ihre
Verfahrensordnungen sehr unterschiedlich ausgestaltet haben und einige von
ihnen - wie der Kanton Schwyz - seit jeher ausschliesslich administrative
Behörden über Entmündigungen befinden lassen (SCHNYDER/MURER, aaO, N 62
ff. zu Art. 373 ZGB; EGGER, aaO, N 15 ff. zu Art. 373 ZGB sowie KAUFMANN,
aaO, S. 100 ff.). Die Ausdehnung des Anhörungsrechts im fraglichen Sinne
würde namentlich gegenüber diesen Kantonen tiefgreifendere Folgen zeitigen,
als dies im Bereich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung der Fall
gewesen ist, wo das Bundesgericht eine vergleichsweise junge, bereits mit
weitgehenden Eingriffen in die kantonale Rechtssetzungshoheit versehene
gesetzliche Ordnung zu beurteilen hatte. Aus Gründen organisatorischer
Art wären diese Kantone nicht nur zur Anpassung ihres Verfahrensrechts,
sondern unweigerlich zur Änderung der sachlichen Zuständigkeitsordnung
gehalten, was im klaren Widerspruch zur geltenden bundesrechtlichen
Regelung (Art. 373 ZGB, 54 SchlT ZGB) stünde. Hinzu kommt schliesslich,
dass dem Entmündigungsverfahren die der fürsorgerischen Freiheitsentziehung
zumindest in gewissen Kantonen eigene Problematik der Personalunion
von Sachverständigen und instruierendem Richter (Art. 397e Ziff. 5 ZGB)
fremd ist und sich somit ein Ausgleich dazu mittels Anhörung durch die
gesamte Kollegialbehörde nicht aufdrängt (BGE 115 II 135 Mitte).

    d) Aus den dargelegten Gründen fällt somit vorliegend die analoge
Anwendung der in BGE 115 II 129 ff. entwickelten Rechtsprechung ausser
Betracht: Soweit die Anhörung vor der gesamten entscheidenden Behörde in
Frage steht, schreibt das geltende Bundesrecht den Kantonen dergleichen
im Bereich des Entmündigungsverfahrens nicht vor. Daran ändern auch die
Bedenken nichts, die gegenüber einzelnen kantonalen Ordnungen aus der von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK verlangten richterlichen Beurteilung erwachsen. In
dieser Hinsicht werden sich allerdings Änderungen der kantonalen
Verfahrens- und Zuständigkeitsordnungen über kurz oder lang - spätestens im
Rahmen der Revision des Vormundschaftsrechts - als unumgänglich erweisen.

Erwägung 5

    5.- Nachdem sich ergeben hat, dass von Bundesrechts wegen zwar kein
Anspruch auf Anhörung durch die gesamte entscheidende Behörde besteht,
indessen die Anhörung durch einen an der Entscheidung nicht teilhabenden
Beamten vor Art. 374 ZGB grundsätzlich nicht standzuhalten vermag, muss
schon dieser Umstand zur Gutheissung der Berufung führen.

    a) So steht gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid
verbindlich fest, dass der Berufungskläger im Rahmen des erstinstanzlichen
Verfahrens vom Präsidenten der Vormundschaftsbehörde und vom Amtsvormund
am 10. August 1989 in der Psychiatrischen Klinik Rheinau angehört
worden ist. In der Folge hat die Vormundschaftsbehörde nicht nur ohne
unmittelbare Wahrnehmung der Person, sondern namentlich ohne jede Kenntnis
des über die Befragung in Form einer Aktennotiz erstellten Protokolls -
offenbar lediglich gestützt auf die Empfehlungen ihres Präsidenten - die
Entmündigung des Berufungsklägers beschlossen. Unter diesen Umständen hat
die Vorinstanz völlig zu Recht erkannt, dass die Vormundschaftsbehörde
ihrer Anhörungspflicht nicht genügt habe. Sie ist schliesslich dennoch
nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses geschritten, weil sie
diesen Mangel durch die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens am 5. April
1990 erfolgte Parteibefragung als geheilt erachtet hat. Damit hat
sie freilich ihrerseits gegen Bundesrecht verstossen, ist doch diese
Befragung nicht durch ein Mitglied der entscheidenden Behörde, sondern
durch einen Sachbearbeiter des mit der Beschwerdeinstruktion betrauten
Justizdepartements durchgeführt worden und daher trotz des erstellten
Protokolls nicht geeignet gewesen, den Mangel des erstinstanzlichen
Verfahrens zu beheben (BGE 44 II 230).

    b) Nur am Rande sei erwähnt, dass die Anhörung im vorinstanzlichen
Verfahren auch in inhaltlicher Hinsicht zu wünschen übriglässt. Ohne
der materiellen Beurteilung im Lichte von Art. 369 ZGB vorgreifen zu
wollen, scheint die als wesentlich erachtete Schutzbedürftigkeit des
Berufungsklägers überhaupt auf unzulänglichen Abklärungen zu beruhen. Es
fällt jedenfalls auf, dass wohl die Belange der Vermögensverwaltung
zur Sprache gekommen sind, jedoch auf die letztlich ausschlaggebende
persönliche Fürsorge- und Schutzbedürftigkeit mit keinem Wort eingegangen
worden ist. Bloss die Ausführungen des behandelnden Arztes weisen
in diese Richtung, während das Gutachten ebenfalls ganz eindeutig
auf den finanziellen Schwierigkeiten aufbaut und die "Tendenz zur
Verwahrlosung" nur beiläufig erwähnt. Durch diese Meinungsäusserungen
der beigezogenen Ärzte wird die Behörde nicht von ihrer gesetzlichen
Verpflichtung entbunden, dem Interdizenden im Rahmen seiner Anhörung
sämtliche Einzeltatsachen bekanntzugeben, auf die sie ihren Entscheid zu
stützen gedenkt (BGE 113 II 229 f.). Hat demnach die Vorinstanz der ihr
obliegenden Informationspflicht mit Bezug auf die Entmündigungsgründe und
die dafür als wesentlich erachteten Tatsachen nicht genügt, rechtfertigt
sich eine Wiederholung der Anhörung auch aus diesem Grunde.

    c) Die im kantonalen Verfahren erfolgte Anhörung des Berufungsklägers
erweist sich somit sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht
als bundesrechtswidrig. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben
und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Regierungsrat wird
den Berufungskläger durch mindestens eines seiner Mitglieder anzuhören
oder - je nach kantonalem Recht - allenfalls die Vormundschaftsbehörde
mit der Behebung der festgestellten Mängel zu betrauen haben. Dabei wäre
es wünschbar, wenn sich die kantonalen Behörden einen umfassenderen
Eindruck von den Zukunftsaussichten sowie der jüngeren Vergangenheit
des Berufungsklägers - vor allem von der in Winterthur, Bern und endlich
in Zürich verbrachten Zeit - verschaffen würden, der ihnen im Blick auf
die Notwendigkeit und die Verhältnismässigkeit einer vormundschaftlichen
Massnahme als Entscheidungsgrundlage dienen könnte.