Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 II 13



117 II 13

4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Januar 1991 i.S. E.
gegen E. (Berufung) Regeste

    Art. 152 ZGB. Rente an die geschiedene Ehefrau.

    Ein ehewidriges Verhalten eines Ehegatten, das vom andern Gatten
verziehen worden ist, kann trotzdem als Zerrüttungsursache in Betracht
fallen. Die Verzeihung bewirkt nicht Schuldlosigkeit im Sinne von
Art. 152 ZGB.

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 30. Dezember 1988 wurde die Ehe von H. und
M. E.-A. in Gutheissung der Klage des Ehemannes und der Widerklage der
Ehefrau geschieden. Der Kläger wurde verpflichtet, der Beklagten gestützt
auf Art. 152 ZGB einen zeitlich abgestuften monatlichen Unterhaltsbeitrag
zu bezahlen.

    Beide Parteien fochten das bezirksgerichtliche Urteil mit einer
Berufung beim Obergericht an. Der Kläger verlangte die Aufhebung seiner
Verpflichtung zur Bezahlung einer Rente, während die Beklagte die
Zusprechung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von Fr. 3'000.-- ohne
zeitliche Befristung gestützt auf Art. 151, eventuell auf Art. 152 ZGB,
beantragte. Das Obergericht hiess die Berufung des Klägers mit Urteil
vom 6. November 1989 gut und wies den Rentenanspruch der Beklagten ab.

    Die Beklagte führt Berufung an das Bundesgericht mit den Anträgen, das
Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Aktenergänzung
und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell
sei der Kläger zu verpflichten, ihr gestützt auf Art. 152 ZGB einen
monatlichen indexierten Unterhaltsbeitrag von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.

    Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat im angefochtenen Urteil festgestellt,
den eigentlichen Grund für das zwischen den Parteien entstandene
Zerwürfnis habe die Beklagte gesetzt, indem sie im Mai anlässlich der
Reise nach X. und Ende Juni 1985 je einen Ehebruch mit H. W. begangen
habe. Diese Seitensprünge hätten die entscheidende negative Zäsur im
Eheleben der Parteien gebildet und die bis dahin noch nicht zerrüttete
Ehe in eine Krise gestürzt. Das ungeschickte, die Beklagte ihrerseits
verletzende Verhalten des Klägers sei nur als Reaktion auf ihre
Eheverfehlungen aufzufassen und falle nicht als selbständige und schuldhaft
herbeigeführte Zerrüttungsursache in Betracht. Diese sei vielmehr allein
im ehebrecherischen Verhalten der Beklagten zu erblicken. Aufgrund des
Beweisergebnisses könne keine Rede davon sein, dass die Ehe 1985 bei der
Reise nach X. durch ein schuldhaftes Verhalten des Klägers bereits schwer
angeschlagen gewesen sei. Die Beklagte könne daher nicht als schuldlos
gelten, weshalb ihr Begehren auf Zusprechung einer Bedürftigkeitsrente
abzuweisen sei.

    Demgegenüber stellt sich die Beklagte auf den Standpunkt, dass ihr
der Kläger ihre beiden Seitensprünge vom Mai und Juni 1985 mit H. W. -
zumindest durch konkludentes Verhalten - verziehen habe. Es verbiete
sich daher, diese Ehewidrigkeiten bei der Prüfung der Frage, ob ihr
eine Rentenberechtigung zukomme, als anspruchshemmendes Verschulden zu
berücksichtigen. Sie habe vielmehr mangels anderer tauglicher Vorwürfe
als schuldlos im Sinne von Art. 152 ZGB zu gelten.

Erwägung 3

    3.- Die Feststellungen des Obergerichts über die Zerrüttungsursachen
betreffen tatsächliche Verhältnisse (BGE 92 II 140 E. 2 und 87 II 2
ff. E. 2 und 3, je mit Hinweisen) und sind daher für das Bundesgericht
verbindlich, nachdem die Beklagte weder geltend macht, sie seien unter
Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen, noch
sie würden offensichtlich auf Versehen beruhen (Art. 63 Abs. 2 OG). Die
weitere, in der Berufungsschrift an diesen Feststellungen geäusserte
Kritik ist nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG unzulässig.

    Es bleibt daher die Frage zu prüfen, ob die von der Beklagten
behauptete Verzeihung ihrer Fehltritte durch den Kläger für den Entscheid
über ihre Rentenberechtigung von Bedeutung sei. Das Obergericht hat sich
darüber nicht in erkennbarer Weise geäussert.

    Durch Verzeihung gibt der verletzte Ehegatte zu erkennen, dass
er die ihm durch die eheliche Verfehlung des andern Gatten zugefügte
Kränkung nachsehe und die Ehe trotz dieses Verhaltens seines Partners
fortsetzen wolle (BÜHLER/SPÜHLER, Einleitung, N 77). In den Art. 137
und 138 ZGB wird je in Absatz 3 ausdrücklich festgehalten, dass der
Verzeihung eine klageausschliessende Wirkung zukommt. Da es sich dabei um
ein allgemeines Rechtsprinzip handelt, gilt es nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts auch im Zusammenhang mit Eheungültigkeitsklagen (BGE
54 II 355 mit Hinweis). Hingegen schliesst die Verzeihung nicht aus,
dass das verziehene ehewidrige Verhalten den allgemeinen Scheidungsgrund
der tiefen Zerrüttung zu erfüllen vermag, wenn es trotz der Verzeihung
Nachwirkungen äussert oder mit weiteren Ursachen zusammenfällt, welche
die Ehe zerrütten und das Zusammenleben unerträglich machen (BGE 50 II
324 f. und 39 II 183 E. 1; BÜHLER/SPÜHLER, Einleitung, N 59); denn aus
dem Zustand der ehelichen Zerrüttung entsteht fortwährend das Recht auf
Scheidung, und das Verschulden als Ursache bestehender Zerrüttung wird
durch Verzeihung nicht ungeschehen gemacht, sowenig als die Verfehlung
selber. Die Bedeutung der Verzeihung erschöpft sich vielmehr in der
unmittelbaren Verwirkung des Klagerechts (BGE 53 II 440 und 50 II 324;
LIENERT, Die Schuld bei der Ehescheidung nach schweizerischem Recht, Diss.
Zürich 1950, S. 48, und ZEHNDER, Die Verzeihung im schweizerischen
Ehescheidungs- und Erbrecht, Diss. Zürich 1953, S. 79). Der Ehegatte,
dem eine zum Verschulden gereichende eheliche Verfehlung verziehen worden
ist, gilt daher nicht als schuldlos, sondern muss sich bei einer späteren
Scheidung sowohl im Rahmen von Art. 142 wie auch von Art. 152 ZGB sein
Verschulden entgegenhalten lassen.

    Mit dem Obergericht ist davon auszugehen, dass sich die Beklagte mit
ihren Seitensprüngen gegen die eheliche Treuepflicht schwer vergangen
hat. Es ist ihr daher ein erhebliches Verschulden im Sinne von Art. 152
ZGB anzulasten. Nach dem Ausgeführten würde sie auch dann nicht als
schuldlos gelten, wenn ihr der Kläger die beiden Ehebrüche verziehen haben
sollte. Die Beklagte kann somit - wie das Obergericht zutreffend erkannt
hat - keinen Anspruch auf eine Bedürftigkeitsrente geltend machen. Damit
fallen aber auch ihre andern Begehren dahin. Ihre Berufung ist deshalb
abzuweisen, soweit auf sie überhaupt einzutreten ist.