Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 III 70



117 III 70

21. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 6. November 1991 i.S. Gautschi Holding AG (Rekurs) Regeste

    Nachkonkurs (Art. 269 SchKG).

    Art. 269 SchKG stellt den Entscheid, ob ein Vermögenswert als
neu entdecktes Vermögen in den Nachkonkurs einbezogen werden soll,
nicht völlig dem Ermessen des Konkursamtes anheim. Dieses kann sich
nur ausnahmsweise - bei eindeutiger Sach- und Rechtslage - weigern,
für behauptete Rechtsansprüche einen Nachkonkurs zu eröffnen.

Sachverhalt

    A.- Zwischen der Gautschi Holding AG und dem Konkursamt Glarus ist
streitig, ob der am 19. August 1986 als geschlossen erklärte Konkurs über
die Suter-Leemann AG in Glarus gemäss Art. 269 SchKG wiederaufzunehmen
bzw. auf verschiedene Forderungen - Pfanderlös, ungerechtfertigte
Bereicherung, Verrechnung mit der Masse - auszudehnen sei. Diese
Forderungen sollen sich nach der Behauptung der Rekurrentin erst im
Gefolge eines Kollokationsprozesses gegen die Spar- und Hypothekenbank
Luzern (erledigt durch Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom
24. August/14. Dezember 1987 bzw. durch Urteil des Bundesgerichts vom
25. Mai 1989) herauskristallisiert haben.

    Das Konkursamt lehnte die Wiederaufnahme des Konkurses mit der
Begründung ab, dass es sich bei den fraglichen sechs Forderungen im
Gesamtbetrag von Fr. 4'741'576.35 nicht um neu entdecktes Vermögen der
Konkursitin handle, habe doch die Gautschi Holding AG in ihrem Schreiben
vom 3. Mai 1990 selber erklärt, dass sich die Beträge aus den Konkursakten
ergäben.

    B.- Die Verfügung des Konkursamtes wurde vom Präsidenten des
Kantonsgerichts Glarus als unterer Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung
und Konkurs geschützt, indem die hiegegen gerichtete Beschwerde der
Gautschi Holding AG am 17. Dezember 1990 abgewiesen wurde, soweit
darauf einzutreten war. Denselben Entscheid fällte in seiner Sitzung vom
26. August 1991 das Kantonsgericht Glarus als obere Aufsichtsbehörde über
Schuldbetreibung und Konkurs.

    Demgegenüber hiess die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts den Rekurs gut und hob den Entscheid der oberen kantonalen
Aufsichtsbehörde auf. Sie wies das Konkursamt an, über die Ausdehnung
des Nachkonkurses über die Suter-Leemann AG neu zu entscheiden.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Kantonsgericht Glarus hat im angefochtenen Entscheid
ausgeführt, aus dem von der Beschwerdeführerin zu den Akten gegebenen
Schreiben vom 3. Mai 1990 gehe hervor, dass die als neu entdecktes
Vermögen geltend gemachten Forderungen der Konkursmasse Suter-Leemann
AG gegen die Spar- und Hypothekenbank Luzern seit 1983 bekannt gewesen
seien. Es sei unbekannt, weshalb sie von der Konkursverwaltung im
Konkurs nicht berücksichtigt worden seien. Dagegen hätte Beschwerde
geführt werden können; doch sei dies nicht geschehen, obwohl noch ein
Kollokationsprozess mit der Gautschi Holding AG als Klägerin pendent
gewesen sei, der von ihr ungefähr zum gleichen Zeitpunkt an das Obergericht
Glarus weitergezogen worden sei, wo der Konkurs über die Suter-Leemann AG
als geschlossen erklärt wurde. Auf die Rüge wegen der nach der Meinung
der Beschwerdeführerin vorzeitigen Schliessung des Konkurses könne
heute nicht mehr eingetreten werden. Dass im Nachkonkurs nun bloss die
im ordentlichen Zivilprozess geprüfte Forderung behandelt werde, sei
nicht zu beanstanden. Bei diesem Vermögenswert könne man mit Fug von neu
entdecktem Vermögen sprechen. Das könne aber nicht gelten für (strittige
oder unstrittige) Forderungen, die im Konkursverfahren bereits summenmässig
bekannt gewesen seien und aus heute nicht mehr zu ermittelnden Gründen
nicht berücksichtigt worden seien. Andernfalls würde ein Nachkonkurs
praktisch zur Revision eines ganzen Konkursverfahrens führen, was nicht
Sinn und Zweck von Art. 269 SchKG sei. Da die Konkursämter eher bereit
seien, die Voraussetzungen von Art. 269 SchKG als gegeben zu betrachten
- führt die kantonale Aufsichtsbehörde weiter aus -, damit ein Streit
über den materiellen Bestand einer Forderung und den Zeitpunkt ihres
Entstehens in einem gerichtlichen Verfahren entschieden werden könne,
"müsste die Beschwerdeführerin im vorliegenden Aufsichtsbeschwerdeverfahren
deutlichere, konkretere und überzeugendere Hinweise auf das Vorhandensein
von Gründen für praxisfremde Entscheide des Konkursamtes beziehungsweise
des damals zuständig gewesenen Konkursverwalters geben können". Aus
den Akten seien solche Gründe nicht als hinreichend überzeugend
erkennbar. Daher müsse angenommen werden, dass das Konkursamt Glarus
zu Recht die fraglichen Forderungen von insgesamt 4,7 Millionen Franken
als nicht unter Art. 269 SchKG subsumierbares (neu entdecktes) Vermögen
betrachtet habe.

Erwägung 2

    2.- a) Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. In ihren
Beschwerden an die untere und hernach die obere kantonale Aufsichtsbehörde
hat die Gautschi Holding AG klar dargelegt, dass und weshalb sie die
weiteren Forderungen als neu entdeckte Vermögensstücke im Sinne von
Art. 269 SchKG betrachtet, und dabei auf die nicht leicht zu überblickenden
Zusammenhänge hingewiesen. Damit haben sich die beiden kantonalen
Aufsichtsbehörden mit keinem Wort auseinandergesetzt. Vielmehr haben sie
sich mit dem Hinweis auf das Schreiben der Gautschi Holding AG vom 3. Mai
1990 an deren damaligen Rechtsvertreter begnügt, worin erklärt wird: "Die
Beträge ergeben sich aus den Konkursakten und sind von Dr. Honegger leider
jeweils in der falschen Kolonne in seinem Statut oder überhaupt nicht
aufgeführt worden." Entgegen der im angefochtenen Entscheid vertretenen
Auffassung lässt sich diesem Schreiben nur entnehmen, dass Belege für
die Forderungen offenbar in den Konkursakten zu finden sind. Es lässt
sich daraus aber nicht der Schluss ziehen, dass die Konkursorgane oder
die (Mehrzahl der) Gläubiger über Anhaltspunkte verfügten, wonach diese
Forderungen tatsächlich als Aktiven zur Konkursmasse zu ziehen gewesen
wären, was aber wissentlich oder versehentlich nicht geschehen ist.

    b) Art. 269 SchKG stellt den Entscheid, ob ein Vermögenswert als
neu entdecktes Vermögen in den Nachkonkurs einbezogen werden soll,
nicht völlig dem Ermessen des Konkursamtes anheim. Im Hinblick auf die
Folgen einer Ablehnung kann sich das Konkursamt nur ausnahmsweise - bei
eindeutiger Sach- und Rechtslage - weigern, für behauptete Rechtsansprüche
einen Nachkonkurs zu eröffnen (BGE 90 III 45 ff. E. 2 und 3). Sieht es
selber keine Möglichkeit, solche Rechtsansprüche für die Konkursmasse
durchzusetzen, so kann es entsprechend der Bestimmung von Art. 269 Abs. 3
SchKG vorgehen. Es ist denn auch nach der Rechtsprechung in erster Linie
Sache des Richters, und nicht des Konkursamtes bzw. der Aufsichtsbehörden
in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen, darüber zu entscheiden, ob die
Voraussetzungen für einen Nachkonkurs gegeben sind oder nicht (vgl. die
jüngste Rechtsprechung in BGE 116 III 98 ff.).

    c) Da es im vorliegenden Fall sehr unklar ist, wie es sich rechtlich
mit den geltend gemachten Forderungen verhält, kann die Zulässigkeit des
Nachkonkurses auch nicht entscheidend davon abhängen, ob die Gautschi
Holding AG selber Kenntnis vom Bestand weiterer Forderungen gegen die
Konkursitin hatte oder hätte haben müssen. Zwar obliegt es der Rekurrentin,
näher darzulegen, weshalb sie glaubt, dass neue Vermögensstücke im
Sinne von Art. 269 SchKG vorhanden seien; und dafür hat sie denn auch
zumindest Indizien geliefert. Aber es kann ihr im Hinblick darauf, dass
der Ausschluss des Nachkonkurses den endgültigen Verlust eines allenfalls
eben doch zur Konkursmasse gehörenden Rechtsanspruchs bewirken würde, der
Nachkonkurs nicht mit dem blossen Hinweis darauf verweigert werden, dass
sie selber im Schreiben vom 3. Mai 1990 auf die Konkursakten verwiesen hat
(BGE 116 III 104 E. 6b, 105 E. 6d). Vielmehr muss das Konkursamt - gerade
aufgrund der Konkursakten - zuerst einmal selber abklären, ob die Existenz
der umstrittenen Forderungen vor Durchführung des Kollokationsprozesses
wirklich nicht bekannt sein konnte oder aus welchen Gründen sonst diese
Forderungen seinerzeit im Konkurs der Suter-Leemann AG nicht in die
Konkursmasse einbezogen worden sind. Je nachdem muss sich das Konkursamt
über den einzuschlagenden Weg klar werden und sich dabei vor allem die
für streitige Forderungen anwendbare Vorschrift von Art. 269 Abs. 3 SchKG
vor Augen halten (siehe auch AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und
Konkursrechts, 4. Auflage Bern 1988, S. 397 f., insbesondere Rz. 6 und 8;
WALDER, Der Nachkonkurs, BlSchK 45/1981, S. 1 ff., S. 33 ff.).