Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 117 IB 325



117 Ib 325

39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 10. Juni 1991 i.S. Eidgenössisches Departement des Innern gegen
Kantonalbank von Appenzell A.Rh. und Regierungsrat des Kantons Appenzell
A.Rh. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Rodungsbewilligung; Interessenabwägung und Pflicht zur Koordination
der Verfahren.

    1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen
Teilentscheid (E. 1).

    2. a) Voraussetzungen für die Erteilung einer Rodungsbewilligung,
Art. 26 FPolV (E. 2).

    b) Die Interessenabwägung nach Art. 25 FPolV muss umfassend sein und
von der nämlichen Behörde ausgehen (E. 2a).

    c) Bei der Erteilung einer Rodungsbewilligung ist die Koordination
mit den übrigen, nach kantonalem und eidgenössischem Recht notwendigen
Bewilligungsverfahren sicherzustellen (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Am 5. Juli 1990 stellte die Kantonalbank Appenzell A.Rh.
beim Regierungsrat des Kantons Appenzell A.Rh. ein Gesuch um Rodung einer
Fläche von 2850 m2 Wald auf dem Grundstück Kat. Nr. 1605 in der Walke in
der Gemeinde Herisau. Das Grundstück liegt gemäss dem Gemeindezonenplan
in der Industriezone. Die Gesuchstellerin beabsichtigt, in der Walke
drei Gewerbetrakte zu erstellen. Für den Trakt C, der in den Bereich der
betreffenden Rodungsfläche zu stehen kommt, wurde bei der Gemeinde ein
Baugesuch eingereicht.

    Der Regierungsrat fasste am 20. November 1990 folgenden Beschluss:

    "1. Dem Rodungsgesuch der Appenzell-Ausserrhodischen Kantonalbank mit
   einer Rodungsfläche von ca. 2850 m2 wird dem Grundsatze nach
   entsprochen.

    2. Die Justizdirektion wird beauftragt, auf besonderen Antrag der

    Gesuchstellerin die Einzelheiten (Fristen, Ersatzaufforstung)
zu regeln.

    3. Die Gesuchstellerin darf vor diesem Entscheid der Justizdirektion
von
   der Bewilligung nicht Gebrauch machen."

    Das Bundesgericht heisst die gegen diesen Entscheid erhobene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Eidgenössischen Departements des
Innern gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates des Kantons
Appenzell A.Rh. ist in Anwendung von Art. 25bis Abs. 1 lit. b FPolV und
somit gestützt auf öffentliches Recht des Bundes ergangen. Das EDI ist
gemäss Art. 103 lit. b OG zur Beschwerde legitimiert.

    b) Der Regierungsrat hat mit dem angefochtenen Entscheid dem
Rodungsgesuch "dem Grundsatze nach" entsprochen und die Justizdirektion
beauftragt, die Einzelheiten zu regeln. Das kantonale Verfahren ist demnach
noch nicht abgeschlossen. Gemäss der bundesgerichtlichen Praxis handelt es
sich allerdings nicht um einen Zwischen-, sondern um einen Teilentscheid,
mit welchem über einen Grundsatzaspekt des Streitgegenstandes entschieden
wurde. Ein derartiger Teilentscheid ist im gleichen Verfahren wie eine
Endverfügung anfechtbar (vgl. dazu BGE 107 Ib 343 E. 1 mit Hinweisen;
FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983
S. 140/141). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 31 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend die
eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei vom 11. Oktober 1902
(FPolG) soll das Waldareal der Schweiz nicht vermindert werden. Art. 24
FPolV führt diesen Grundsatz dahin aus, dass das Waldareal im Hinblick
auf seine Nutz-, Schutz- und Wohlfahrtsaufgaben in seinem Bestand und
in seiner regionalen Verteilung zu erhalten sei. Rodungen bedürfen einer
Bewilligung. Gemäss Art. 26 Abs. 1 FPolV, der in ständiger Rechtsprechung
als gesetzeskonform anerkannt worden ist (BGE 116 Ib 327 E. 4; 112 Ib
200 E. 2; 108 Ib 180 E. 1a, je mit Hinweisen), darf die Bewilligung nur
erteilt werden, wenn sich hiefür ein gewichtiges, das Interesse an der
Walderhaltung überwiegendes Bedürfnis nachweisen lässt (vgl. dazu BGE 112
Ib 200 E. 2 mit Hinweisen). Dabei gilt das Gebot der Walderhaltung ohne
Rücksicht auf Zustand, Wert und Funktion des konkreten Waldes; es bezieht
sich auch auf kleine und vernachlässigte Waldgrundstücke (ZBl 88/1987
S. 501). Der Rodung dürfen sodann keine polizeilichen Gründe entgegenstehen
(Art. 26 Abs. 2 FPolV). Im weiteren muss das Werk, wofür die Rodung
begehrt wird, auf den vorgesehenen Standort angewiesen sein; finanzielle
Interessen, wie möglichst einträgliche Nutzung des Bodens oder billige
Beschaffung von Land, gelten nicht als gewichtige Bedürfnisse (Art. 26
Abs. 3 FPolV). Der Begriff der Standortgebundenheit ist allerdings hier
nicht in raumplanungsrechtlich strengem Sinne zu verstehen, was bedeutet,
dass bei Rodungen das Erfordernis der Standortgebundenheit nicht absolut
gilt, weil fast immer eine Wahlmöglichkeit besteht. Entscheidend ist,
ob die Gründe dieser Wahl die Interessen der Walderhaltung überwiegen
(BGE 112 Ib 200 E. 2a mit Hinweisen). Schliesslich ist dem Natur- und
Heimatschutz gebührend Rechnung zu tragen (Art. 26 Abs. 4 FPolV). Die
Verwaltungsbehörde muss dabei nicht nur die Auswirkungen der Rodung als
solche berücksichtigen, sondern auch das anstelle des Waldes zu errichtende
Bauwerk und seine Auswirkungen (BGE 108 Ib 177).

    a) Aus diesen Rodungsvoraussetzungen ergibt sich, dass eine
gesamthafte Beurteilung aller auf dem Spiele stehenden Interessen nötig
ist, um den Anforderungen des Bundesverwaltungsrechts zu genügen. Dies
zeigt in besonderem Masse der vorliegende Fall. Das beschwerdeführende
EDI macht nämlich u.a. geltend, die dem Grundsatze nach erteilte
Rodungsbewilligung trage den Anforderungen des Natur- und Heimatschutzes
gemäss Art. 26 Abs. 4 FPolV nicht hinreichend Rechnung. Gerade diese
Frage kann nur beurteilt werden, wenn alle Auflagen und Bedingungen
der Rodungsbewilligung feststehen und insbesondere auch über Pflicht
und Standort der Ersatzaufforstung gemäss Art. 26bis FPolV Klarheit
herrscht. Der Regierungsrat äussert sich indessen zu diesen Fragen nur
sehr summarisch, indem er festhält, dem Schaden, den eine Rodung im
Gebiet Walke anrichte, stehe wenigstens der Vorteil gegenüber, dass mit
der Verwirklichung des Projektes gleichzeitig eine Offenlegung des bisher
unterirdisch geführten Walkebaches verbunden sei. Aus diesen Ausführungen
geht jedoch noch nicht genügend klar hervor, ob und wie dem Natur- und
Heimatschutz Rechnung getragen wurde. Wie vorstehend ausgeführt, sind im
Zusammenhang mit einer Rodung weiter auch die Auswirkungen des anstelle
des Waldes zu errichtenden Bauwerkes zu berücksichtigen. Dies ist aber
erst dann möglich, wenn nicht nur die Grösse desselben, sondern auch die
genaue Art der Bewirtschaftung bzw. dessen Zweck feststeht. Auch in diesem
Punkt enthält der angefochtene Entscheid zu wenig konkrete Angaben.

    Es zeigt sich somit, dass der angefochtene Entscheid auf einem
unzureichend abgeklärten Sachverhalt beruht und dass nicht alle Interessen
abgewogen wurden. Wie jede Interessenabwägung muss aber auch jene nach
Art. 26 FPolV umfassend sein und von der nämlichen Behörde ausgehen
(vgl. unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 27. Oktober 1988
i.S. Ligue suisse pour la protection de la nature, E. 2). Die richtige
Anwendung von Art. 26 FPolV verlangt - ähnlich wie die Interessenabwägung
nach Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG - die Beurteilung eines Projektes als
Ganzes; sie schliesst es aus, dass für die Interessenabwägung massgebende
Einzelfragen separaten Verfahren vorbehalten werden. Wird bei der
Beurteilung einer Rodungsbewilligung in Missachtung des Grundsatzes der
umfassenden Interessenabwägung durch die nämliche Behörde ein wesentlicher
Gesichtspunkt ausser acht gelassen, so liegt darin in der Regel nicht nur
eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung, sondern auch eine Verletzung
von Art. 26 FPolV (BGE 112 Ib 120 mit Hinweisen). Der Bewilligungsentscheid
darf demnach nicht derart aufgeteilt werden, dass über den Grundsatz eine
Behörde und über die Einzelheiten eine andere Instanz entscheidet.

    b) Zu diesen Überlegungen kommt noch ein weiterer Punkt hinzu. Die
bundesgerichtliche Rechtsprechung lässt es zwar zu, dass über ein
Rodungsgesuch, dem für die Erstellung einer im Wald geplanten Anlage
vorrangige Bedeutung zukommt, vorweg entschieden wird (BGE 114 Ib 230
f. E. 8). Dies ist namentlich dann möglich, wenn von vornherein aufgrund
eines zureichend abgeklärten Sachverhaltes klar feststeht, dass die
geltend gemachten Interessen das gesetzliche Walderhaltungsgebot nicht
zu überwiegen vermögen (vgl. BGE 113 Ib 153 f., nicht publiziertes
Urteil des Bundesgerichts vom 24. Mai 1989 i.S. Stadtgemeinde Ilanz
E. 4a). Wird eine Rodungsbewilligung in Erwägung gezogen, wie sie
die Beschwerdegegnerin verlangt, so hat jedoch notwendigerweise eine
Abstimmung mit den übrigen Behörden zu erfolgen, welche für die Erteilung
der weiteren Bewilligungen zuständig sind. Im vorliegenden Fall bedarf
das Vorhaben der Beschwerdegegnerin neben der Rodungsbewilligung noch
verschiedener weiterer Bewilligungen nach kantonalem und gegebenenfalls
auch nach eidgenössischem Recht (je nach Nutzungsart der geplanten Bauten
evtl. Abklärung der UVP-Pflicht, vgl. Ziff. 7 Anhang der Verordnung
über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 19. Oktober 1988, UVPV,
evtl. Ausnahmenbewilligungen, Baubewilligung etc.). Soll unter diesen
Umständen eine Rodungsbewilligung vorweg, d.h. vor Erteilung der anderen
Bewilligungen erteilt werden, so ist die Koordination mit den übrigen, nach
kantonalem oder eidgenössischem Recht notwendigen Bewilligungsverfahren
sicherzustellen. Dies setzt den Einbezug sämtlicher im Rahmen der übrigen
Bewilligungsverfahren zu berücksichtigenden Interessen voraus; namentlich
bedürfen die raumplanungs- sowie umwelt- und gewässerschutzrechtlichen
Fragen einer eingehenden Prüfung. Dabei genügt nicht allein die materielle
Berücksichtigung dieser Belange, die erforderliche Koordination ist
vielmehr durch den formellen Einbezug der zuständigen Behörden in
das Verfahren der Rodungsbewilligung sicherzustellen. Die zuständigen
Verwaltungsbehörden haben im Verfahrensverlauf dafür zu sorgen, dass
sowohl in materiellrechtlicher als auch in verfahrensmässiger Hinsicht
eine Lösung gefunden wird, bei welcher alle in Frage stehenden Regeln
möglichst gleichzeitig und vollumfänglich zum Zuge kommen und überdies die
auf das zu beurteilende Projekt anwendbaren kantonalen Normen gebührend
berücksichtigt werden (116 Ib 329 f.; ferner nicht publizierter Entscheid
vom 24. Mai 1989 i.S. Stadtgemeinde Ilanz, E. 4c, d). An einer derartigen
Koordination fehlt es aber im vorliegenden Fall vollumfänglich.